Leitartikel

Zu Risiken und Nebenkosten

Bei Medikamenten sind sie längst selbstverständlich: Beipackzettel, die über Inhaltsstoffe, Anwendung und Risiken in allgemein verständlicher Sprache aufklären sollen. Vergleichbares forderten Verbraucherschützer für komplexe Finanzprodukte. Schon seit Juni vergangenen Jahres müssen Anbieter von Kapitalanlagen wie Geschlossenen Fonds, Genussrechten oder Namensschuldverschreibungen ihren Kunden ein sogenanntes Vermögensanlagen-Informationsblatt (VIB) aushändigen, um kurz und verständlich über alle relevanten Fakten zum Investitionsgegenstand, zu Risiken und Chancen sowie zu anfallenden Kosten aufzuklären. So schreibt es zumindest das Gesetz vor. In der Praxis erfüllt jedoch kein einziges der von Stiftung Warentest und Verbraucherzentrale Bundesverband untersuchten Produktinformationsblätter alle gesetzlichen Anforderungen. Das beginnt schon bei der Veröffentlichung. Jedes vierte Unternehmen, das im März dieses Jahres Vermögensanlagen anbot, habe es unterlassen, die Kurzinformationen auf seiner Website zu hinterlegen.

Aber auch inhaltlich wird offensichtlich nur selten Relevantes preisgegeben. Aus Sicht der Verbraucherschützer enthalten die Beipackzettel vor allem juristische Wortfloskeln, allgemein gehaltene Information sowie nur vage Beschreibungen der Risiken. Auch wenn das kein Alleinstellungsmerkmal des sogenannten "grauen Marktes" ist, so sollte die Kritik bei den Fondsinitiatoren dennoch Gehör finden. Denn vielen Anbietern ist vorzuhalten, dass sie nur machen, was gerade so dem gesetzlich Verlangten entspricht. Zwar kritisiert der Verband Geschlossener Fonds mit Recht, dass die 24 betrachteten Produkte angesichts von 156 Beteiligungsangeboten, die seit 1. Juni 2012 aufgelegt und vertrieben wurden, eine viel zu kleine Stichprobe ist. Doch muss bezweifelt werden, ob die Ergebnis bei einer umfangreicheren Untersuchung wirklich besser ausgefallen wären. Handlungsbedarf ist auf jeden Fall gegeben.

Deutlich übers Ziel hinaus schießen die Verbraucherschützer allerdings, wenn sie das Verbot des gesamten Marktes fordern. Marktteilnehmer, die gesetzliche Vorschriften lax auslegen, gibt es auch in anderen Branchen, trotzdem käme niemand auf die Idee beispielsweise Wohnungen, Lebensmittel oder Strom zu verbieten. Tatsächlich ist es doch wieder einmal so, dass der Versuch eine zusätzliche Sicherheit für den Konsumenten zu schaffen, nur unzureichend funktioniert und unerwünschte Nebenwirkungen hat. Dazu ein weiteres Beispiel: Heute beklagen Verbraucherschützer, dass Geschlossene Fonds laut dem Analysehaus Feri zunehmend über Direktvertriebe und immer weniger über Kreditinstitute vermittelt werden. Das jedoch liegt auch an der Registrierungspflicht für Bankberater, die folglich in die weniger streng regulierten Vertriebe wechselten. Grundsätzlich muss es zu denken geben, wenn Anleger in Finanzdienstleistern potenzielle Betrüger und Produzenten in Kunden vor allem (juristische) Gegner sehen.

Leider begreifen viele Fondsinitiatoren nicht, dass sie die Kurzinformationen als Instrument der Investorengewinnung nutzen sollten. Wer Chancen und Risiken klar benennt, gewinnt die Anleger, zu denen das Produkt auch wirklich passt und die dessen Risiken zu tragen in der Lage und willens sind. Das spart hinterher Imageschäden und juristische Auseinandersetzungen. Dass der VGF einen Muster-Beipackzettel zur Verfügung stellt, ist eine gute Sache, solange dieser richtig angewendet, das heißt an das jeweilige Anlageprodukt angepasst wird. Bei einem Einkaufszentrum müssen andere Aspekte berücksichtigt und dargestellt werden als bei einer Windkraft- oder Solaranlage, einem Flugzeug oder einem Film. Das Standardformular kann immer nur eine Orientierung geben. Grundsätzlich muss dem Anteilszeichner eines Geschlossenen Fonds bewusst gemacht werden, dass es sich dabei um eine unternehmerische Beteiligung handelt, die mit einem entsprechendem Investitionsrisiko behaftet ist und aus der man nur unter Inkaufnahme beträchtlicher Kosten aussteigen kann.

Klar ist aber auch, dass auf drei DIN-A4-Seiten keine komplexe Kapitalanlage erörtert werden kann. Den Verkaufsprospekt vor der Anlageentscheidung gründlich zu lesen, kann und darf der Gesetzgeber dem Investor nicht abnehmen. Vielleicht muss der Anleger schon auf dem VIB wie von den Verbraucherzentralen gefordert mit einem "Warnhinweis" ins Bewusstsein gerufen werden, dass der Kapitaleinsatz ganz oder teilweise verloren werden kann. Allerdings dürfte das genauso wirksam sein wie die Todeswarnungen auf Zigarettenschachteln. Und mal ehrlich: Wer entfaltet die auf kleinsten Raum in die Medikamentenpackungen gepressten Beipack-"Plakate" und nimmt sich angesichts dringend zu kurierender Leibbeschwerden die Zeit zu eingehender Lektüre? Und vor Medikamentenmissbrauch schützen auch keine Packungsbeilagen. Warum also sollte bei Finanzanlagen mehr erwartet werden?

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