Leitartikel

Die Banken und das Risiko

Wenn die ehrwürdige Deutsche Bundesbank alljährlich ihren Finanzstabilitätsbericht vorlegt, so ist das ohne spektakuläre "Fälle" für die sensationsgierige Öffentlichkeit eigentlich kaum bemerkenswert. 2006 war so ein Jahr. Dabei ist doch zu loben, wie schnell sich die Banken seit den Krisenjahren 2002 ff. erholt haben. "Die Stabilität des deutschen Finanzsystems hat sich in diesem Jahr weiter verbessert. Damit setzte sich der 2003 begonnene Festigungsprozess fort. Die Risikolage deutscher Banken hat sich insgesamt weiter entspannt, zugleich erhöhte sich ihre Risikotragfähigkeit merklich." So fasst die Bundesbank die erfreuliche, weil "robuste" Entwicklung gleich im ersten Satz des Berichtes zusammen.

Woran machen die Bankenaufseher die gestiegene Risikotragfähigkeit des deutschen Bankensystems fest? Natürlich zunächst an der Ertragslage. Die durchschnittliche Eigenkapitalrentabilität der bundesdeutschen Kreditwirtschaft verbesserte sich von gerade einmal 0,7 Prozent 2003 über 4,2 Prozent 2004 auf 12,7 Prozent in 2005. Besonders erfolgreich waren dabei die großen international tätigen Banken, die dank kräftigen Rückenwinds von den steigenden Aktienmärkten und den niedrigen Marktzinsen im Eigenhandel und dem Provisionsgeschäft richtig Geld verdienten. Mehr noch: Die zuletzt oftmals eher belächelten deutschen Großbanken haben es laut Bundesbank per Ende 2005 geschafft, beim Bewertungsfaktor - das Ergebnis vor Steuern im Verhältnis zum operativen Ergebnis - einer europäischen Vergleichsgruppe aus 15 Banken mit einer Bilanzsumme von jeweils mehr als 250 Milliarden Euro näher zu rücken. Deutsche Kreditinstitute sind also mitnichten so schlecht, wie sie von angelsächsisch geprägten Analysten mit ihrem anderen Verständnis für ein Bankensystem gerne gemacht werden.

Kleiner Wermutstropfen: Bei der Aufwand-Ertragsrelation konnten sie nicht weiter aufschließen, im Gegenteil, die Schere zur europäischen Konkurrenz klafft wieder ein Stück weiter auf. Während die Wettbewerber ihre Kennziffern um rund fünf Prozentpunkte senken konnten, lag die Verbesserung bei den deutschen Großbanken nur bei 2,5 Prozentpunkten. An den Kosten liegt es - angesichts der sprichwörtlichen deutschen Gründlichkeit, mit der hier gearbeitet wurde - nicht mehr. Vielmehr ist es, trotz aller Fortschritte, die nach wie vor zu schwache Ertragsseite, die um rund zehn Prozentpunkte hinter der der Vergleichsgruppe zurückliegt. Mut sollte machen, dass die durchaus vorhandenen Ertragszuwächse nicht etwa nur auf die günstigen Marktbedingungen zurückzuführen sind, sondern auch auf nachhaltige Strukturverbesserungen. Das erwähnen die Bankenaufseher lobend, die nach Zerlegung der Eigenkapitalrendite in ihre einzelnen Komponenten feststellen, dass alles insgesamt "auf eine gesunde Zusammensetzung des operativen Ergebnisses" hindeutet. Dass diese Verbesserungen auf breiter Basis stattgefunden haben und insbesondere einige der früher ertragsschwächeren Häuser sich merklich steigern konnten, freut die Aufseher. Hierzu passt eine über alle Institute gerechnete Eigenkapitalausstattung, die ihrer Funktion als Schockabsorber mit einer Eigenkapitalquote von 14 Prozent und einer Kernkapitalquote von neun Prozent besser nachkommen kann.

Auch auf der Risikoseite sind die Entwicklungen zufrieden stellend: Der Anteil der schlechten, weil nicht mehr ordentlich bedienten Kredite am Bruttokreditvolumen hat sich von 5,3 Prozent auf seinem Höhepunkt 2003 nun auf 4,1 Prozent reduziert. "Die Welle der Not leidenden Kredite ist damit im Wesentlichen ausgelaufen", fasst die Bundesbank die schlechter werdenden Aussichten für Aufkäufer von "non performings" zusammen. Freilich kann nicht davon ausgegangen werden, dass trotz aller Bereinigungsbemühungen die Bestände schon frei von Alt- oder vielleicht sogar schon neuen Lasten sind. Denn ob angesichts des verschärften Wettbewerbsdruckes wirklich alles Neugeschäft für sich allein betrachtet auskömmlich ist - man mag's kaum glauben. Die EZB beispielsweise warnt bereits vor einer "Wende zum Schlechteren" im Zyklus bei Unternehmenskrediten. So übersteige bei Unternehmen in Westeuropa die Zahl der Bonitätsherabstufungen die der Heraufstufungen.

Selbst im zuletzt so heiß geliebten und teuer bezahlten Konsumentenkreditgeschäft - siehe Deutsche Bank und Norisbank -, sorgt der emsige Wettbewerb für Margendruck. Wer trotzdem Geschäft machen will, kann dies zudem nicht immer zu seinen Bonitätsvorstellungen tun, mitunter kommen auch mal die "Schlechteren" ins Töpfchen. Die Folge ist unübersehbar. Der Bestand an Einzelwertberichtigungen in Relation zum Kundenkreditvolumen ist bei den Teilzahlungsbanken kräftig angestiegen: Von gut sechs Prozent im Jahr 2004 auf fast acht Prozent 2005. Das wird auch 2006 nicht besser, solange die Verbraucherinsolvenzen fleißig neuen Höhen zustreben. Allein im ersten Halbjahr wurden rund 43 000 Pleiten und damit annähernd so viele wie im Gesamtjahr 2004 verzeichnet. Ein Stabilitätsrisiko ist das aber noch lange nicht, schließlich sind mehr als drei Viertel der gesamten Ausleihungen an private Haushalte Kredite für den Wohnungsbau. Und alles Immobile gilt immer noch als sicher.

Noch zu den Margen: Die immer flacher werdende Zinsstrukturkurve lässt die Fristentransformation schwieriger und damit auch risikoreicher und unattraktiver werden. Das trifft natürlich vor allem die vom Zinsgeschäft abhängigen Institute: "Die mittelfristigen Ertragsperspektiven der Sparkassen und Genossenschaften sind ungesichert", so die Bundesbank. Und weiter: "Eine umfassende Orientierung zu neuen, renditestärkeren Ertragsquellen zeichnet sich bisher nicht ab." Im Gegenteil. Das operative Ergebnis war 2005 bei öffentlichrechtlichen wie bei genossenschaftlichen Instituten gegenüber dem Vorjahr sogar rückläufig, da der Rückgang im zinsabhängigen Geschäft von Provisionen und Eigenhandel, auf die weniger als ein Viertel des gesamten operativen Ergebnisses entfällt, nicht ausgeglichen werden konnte. Schwere Zeiten kommen also auf Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken zu, stellte auch Edgar Meister fest.

Doch was tun? Die Befreiung der Platzbank von möglichst vielen administrativen Aufgaben, ihre stärkere Hinwendung zum Kunden als echte Vertriebsbank, die Hoffnung, dass Lieschen Müller und Max Mustermann nicht nur Standard, sondern vor allem Beratung möchten, die immer wieder mal aufflammende Diskussion um Erlösströme zwischen Vertreibenden und Produzierenden, all das kann die Probleme nicht nachhaltig lösen. Vielleicht sind 1 700 Vertriebsbanken in beiden Verbünden doch zu viel für die offensichtlich zu wenigen Kunden, würden 500 nicht viel auskömmlicher leben können? Und natürlich hat BVR-Präsident Christopher Pleister Recht, wenn er findet, dass Sparkassenkunden auch gut zu Volks- und Raiffeisenbanken passen würden, was selbstverständlich auch andersherum gilt.

Lob fand der im April 2007 scheidende Meister dagegen für die Bankengruppe, die zuletzt unter Stabilitätsaspekten eher kritisch bewertet wurde: die Landesbanken. Diese hätten sich, so unterschiedlich sie auch aufgestellt seien, zuletzt gut geschlagen und verzeichneten beachtliche Fortschritte hin zu neuen Geschäftsmodellen. Das Jahr 2005 war in der Tat das erfolgreichste der letzten fünf Landesbankenbilanzen, auch wenn erst ein Jahr nach Wegfall von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung die Ertragskennzahlen immer noch deutlich von Sondereffekten geprägt sind. Der Bundesbankvorstand ließ es aber nicht aus, den weiteren Konsolidierungsbedarf deutlich einzufordern. Und das ist, ob Südschiene, Banane oder gar LBBW und Nord-LB in der Organisation zwar ein bekanntes, bislang aber äußerst ungeliebtes Thema.

Auch wenn DSGV-Präsident Heinrich Haasis dies alles erkannt und kürzlich auch die Taktfolge der Gespräche (erst Landesbanken untereinander, dann mit der Politik) angesprochen hat, darf davon ausgegangen werden, dass erst "nach Berlin" ernsthaftere Anläufe unternommen werden, für Bereinigung zu sorgen, auch wenn das angesichts der nach wie vor starken politischen Einflüsse ein Ziehen und Zerren, Manövrieren und Lavieren par excellence geben wird. Hinzu kommt, dass neben der WestLB die übrigen potenziellen Antriebskräfte mit anderen Dingen beschäftigt sind. Die Bayern-LB ringt mit gar nicht so schlechten Aussichten um die österreichische Bawag. Hier wird bis zum Jahresende eine Entscheidung erwartet. Und man rechnet sich in München gute Chancen aus, auch wenn die ausländischen Konkurrenten wie Lonestar und Cerberus sicherlich finanzkräftiger erscheinen. Doch am Ende zähle nicht nur der Preis, sondern das gesamte Leistungspaket, gibt man sich in München durchaus selbstbewusst. Und die LBBW hat noch so viel "internes" Wachstumspotenzial in Baden-Württemberg und vor allem Rheinland-Pfalz, dass sie sich ebenfalls bestimmt nicht kopflos in Fusionsgespräche stürzen wird.

Apropos Berlin - zur jüngsten Einigung sind zwei Dinge anzumerken: Erstens - es ist wieder einmal eine Ausnahme. Es kann sicherlich eine Zeit lang gut gehen, alle nicht konsensfähigen Dinge von den allgemein gültigen Regeln auszuklammern. Zur Klarheit trägt das wahrlich nicht bei, und richtig schwierig wird es, wenn es - irgendwann mal - zur Ausnahme von der Ausnahme kommen sollte. Und zweitens scheint sich die Organisation offensichtlich doch relativ sicher zu sein, Berlin zu bekommen. Wie sonst sollte man interpretieren, dass mit dem Kompromiss in diesem speziellen Fall so mir nichts dir nichts auf das Namensrecht verzichtet wird, nachdem dass lange als unantastbar galt?

Es bleibt also auch in 2007 bewegt, alles in allem darf die Branche aber doch zuversichtlich nach vorne blicken. Das Thema die Banken und das Risiko ist kein offen loderndes Feuer mehr. Dass das so bleibt, ist Sache der Institute selbst. Denn: Übermut tut selten gut. P.O.

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