Leitartikel

Das Ende der Allfinanz?

Die niederländische ING Groep stellt sich neu auf und wird künftig im Bank- und Versicherungsgeschäft mit zwei voneinander getrennten und unabhängigen Einheiten operieren. Diese Meldung vermag zunächst kaum jemanden wirklich überraschen. Schließlich hat die Finanzkrise schon ganz andere Unternehmen aus der Finanzdienstleistungsbranche zu weitaus drastischeren Maßnahmen greifen lassen, bis hin zur Insolvenz. Darüber hinaus hat der niederländische Finanzkonzern bereits seit Monaten auf einen solchen Schritt durch interne Umstrukturierungen und zahlreiche Verkäufe von Tochter- und Konzerngesellschaften hingearbeitet. Zum Dritten konnte das Drängen der europäischen Kommission nicht dauerhaft ungehört bleiben, die bei Instituten, welche auf Staatshilfen zurückgreifen mussten, energisch auf das "Downsizen", also das Zurückfahren der Geschäftsvolumina insistiert, um das weltweite Finanzgefüge vermeintlich stabiler zu machen.

Und doch ist das Ende der "alten" ING bemerkenswert. Fast 20 Jahre ist es her, dass die ING Groep durch die Fusion der Nationale-Nederlanden und der NMB Postbank entstand. Seit 1991 galt das holländische Finanzkonglomerat in Sachen Allfinanzgedanken, der sowohl den Verkauf von Bankprodukten über die Versicherungsagenturen als auch den Vertrieb von Versicherungen über den Bankschalter beinhaltet, als Vorreiter. Immerhin wurden bei der Fusion zwei Versicherungen (De Nationale Levensverzekering Bank und De Nederlanden van 1845) und drei Banken (die Rijkspostspaarbank, die De Postcheque- and Girodienst und die Nederlandsche Middenstands Bank) erfolgreich unter einem Dach verschmolzen. Mit der nun verkündeten und spätestens bis 2013 umzusetzenden Aufspaltung ziehen die Verantwortlichen einen Schlussstrich unter eben jene Mär, dass Versicherungsvertreter Bankprodukte und Bankstellenmitarbeiter Versicherungsprodukte an den Mann bringen können, um eine höhere Kundenzufriedenheit, ein besseres Cross-Selling sowie geringere Vertriebskosten zu erzielen. Auch die ING hat damit letztlich erkennen müssen, dass Allfinanz im Konzern allen zwischenzeitlichen Erfolgsmeldungen zum Trotz nicht funktioniert. Früher bereits reüssierten AMB und BfG nicht wie gewünscht, früher bereits wurde die belgisch-niederländische Fortis-Gruppe zerlegt, früher bereits gab die Deutsche Bank den Deutschen Herold ab, früher bereits stieß Credit Suisse die Winterthur wieder von sich, früher bereits trennte sich die Citigroup von Travellers und früher bereits verkaufte die Allianz die Dresdner Bank mit einem nahezu historischen Wertverlust an die Commerzbank, was wiederum das Bündnis der gelben Bank mit der italienischen Generali enden ließ.

All diese Beispiele zeigen, dass die Probleme sowohl dann aufgetreten sind, wenn die Bank den Versicherer kontrolliert als auch bei umgekehrter Verantwortung - allen klugen Beratern zum Trotz, die dem gemeinsamen Konzept stets eine goldenen Zukunft vorausgesagt haben, wenn die Bank das Sagen hat. Für Kreditinstitute besteht in einer solchen Verbindung der große Reiz in den feinen, stetigen, laufenden Einnahmen aus den Versicherungsprämien. Billiger und einfacher kann man sich nicht mehr refinanzieren, außer durch Einlagen, doch hier ist der Wettbewerb unangenehm hart. Allerdings hemmt die geringe Provisionierung der Versicherungsdienstleistungen sowie deren in der Regel lange Laufzeit die Begeisterung der Bankangestellten. Hinzu kommt, dass die Mehrzahl der Versicherungsprodukte mit ihrer Komplexität nicht nur den Kunden, sondern auch den nur schnell geschulten Bankverkäufer überfordert. Für das Breitengeschäft taugen nur wenige, einfache Verträge wie Leben oder vielleicht noch Kfz, doch schon bei Schaden oder Unfall muss der Bank- oder Sparkassenangestellte den Versicherungsspezialisten zu Hilfe rufen. Schwierig, schwierig! Allianz und Dresdner Bank erfanden aus diesem Grund die sogenannten Bankagenturen, in denen sowohl Vertriebspersonal aus der Bank als auch der Versicherung vor Ort gemeinsam den Kunden betreut. Das nahm zumindest räumlich einige der Hürden und Vorurteile. Die Allianz scheint mit dem Erfolg zufrieden zu sein. So zufrieden, dass sie die Bankagenturen jedenfalls nicht mit der Dresdner Bank an die Commerzbank verkauft, sondern sie in die Oldenburgische Landesbank integriert hat, die nun nicht nur feine Regionalbank in Deutschlands Norden, sondern - im Kleinen - auch die Allianz-Bank ist.

Ist der Allfinanzgedanke also endgültig gescheitert? Nein, Allfinanz funktioniert nur nicht unter einem Dach. Ausgesprochen erfolgreich kann dagegen der Verkauf von Dienstleistungen aus dem jeweils anderen Sektor auf Kooperationsbasis sein. Zwar spielt in anderen europäischen Ländern die sogenannte Bankassurance eine deutlich größere Rolle als in Deutschland. In Frankreich, Italien und Spanien beispielsweise werden mehr als die Hälfte aller Lebensversicherungen über Bankschalter verkauft. Doch hat auch in der

Bundesrepublik der Versicherungsverkauf über Kreditinstitute in den vergangenen Jahren weiter zugenommen, sein Anteil beträgt inzwischen rund 26 Prozent am gesamten Vertriebs-wege-Mix. 37 Prozent aller Verträge schließen die Ausschließlichkeitsvertreter ab, 32 Prozent die Makler. Bis 2012 erwartet das Beratungsunternehmen Oliver Wyman noch einmal einen deutlichen Schub für den Bankvertrieb: er soll dann hinter den Maklern gleichauf mit den Ausschließlichkeitsvertretern folgen. Der Grund liegt auf der Hand: Ein Ausschließlichkeitsvertrieb ist teuer, sowohl beim Verkauf über Makler als auch über Bankpartner fallen lediglich die normalen Vertriebsprovisionen an, die für Versicherungsprodukte traditionell unter denen für Bankprodukte liegen.

Gute Beispiele für einen funktionierenden Allfinanz-Ansatz sind vor allem die beiden deutschen Verbünde. Die rund 1 200 Volks- und Raiffeisenbanken stützen sich hierbei auf eine einzige Versicherung, die R + V. Diese straffe Organisation zahlt sich aus. Über 90 Prozent des Lebensversicherungsneugeschäfts der R + V werden über die bundesweit knapp 14 000 Bankschalter der Genossenschaftsbanken an Mann und Frau gebracht. Kleiner Wermutstropfen: Es gibt historisch bedingte Abweichler, rund sieben Prozent des Lebensversicherungsverkaufs der großen Allianz erfolgt über die bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken. Im Gegenzug vermitteln die R + V-Berater bei Erkennen eines Bedarfs den Kunden sofort an den zuständigen Bankkollegen. Eine kreditgenossenschaftliche Besonderheit ist die Gesamtbanksteuerung über den DZ-Bank-Konzern. Das Spitzeninstitut ist die einzige Bank in Deutschland, die eine Versicherung dieser Größenordnung konsolidiert. Das könnte auch Konsequenzen für die R + V haben, schließlich muss diese sich aufgrund der aufsichtsrechtlichen Verantwortung der DZ Bank in die Gesamtsteuerung einordnen.

Deutlich unübersichtlicher und keineswegs stets als Einheit zu erkennen, ist die Lage bei den Öffentlich-Rechtlichen. Lediglich bei der Sparkassen Versicherung aus Stuttgart fällt es schon beim Namen leicht, einen Bezug zwischen Sparkasse und Versicherung herzustellen. Doch welcher ungeübte Kunde würde hinter den Provinzials, den Versicherungskammern, den Brandkassen oder den Landes-Brandversicherungsanstalten mühelos die S-Finanzgruppe vermuten? Da macht sich der Weg keineswegs so leicht frei wie bei der genossenschaftlichen Konkurrenz und auch die privaten Wettbewerber können mit bundesweit einheitlichen Auftritten punkten. Die Folge: Während die Sparkasse sowohl im Privat- als auch im Mittelstandsgeschäft mit Marktanteilen von rund 50 Prozent der Platzhirsch in Deutschland ist, müssen sich die öffentlichen Versicherer mit gerade mal zehn Prozent begnügen - was aber zu Platz zwei hinter der Allianz reicht. Da wird trotzdem diskutiert, ob eine Bündelung der Kräfte nach dem Vorbild der Genossen Sinn machen könnten. Schließlich entfallen über 90 Prozent des von allen elf öffentlich-rechtlichen Versicherern generierten Beitragsvolumens auf die fünf größten Unternehmen. Hinsichtlich des Vertriebs herrscht im öffentlich-rechtlichen Lager mitunter eine ähnliche große Treue wie bei den Kreditgenossen: In Hessen beispielsweise werden rund 80 Prozent des Versicherungsneugeschäfts über die Sparkassen-Filialen vermittelt.

Ob man unter diesen Voraussetzungen künftig noch Allfinanz-Aufsichten braucht? Die Bundesbank wird's wissen. P. O.

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