Pro und Kontra

Sind die Planungsverfahren in der Stadtentwicklung noch

PRO Überzeugen durch Qualität und Beteiligung Projektentwickler können Quartiere nicht ohne die Anwohner entwickeln. Im Baugesetzbuch sind bei Bebauungsplanverfahren entsprechende Beteiligungsschritte vorgeschrieben: Bürger sollen explizit ihre Bedenken zu Projekten äußern. Sie haben ein Recht darauf, ernst genommen zu werden. Anschließend entscheidet die Kommune - und nicht etwa der Investor -, wie mit den Einwänden der Bürger umgegangen wird. Dies ist jedoch nur ein Aspekt. Der zweite Aspekt ist, dass Anwohner häufig zugleich eine Zielgruppe von Projektentwicklungen sind - sie stellen potenzielle künftige Nutzer und somit in gewisser Weise mögliche Kunden des Projektentwicklers dar. Auch vor diesem Hintergrund ist es ratsam, die Bürger bei Projektentwicklungen zu involvieren. Bürger in den Planungsprozess einzubeziehen kann dabei über die rechtlich vorgeschriebenen Beteiligungsschritte hinausgehen. In gesonderten Präsentationen, gemeinsamen Workshops oder über Bürgerzeitungen gibt es zahlreiche Möglichkeiten, über geplante Projekte zu informieren. Hierbei gilt allerdings: Nur wenn die Qualitäten eines Projekts für den Bürger erkennbar sind, wird sich ein konstruktiver Dialog entwickeln. Eine wesentliche Qualität bei städtischen Quartieren ist die Nutzungsmischung. Monostrukturierte Büroprojekte, die an ein bestehendes Wohnquartier angrenzen, dürften in den meisten Fällen von den Nachbarn weniger honoriert werden als lebendige neue Viertel, die für sie einen nachvollziehbaren Nutzen bringen - sei es über Spielplätze, dringend benötigte neue Wohnungen, Kinderbetreuung, kulturelle Angebote okdeitreEni.nkaufsmöglich Hierbei kommt es selbstverständlich stets auf den Einzelfall und die richtige Mischung an. Eine reine Schlafstadt dürfte in den meisten Fällen ebenso wenig überzeugen wie ein reines Büroquartier. Fest steht: Planungen müssen sich ins Umfeld integrieren. Nur dann werden Bürger auch bereit sein, sich rational mit einem Projekt auseinanderzusetzen. Eine generelle Kritik an großen neuen Quartieren lautet, dass ihnen die erforderliche Geschichte fehlt. Sie seien nicht über die Zeit gewachsen, sondern als Retorten- oder Reißbrettplanungen entstanden. Doch auch hier gilt: Es kommt auf die individuellen Qualitäten an. Ein Beispiel ist der Arabellapark in München. Es handelt sich dabei weder um eine reine Schlafstadt noch einen zu stark zonierten Stadtteil, in dem die einzelnen Nutzungen voneinander getrennt sind sondern um ein nutzungsgemischtes Areal. Die Mischstruktur setzt sich aus den Nutzungsarten Wohnen, Arbeiten, Versorgung und Freizeit zusammen. Außerdem hat der Stadtteil eine große Bedeutung als Hotel- und Kongresszentrum sowie als Bürostandort. Mit rund 18000 Menschen, die im Arabellapark wohnen und arbeiten, ist die quantitative Dimension für deutsche Verhältnisse vergleichsweise groß. Dennoch hat er sich etabliert und ist aus dem Münchner Stadtbild nicht mehr wegzudenken trotz "Planung aus der Retorte". Ein weiterer Aspekt: Bürger wollen keine gesichtslosen, austauschbaren Projekte, wie sie überall entstehen. Ein Beispiel sind Shoppingcenter nach dem üblichen Strickmuster, bei dem die immer gleichen Läden zu finden und sich diese womöglich sogar an der gleichen Stelle befinden wie in ihren Pendants in anderen Städten. Jede Stadt ist individuell, jedes Grundstück ist individuell, und jede Planung muss daher behutsam auf die Gegebenheiten vor Ort abgestimmt werden. Wenn Bürger dies spüren, wirkt sich dies fruchtbar auf den gemeinsamen Dialog aus. So können nachhaltige Projekte entstehen, die dauerhaft angenommen werden. Allerdings steht fest: Es wird immer auch Bürger geben, die nicht für einen Dialog offen sind. Wolfgang Maennig von der IREBS Internationel Real Estate Business School spricht von einem sogenannten "NIMBY"-Phänomen. NIMBY stehe für "Not in my Backyard". Selbst bei Projekten, die vom Großteil der Bevölkerung mitgetragen werden, gibt es oft Probleme in der direkten Nachbarschaft. Maennig hat das Phänomen beispielsweise anhand der neuen Allianz-Arena in München untersucht. Vor Baubeginn habe es einen Bürgerentscheid gegeben, der insgesamt positiv ausfiel. In der näheren Umgebung des neuen Standorts jedoch sei die Skepsis am größten gewesen, aber mit zunehmender Entfernung zum neuen Standort in Fröttmaning habe der Anteil der Ja-Stimmen signifikant zugenommen. Der Autor Jürgen Büllesbach Vorsitzender der Geschäftsführung, Bayerische Hausbau ProjektentwicklungGmbH, München KONTRA Eigeninitiative statt Blockadedenken In den vergangenen Jahren hat sich das Verhältnis von öffentlicher zu privater Stadtentwicklung grundlegend geändert. Bis in die Nachwendezeit hinein hat fast ausschließlich die öffentliche Hand neue Quartiere oder ganze Stadtteile im Sinne einer Angebotsplanung über kommunale Gesellschaften selber realisiert. Heute sind es ebenso private Unternehmen der Immobilienwirtschaft, die Quartiere in Kooperation mit den Städten und Gemeinden entwickeln. Künftig könnte eine neue Dimension der privaten Stadtentwicklung dazukommen: Denn immer häufiger realisieren private Unternehmen oder Personen ihre "eigenen" Stadtquartiere - in Eigenregie und für sich selbst. Das aktuell womöglich größte Beispiel findet sich in Berlin. Auf einer der bedeutendsten innerstädtischen Brachflächen - dem Gleisdreieck direkt am Potsdamer Platz - soll auf einem rund 30000 Quadratmeter großen Areal ein Stadtquartier für rund 1000 Menschen entstehen. Neben Wohnungen sind auch gewerbliche Nutzungen vorgesehen, darunter ein Hotel. Der Grundstückskauf kostet die private Initiative knapp zehn Millionen Euro, die Gesamtinvestition liegt bei über 70 Millionen Euro. Dabei sind die Bauherren, die sich zu einer eingetragenen Genossenschaft zusammengetan haben, bei weitem keine Millionäre: Die meisten kommen aus dem direkten Umfeld des Gleisdreiecks und stammen aus der bürgerlichen Mittelschicht. In ihrem Handeln ähneln sie einem typischen Projektentwickler: Sie haben ihre eigenen Stadtplaner beauftragt, um im Dialog mit den Behörden das erforderliche Baurecht zu schaffen, sie haben ihre eigenen Architekten, die nach den Wünschen der Bauherren die Gebäude entwerfen, sie finanzieren das Vorhaben mit 30 Prozent Eigen- und 70 Prozent Fremdkapital. Ein großer Unterschied jedoch liegt in der Motivation. Das Gleisdreieck in Berlin steht exemplarisch für die in der Praxis oft trägen Prozesse der Stadtentwicklung. Bereits vor rund 20 Jahren stand fest, dass auf der ehemaligen Bahnfläche ein Park sowie in den Randbereichen neue Stadtquartiere entstehen sollen. Fast zwei Jahrzehnte jedoch konnte zwischen dem Eigentümer, den angrenzenden Bezirken beziehungsweise den jeweiligen Behörden sowie den eingeschalteten privaten Projektentwicklern keine Einigkeit darüber erzielt werden, wie das Gleisdreieck städtebaulich gestaltet werden sollte. Die Anwohner beobachteten und begleiteten den Prozess über fast den gesamten Zeitraum, bis sie sich schließlich vor drei Jahren in einer eigenen Baugruppe formierten, um den Prozess im besagten Stadtquartier voranzubringen. Noch sind solche oder ähnliche privatwirtschaftliche Initiativen eher die Ausnahme als die Regel. Allerdings ist in der Stadtentwicklung seit längerem zu beobachten, dass Anwohner vor allem gegenüber großen Projekten eher skeptisch eingestellt sind. Ein typisches Beispiel: In der Nähe des Berliner Hackeschen Markts sollte vor einigen Jahren der historische Stadtgrundriss wieder hergestellt werden. Hierfür sollte eine Straße verlegt und auf einem Parkplatz ein gemischt genutztes Projekt entstehen. Bei der ersten öffentlichen Information der Bürger schlug dem Investor eine enorme Ablehnung gegenüber - der Verlust der Parkplätze wog für die Anwohner schwerer als die Aufwertung ihrer Nachbarschaft durch ein heute renommiertes Projekt. Nicht in jedem Fall reagieren Anwohner auf öffentliche oder privatwirtschaftliche Projekte mit Verdruss - aber die Zahl der Fälle scheint zuzunehmen, selbst bei offensichtlich guten Projekten. Diesen stehen zumeist Partikularinteressen entgegen. Vor diesem Hintergrund ist es aber auch durchaus möglich, dass private Initiativen, die sich ihr eigenes Quartier entwickeln wollen, künftig zunehmen werden. Die öffentliche Verwaltung sollte dies als Hinweise der Bürger verstehen, die sich in die Planungs- und Stadtentwicklungsprozesse offensichtlich nicht ausreichend involviert fühlen oder aber Eigeninteressen zur Geltung bringen wollen. Zwar gibt es die gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung der Bürger beispielsweise bei Bebauungsplanverfahren. In der Praxis läuft dies aber meist darauf hinaus, dass der gesetzlich vorgeschriebene Beteiligungsschritt mehr einer Formalie ähnelt und Einwände im Rahmen der erforderlichen Abwägung gegenüber anderen Belangen - beispielsweise der Schaffung von Wohnraum oder Raum für Arbeitsplätze - zurückstehen. Der Autor Martin Wentz Professor für Stadtentwicklung, IREBS International Real Estate Business School an der Universität Regensburg

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