Leitartikel

Social Media in der Finanzkommunikation - Revolution oder Dekoration?

Facebook, Twitter und andere Plattformen des Web 2.0 erreichen immer mehr Menschen, die sich untereinander weitgehend unreglementiert austauschen möchten - und es meist auch können. Leistungsfähige Rechner machen es jedem heute möglich, nicht nur Informationen in Wort, Schrift und sogar bewegtem Bild zu empfangen, sondern von jedem Ort der Welt auch zu senden und an Interessierte zu verbreiten und in Dialog zu treten. Speziell diese erweiterten "sozialen" Möglichkeiten des Internets aktueller Prägung stellen aber nicht nur autokratische politische Systeme infrage, sie bedeuten auch, wie jüngste Umfragen erhärten, eine wachsende Herausforderung für Unternehmen, die Struktur, Prozesse sowie die Ausrichtung von IT, Marketing und der Kommunikation neu organisieren müssen.

In unterschiedlicher Ausprägung den jeweiligen Unternehmensrealitäten angepasst, im Kern aber klar konturiert verfolgt die Corporate Communications überall das gleiche Ziel, nämlich auf der Grundlage definierter Leitthemen ein möglichst einheitliches sowie realitätsnahes, also glaubwürdiges Erscheinungsbild nachhaltig bei den relevanten Stakeholdern zu verankern. Und daraus folgt als weiterer eherner Grundsatz die Strategie, alle Kommunikationsmaßnahmen so zu orchestrieren, dass ein Unternehmen stets nur mit einer Stimme spricht. Speziell in der Kapitalmarktkommunikation wird diese Herangehensweise durch regulatorische Rahmenbedingungen unterschiedlichster Art teilweise strafbewehrt gefordert. Denn nur so glaubt man, den Forderungen nach transparenter, aller für den Investor entscheidungsrelevanter Informationen zum gleichen Zeitpunkt und in gleicher Qualität entsprechen zu können. Zu welch merkwürdigen Verrenkungen in dem Kommunikationsgebaren dies insbesondere bei komplexeren und global agierenden Unternehmensgruppen führen kann, lässt sich unschwer an den unselig langen Disclaimern ablesen, mit der auch noch die unwichtigste Unternehmensnachricht inzwischen vorsorglich gegen mögliche Klagen abgesichert wird. In der realen Welt des Web 2.0, in der Informationen sich leichtfüßig auch über Sprachbarrieren oder interne Anweisungen transportieren und in Bruchteilen von Sekunden überall verbreiten lassen, mutet eine solche Forderung geradezu anachronistisch an. Social Media erscheinen unter diesem Gesichtspunkt vielen in der Kapitalmarktkommunikation eher noch als weiterer Störfaktor in dem ohnehin schon schwierigen Gelände der regelkonformen Informationsbewältigung.

Möglicherweise sehen deswegen viele deutsche Unternehmen in dem Einsatz von Social Media für die IR derzeit keinen besonderen Schwerpunkt, obwohl man beginnt, sich auch dank der Aktivitäten des DIRK und des DAI mit dem Thema intensiver zu befassen. Deren Umfragen bei 100 börsennotierten Unternehmen zeichnen ein zwar gemischtes, aber in der zentralen Frage nach der Einschätzung der Wichtigkeit und künftigen Bedeutung der Social Media eindeutiges Bild. Demnach billigt man diesen Medien zwar prinzipiell eine gewisse Bedeutung gerade im Dialog mit jungen Aktionären zu, glaubt aber mit den herkömmlichen Instrumenten der personellen Kommunikation auch in Zukunft gut zu fahren. Allenfalls die inhaltliche Ausgestaltung des Internets durch elektronischen Geschäftsbericht, die jetzt mögliche virtuelle Abstimmung und Abhaltung von HVs wird als erwägenswert für künftige eigene Aktivitäten eingestuft. Es verwundert denn auch kaum, dass die Chancen der neuen Medien von einer Vielzahl weniger in dem Potenzial für qualitativ verbesserte Kommunikation als vielmehr darin gesehen wird, Kosten einzusparen!

Es ist wohl nicht zuletzt auch dieser Sparsamkeit zu verdanken, dass die Angebote vieler Unternehmen in den Mediaplattformen teilweise lieblos, in jedem Fall für potenzielle Nutzer unattraktiv gestaltet sind. So jedenfalls muss man wohl die Befunde einer jüngsten Untersuchung von Studenten an der Hochschule Darmstadt werten, die alle Aktivitäten der Dax-30-Unternehmen eingehend analysiert haben (Grafiken). Wer wie ausgerechnet die Deutsche Börse nur auf Standardinfos verlinkt, darf sich dann nicht wundern, wenn nur neun Abonnenten diesen Service abonnieren. Auf der anderen Seite der Skala ragen dann Unternehmen wie die BASF oder die Lufthansa heraus, die Tausende von offensichtlich interessierten Abonnenten aufweisen.

Bis auf wenige Ausnahmen sind aber auch die professionell gut, das heißt attraktiv und inhaltsreich gestalteten Plattformen im Wesentlichen nicht wirkliche Social Webanwendungen, sondern Dekor. Ihnen fehlt die entscheidende Eigenschaft: die Dialogfähigkeit. Stattdessen setzen sie die bisherige Form der Kommunikation fort, nur mit anderen Mitteln, nämlich als Sender und nicht als Empfänger der im Web gleichberechtigten Informationsteilhaber, die zugleich auch Informationsproduzenten sind.

Wer diese Chancen nicht nutzt, über die Social Media zum Beispiel Privatanleger gezielt anzusprechen und dauerhaft einzubinden, darf sich dann auch nicht wundern, wenn die potenziellen Anleger sich in Deutschland von der Aktie als Anlageform abwenden oder den Beistand verweigern, wenn es mal wieder um die Verteidigung der Selbstständigkeit eines Unternehmens in Streubesitz gilt. Wahrscheinlich werden uns Unternehmen mit steilerer Lernkurve etwa aus den USA oder Asien erst den Weg frei machen müssen für eine notwendige Revolution in der Vorstellung von Aktionären, Analysten und anderen Gruppen der Kapitalmarktkommunikation, die über Social Webs im Dialog verbunden sind.

Wenig genutzt wird das Zukunftspotenzial des Web 2.0 bisher auch von den großen Verbünden der deutschen Kreditwirtschaft. Gerade hier finden sich aber ideale Voraussetzungen, mit sehr überschaubarem Aufwand das oftmals etwas angestaubt erscheinende Profil in den Kerngruppen der Zukunft nachhaltig zu verbessern. Ob im Recruitment von jungen Nachwuchskräften, der lebendigen Produktpräsentation für technikaffine Kunden oder durch eine zeitgerechte Dokumentation und Organisation von neuartigen Sponsoringaktivitäten lassen sich zahlreiche Ansatzpunkte für eine zeitgerechte Ansprache durch den Einsatz der Social Media Tools ausmachen. Es muss ja nicht gleich eine Revolution sein, eine Evolution tuts manchmal auch!

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