Leitartikel

Sind Banken etwas Besonderes?

Möglicherweise ist es tatsächlich nur ein subjektiver Eindruck und im Kundengeschäft draußen im Lande sieht alles anders aus. Vielleicht macht wirklich allein der hierzulande führende Finanzplatz Frankfurt als Sitz vieler großer Bankzentralen, als klassische Anlaufstelle für viele Auslandsbanken sowie als unbestritten wichtigster deutscher Standort für Investmentbanker, Kapitalmarktexperten und Börsianer die Welt der Banker als eine doch etwas andere Sphäre wahrnehmbar. Dabei muss man beileibe nicht das bekannt vornehme Ambiente der ansässigen oder prominent vertretenen Privatbankiers bemühen. Sondern ganz allgemein erkennt man den gemeinen Banker und sein Umfeld in der Stadt der Banken auffallend gehäuft am schwarzen Zwirn, sogar bei ganz normalen Veranstaltungen gibt es allenfalls noch das einheitliche Grau oder Blau in der Kleiderordnung, kaum einmal ein Farbtupfer. Man spürt förmlich das Gewicht der Branche.

Dass die Finanzwirtschaft auch heute noch ein ganz besonderes Gewerbe sein muss, unterstreicht die Existenz eigener Regelwerke. Speziell den Banken wird ihr hoher Stellenwert unter den Wirtschaftszweigen durch das inzwischen rein von seinem Umfang her mächtig angewachsene Kreditwesengesetz dokumentiert. Störungen und Risiken der Finanzmärkte möglichst vorzubeugen, ihre Stabilität zu sichern und die Funktionsfähigkeit des Bankgewerbes als gesamtwirtschaftlich wichtigen Unternehmensbereich zu gewährleisten, ist der hiesigen Politik über das gesamte Parteienspektrum hinweg nach wie vor ein wichtiges Anliegen. Wach gerufen wird dieser ziemlich breite Grundkonsens der politischen Strömungen allerdings meist nur in turbulenten Zeiten wie derzeit im Gefolge der Subprime-Krise. Das war übrigens schon bei der Umsetzung der ursprünglichen Idee einer umfassenden Bankenaufsicht so, die erst nach jahrzehntelangen Diskussionen unter dem Eindruck des panikartigen Abzugs von Kundeneinlagen im Verlauf der Bankenkrise 1931 richtig stark forciert wurde. Drei Jahre später wurde das Reichsgesetz über das Kreditwesen als Vorläufer des heutigen KWG verabschiedet. Und auch dessen Weiterentwicklung in bisher sieben Novellen wurde oft erst durch mehr oder weniger akute Krisen ausgelöst oder zumindest erheblich beschleunigt. Als eine der ganz zentralen Ausrichtungen der gesetzlichen Regelungen gilt freilich von Anfang an der Schutz der Gläubiger von Kreditinstituten vor Verlust ihrer Einlagen.

In diesem besonderen Sinne hatten spätestens die langen Schlangen an den Schaltern der britischen Northern Rock im Herbst 2007 eine Signalwirkung. Sie machten auch dem breiten Publikum den Ernst der Turbulenzen an den Finanzmärkten deutlich. Angesichts der Verwerfungen in einigen Segmenten des Verbriefungsgeschäftes und seinen Abstrahlungen auf die gesamte Liquiditätsversorgung der Banken, so zeigen es die Beiträge dieses Heftes, ist der Kreditwirtschaft, den Notenbanken, der Politik und der Wissenschaft seither ein Ausmaß an Fehlentwicklungen klar geworden, das wieder einmal den Ruf nach mehr Regulierung laut werden lässt. Es ist dabei müßig zu streiten, ob die momentane Situationsbeschreibung mit dem Begriff Turbulenzen betitelt wird oder ob man zum drastischeren Ausdruck der Krise greift. Denn mit Normalität haben viele Entwicklungen der Finanzmärkte seit der zweiten Jahreshälfte 2007 nur wenig zu tun, auch wenn außer der plötzlichen Illiquidität komplexer Kreditprodukte und den wilden Spekulationen über die Höhe weiterer notwendiger Abschreibungen bei den Produzenten und/oder Investoren noch keine unmittelbar sichtbaren Auswirkungen auf die Realwirtschaft festzustellen sind.

Zumindest an den Märkten für Structured Finance sind die Verwerfungen freilich greifbar. So erreichte das Emissionsvolumen des europäischen Marktes nach abrupten Einbrüchen im September und Oktober 2007 auch im November und Dezember letzten Jahres allenfalls ein Drittel der aus dem Vorjahr bekannten Volumina. Parallel dazu gab es erhebliche Abschläge bei den Preisen. Selbst ursprüngliche AAA-Emissionen im segmentierten Subprime-Bereich für verbriefte Wohnungsbaukredite hatten im November nur noch einen Wert von etwa zwei Drittel des Ausgangspreises. Der ABX-Index für verbriefte BBB-Wohnungsbaukredite aus der ersten Jahreshälfte 2006 sank von knapp unter 100 Prozent Anfang 2007 über 60 Prozent im Juni weiter auf 25 bis 20 Prozent im November 2007. Der Einbruch der Märk te für strukturierte Kredite hatte in den letzten Monaten bereits Auswirkungen auf die Margen und Konditionen in anderen Bereichen. Durchaus entspannt berichten beispielsweise Immobilienfinanzierer, dass plötzlich weltweit wieder fest vermietete Büro-, Hotel- oder Einzelhandelsimmobilien zur ganz normalen Finanzierung anstehen, und zwar mit guten, sprich zuletzt nicht mehr gewohnten Margen. Deutliche Aufschläge verzeichneten schließlich gerade vor dem Jahreswechsel das Tages- und nicht zuletzt das Termingeld.

Das von der breiten Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommene Anzeichen für bewegte Finanzmärkte dürften schließlich die massiven Interventionen der Notenbanken auf den Geldmärkten sein, die mit einer weltweit abgestimmten Aktion Mitte Dezember 2007 schon zum wiederholten Male deutlich gemacht haben, dass einige der Schieflagen in der Liquiditätsversorgung der Kreditwirtschaft möglicherweise nicht mehr aus eigener Kraft zu meistern gewesen wären. Mit frischem Geld hilfreich beigesprungen sind darüber hinaus bekanntlich drei sogenannte Staatsfonds aus Abu Dhabi, Singapur und China. Soweit es die bereits vollzogenen Wertbereinigungen in den Bilanzen von Citibank, UBS und Morgan Stanley betrifft, haben deren Aktivitäten in der hierzulande schon zuvor entfachten Diskussion über den Umgang mit solchen Investoren bei Politik und Banken zu einer weiteren Schärfung ihrer Positionen geführt (siehe Beiträge Peer Steinbrück und Heinrich Haasis).

Den Ernst der Lage machen auch die Einschätzungen anderer Autoren dieses Heftes deutlich. Wenn Jochen Sanio mit Blick auf die Subprime-Krise auch zur Jahreswende 2007/2008 noch den Giftmüllnotstand ausruft und den Turbulenzen schon heute einen gebührenden Platz in den Geschichtsbüchern bescheinigt, sollte man sicher noch keine Entwarnung geben. Denn selbst wenn der Präsident der BaFin kraft seines Amtes vielleicht eher die drastischere Seite der Situationsanalyse übernehmen muss, ist er sich der Verantwortung bewusst, keine unnötige Hysterie an den Märkten schüren zu dürfen. Keinesfalls beschönigend ist freilich auch die Lagebeurteilung aus den Banken selbst. Aus der Sicht seines Hauses sowie als Vertreter der weltweit größten Finanzinstitutionen baut Josef Ackermann stark auf die Selbstverantwortung der Kreditwirtschaft. Er legt der Branche verstärkte Anstrengungen zur Schaffung von Transparenz in den eigenen Büchern, eine stetige Verfeinerung des Risikomanagements, eine gleichermaßen sorgfältige wie eigenständige Risikobewertung - unabhängig von den Ratingnoten der Externen - und nicht zuletzt einen höheren Stellenwert des Liquiditätsmanagements nahe.

Ein besonders wichtiges Anliegen ist ihm darüber hinaus eine einheitliche Auslegung und Anwendung der Grundsätze für die Bewertung komplexer Produkte, im Prinzip also genau jene saubere Bewertung im Jahresabschluss 2007, wie sie Jochen Sanio von der Kreditwirtschaft einfordert. Wenn es den Banken gelänge, einige aus der Bilanz entlassene Risiken ohne Begleitschaden für die Kreditvergabe wieder aufzunehmen, so knüpfen Michael Hüther und Manfred Jäger aus einem wissenschaftlichen Blickwinkel an solche relevanten Bewertungsfragen an, so lasse sich der derzeitige Reputationsschaden des Bankensystems wieder ausbügeln.

Bei allem Bekenntnis zur Eigenverantwortung der Branche bei der Beseitigung der vorhandenen und der Vermeidung von neuen Instabilitäten an den Finanzmärkten wird am Beitrag von Josef Ackermann einmal mehr deutlich, wie sehr es immer wieder Krisen waren, die neben selbstverpflichtenden Vorgaben der Finanzbranche selbst die nationalen und internationalen (Aufsichts-)Instanzen zu regulatorischen Eingriffen veranlasst haben. Durch noch mehr Regulierung von außen, so klingt dabei zu Recht an, lässt sich Missmanagement auch in Zukunft nicht verhindern. Man wird deshalb wie immer nach Wegen suchen müssen, fatale Auswirkungen falscher unternehmerischer Entscheidungen auf das internationale Finanzgefüge möglichst gering zu halten, letztere aber klar erkennbar zu sanktionieren. Das würde auch die Debatte über Managergehälter und Gerechtigkeitslücken ein wenig entschärfen. Diesmal hat es wie so oft an einem wirklich wirksamen Sanktionsmechanismus gefehlt. Alle kurzfristigen Rettungs- oder auch Stützungsaktionen, angefangen von der reichlichen - einige Beobachter sprechen von einer überreichlichen - Versorgung der Finanzmärkte mit Liquidität durch die Notenbanken über den Schutzmantel der Bank of England für Northern Rock, das staatlich initiierte Stützungsprogramm für Immobilienbesitzer in den USA bis hin zu den kontroversen Einschätzungen der Rettungsaktionen für die IKB und die Sachsen-LB in Deutschland werfen immer wieder die berechtigte Frage nach Moral Hazard auf und lassen dabei ein höchst unbefriedigendes Gefühl aufkommen.

Denn letztlich sind wieder einmal Banken aus dem öffentlichrechtlichen ebenso wie aus dem privaten Sektor weltweit den süßen Verlockungen erlegen, möglichst gute Renditen zu erzielen - sei es mit Kalkül und unter vollem Risikobewusstsein, aus Unkenntnis oder Unbedarftheit, aus Mangel an einem wirklich tragfähigen Geschäftsmodell oder aus einer Mischung aus alledem. "Es ist kein Kavaliersdelikt, nicht über ein ausreichendes Geschäftsmodell zu verfügen", hat Siegfried Jaschinski kürzlich gesagt. (Kreditwesen 23-2007). Und ohne es auszusprechen hat der neue Mitherausgeber dieser Zeitschrift damit hierzulande den Blick auf die Sachsen-LB, die IKB und vielleicht ein wenig auf die WestLB gelenkt. Aber man sollte und kann die weltweiten Verfehlungen der einzelnen Häuser sicher nicht gegeneinander aufrechnen. Wer kann schon seriös die volkswirtschaftlichen Schäden beziffern und am Ende gar noch die letztlich Leidtragenden benennen, die sich aus der Rettung von IKB, Sachsen-LB und Northern Rock, aus dem Hilfsprogramm der US-Regierung oder aus den Fehlleistungen einer Citibank oder UBS ergeben? Ob die Lasten von gebeutelten Steuerzahlern zu tragen sind, wie man das im Falle der beiden deut schen Institute jetzt so gerne thematisiert, oder ob und wie breite Bevölkerungskreise unter den Verwerfungen einer weltweit mehr oder weniger stark eingetrübten Wirtschaftsentwicklung zu leiden haben, sind letztlich nur graduelle Unterschiede.

Die immer wieder reizvolle Frage der Bankenstruktur im Inland sollte man jedenfalls nicht allzu direkt an den jetzigen Markturbulenzen festmachen. Ob eine Grundversorgung mit allgemeinen und speziellen Bankdienstleistungen in der Region gesichert werden sollte, wie das Christopher Pleister und Karl-Heinz Boos recht anschaulich darlegen, ist durchaus umstritten. Manfred Weber und Ulrich Ramm hinterfragen jedenfalls mit gleicher Berechtigung, ob das Drei-Säulen-System tragfähige und international wettbewerbsfähige Geschäftsmodelle einschließlich der richtigen Größenordnungen der Institute verhindert. In solchen Strukturfragen wie auch im besonnenen Umgang mit den Auswirkungen der Subpri-me-Krise gehört die faire und saubere Argumentation zur (volkswirtschaftlichen) Verantwortung der Banken. Aber Notlagen erleichtern nun einmal auf allen Ebenen die Durchsetzung eigener Interessen. Insofern verhalten sich eben auch Banker und Banken wie ganz gewöhnliche Menschen. Mo.

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