Leitartikel

Länder-Tristesse: Belastung für Konjunktur und Märkte

Deutschland atmet auf. Nicht laut und deutlich, wie es die Art anderer Nationen ist, sondern der Michel freut sich verhalten und nur schwer hörbar. Aber immerhin. Die Arbeitslosenquote sinkt, neben den traditionell und lange so einsam starken Exporten springen langsam auch andere, inländische Bereiche der Wirtschaft an, die Investitionsbereitschaft im Lande steigt und es wird wieder mehr konsumiert, auch wenn das mit Blick auf die Mehrwertsteuererhöhung im kommenden Jahr schon ein wenig verzerrt sein mag. Das Hamburgische Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA) erhöhte Mitte September seine Wachstumsprognose für 2006 um einen halben Prozentpunkt auf nunmehr 2,1 Prozent. Gleichzeitig sehen die Spezialisten im kommenden Jahr aber bereits wieder ein spürbares Nachlassen der Dynamik auf dann nur noch 1,1 Prozent Wachstum. Aber nichts desto trotz, nach fünf Jahren dahindümpelnder Konjunktur mit Wachstumsraten von durchschnittlich gerade mal 0,6 Prozent ist das doch eine kleine Verbesserung.

Und noch etwas Erfreuliches kommt hinzu. Der Bundesrepublik bleibt aller Wahrscheinlichkeit der neuerliche und diesmal wohl mit Sanktionen verbundene blaue Brief aus Brüssel erspart. Denn Deutschland wird im kommenden Jahr, wie der Bundesfinanzminister kürzlich verkündete, die Maastricht Kriterien im Hinblick auf das öffentliche Defizit erstmals seit vier Jahren wieder einhalten. Das wird aber nur gelingen, wenn die auf Rekordniveau liegende Neuverschuldung nicht nur nicht weiter ansteigt, sondern im Gegenteil nahezu halbiert wird, wie es der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2007 vorsieht. 23 statt 41 Milliarden Euro - eine leicht zu überspringende Hürde sieht in der Tat anders aus, auch wenn die Mehreinnahmen aus den Steuererhöhungen sicherlich helfen werden, weil sie die strukturelle Einnahmeposition stärken. Bestätigung erhält die Regierung bei ihrer nicht unumstrittenen Einschätzung von der unabhängigen Deutschen Bundesbank. Diese rechnet mit einem Absinken der staatlichen Defizitquote von 3,3 Prozent im Jahre 2005 auf 2,5 Prozent - und damit unter die magische Drei-Prozent-Marke - 2007.

Diese freundlichere Stimmung in Lande zeigt sich auch bei Betrachtung der Länderfinanzen. Hatten 2003 noch zehn der 16 Bundesländer negative Wachstumsraten beim Bruttoinlandsprodukt, so waren dies im vergangenen Jahr mit Berlin, Brandenburg und Sachsen nur noch drei. Die Analysten der HVB rechnen weiterhin damit, dass die wirtschaftspolitischen Pläne der großen Koalition, falls man sie denn so nennen darf, den Länderfinanzen vor allem auf der Einnahmenseite weiter entgegenkommen werden.

Damit aber genug der schönen Dinge. Trüb und trist sieht es nämlich auf der Ausgabenseite der Länder aus. Bereits in den vergangenen fünf Jahren sind die Schulden der Bundesländer um 40 Prozent gestiegen. Und ein Ende ist nicht Sicht. Bei Fortführung der aktuellen Haushaltspolitik - eine Annahme, die zugegebenermaßen nicht sehr wahrscheinlich ist, für Projektionen aber allemal ausreicht - sieht der aktuelle Schuldenmonitor des ZEW und der Bertelsmann-Stiftung schwarz. Bis 2010 werden sich die Schuldenstandquoten der Länder, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, drastisch erhöhen, teils sogar verdoppeln - im Falle Berlins auf satte 105 Prozent. Sanierungsfälle wären dann wohl auch Sachsen-Anhalt (77,8 Prozent), Bremen (75,8 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (170,1 Prozent). Ebenfalls deutliche Verschlechterungen sind bei den "Spitzenreitern zu beobachten, nämlich Bayern (16,9 nach 8,8 Prozent), Baden-Württemberg (20,2 nach 12,8 Prozent) und Hessen (27,1 nach 17 Prozent). Diese Zahlen zeigen eines ganz deutlich: Ohne eine nachhaltige Konsolidierung der öffentlichen Finanzen droht Deutschland eine unkalkulierbare Zukunft. Die Sorge um die rot und röter werdenden Länderfinanzen hat auch die Bundesbank auf den Plan gerufen. Sie fordert eine Verschärfung der nationalen Schuldenregeln, ohne die ein "praktisch kontinuierlicher Schuldenanstieg" nicht zu vermeiden sei. Lediglich Bayern, so die nationalen Währungshüter, hätte absehbar die Chance auf einen ausgeglichenen Haushalt. Doch was tun? Bereits Ende vergangenen Jahres hatte der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin eine Reform der Finanzverfassung öffentlich so angedacht: Steuergesetze unterliegen nicht mehr der Zustimmung durch den Bundesrat, dem Bund steht künftig das gesamte Steueraufkommen bis auf die Kommunalsteuer zu, die Finanzierung der Länder erfolgt durch Zuweisung aus dem Steueraufkommen gemessen an Bevölkerungszahl und BIP, die Haushaltspläne der Länder werden der Genehmigung durch den Bund unterstellt und eine Kreditaufnahme der Länder ist nur für Projektfinanzierungen im Vermögenshaushalt zulässig. Nur wenige dieser Ideen wurden jüngst berücksichtigt. Wie immer bei dieser Regierung fehlt auch in der Föderalismusreform der Mut zu großen Schritten. Welche Rolle spielen die Banken bei der Finanzierung der Länder? Bei Betrachtung der vergangenen fünf Jahre ist zu beobachten, dass sich vor allem die Kreditbanken, darunter auch die Großbanken, aus dem äußerst margenschwachen Kommunalkreditgeschäft zurückgezogen haben. Betrug ihr Anteil im Juni 2001 an den gesamten Ausleihungen an die öffentliche Hand noch 33,5 Prozent, sank er im Juni 2006 auf nur noch 23,8 Prozent. Aufgefangen wurde dies, wen wundert es, vor allem von den Sparkassen und Landesbanken, die ihren Anteil im gleichen Zeitraum von 36,7 auf 41,8 Prozent erhöhten. Insgesamt werden von den Ende 2005 aufgelaufenen Länderschulden in Höhe von rund 482 Milliarden Euro damit aber nur gut acht Prozent über günstige Bankkredite finanziert. Die dominierende Mittelaufnahme über den Kapitalmarkt profitiert derzeit noch von den historisch niedrigen Zinsen. Doch das wird sich ändern: Wer Bundesbank-Präsident Axel Weber jüngst beim Pressegespräch zugehört hat, vernahm sehr deutlich, dass das Zinsniveau vom verantwortlichen EZB-Rat immer noch als viel zu niedrig eingeschätzt wird. Viel zu viele "Up-Side-Risks" müssten bei der Betrachtung berücksichtigt werden. Nur wie viel? Mindestens 3, 5 Prozent, vielleicht sogar bis 4, 0 Prozent Leitzins werden es sein, verlautet es aus Singapur, wo sich die Szene zur alljährlichen Herbsttagung von IWF und Weltbank gerade versammelt hatte. Teurer wird es für Bund und Länder, das ist gewiss.P.O.

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