Leitartikel

Liquid Governance im Zeitalter der Social Values ist notwendig

Dass sich alles verändert, alles fließt, das wussten schon die alten Griechen. Manchmal bewegt sich der Strom der Geschichte mit scheinbar geringer Fließgeschwindigkeit. Momentan ist allerdings zum Beispiel mit Blick auf Europa eher wildes Wasser angesagt. Im Zickzack zwischen hartem Sparkurs und Wachstumsversprechen pendelt der Kurs so manches politischen Kapitäns eher hilflos und verschlingt, wie jüngst bei den Wahlen in Frankreich und Griechenland, Schiffer und Kahn.

In Deutschland kommen als Gefahrenstrudel für das etablierte politische Geschäftsmodell neuerdings die "Piraten" hinzu, die Landtag um Landtag entern und damit die gewohnten Koalitionsmuster aufbrechen. Spätestens seit Stuttgart 21 sollte man eigentlich wissen, was Bürgerwille mobilisieren kann, wenn der Transmissionsriemen vom Wahlvolk und seinen Repräsentanten gerissen ist. Und die Wahlanalysen zeigen, dass die Piraten ihren größten Zuspruch von der bislang größten Partei im Lande bekommt: der der Nichtwähler! Offenbar haben die Piraten neben rosaroten Wunschträumen etwas zu bieten, was bei den anderen Parteien weniger gut zu funktionieren scheint, nämlich die permanente Rückkoppelung mit den Wählern. Das Tool dazu ist weltweit bei fast einer Milliarde Menschen verbreitet und kommt demnächst in Gestalt von Facebook an die Börse. Man mag den Gedanken, Politik auf die einfachste Formel, nämlich gefällt mir oder gefällt mir nicht, zu reduzieren, mögen - oder nicht. Dieser Fragestellung auszuweichen dürfte nicht mehr gelingen.

Das gilt im Übrigen auch und erst recht für die Unternehmensleitungen. Das Repertoire der Fragen reduziert sich keineswegs mehr auf die nach den Werten, die für die Aktionäre durch Dividende und Kurszuwachs geschaffen werden. Es sind zum Beispiel die Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten, die wissen wollen, wie sicher die Arbeitsplätze beziehungsweise die Produktion beziehungsweise die Produkte sind. Und mehr und mehr sehen sich die Unternehmen auch mit Fragestellungen wie der Nachhaltigkeit, der Beachtung ethischer Grundsätze entlang der gesamten Produktionskette konfrontiert.

Vielbeachtet in diesem Zusammenhang war jüngst das Einlenken des weltweit wertvollsten Konzerns Apple, der auf Druck einer breiten Internetöffentlichkeit nicht nur die Produktionsrichtlinien offenlegen musste, sondern sich auch verpflichtete, diese auch bei den ins Gerede gekommenen chinesischen Vorlieferanten durchzusetzen. Nur so glaubt man wohl, das Image dieser fest in einer verschworenen Gemeinschaft von überzeugten Anhängern verankerten Marke frei von Makel halten zu können. Das ist übrigens auch ein Beispiel dafür, dass Werte für Stakeholder und Shareholder keineswegs auseinanderklaffen müssen.

Dies zeigt sich derzeit auch wieder bei einem weiteren Thema, nämlich der Höhe der Managergehälter. Während allerdings in den USA und UK mehr und mehr Aktionäre ihrem Unmut über die dortigen Gehaltsexzesse Ausdruck durch Redebeiträge sowie entsprechendes Abstimmverhalten in den Hauptversammlungen verleihen, glaubt man bei den meisten Unternehmen in Deutschland offensichtlich, diesen Fragen glatt ausweichen zu können. Im Gegenteil werden wie jüngst bei Eon sogar deutliche Aufschläge bei den Bonifikationen gewährt und vom Aufsichtsratsvorsitzenden ungerührt öffentlich verteidigt, obwohl das Unternehmen Verluste schreibt und die Entlassung Tausender Mitarbeiter ankündigt.

Selbst bei einem Unternehmen wie dem Volkswagenkonzern, der seine Mitarbeiter mit einer Prämie an dem deutlichen Erfolgszuwachs beteiligt, werden die rund 17 Millionen Euro Jahresgehalt für den Vorstandsvorsitzenden nicht mehr unkommentiert hingenommen. Es zeichnet sich inzwischen auch in Deutschland eine breite Diskussion über die absolute Höhe, die Zuwächse also die Angemessenheit der Managergehälter ab. Der bisher wohlfeile Verweis auf die viel höheren Gehaltszahlungen im Ausland, mit dem man wettbewerbsgleich sein müsse, könnte angesichts der dortigen Entwicklungen im Gegenteil denjenigen Argumente liefern, die mindestens auf eine Deckelung, wenn nicht gar Rückführung der Gehaltssummen dringen. Wenn sogar in der wahrlich nicht als sozialistisch bekannten Schweiz eine beachtliche Zahl von Aktionären der UBS jüngst gegen das "Antrittsgeld" in Millionenhöhe des neuen Verwaltungsratsvorsitzenden Axel Weber revoltierten, kann man dies als ein Menetekel dafür werten, dass nicht nur die Gehaltsstrukturen der Manager, einschliesslich deren Pensionsansprüchen, sondern auch die des Aufsichtsrates neu überdacht werden müssten. Ginge es nach der Meinung der Bevölkerung, sind die derzeit bei den großen Unternehmen gezahlten Gehälter ohnehin nicht vermittelbar (siehe Umfragetabelle).

Würden die Unternehmen diese Stimmen ernst nehmen, müssten sie entweder sich entsprechend verhalten und die gesamte Vergütungsstruktur überarbeiten, oder aber erklären, warum sie die bisherige Struktur für sinnvoll halten. Nur so lässt sich vermutlich eine sonst zu erwartende gesetzliche Regelung vermeiden, die die Entwicklung der Mindestlöhne und Höchstgehälter künftig aneinander koppelt. Eigentlich sollte dies das brennendste Thema für die Corporate-Governance-Kommission sein, die im Juni ihre Jahresversammlung hält. Deren Vorsitzender schreibt zwar dazu Briefe und bittet um Zurückhaltung, allerdings nur als Privatperson, gewissermaßen anonym. Was bisher nur ein Säuseln ist, kann sich rasch zu einem Entrüstungssturm oder Shitstorm nicht nur der Aktionäre anwachsen. Immerhin gibt es wie zum Beispiel bei VW erste Anzeichen, sich dieses Themas anzunehmen.

Man mag nicht alles mögen, was der neue französische Präsident Hollande ankündigt. Die Kürzung seines Gehaltes und seiner Minister um 30 Prozent ist ein Zeichen, immerhin!

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