Leitartikel

Viele Herausforderungen, vielfältige Anforderungen

610 Unternehmen, darunter 429 rechtlich eigenständige Sparkassen, zehn Landesbanken in acht Landesbank-Konzernen, zehn Landesbausparkassen, elf Erstversicherergruppen, die Deka-Bank, die Deutsche Leasing sowie vier weitere Sparkassen-Leasinggesellschaften, die Finanz Informatik, der Deutsche Sparkassenverlag, sieben Kapitalanlagegesellschaften der Landesbanken, 75Kapitalbeteiligungsgesellschaften, drei Factoring-Gesellschaften, zehn LBS-Immobiliengesellschaften und acht Unternehmens- beziehungsweise Kommunalberatungsgesellschaften, ein Umsatz von 3300 Milliarden Euro und insgesamt 348500 Mitarbeitern - all das bekommt im kommenden Jahr einen neuen Präsidenten.

Dies zu bewahren beziehungsweise in eine gute und hoffentlich auskömmliche Zukunft zu führen, ist allein schon anspruchsvoll genug für den künftigen starken Mann an der DSGV-Spitze. Angesichts des Zeitpunkts des Amtswechsels und des alles andere als einfachen Umfelds für Banken überlegt man daher zweimal, ob man dem "Neuen" gratulieren sollte? Da ist zunächst einmal unverändert die "Gefahrenquelle" Europa, die schon die vorausgegangenen Sparkassen-Präsidenten, angefangen von Horst Köhler über Dietrich Hoppenstedt zu Heinrich Haasis, ausreichend gefordert hat. Die Staatsschuldenkrise wird bis April kommenden Jahres keineswegs gelöst sein, sondern die Unsicherheiten, die Risiken, die Anspannungen werden weiterhin Menschen, Märkte und Politiker im Griff halten. Welche Konsequenzen das über die direkten Belastungen in den Büchern der Landesbanken auf die Zukunft des Bankgeschäfts auch der öffentlich-rechtlichen Institute haben wird? Der Sparkassen-Präsident wird dies auf höchsten politischen Ebenen eng zu begleiten haben.

Dann darf man hoffen, dass die europäische Bankenaufsicht EBA mit jedem Monat ein bisschen mehr an Souveränität und damit auch Gelassenheit gewinnen wird und somit die permanenten Überraschungen nachlassen und mehr Planungs- und Rechtssicherheit für die betroffenen Banken herrscht. Aber das ist lediglich eine Hoffnung. Überhaupt stellt sich die Frage, welche Anforderungen künftig aus regulatorischer Sicht für Sparkassen in Deutschland gelten werden: Das echte Basel III oder nur eine abgespeckte Version? Vielleicht bald schon Basel IV, V oder VI, wenn man die EBA von politischer Seite weiterhin gewähren lässt? Soll man seine großen und damit systemrelevanten Banken überhaupt weiterhin den Brüsselern überlassen, oder auch hier für "Befreiung" kämpfen wie in Basel? Ein direktes Mandat der EBA zur Beaufsichtigung deutscher Banken und Sparkassen gibt es offensichtlich nicht, siehe Helaba.

Für all das bedarf es sehr enger Abstimmung und guter Zusammenarbeit mit den anderen Interessenvertretern deutscher Banken ebenso wie der europäischen. Wichtiger als bei früheren Präsidenten wird dabei die europäische Komponente sein. Es kann sicherlich nicht schaden, wenn sich der deutsche Sparkassen-Präsident an die Spitze einer europäischen Bewegung der Sparkassen und sparkassenähnlichen Häuser setzen würde, die Integration vorantreiben würde, um mehr Einigkeit und damit auch mehr Verhandlungsmacht zu haben. Wer mit Europa verhandeln will, muss europäische Positionen haben. Nicht nur ein deutscher, ein europäischer Präsident in Basel, London, Brüssel, Paris, Mailand, Madrid, Wien ... das wärs, oder?

Etwas Gutes mag die ganze europäische Entwicklung aber vielleicht haben. Bislang wurde in der deutschen Sparkassen-Organisation jedenfalls die Arbeit des "Innenministers" stets einfacher, wenn die des "Außenministers" an Schwierigkeit und Bedeutung zugenommen hat. Soll heißen, in dem Maße wie die Bedrohungen von außen nachließen, sank stets die Bereitschaft zur Einigkeit im Innern. In den vermeintlich guten Zeiten gab es immer mehr Widerstand gegen Veränderungen als aus der Not heraus: Verdeckt bis offen von den regionalen Kollegen, meist heftig von den Landesbanken, eher selten von der breiten Basis und mitunter nachhaltig von der regionalen Politik. Doch verändern werden sich die Dinge müssen. Auf der Marktseite jedenfalls wird keinerlei Entspannung eintreten. Margen bleiben eng, werden sogar noch enger, das Retailgeschäft wird ob der Refinanzierungsproblematik aller Banken auch für den Marktführer Sparkasse deutlich teurer werden, auf der Kreditseite drohen im konjunkturellen Abschwung gewöhnlich höhere Risikokosten und auf der Anlageseite drückt das anhaltende Niedrigzinsniveau gewaltig.

Es wird sich also auch zeigen müssen, ob der Präsident zu unternehmerischen Entscheidungen fähig ist. In Heinrich Haasis' Amtszeit fielen unter anderem der Erwerb der Landesbank Berlin und der Deka-Bank durch die Sparkassen. Beides belastet in erheblichem Ausmaß nun die Ertragslagen. Berlin muss im laufenden Jahr bis auf rund 55 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises abgeschrieben werden - die regionalen Prüfungsverbände geben dies so vor. Und auch auf die Deka-Anteile wurde und wird bei den Regional-Verbänden emsig berichtigt. Das schränkt den künftigen Spielraum natürlich ein. Trotzdem muss der Sparkassen-Präsident in den kommenden Amtsperioden einiges angehen. Bleibt zunächst die ewige Strukturfrage des deutschen Sparkassenwesens, das ungelöste Existenzproblem der ehemaligen Girozentralen. Sie sind sicherlich unverzichtbarer Bestandteil des Marktauftritts der Gruppe, doch bleiben die Fragen, wie viele kann man sich leisten, wie viele braucht man, was sollen sie leisten können und welche Geschäftsfelder brauchen sie dafür beziehungsweise gesteht man ihnen zu? Wie hoch muss der Anteil Retail sein? Was ist mit der Eigentümerfrage? Notwendiger Klärungsbedarf, aber sicher nicht vergnügungssteuerpflichtig.

Anzugehen ist ebenfalls die Konsolidierung der Landesbausparkassen, der öffentlichen-rechtlichen Versicherer, der Servicegesellschaften. Der mächtige Präsident des westfälisch-lippischen Sparkassen- und Giroverbandes Rolf Gerlach, der seine Kandidatur ebenso überraschend zurückgezogen wie er sie schnell verkündet hat, rechnet seinem offenbar übermächtigen Konkurrenten denn auch gleich vor, was seiner Meinung nach zu tun und zu holen sei. 300 Millionen bei den Bausparkassen, 500Millionen bei den Versicherern, weitere 100 Millionen bei den Servicegesellschaften und 250Millionen Euro durch Optimierung der Finanz Informatik und die Zentralisierung dezentraler IT bei eben dieser Finanz Informatik, deren Aufsichtsratsvorsitzender Gerlach ist. Diese Zahlen sind bestimmt nicht zu hoch gegriffen. Vorbild müssen die Kreditgenossen sein, denen die Bündelung der Kräfte ob weniger unterschiedlicher Interessen- und Gemengelagen in der Vergangenheit deutlich besser gelungen ist. Nur - wer soll das alles bezahlen? Diese Veränderungen durchzusetzen, wird nicht ohne Macht gehen. Macht haben bislang aber vor allem die regionalen Präsidenten über ihre Prüfungsverbände. Es muss also im ureigenen Interesse eines DSGV-Präsidenten sein, hier die Umverteilung der Macht anzustreben.

Bleibt noch die Frage der Zukunft der kommunalen Bindung. Dass Länder, Kreise und Kommunen gerne Sparkassen haben, steht wohl außer Frage. Doch können sie sich das noch lange leisten? Wenn daher mehr oder weniger laut nach mehr Freiheit im Umgang mit den eigenen Assets gesprochen wird, ruft das in der Sparkassen-Familie schnell die Furcht vor der Zerstörung gewachsener, aber keineswegs verfestigter Strukturen hervor. Wie lange Länder und Kommunen noch auf eine ordentliche Verzinsung ihrer Einlagen verzichten können und wollen, wird angesichts wachsender kommunaler Finanznöte ein weiteres Thema sein. Preist man nur einen minimalen Zinssatz bereits heute spaßeshalber einmal ein, bleibt von den vordergründig schönen Gewinnen der Primären nicht überall viel übrig. Dass die öffentliche Hand sich auch in Deutschland nicht allerbester Gesundheit erfreut, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass auch die Sparkassen ihren Eigentümern nur noch ungern Kredit einräumen, und wenn, dann nur mit ordentlichen Risikoprämien.

Sparkassen-Präsidenten, das zeigen die Erfahrungen der vergangenen Jahre, müssen immer stärker politische Präsidenten sein. Die Betriebswirtschaft und das Wissen um das Besondere "Sparkasse" ist sicherlich auch wichtig, steht aber klar an zweiter Stelle. Sie brauchen einen langen Atem und viel Kraft, denn die Dinge lassen sich ob der Fülle und der Widerstände sicherlich nicht in einer Amtszeit lösen. Präsidenten müssen erneuern, ohne vergessen zu bewahren. Und sie müssen überzeugen, aber sie müssen bestimmender überzeugen können als bisher. Gratulieren muss man dem Neuen nicht, aber man muss und will ihm Glück wünschen!

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