Aufsätze

Chancen für die Fondsindustrie

In einem aktuellen Konsultationspapier vom Juli dieses Jahres1) stellt die EU-Kommission eine Reihe von Überlegungen zur Weiterentwicklung der EU-Investmentrichtlinie zur Diskussion. Da die aktuelle Fassung der Richtlinie unter dem Label "UCITS IV" firmiert und eine weitere Überarbeitung bereits läuft ("UCITS V"), hat sich für die weitergehenden Überlegungen des Konsultationspapiers bereits das Kürzel "UCITS VI" eingespielt.

Seit der Finanzmarktkrise ist die Regulierung auch der Fondsindustrie überwiegend restriktiv geprägt Der größte Teil des Papiers befasst sich mit Themen, welche diesen Trend widerspiegeln. Vor allem werden die relativ weitgehenden anlagepolitischen Freiheiten der aktuellen Richtlinie in Teilbereichen infrage gestellt, etwa beim Eingehen von Kontrahentenrisiken durch OTC-Derivate, dem Einsatz komplexer Techniken wie Wertpapierleihe et cetera.

Neue Geschäftsmöglichkeiten

Etwas überraschend folgt dann aber ein Impuls, welcher der Fondsbranche neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen könnte, und - als wohl nicht unbeabsichtigter Nebeneffekt - zugleich ihre langfristige Orientierung stärken würde. Denn die Kommission fragt nach dem Bedarf für einen "langfristigen Investmentfonds" für Privatkunden.

Konkret wird folgende Überlegung vorgestellt: "Langfristige Investmentfonds für Privatkunden könnten eine effektive Ergänzung des Binnenmarkts sein. Sie könnten neue Möglichkeiten schaffen, die Europäische Fondsindustrie und ihren Beitrag zum Wachstum zu vertiefen und zugleich neue Investitionschancen für Anleger schaffen. Die Ermutigung langfristigen Anlegens könnte auch helfen, zyklischen Druck in den Kapitalmärkten zu mildern ..."

Erweiterung des UCITS-Rahmens

Mit langfristigen Fonds wird ein Konzept zur Diskussion gestellt, das bereits Anfang des Jahres an dieser Stelle vorgeschlagen wurde.2) Das Konsultationspapier nennt keine Details, wie die konkrete Ausgestaltung aussähe und die Unterschiede zum aktuellen UCITS-Rahmen wären. Vorgeschichte und Zwecksetzung lassen aber erwarten, dass es um drei Elemente geht.

Der langfristige Investmentfonds würde - da an Privatanleger gerichtet und mit EU-Pass öffentlich vertrieben - weitestgehend die bewährten Schutzvorschriften der UCITS-Regeln übernehmen. Das gilt zum Beispiel für die interne Governance der Fondsgesellschaft, die unabhängige Verwahrstelle, und - auf Produktebene - Diversifikation, Transparenz und Begrenzung der Kreditaufnahme. Das Spektrum zulässiger Anlagen würde gegenüber UCITS erweitert. Die Fonds würden auch "Real Assets" (zum Beispiel Immobilien, Infrastruktur) erwerben dürfen sowie langfristige Finanzinstrumente, die nicht regelmäßig gehandelt werden und damit weniger liquide sind, wie etwa unverbriefte Forderungen und nicht notierte Beteiligungen.

Da die Fonds einen signifikanten Anteil weniger liquider Anlagen halten könnten, würde das für UCITS verpflichtende Recht auf jederzeitige Rückgabe von Fondsanteilen eingeschränkt werden. De facto würde also der EU-Rahmen ergänzt, indem neben den EU-Wertpapier-Publikumsfonds (UCITS) ein Privatkundenprodukt mit langfristiger Struktur treten würde. Der langfristige Fonds wäre keine Variante von UCITS, sondern eine zweite Säule der EU-Publikumsfonds.

Langfristige Investmentfonds als Lückenfüller

Man darf getrost davon ausgehen, dass das Motiv des Vorschlags weniger in der Förderung der Fondsbranche liegt, sondern dass es um ein gesamtwirtschaftliches, genauer ein wachstumspolitisches Anliegen geht: nämlich die ausreichende Versorgung der Realwirtschaft mit langfristigem Kapital. Während nämlich der Bedarf an langfristiger Finanzierung - zum Beispiel in den Feldern Infrastruktur und Energiewende - als sehr groß eingeschätzt wird, ist ihre Bereitstellung Belastungen ausgesetzt. Das gilt aufgrund des Konsolidierungsbedarfs sicherlich für die öffentlichen Haushalte, allerdings auch für große Teile der privaten Finanzwirtschaft. Zwar stehen dem erheblichen langfristigen Finanzbedarf der Realwirtschaft private Geldvermögensbestände in nie da gewesener Höhe gegenüber. Die große Frage ist jedoch, ob der Finanzwirtschaft die Intermediation privater Ersparnisse in langfristige Verwendungen in Zukunft ausreichend gelingt. So führen Banken, wenn sie Einlagen für langfristige Finanzmittel zur Verfügung stellen, eine Fristen- und Risikotransformation durch. Damit gehen sie eigene Risiken ein, welche künftig verschärften Solvenzregeln unterliegen werden.

Versicherungen und Pensionsfonds - die klassischen Langfristinvestoren - geben meist feste Leistungszusagen. Risikobehaftete Anlagen, die der Erfüllung dieser Zusagen dienen, sollen künftig ebenfalls neuen regulatorischen Vorgaben zur Kapitalunterlegung unterliegen. Für Versicherer sollen neue Vorschriften (Solvency II) ab 2014 gelten, für Pensionseinrichtungen ist dies im Rahmen einer Überarbeitung der EU-Pensionsrichtlinie (IORP) vorgesehen. Die Übernahme von Anlagerisiken durch Versicherungen und Pensionsfonds wird durch die neuen Vorgaben tendenziell erschwert.

Die naheliegende Schlussfolgerung lautet, dass für Privathaushalte die Möglichkeit geschaffen werden muss, Chancen und Risiken langfristiger Investitionen teilweise selbst zu übernehmen. Genau dies ist die klassische Rolle des Investmentfonds. Fonds werden bereits dort verstärkt tätig, wo beispielsweise Banken sich zurückziehen. Fonds engagieren sich verstärkt in Infrastrukturinvestments, übernehmen Kreditportfolios und legen als Immobilien-Spezialfonds in Real Estate Debt an. Diese Fonds richten sich aber durchweg wiederum an institutionelle Anleger. Erst der langfristige Fonds für Privatkunden wird den fehlenden Baustein im System der Intermediation liefern können.

An dieser Stelle ist ein Querverweis zur Schattenbanken-Debatte angebracht. Die zuständigen Instanzen wollen bekanntlich jegliche Kreditintermediation außerhalb des Bankensektors regulieren, die mit der Transformation von Liquidität, Fristen oder Risiken oder Leverage verbunden ist. Langfristige Investmentfonds belassen Anlagechancen und -risiken beim Endanleger. Sicherlich würde ihnen auch vorgegeben werden, die Kreditaufnahme stark zu begrenzen und die Rücknahme von Anteilen auf die Fristigkeit der Assets abzustimmen. Sie würden sich damit eindeutig außerhalb des Schattenbanking bewegen.

Die Perspektive des Endanlegers

Wird der Privatkunde mit langfristigen Fonds auf gefährliches Terrain gelockt? Ursprünglich galt das Recht zur jederzeitigen Rückgabe von Fondsanteilen als unverzichtbar, um das Vermögen des Anlegers zu schützen. Die institutionelle Sicherheit von UCITS wird heute aber auf anderen Wegen - Depotbank, Bewertungsregeln, Aufsicht et cetera - gewährleistet. Es gibt somit keinen Grund, dem Privatanleger nicht die Wahl zu lassen, eine längere Bindung einzugehen - wenn er dafür etwas erhält. Und das wäre durchaus der Fall, denn langfristige Assets können interessante Wertpotenziale bieten, alleine aufgrund der oftmals nicht unbedeutenden Illiquiditätsprämien.

Der langfristige Fonds würde gerade in Deutschland an bekannte Produktmodelle anknüpfen. So hat hierzulande der geschlossene Fonds als Privatkundenprodukt, das in illiquide Assets investiert und längere Bindungsfristen vorsieht, Tradition und ein Marktvolumen von rund 200 Milliarden Euro. Der weitgehend unregulierte Charakter dieser Fonds, der bisher als Schwäche gilt, wird nun korrigiert, da geschlossene Fonds in die Umsetzung der EU-Richtlinie über alternative Investmentfonds (AIFM) in Deutschland einbezogen sind. Governance und Transparenz werden damit wesentlich verbessert. Die geschlossenen Fonds sollen im neuen Kapitalanlagegesetzbuch als Privatkundenprodukt erhalten werden. Sie sollen in diesem Falle aber zusätzlichen, dem Anlegerschutz dienenden Produktvorschriften unterliegen. Dazu gehört vor allem das Diversifikationsgebot. Das Argument, die Diversifikation könnte durch den Anlageberater erfolgen, ist unrealistisch mit Blick auf das, was Anlageberatung in der Breite leisten kann.

Die deutsche Umsetzung der AIFM-Richtlinie nimmt also die Idee des langfristigen Investmentfonds teilweise vorweg. Auch der deutsche offene Immobilienfonds ist ein gutes Beispiel für die Sinnhaftigkeit von langfristigen Fonds. Denn zentrale Merkmale des offenen Immobilienfonds wie Diversifikation und glättende Bewertung nach dem Ertragswertverfahren haben sich als gut im Sinne des Anlegers erwiesen und eine Stabilität geschaffen, die Fondsmanager vor hektischem Agieren und Anleger vor übereilten Entschlüssen schützt. Umgekehrt wird es die tägliche Rückgabe von Anteilen bei offenen Immobilienfonds künftig nicht mehr geben; damit wird ein potenziell destabilisierender Konstruktionsfehler beseitigt - offenbar ohne negative Reaktionen der Anleger auszulösen. Somit bestätigt auch die Historie des offenen Immobilienfonds, dass mit dem langfristigen Fonds ein interessanter Weg aufgezeigt wird.

Eine Option für die Fondsindustrie

Vieles spricht dafür, dass der Langfristfonds auch für die Fondsindustrie eine interessante Option und echte Chance darstellt. Er könnte ein wünschenswertes Gegengewicht zum offenen Fonds darstellen, der aus strukturellen Gründen einen kurzfristigen Bias aufweist. Denn die tägliche Verfügbarkeit der Fondsanteile, die das Merkmal offener Fonds ist, schließt nicht nur Fonds vom Erwerb nicht liquider Instrumente aus. Jederzeitiges Rückgaberecht und tägliche Wertermittlung fördern auch kurzfristiges Denken und Agieren. Performanceanalysen, Rankings und so weiter sowie im Nachgang auch die Bewertung der Manager bemessen sich meist an Jahres- oder gar Quartalszahlen.

Eine Studie im Auftrag der britischen Regierung kam unlängst zu dem Schluss, dass im Fondsmanagement der "Perfomancehorizont" oft kürzer ist als der fundamental sinnvolle Investmenthorizont. Damit wird die Anlagestrategie des Managers automatisch auf kürzere Zeiträume ausgelegt; Trading dominiert, während für die aktive Begleitung und Entwicklung der erworbenen Assets die Anreize fehlen.3) Der langfristige Fonds würde somit nicht nur Geschäfts potenziale erschließen können. Er würde auch das Schwergewicht des Fondsgeschäfts wieder stärker zum (langfristigen) Investment verlagern. Es ist zu hoffen, dass die Fondsbranche den unerwarteten Impuls entschieden aufgreift.

Fußnoten

1) EU-Kommission, Consultation Document "Undertakings for Collective Investments in Transferable Securities (UCITS) - Product Rules, Liquidity Management, Depositary, Money Market Funds, Long Term Investments, July 2012.

2) Wolfgang Mansfeld, Fondsgeschäft - Plädoyer für eine langfristige Orientierung, ZfgK 3/2012.

3) The Kay Review of UK Equity Markets and Long-term Decision Making, Final Report, July 2012.

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