Gespräch des Tages

Unternehmensanleihen - Gemäß dem Zeitgeist

Die deutsche Wirtschaft, insbesondere der Mittelstand, steht vor einem Problem. Verließen sich die Unternehmer bislang zur Finanzierung zu einem großen Teil - und deutlich stärker als in anderen europäischen Ländern oder den USA - auf Kredite von Banken, so werden Letztere aufgrund schlechter Refinanzierungsmöglichkeiten im Markt bald ihre Zinssätze beziehungsweise Margen entsprechend korrigieren müssen. Konsequenz: Kredite werden zögerlicher vergeben oder sie werden teurer. Die HVB beispielsweise hat gerade bekannt gegeben, ihre Kreditvergabe um ein Fünftel reduzieren zu wollen. Betrachtet man die Konditionen etwa im Fünfjahresbereich, so wird schnell deutlich, dass sich Unternehmen bereits heute günstiger am Kapitalmarkt refinanzieren können als Kreditinstitute.

Als alternative Finanzierungsform etabliert sich daher immer stärker die Unternehmensanleihe auch für mittelständische Unternehmen. Wegbereiter waren an den Banken vorbei seit Herbst 2010 insbesondere die regionalen Börsen, die den Unternehmen eine leicht zugängliche Infrastruktur auch zu privaten Investoren zur Verfügung stellen. Ein Jahr später waren allein in Stuttgart 18 Anleihen von 16 Unternehmen mit einem Gesamtvolumen von über 1,3 Milliarden Euro gelistet - Tendenz steigend. Und auch die Deutsche Börse hat im Februar 2011 mit dem Entry Standard nachgezogen. Tatsächlich hat dieser Finanzierungsweg aus Sicht vieler Unternehmen seinen Charme: Bislang hatten gerade Mittelständler oft Angst, mit der Hereinnahme von Aktionären, also Eigenkapital, einen Teil ihrer unternehmerischen Gestaltungsfreiheit aufgeben zu müssen. Per (nicht nur börsengehandelter) Anleihe können sie auf einfachem Wege frisches Geld bekommen, als Fremdkapital, ohne dass sich in der Unternehmensführung etwas ändert.

Dass der Frankfurter Marktbetreiber den Start seines Prime Standards, also des Qualitätssegments für Unternehmensanleihen, aufbauend auf dem Erfolg bei börsengehandelten Anleihen im Einstiegssegment nun nach oben ausbaut, ist ein konsequenter Schritt - mit dem er sich von den regionalen Wettbewerbern absetzt. Emissionsvolumina ab 100 Millionen Euro stellt sich die Börse hier vor, was also zumeist größeren Unternehmen vorbehalten sein wird. Wie attraktiv der Gesamtmarkt ist, zeigt die Statistik: Anleihen im Volumen von rund 120 Milliarden Euro wurden europaweit in den ersten sechs Monaten 2011 begeben, mehr als achtmal so viel wie im Vorjahreszeitraum. Gut ist dabei, dass die Börse die Transparenzanforderungen gegenüber denen im Entry Standard deutlich erhöht hat und nicht sechs, sondern 24 der von der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse (DVFA) gesetzten Kennzahlen veröffentlicht werden müssen. Denn angesichts der sich derzeit abzeichnenden Auftragsrückgänge könnte die Zahl der Unternehmenspleiten noch einmal deutlich steigen.

Auch aus Sicht des (langfristigen) Anlegers und Investors bieten Unternehmensanleihen mit meist attraktiven Zinsen eine gute Alternative zu Aktien beziehungsweise deren Dividenden - zumindest solange das Geschäft abseits vom Handel im Millisekundentakt ein etwas ruhigeres bleibt (siehe auch Seite 1232 in dieser Ausgabe). Anders als bei Zertifikaten & Co. wird zudem der allzu oft verloren gegangene Bezug zur Realwirtschaft wieder (be-)greifbarer, was sicherlich dem Zeitgeist entspricht. Wie lange das derzeit wachstumsstarke und attraktive Segment wohl vom (Über-)Eifer institutioneller Investoren und hochvolumigen Spekulationen verschont bleiben wird?

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