Stadtentwicklung

Bürgerbeteiligung nach dem Münchener Modell

Spätestens "Stuttgart 21" hat es deutlich gemacht: Die Bürger möchten in große Bauvorhaben einbezogen werden. Immer heftiger äußern sie den Wunsch nach Mitbestimmung. Das so entstandene Bild des Wutbürgers verleitet jedoch vorschnell zu der Annahme, dass die Belange der Bürger bei Bauprojekten nichtig seien. Denn es wird übersehen, dass die Beteiligung der Bürger an größeren Bauvorhaben seit den siebziger Jahren gesetzlich vorgeschrieben ist - und jeder frühzeitig Stellung beziehen kann, wenn er denn will. Hierfür sind weder Bürgerinitiativen noch Volksbegehren erforderlich.

Jeder Bürger kann in einem festgelegten Zeitraum beispielsweise Bedenken gegen neue Bebauungspläne vorbringen, die dann einer gerechten Abwägung unterzogen werden müssen. Stellt sich die Abwägung der Bürgerinteressen als nicht gerecht dar, kann ein Bebauungsplan nichtig werden - und damit als baurechtliche Grundlage wegfallen.

Fünf Partizipationstypen

Doch auch über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus werden Bürger in der Praxis einbezogen. Das zeigt eine aktuelle Untersuchung der Technischen Universität (TU) Darmstadt, die fünf

Typen der Bürgerbeteiligung am Beispiel von München und Frankfurt am Main herausgearbeitet hat. Insbesondere die Partizipationskultur in München offenbart, wie stark sowohl die öffentliche Hand als auch die privaten Investoren bestrebt sind, die Bürger über alle Stufen der Planung hinweg in die Umsetzung baulicher Vorhaben einzubeziehen. Die fünf Partizipationstypen sind: Auftaktveranstaltung, Information und Informationszugang, Kommunikation, Kooperation und Netzwerke sowie Ergebnisumgang.

- Die Auftakt- oder Impulsveranstaltung steht am Anfang eines Bauvorhabens oder Stadtentwicklungsprozesses. Hier geht es darum, die Bürger bei Planungsfragen mit einzubeziehen und ihre Beteiligung aktiv in Gang zu setzen - oft lange bevor überhaupt die Baurechtschaffung initiiert und ein Projekt konkret wird. Wichtig ist, dass möglichst viele Gruppen erreicht werden: Sowohl die interessierte Fachöffentlichkeit als auch die direkt Betroffenen sollten angesprochen und dazu ermutigt werden, sich kontinuierlich über die Entwicklung zu informieren und sich aktiv an der Planung zu beteiligen.

Auf diese Weise können Bürger, Behörden und sonstige Träger öffentlicher Belange frühzeitig zu den Plänen Stellung nehmen und Anregungen abgeben. In München wird das der TU Darmstadt zufolge bereits vorbildlich umgesetzt: Sowohl bei der Bevölkerung als auch beim Fachpublikum stoßen die Auftakt- und Impulsveranstaltungen auf sehr große Resonanz. Angekündigt werden die Veranstaltungen unter anderem über Internet, Flyer, Informationsbroschüren und Plakate.

- Information und Informationszugang: Die Planungskultur in München zeichnet sich zudem durch eine sehr intensive Öffentlichkeitsarbeit aus. So werden beispielsweise Aktionswochen und Werkstattpräsentationen zu Stadtplanungsthemen in der Rathaus-Galerie durchgeführt. Einmal im Jahr wird hier außerdem die große Ausstellung "Zukunft findet Stadt" veranstaltet, die sich Architektur- und Planungsthemen widmet. Dass diese Veranstaltungen auf große Resonanz in der Bevölkerung stoßen, zeigen die Besucherzahlen: Seit 2001 betragen sie jedes Jahr zwischen 10000 und 12000. Außerdem stellt München grundsätzliche Richtungen der Stadtplanung zur Debatte und bezieht die Bürger damit kontinuierlich der TU Darmstadt zufolge sehr erfolgreich - mit ein. Das geschieht insbesondere über die Informationsstelle für Stadtentwicklungsplanung Plan-Treff. Das Informations- und Diskussionsforum wurde als ständige Anlaufstelle eingerichtet, die umfangreiche Materialien bereithält und ebenfalls als Ort für Ausstellungen und Veranstaltungen genutzt wird.

- Kommunikation: Im Rahmen von Auftaktveranstaltungen, Podiumsdiskussionen und Ausstellungen werden nicht nur Informationen vermittelt. Es wird auch der Austausch mit Interessierten gesucht, wobei hier in der Regel keine direkte Einflussmöglichkeiten auf die Planung selbst besteht. Dennoch sind Stadtverwaltung und Oberbürgermeister näher am Bürger. Sie können einschätzen, was gewünscht ist und was nicht - und ihr Vorgehen besser legitimieren, indem sie Themen und Lösungsvorschläge gemeinsam mit den Betroffenen diskutieren. In diesem Zusammenhang werden in München auch regelmäßig Befragungen durchgeführt, in denen die Bedürfnisse und Einschätzungen der Bürger erhoben werden.

Weitere Veranstaltungen, auf die die TU Darmstadt in ihrer Untersuchung eingeht, sind städtebauliche Wettbewerbe. Mit diesen versucht die Stadt München Architekten, Planer und Bürger bei Planungsfragen und Stadtentwicklung mit einzubeziehen, indem neue Vorschläge und Ideen entwickelt und vorgestellt werden können. Über Schulwettbewerbe und -projekte wird außerdem versucht, auch junge Menschen als Zielgruppe anzusprechen. Auf diese Weise sollen nicht nur neue Interessierte für die Stadtplanung, sondern auch zukunftsweisende Ideen und Anregungen gewonnen werden.

- Kooperation und Netzwerke: Sowohl formelle als auch informelle Formen der Partizipation spielen für die Beteiligungskultur in München eine entscheidende Rolle. Grundsätzlich erfolgt - wie in anderen Städten auch - eine formelle Bürgerbeteiligung im Rahmen der Bauleitplanung beziehungsweise des Bebauungsplanverfahrens. Hierzu gehört zum einen, dass die Bürger frühzeitig die Gelegenheit haben, zu Planungsvorhaben Stellung zu nehmen, und zum anderen, dass die Entwürfe des Bebauungsplans im weiteren Verlauf öffentlich ausgelegt und somit für jedermann zugänglich gemacht werden.

Darüber hinaus finden sich in München noch weitere Beteiligungsmöglichkeiten, etwa im Rahmen von Bürgerversammlungen, Bezirksausschüssen und Einwohnerversammlungen. Daneben gibt es auch eine Reihe informeller Formen der Partizipation. Hierzu zählen vor allem die sogenannten Werkstattgespräche. Diese wurden im Jahr 2001 von der Stadt entwickelt und beinhalten einen gemeinsamen Arbeitsprozess mit den betroffenen Bürgern, durch den idealerweise Lösungsalternativen erarbeitet werden.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Bürgerbeteiligung in München spielen der TU Darmstadt zufolge außerdem die Netzwerke, die die Stadt bereitstellt und die den Akteuren eine Möglichkeit geben soll, Einfluss auf die Entscheidungsfindung zu nehmen. Kennzeichnend für die Münchener Netzwerke ist, dass ein starker Zusammenschluss unterschiedlicher gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Akteure besteht, die dieselben stadtplanerischen Ziele verfolgen. Durch derartig große und breitgefächerte Interessengemeinschaften ist der politische Druck auf die Entscheidungsträger ungleich höher, als wenn Einzelne ihre Interessen kundtun - und eine Lösung, die für die Stadt und die Bürger gleichermaßen akzeptabel ist, wird eher erreicht.

- Ergebnisumgang: Als eigenständigen Beteiligungstypus identifizierte die TU Darmstadt zudem den Umgang mit den Ergebnissen. Zentrale Bestandteile sind die ausführliche Dokumentation und die Analyse der unterschiedlichen Beteiligungsformen. Die Auswertung bezieht sich sowohl auf die formelle und informelle Beteiligung als auch auf die Weiter- und Neuentwicklung von Leitlinien für die Stadtentwicklung. Letztgenannte werden in den seit 2011 zweijährlich erscheinenden "Berichten der Stadtentwicklung" veröffentlicht. Doch nicht nur die Beteiligungsprozesse selbst werden dokumentiert. Auch Informationsveranstaltungen oder die Teilnahme an Ausstellungen werden festgehalten und ausgewertet. Neben der internen Ergebnisanalyse ist die Stadt außerdem an einer Bewertung von außen interessiert. Denn erst diese ermöglicht einen wirklich objektiven Blick auf ihre Beteiligungspraxis.

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