Wandel im Handel

Projektentwicklungen durch Bürgerbeteiligungen verkürzen oder zerstören?

Winfried Schwatlo

Immer häufiger kommt es vor, dass Bürger einer Gemeinde die Projektvorhaben ihrer Stadt kippen. "Legal ist nicht automatisch legitim!" mahnt daher der Autor, der in einem derart gelagerten Fall bereits eigens als Kommunikationsschnittstelle fungierte. Er plädiert nicht nur für eine Akzeptanz des neuen Bürgerbewusstseins, sondern vielmehr für mehr Transparenz im Planungsprozess und eine frühzeitige und regelmäßige Einbindung lokaler Interessen, um das Vertrauen in die Politik zu steigern und damit langfristig qualitativ hochwertige und effektive Bauvorhaben realisieren zu können. Red.

"Legal ist nicht automatisch auch legitim!" das erfahren - oft von der eingetretenen Situation überrascht - immer mehr Projektentwickler, wenn sie glauben, auf der Zielgeraden angekommen zu sein. Ein Beispiel aus dem Allgäu: Isny wollte sich im Wettbewerb der Klein- und Mittelstädte mit einem exponierten Stadttor des Stararchitekten Peter Zumthor positiv positionieren. Die Rechnung wurde ohne die Bürger gemacht. Das Vorhaben wurde per Bürgerentscheid gestoppt!

Unzufriedenheit und Vertrauensverlust

Nicht viel später in 2014 wollte die Stadt ein an den Marktplatz grenzendes Gebäude verkaufen und dem Investor zugleich die Gestaltung der südlichen Altstadt anvertrauen. Und wieder: ein Bürgerbegehren, welches genau das verhindern wollte. Inzwischen hatte die Stadt dazugelernt, ihre Kommunikation verändert und den Autor den Dialog zwischen Stadtverwaltung, Stadtrat, Bürgerinitiativen und der Presse moderieren lassen. Diesmal stützen die Bürger nach einem intensiven und zugleich fair geführten Wahlkampf die Entscheidung des Stadtrats.

Die direkte Demokratie hat sich zu einem festen Bestandteil unserer modernen Demokratie entwickelt. Zwar sträuben sich Stadträte und Verwaltungen noch recht häufig, dieses einzusehen, bei den Bürgern aber werden Bürgerentscheide ranggleich neben Gemeinderatswahlen gestellt, wie eine aktuelle Umfrage zeigt.

Es ist offenkundig, dass Bürgerentscheide Ausdruck von Unzufriedenheit und grundsätzlichem Vertrauensverlust sind. Eine Delegation von Entscheidungen an den Bürger allerdings birgt die Gefahr mangelnder Qualität von Entscheidungen, da emotionale Respektlosigkeit und Bedürfnislogik mit der Sachlage konkurrieren. Ferner drohen objektive Argumente zu "versandeln", wenn es Minderheitsmeinungen gelingt, mit besserer Kommunikationspolitik mehrheitsfähig zu werden. Dennoch beinhaltet die direkte Demokratie einen deutlichen Mehrwert, da sie nicht nur eine höhere Akzeptanz, sondern fast immer auch eine höhere Qualität bewirkt.

Erkenntnisse aus bisherigen Verfahren

Die gezielte frühe Einbindung lokaler Interessen in den politischen Entscheidungsprozess steigert Vertrauen und Akzeptanz. Das Risiko wird kalkulierbarer. Es muss aber immer auch ein Ausgleich dafür gefunden werden, dass verschiedene Bevölkerungsgruppen ungleich erreicht werden. Bürgerentscheide dienen vordergründig der Konfliktlösung, aber fast nie dazu, nachhaltiges Vertrauen aufzubauen. Vertrauen entwickelt sich durchaus dann, wenn kommunale Abläufe regelmäßig stattfinden und vorhersehbarer sind. Eine fest verankerte Einbindung der Bürger steigert den Erfolg über dann tatsächlich wachsendes Vertrauen (ein Beispiel: eine diesbezügliche lokale Beteiligungssatzung).

Ein generelles Problem von Bürgerentscheiden ist ferner, dass nur ein klares Ergebnis mit großer Wahlbeteiligung die gewünschte akzeptierte Lösung bringt. Beispiel Baden-Württemberg: Mehr als 25 Prozent der Wahlberechtigten müssen für eine der Varianten stimmen. Das bedeutet: Stimmen für das Anliegen des Bürgerbegehrens als Beispiel 24 Prozent der Wahlberechtigten und nur 12 Prozent für den Beschluss, der einkassiert werden soll, hat diese Zweidrittelmehrheit dennoch verloren! Das bringt keine Lösung und verstärkt oft sogar den Unfrieden. Leider kommt das in der Praxis häufig vor.

Lösungsansätze

Lösungsansätze liegen in der frühen Einbindung lokaler Interessen anstelle der späten Reaktion auf Proteste. Was also ist zu tun?

Zunächst sollten Berührungsängste abgebaut werden. Das gelingt am besten durch Transparenz, durch Informationsoffenheit und besonders durch Kontinuität als Ausdruck von Verlässlichkeit. Auch sollte darauf geachtet werden, das richtige Zeitfenster für eine Beteiligung zu finden. Die Einflussmöglichkeit ist zu Planungsbeginn groß, aber das Interesse ist hier noch sehr gering. Mit fortschreitender Planung schwindet der Einfluss, nun hingegen beginnt das Interesse zu steigen.

Ferner muss auf die Verfahrensqualität geachtet werden. Dazu bedarf es der Wahl des geeigneten Formats, zum Beispiel kann ein Bürgerblog richtig wie falsch sein. Auch die Wahl des geeigneten externen Moderators ist wesentlich. Hinzu kommen eine kluge Pressearbeit sowie fast immer die Einbindung von Fraktionen, generell auf Augenhöhe mit und zu jedermann. Und nicht zuletzt sind zentrale Informationsveranstaltungen für die Bürger Standard.

Ehrlichkeit zahlt sich aus

Wichtig ist es weiterhin, ehrlich zu bleiben. Das bedeutet oft auch, Erwartungen zu bremsen. Nicht alle Bürgerbelange können berücksichtigt werden. Auch wenn die abschließende Entscheidung bei den gewählten politischen Vertretern verbleiben soll, ist dies klar zu kommunizieren.

Außerdem gilt es, Immobilienprojekte schon im Vorfeld auf mögliche Schwächen und Angriffsflächen hin zu überprüfen. Das bedingt, sich hierauf argumentativ proaktiv vorzubereiten. Die Regeln professioneller Kommunikation sollten stets beachtet werden. Bilder sind stärker als Worte. Auch Emotionen leiten Entscheidungen weitaus stärker als Fakten.

Mehr Partizipation bringt mehr Erkenntnis

Die oberste Prämisse ist schließlich, Wertschätzung vorzuleben, auch wenn es schwierig erscheinen mag. Auf Präsenzveranstaltungen dominieren erfahrungsgemäß lautstarke Kritiker. Hingegen trifft man beim Online-Dialog verstärkt auf neutrale bis wohlwollende Bürger. Generell gilt es, Konflikte auszuhalten, immer sachlich und konstruktiv zu bleiben und nicht zuletzt professionell zu agieren. Auch Projektentwickler sollten das neue Bürgerbewusstsein akzeptieren.

Wichtig ist, Mut zu zeigen und offen auf Betroffene zuzugehen. Die Effekte dieses Vorgehens liegen auf der Hand: Tatsächlich erreicht man eine deutliche Reduktion unkalkulierbarer Verzögerungen im Bauablauf. Mehr Partizipation bedeutet auch mehr Erkenntnis und mehr Qualität. Und wenn es gelingt, sich auch auf fantasievolle Lösungen einzulassen, wird es vielleicht sogar das noch bessere Development.

Der Autor

Prof. Dr. Winfried Schwatlo FRICS, Geschäftsführer, Schwatlo Management GmbH, München

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X