Transparenz

Anlegerschutz muss beim mündigen Verbraucheransetzen

Spätestens seit dem Lehman-Desaster stehen Anleger vor allem Zertifikaten und anderen strukturierten Anlageinstrumenten kritisch gegenüber. Mehr als zwei Jahre ist es her, dass das Haus Konkurs anmeldete, seine Zertifikate wertlos wurden und viele Anleger die Risiken der Papiere zu spät erkannten. Seitdem haben die Anleger das Vertrauen in die Banken verloren.

Die Verbraucherschützer nutzen die Gunst der Stunde und fordern mehr Transparenz bei Risiken und Kosten von Finanzprodukten. Mit ihrer Forderung stehen sie nicht alleine. Auch die Bundesregierung und die EU-Kommission wollen den Verbraucherschutz stärken, vor allem aber europaweit gleiche Informations- und Transparenzvorschriften etablieren. Europäische Initiativen unter dem Namen "Packaged Retail Investment Products" (PRIPs) oder "Key Investors Document" (KID) sollen die Veröffentlichungs- und Vertriebsvorschriften verbessern. Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, geht mittlerweile in die Offensive: Bringen freiwillige Lösungen zur Schaffung von mehr Produkt- und Beratungstransparenz nicht den gewünschten Erfolg, soll ein Gesetz die Finanzbranche zu mehr Offenheit zwingen.

Viele Anlageinstrumente innerhalb der Klassen Aktien, Renten, Immobilien, Währungen, Rohstoffe, Liquidität und Alternative Investments bieten schon heute große Transparenz. So stellt beispielsweise die Volatilität einer Aktie ein international anerkanntes Risikomaß dar. Sogenannte Value-at-Risk-Modelle geben an, welchen Wert der Verlust einer bestimmten Risikoposition - beispielsweise eines Portfolios von Wertpapieren - mit einer gegebenen Wahrscheinlichkeit und in einem gegebenen Zeithorizont nicht überschreitet. Bei den Renten existiert faktisch kein Risiko, wenn der Anleger das Ende der Laufzeit abwartet. Dann erhält er den Nominalwert seines Rentenpapiers zurück - vorausgesetzt, die Bonität des Unternehmens oder des Staates ist gewährleistet. Hilfreich für die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit sind die Investment-Grades-Kennziffern, die durch Ratingagenturen wie Standard & Poor's oder Moody's vergeben werden. Sie erstellen auf Basis objektiver Analysen Ratings, die eine allgemein anerkannte Transparenz schaffen. Die in die Kritik geratenen Ratingagenturen müssen sich dieser Verantwortung (wieder) bewusst werden und größte Sorgfalt bei der Ratingvergabe walten lassen. Nur so können sie den durch die Finanzkrise entstandenen Reputationsschaden wieder wettmachen.

Fehlende Transparenz bei komplexen Produkten

Zertifikate gelten aufgrund ihrer komplexen Strukturen als besonders intransparent. Deshalb ist die Branche derzeit sehr bemüht, die geforderte Transparenz zu schaffen. So hat der Deutsche Derivate Verband (DDV) jüngst eine Initiative für mehr Produkttransparenz gestartet. Eine Hauptmaßnahme dabei ist die Entwicklung eines Produktinformationsblattes. Es enthält Angaben über den Emittenten, eine Risikoeinschätzung und ein Produkt-Rating, bei dem auch die Emittenten-Bonität berücksichtigt wird. Auch wenn diese Vorgaben momentan noch nicht allgemein verbindlich sind, ist der Vorstoß der richtige Weg, um Transparenz zu schaffen und das Vertrauen von Anlegern zurückzuerlangen.

Die geringste Kosten- und Risikotransparenz liefert der Graue Kapitalmarkt, was vor allem in der fehlenden Regulierung begründet ist. Er umfasst Anteile an geschlossenen Immobilien-, Leasing oder Filmfonds sowie Beteiligungen an Schiffen oder Flugzeugen. In diesem Bereich kam es in den letzten Jahren zu starken Auswüchsen: Die Verbraucherzentrale Nord-rhein-Westfalen schätzt, dass durch Falschberatungen jährlich rund 30 Milliarden Euro bei Immobilien- und Aktiengeschäften, die keiner ausreichenden staatlichen Kontrolle unterliegen, verloren gehen. Man darf also mutmaßen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch der Graue Kapitalmarkt reguliert wird.

Produktinformationsblatt als Transparenz-Booster?

Unabhängig von der Anlageklasse gilt, dass zur Schaffung von Transparenz einheitliche Maße und Standards verwendet werden müssen, die national wie international anerkannt sind und auf klar nachvollziehbaren mathematischen oder anderen objektivierbaren Methoden beruhen.

Mit der Einführung der europäischen Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) im Jahr 2007 hat auch der deutsche Gesetzgeber die Anforderungen an die Produkttransparenz enorm erhöht. Es ist fraglich, ob weitere Regulierungsmaßnahmen die Transparenz weiter steigern können. Der diskutierte "Beipackzettel" für Finanzprodukte, der, ähnlich wie bei Arzneimitteln, den Anleger vor dem Kauf des Produktes über die Chancen und Risiken informiert, ist kritisch zu betrachten. Ein solches Instrument kann im Hinblick auf größere Transparenz nur dann erfolgreich sein, wenn sich alle Anbieter auf ein einheitliches Produktinformationsblatt mit Mindeststandards verständigen. Es muss für jeden Finanzdienstleister verbindlich sein. Zugleich stellt sich die Frage, wer den Beipackzettel erstellt. Schon jetzt produzieren Emittenten gesetzliche Verkaufsprospekte sowie Halb- und Jahresberichte. In der logischen Schlussfolgerung wären sie für den "Beipackzettel" verantwortlich. Man darf gespannt sein, was dem Gesetzgeber neben dem "Beipackzettel" noch einfallen wird, um die Herausforderungen des Verbraucherschutzes zu meistern. Eine Lösung liegt auf der Hand - so hart das klingen mag: Bildung, Bildung, Bildung! Der Konsument braucht eine bessere Ausbildung, um ein Verständnis für die Mechanismen des Finanzmarktes zu entwickeln sowie mögliche Interessenkonflikte zwischen Beratern und Kunden zu erkennen und zu bewerten.

Idealerweise beginnt eine solche Ausbildung bereits in der Schule. Die Forderung lautet: Anleger müssen sich um ihre Geldanlage kümmern, und wer das nicht macht, ist für die Risiken und Nebenwirkungen selbst verantwortlich. Die Sorgfalt im Umgang mit Geld lässt sich nicht durch Gesetze oder Beipackzettel erzwingen. Das Konzept des Anlegerschutzes muss auf mündige Verbraucher aufbauen, die selbst entscheiden und die bereit sind, dafür die Verantwortung zu übernehmen.

Die Forderung nach mehr Transparenz innerhalb der Anlageklassen ist berechtigt. Bei einfachen Finanzprodukten, wie klassischen Investmentfonds, kann sich der Anleger schon heute eine gute Übersicht über Risiken und Chancen verschaffen. Je komplexer die Strukturen der einzelnen Anlageinstrumente jedoch werden, desto stärker sind alle Anbieter, und in letzter Konsequenz der Gesetzgeber, gefragt, transparent über die Produkte zu informieren - ohne unverhältnismäßig hohe administrativen Hürden aufzubauen.

Unverzichtbar bleibt aber die Forderung nach einem mündigen Anleger: Er muss verstehen, welche Finanzprodukte er kauft. Kann er das nicht, muss er Abstand vom Kauf nehmen - so verlockend hohe Renditen auch scheinen mögen.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X