Im Gespräch

"DerGesetzgeber wünscht sich einen mündigen und ritischen Verbraucher"

Die Regulierung der Finanzbranche auf europäischer Ebene schreitet mit großen Schritten voran. UCITS IV, das im laufenden Jahr mit der Novelle des Investmentgesetzes in Deutschland umgesetzt wird, betrifft vor allem die Fondsindustrie. Welche Idee steckt hinter dieser Initiative?

Gollin: UCITS IV ist neben der europäischen Harmonisierung auch vor dem Hintergrund des Verbraucherschutzes entstanden. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Europäer in ganz unterschiedlichem Maße kapitalmarktgestützt für ihr Alter vorsorgen. Den deutschen Anlegern beispielsweise ist das Investment in Aktien und Fonds oftmals zu kompliziert und zu teuer. Indem man den Fondsgesellschaften nun Möglichkeiten gibt, ihre Verwaltung weiter zu vereinfachen und somit günstiger zu produzieren, sollen wie in den USA Fonds mit deutlich größeren Volumina und einer niedrigeren Gesamtkostenquote entstehen.

Was genau ist an UCITS IV im Unterschied zu UCITS I bis III neu?

Gollin: Die Richtlinie basiert auf fünf Säulen. Diese sind:

die Nutzung des EU-Passes für Verwaltungsgesellschaften,

die Möglichkeit zur grenzüberschreitenden Fondsverschmelzung,

die neuen Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende Master-Feeder-Strukturen,

das vereinfachte Anzeigeverfahren sowie

die Pflicht zur Erstellung des sogenannten Key Investor Documents (KID).

Der neue EU-Pass für Verwaltungsgesellschaften bewirkt, dass die Vermögensverwaltung - als Kerntätigkeit einer Verwaltungsgesellschaft - zukünftig auch grenzüberschreitend ausgelagert werden kann. Bislang galt die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Auslagerung nur für verwaltende Nebentätigkeiten wie beispielsweise die Fondsbuchhaltung.

Mit UCITS IV werden zudem erstmals grenzüberschreitende Fondsverschmelzungen und grenzüberschreitende Master-Feeder-Strukturen möglich sein. Letztere bestehen aus einem großen Masterfonds und einer Vielzahl kleiner Feeder-Fonds, die jeweils ihr eigenes Fondsvermögen zu mindestens 85 Prozent in den Masterfonds abführen. Beide Maßnahmen sollen auf verschiedenen Wegen die Konsolidierung kleinerer Fonds zu jeweils einem zentralen großen Fonds ermöglichen. Welcher konkrete Handlungsbedarf ergibt sich aus UCITS IV für die deutschen Fondsgesellschaften und für die Banken als ihre Vertriebspartner?

Gollin: Zunächst entsteht kurzfristig kein konkreter Handlungsbedarf. UCITS IV begünstigt und beschleunigt aber eine Marktentwicklung, die wohl nicht aufzuhalten ist. Einerseits können deutsche Fondsgesellschaften sich mit ihrer Hilfe effektiver aufstellen und somit den Druck auf den Wettbewerb erhöhen und andererseits können Marktteilnehmer aus anderen europäischen Ländern viel leichter in den deutschen Markt hineindrängen. Das wird das Leben für die Großen auf Dauer eher effizienter und angenehmer machen und für die Kleinen eher unbequemer. Für die Vertriebe sind insbesondere grenzüberschreitende Master-Feeder-Strukturen, die Möglichkeit zur grenzüberschreitenden Fondsverschmelzung und das Key Investor Document als einheitliche Informationsplattform gerade für den Verbraucher relevant.

Welche Auswirkungen haben gerade die drei letztgenannten Punkte für den Privatanleger und somit auch für den Vertrieb in den Retailbanken?

Gollin: Grenzüberschreitende Master-Fee-der-Strukturen sollen ebenso wie grenzüberschreitende Fondsverschmelzungen zur Nutzung von Skaleneffekten bei den Fondsgesellschaften und mithin zu verringerten Verwaltungskosten führen.

Tatsächlich sollte jeder Vorstand einer Sparkasse oder einer Genossenschaftsbank regelmäßig sein Produktportfolio überdenken. Er hat auf der einen Seite seinen sogenannten Preferred Partner, das sind beispielsweise Deka oder Union Investment. Wenn nun auf der anderen Seite eine stärker europäisch ausgerichtete Fondsgesellschaft diesem Vorstand erklärt, dass sie niedrigere Verwaltungskosten hat und eine bessere Performance bieten kann und vielleicht zusätzlich von den eingesparten Kosten einen um 0,5 Prozentpunkte erhöhten Ausgabeaufschlag zahlt, dann kann eine unmittelbare Auswirkung anzunehmen sein. Selbstverständlich können die Primärbanken der Finanzverbünde aber nur durch eine verstärkte Nachfrage der Verbraucher nach Fonds aus dem europäischen Ausland dazu gebracht werden, sich für neue Anbieter zu öffnen.

Ahrens-Herwig: Dem Anleger wiederum ist in den meisten Fällen nicht bewusst, was UCITS bedeutet und welche Chancen es ihm eröffnet. Ein wirksames Instrument erhält er mit dem Key Investor Document (KID), das von der KAG für jeden UCITS-Fonds herausgegeben werden muss. Ziel des KIDs ist es, Produkte in einer standardisierten Form darzustellen, um sie für den Anleger besser vergleichbar zu machen. Entsprechende Vergleiche setzen beim Anleger jedoch schon einiges Vorwissen voraus.

Das stimmt. Einerseits möchte man die Anleger vermehrt schützen, andererseits fordert der Gesetzgeber auch mehr Eigenverantwortung vom Anleger selbst. Mit dem KID hat man eine Produktinformationsunterlage geschaffen, die der Anleger im Rahmen seiner Entscheidungen nutzen sollte. Die Produkttransparenz zu erhöhen, kann nicht alleine Aufgabe der Bank oder der Kapitalanlagegesellschaft sein. Letztlich wünscht sich der Gesetzgeber einen mündigen und kritischen Verbraucher, und dieser wird dann auch in der Sparkasse oder Genossenschaftsbank zu finden sein.

Wie sinnvoll ist es für den Anleger, dass das Key Investor Document lediglich online veröffentlicht und nicht im Beratungsgespräch übergeben werden muss?

Gollin: Dieses Vorgehen ist dem Web-2.0-Zeitalter geschuldet. Der klassische Fondsvertrieb über die Genossenschaftsbank oder Sparkasse ist sicherlich heute wichtig, doch die Bedeutung des Web 2.0 für Kaufentscheidungen nimmt allgemein zu. Nicht nur Baufinanzierungen, Konsumentenkredite und Kfz-Versicherungen werden heute über Vergleichsportale online gesucht und ausgewählt, sondern auch Investment-Produkte. Kunden, die Geld anlegen wollen, befragen oftmals zunächst Internetsuchmaschinen. Dabei stoßen sie auf entsprechende Portale, die Alternativen darstellen. Und in diesen Portalen kann das KID, das dann von jedem Fonds vorliegen muss, verwendet werden.

Ahrens-Herwig: Sicherlich sind die Bedenken gerechtfertigt, vor allem wenn es sich um Anleger handelt, die nicht internetaffin sind. Diese sind weiterhin auf das Beratungsgespräch angewiesen und nutzen das Gespräch oft als alleinige Informationsquelle. Letztendlich liegt viel am Anleger selbst; Mittel und Medien, um sich zu informieren, gibt es genug. Wenn er das nicht tut, dann wird sich an der Beratung nicht viel ändern.

Welche Faktoren könnten in Ihren Augen bewirken, dass Kapitalanlagegesellschaften und ihre Vertriebspartner die Chancen der UCITS nicht zeitnah nutzen werden?

Gollin: Der Gesetzgeber hat es versäumt, die entsprechenden steuerlichen Rahmenparameter zu schaffen, die letztlich UCITS zu einem schnellen Erfolg verhelfen könnten. Wenn beispielsweise grenzüberschreitend zwei Fonds verschmolzen werden, dann sollen damit die Größe gehoben und Kosten gesenkt werden.

Höchstwahrscheinlich sind in den Produkten jedoch vereinfacht gesagt Gewinne beinhaltet, die bei dem zu verschmelzenden Fonds versteuert werden müssen, was wiederum bewirkt, dass dieser einen Gewinneinbruch erleiden wird. Das läuft dann dem eigentlichen Ziel des Anlegerschutzes und der Kostensenkung entgegen. Steuerliche Gesetzgebung ist jedoch stark von den nationalen Interessen getrieben. Mehrheitsbeschlüsse der EU reichen im Bereich der steuerlichen Gesetzgebung nicht aus. Die Zustimmung aller Mitglieder wäre nötig, um an dieser Stelle Abhilfe zu schaffen.

Weiterhin hat der Gesetzgeber das Kostensenkungspotenzial nicht beachtet, das noch bei den Depotbanken besteht. Ein Pass für europäische Depotbanken, der besagt, dass die Bank in einem der europäischen Länder zugelassen ist und somit in allen europäischen Ländern Bestände verwalten kann, steht noch aus. Zum Thema Depotbank bleibt aber zu sagen, dass die BaFin mit ihrem Depotbankrundschreiben diesen Unternehmen gewisse Möglichkeiten erschlossen hat. Teile der Prozesskette, die heute noch von der KAG ausgeführt werden müssen, können danach komplett an die Depotbank ausgegliedert werden.

Sie waren beispielsweise immer schon gezwungen, die Ermittlung des Fondspreises (NAV) zu kontrollieren, zukünftig können sie dessen Festsetzung alleine übernehmen und die KAG kann diese Aufgabe komplett abgeben.

Ein drittes Thema ist die Mentalität der Marktteilnehmer. Im Retailbanking verhalten sich sowohl Anbieter als auch Kunden nach wie vor sehr national. Europäisches Denken ist eher selten.

Die Wirksamkeit der Richtlinie bleibt unter diesen Bedingungen eher eingeschränkt? Gollin: Aus regulatorischer und organisatorischer Hinsicht enthält

UCITS IV nicht viele Neuigkeiten für deutsche Unternehmen, außer dem bereits erwähnten Zwang, ein Key Investor Document zu erstellen. Der Stand der UCITS-IV-Umsetzung liegt in Deutschland sicherlich bereits bei 80 Prozent - auch wenn man sich fragen darf, in welchem Ausmaß freiwillige Vorgaben tatsächlich ernsthaft umgesetzt werden. Die Tatsache, dass eine Regel prüfungsrelevant ist, ver schärft im Zweifelsfall die Aufmerksamkeit deutlich. Dennoch gilt, dass Unterneh men die Richtlinie vor allem als Chance verstehen sollten, Geschäftsmodelle zu verändern und sich europaweit zu positionieren.

Ahrens-Herwig: Nicht nur Kapitalanlagegesellschaften sind in Deutschland vorwiegend national aufgestellt. Auch Banken, gerade Sparkassen und Genossenschaftsbanken, wagen selten einen Blick über den deutschen Tellerrand. Von ihrer regionalen Struktur haben diese Institute in den vergangenen Jahren oft profitiert, und dennoch bleibt die Frage, ob ihr Modell noch weitere 20 Jahre tragfähig ist. In meinen Augen muss der Trend auch für diese Banken in eine andere Richtung gehen.

Die Öffnung des Vertriebs für fremde, internationale Produkte ist zwar als Thema in den Köpfen der Branche existent, doch ohne Druck durch den Anleger wird sich dem keine Bank stellen. Zwar sind sich viele Unternehmen der damit verbundenen Chancen bewusst, doch gleichzeitig scheuen sie den Aufwand und die Risiken aus Verdrängungswettbewerb, Kostendruck und eventuellen Ertragsverlust, die damit einhergehen. Der Markt wird europäischer.

Gollin: Die Großen in der Branche fangen durchaus an, sich neu auszurichten. Einige wenige große Kapitalanalagegesellschaften und Depotbanken haben bereits einen europäischen Fokus.

Sind die Deutschen hier ein spezieller Fall in Europa, weil ihre Marktstrukturen kleinteiliger sind als beispielsweise die der Franzosen?

Ahrens-Herwig: Das ist sicher einer der Faktoren. Dazu kommt noch, dass Unternehmen aus dem europäischen Ausland in Deutschland ein großes Potenzial sehen. Die Deutschen sind bekannt dafür, dass sie viel sparen, aber ihr Geld eher konservativ anlegen. Italiener und Franzosen beispielsweise investieren bereits einen größeren Teil ihrer Gelder in Investmentprodukte. Das ist bisher noch eine Frage der Anlegermentalität.

Gollin: Den Menschen zu vermitteln, dass Fonds eine sichere Anlageklasse sind, mit der sie eine ordentliche Rendite erwirtschaften können, das ist eine herausfordernde Aufgabe, der sich die deutsche Fondsindustrie stellt. Ein großer Teil davon wird über Werbung und Marketing laufen, und das sind Instrumente, die die meisten Marktteilnehmer in Europa beherrschen.

Und über diese Instrumente werden die Produkte zum deutschen Verbraucher und mithin in die kleinen Vertriebsstellen der Fondsindustrie kommen.

In anderen Ländern hat der Kapitalmarkt eine ganz andere Bedeutung für die Menschen. Das kann sich durchaus hier zulande ebenfalls verschieben. Die Kaffeehauskultur in Europa beispielsweise ist über Jahrhunderte gewachsen, doch plötzlich kamen amerikanische Marktteilnehmer wie Starbucks und McCafé. Und wenn der Kunde deren Produkte dann nachfragt, dann haben sie eine Chance.

Deutsche Verbraucher haben in vielen Fällen amerikanische Gebräuche und Produkte in ihr Repertoire übernommen. Es gibt jedoch auch Gegenbeispiele wie die revolvierende Kreditkarte, die in Deutschland nie richtig angekommen ist. Warum sollten sich entsprechende Vorbilder nun ausgerechnet in der bisher so konservativen Anlagestrategie niederschlagen?

Gollin: Von 1999 an gab es einen großen Run der Verbraucher auf Investmentprodukte, und viele von ihnen haben Fonds gezeichnet und dann in der Internetblase sehr viel Geld verloren. Danach kam natürlich die Frage auf, ob das Produkt jetzt verbrannt ist. Der BVI und alle großen Investmenthäuser arbeiten jedoch daran, das Profil der Fonds als Produkt zu schärfen. Sie wollen den Menschen erklären, wie das Produkt eigentlich funktioniert. Unter amerikanischen Anlegern ist die heutige Investitionskultur auch nicht von heute auf morgen entstanden.

UCITS III ist in Deutschland strenger umgesetzt worden, als es von der EU eigentlich vorgesehen war. Ist eine solche Entwicklung für UCITS IV auch absehbar?

Ahrens-Herwig: Konkret kann man das derzeit noch nicht beurteilen, weil die For mulierung des Gesetzes noch nicht vor liegt. Eine entsprechende Tendenz ist aber absehbar. Der Gesetzgeber hat immer das Recht, Richtlinien der EU eng auszulegen oder sie so durchzuwinken, wie sie ausgegeben wurden.

Gollin: Es wäre sicher übertrieben, wenn man Deutschland im Vergleich zu anderen mitteleuropäischen Staaten als über reguliert darstellen würde. Die Deutschen sind aber immer recht früh in der Umsetzung.

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