Leitartikel

Nicht auf verlorenem Posten

sb - Der deutsche Verbraucher ist als Bankkunde so umworben wie kaum einer in Europa, und fast nirgends sind die Konditionen im Retailbanking so verbraucherfreundlich wie hierzulande. Die Folgen des Preiskampfes für die Margen sind bekannt. Immer wieder kommen Consultants deshalb mit dem Ratschlag daher, sich weniger auf die Gewinnung von Neukunden zu konzentrieren und dafür die bestehenden Potenziale mit Bestandskunden besser auszuschöpfen. Und das geht bekanntlich am besten über den persönlichen Kontakt. Nichts hilft also besser gegen Konditionenhopping und stärkt mehr die Loyalität. Denn ein Kunde, der einem Berater gegenübersitzt, wird sich mit höherer Wahrscheinlichkeit für einen Abschluss bei dieser Bank entscheiden als jemand, der anonym am Computer die Angebote vergleicht. Um die persönlichen Kontakte ist es freilich nicht alllzu gut bestellt. 45 Prozent der Bankkunden in Deutschland haben nur ein- bis zweimal pro Jahr Kontakt mit einem Berater, bei 34 Prozent sind es drei oder mehr Kontakte pro Jahr. Die übrigen 21 Prozent, das sind 13,6 Millionen Verbraucher, kommunizieren dagegen niemals mit ihrer Bank, weder telefonisch oder per E-Mail noch im persönlichen Gespräch, so hat es die Eurogroup Consulting AG, Frankfurt am Main, ermittelt. Je niedriger das Einkommen desto weniger Austausch, so die Faustregel. Unter den Personen mit einem Haushaltsnettoeinkommen zwischen 1 000 und 2 000 Euro werde jeder Dritte als Bankkunde vernachlässigt. Insgesamt wünschen sich 4,5 Millionen Menschen mehr persönlichen Kontakt zu ihrer Bank. Vor allem in der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen ist dieser Anteil der Studie zufolge mit 24 Prozent besonders hoch.

Verschenken die Kreditinstitute also sehenden Auges enorme Potenziale? Zweifellos gibt es Stellen, an denen bestehende Kundenbeziehungen intensiviert werden könnten. Kreditinstitute können aber auch nicht jeden Kleinverdiener dreimal im Jahr ausführlich beraten. Dazu bräuchten sie noch viel mehr Personal - und wer soll das bezahlen, in einer Zeit, da Provisionen verpönt sind, aber kaum jemand, schon gar nicht der Kleinsparer, bereit ist, Beratungshonorare zu zahlen? Vor allem aber fehlt es dafür in vielen Fällen an Beratungsanlässen: Wer mit geringem Haushaltsnettoeinkommen auskommen muss, der hat meist nicht viel Geld zum Vorsorgen oder Anlegen, fürs Bausparen oder gar eine Baufinanzierung übrig, braucht also auch vergleichweise wenig Beratung. Mit welchen Angeboten soll eine Bank also immer wieder auf diese Kunden zukommen? Ganz aus dem Blick verlieren darf man diese Mengenkunden gleichwohl nicht. Gerade bei jungen Kunden kann sich die finanzielle Situation mit der Zeit deutlich verbessern - dann heißt es mit (Beratungs-)Angeboten präsent sein. Anspracheanlässe zu erkennen (ohne ins Visier der Daten- und Verbraucherschützer zu geraten) ist dabei eine wichtige Aufgabe der Technik.

Ohnehin kreist das Retailbanking mehr denn je um die Technik. Sie hat das Geschäft anonym gemacht, bietet inzwischen aber neue Möglichkeiten, Service mit vergleichsweise geringem Aufwand bereitzustellen. Die Videokasse in der neuen Pilotfiliale der Commerzbank in Berlin ist ein Beispiel dafür. Auch Beratungstools im Internet können das persönliche Gespräch zwar nicht ersetzen, jedoch effizienter machen, weil der Kunde informierter in die Beratung kommt. Und mit Hilfe von Videoberatung oder Live-Chat lassen sich personelle Ressourcen besser steuern. Die Technik lässt auch Filial- und Direktbanken wieder näher aneinanderrücken: Filialbanken können die Bedürfnisse auch der Digital Natives immer besser bedienen. Und Direktbanken haben den Beratungsbedarf erkannt und arbeiten an Strategien, ohne Geschäftsstellen eine möglichst persönlich wirkende Beratung anbieten zu können. Allein über die Technik wird das auf Dauer nicht gehen. Auch bei den Direktbanken könnten sich die Kostenstrukturen somit tendenziell verschlechtern. Das macht das Rennen um den Retailkuchen, der in einer alternden Gesellschaft eher schrumpfen als wachsen wird, weiterhin spannend. Es hat aber den Anschein, als würden die Filialbanken zumindest nicht auf verlorenem Posten kämpfen.

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