Verbraucherschutz

Vertriebsziele: Berater im Interessenkonflikt

Die Grundlage heutiger Vertriebsarbeit sind Ziele. Dabei finden praktisch Zielvereinbarungen im Sinne von Aushandlung zwischen dem Vorgesetzten und dem Mitarbeiter so gut wie gar nicht (mehr) in der Praxis statt.

Die Vertriebsziele für die Kundenberater und Kundenberaterinnen werden einseitig vom Unternehmen gesetzt. Sie werden von den globalen Unternehmenszielen, die der Vorstand beschließt, stringent von oben nach unten weitergereicht. Und diese Unternehmensziele sind in den letzten Jahren mit der Jagd nach Renditesteigerung immer deutlicher gestiegen.

Die nicht selten unrealistisch hohen Renditeziele des Vorstandes schlagen voll durch auf die Zielvorgaben der Kundenberater. Das ist die bankinterne Seite, die die Kundenberater erleben. Hinzu kommt die Kommunikation des Unternehmens in den Markt beziehungsweise die Öffentlichkeit. Hier betonen die Banken ihren Anspruch und ihr Angebot einer hohen Kundenorientierung und bestem Service, unbestreitbar ein unverzichtbares Element im harten Wettbewerb um Kunden und Kundinnen.

Kundenbetreuer zwischen bankpolitischen Zielsetzungen zerrieben

Für die Kundenberater verkommen diese Rahmenbedingungen, unrealistische Zielvorgaben einerseits und Anforderung nach höchster Kundenorientierung und Servicequalität andererseits häufig zur Quadratur des Kreises, sie sind schlicht unerfüllbar. Die Kundenberater werden förmlich wie in einem Sandwich von diesen beiden Seiten der Bankpolitik in die Klemme genommen, erdrückt. Und das liegt an den von vielen Banken inzwischen geschaffenen Rahmenbedingungen:

Personalabbau: Die Renditejagd hat zu einem dramatischen Personalabbau geführt. Seit dem Jahre 2000 sind mehr als 100 000 Stellen, das sind zirka 13 Prozent, im Bankgewerbe vernichtet worden. Es sind deutlich mehr Stellen abgebaut worden als der Rationalisierungseffekt durch technische und organisatorische Veränderungen rechnerisch bewirkt hat.

Das liegt an der Ausdünnung der Belegschaften in den Bankfilialen. Hier heißt das Motto: Personal runter, Kundenanzahl pro Betreuer rauf und damit deutlich erhöhte Zielvorgaben. Die Personalkosten werden nicht in Abhängigkeit der Arbeitsmenge errechnet und einkalkuliert, sondern sie werden in Abhängigkeit einer geplanten Ertragszahl gedeckelt.

Controlling: Die Weiterentwicklung der Informationstechnologie ermöglichte die Weiterentwicklung der Controllinginstrumente. Ziele werden vorgegeben, die Zielerreichung der Berater wird ständig "controllt", das heißt Vertragsabschlüsse werden zunächst informationstechnologisch registriert und dann vielfältig ausgewertet.

Zielvorgaben: Mit dem Ausbau des Controllings haben die Banken auch das Instrument der Zielvorgaben verändert. Waren es in den achtziger und neunziger Jahren noch weitgehend Instrumente der Selbststeuerung auf der Filialebene, sind sie inzwischen zu einer zentralen Steuerung hin entwickelt worden, zu einer abgeleiteten festen Größe der Unternehmensplanung.

Die Ziele werden den Kun denberatern in der Regel individuell vorgegeben, unabhängig von den regionalen Marktbedingungen und aktuellen Marktentwicklungen, unabhängig auch von den Erfahrungen, die Kundenberater über Kundenpotenzial und Kundenbedürfnisse in ihrem spezifischen Umfeld gesammelt haben.

Führungssystem: Die Kundenberater sollen diese Zielvorgaben verinnerlichen, gewissermaßen als "unternehmerischen Auftrag" erfüllen. Wann, wie und wo die Geschäfte gemacht werden, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist, dass die Ziele erfüllt werden. Zum Führungssystem gehört, dass die Zielerfüllung laufend überprüft wird und dabei in immer schärferen Ausmaß Druck auf die Berater ausgeübt wird.

Die Methoden einer solchen Vertriebssteuerung sind auch dabei vielfältig. Sie reichen von ernsten Gesprächen des Vorgesetzten über das "Vorführen in der Gruppe" bis hin zum systematischen Ausleseverfahren des "Low Performer", des sogenannten Minder- oder Schwachleisters. Dabei wird regelmäßig über die Umsatzbeziehungsweise Ertragsliste festgestellt, wer zu den schlechtesten Verkäufern im Filialranking gehört und ihm angedroht, dass bei weiteren sogenannten Schlechtleistungen die Kündigung droht.

Das Führungssystem im Vertrieb hat sich inzwischen in sehr vielen Banken zu einem brutalen, mit teils menschenunwürdigen Verhaltensweisen des psychologischen Drucks entwickelt.

Erfolgskultur: Im Vertrieb werden oft nur noch "Siegermentalitäten und Siegertypen" kreiert. Erfolg im Vertrieb - und nichts anderes - wird zum einzigen Beurteilungsmaßstab gegenüber den Beschäftigten. Es wird nicht toleriert, dass auch über Belastungen und Probleme gesprochen wird, geschweige denn darüber, ob Ziele überhaupt erreichbar sind.

In zunehmendem Maße arbeiten die Kundenberater unter diesen Rahmenbedingungen, mit der Folge, dass die psychischen Erkrankungen deutlich zugenommen haben. Der Arbeits- und Leistungsdruck ist für viele nicht mehr aushaltbar. Die Zahl der Ausfalltage durch psychische Erkrankungen im Bankgewerbe ist in den letzten acht Jahren um 40 Prozent gestiegen - eine alarmierende Entwicklung.

Eine aktuelle Studie der DAK ("Gesundheitsbilanz Kreditgewerbe. Arbeitsbedingungen und Krankenstand in Banken und Finanzinstituten") stellt fest, dass die psychischen Erkrankungen inzwischen die dritthäufigste Erkrankung im Bankgewerbe ist, während dieses Krankheitsbild im Durchschnitt aller anderen Branchen den vierten Rang einnimmt. Unsere eigenen vielfachen Befragungen im Rahmen unserer Initiative "faire Arbeit" (www.fidi. verdi.de) decken sich vollständig mit der DAK-Studie.

Heutiger Bankvertrieb ähnelt dem Prinzip der Strukturvertriebe

Viele Kundenberater können vielfach bei diesem Druck und bei diesem System das Kundeninteresse nicht mehr im Blick der Beratung haben so wie sie es selbst wollen. Die Banken bringen die Kundenberater mit diesem System in einen Zwiespalt, in einen Interessenkonflikt.

Das ist sicher nicht bei jedem Kundenberatungsgespräch der Fall, aber es ist auch nicht mehr die Ausnahme. In sehr vielen Banken wird das skizzierte Controlling- und Führungssystem gelebt und damit ist der Interessenkonflikt mit all seinen negativen Auswirkungen für die Beschäftigten und auch für Kunden zum Alltag geworden.

Es ist dringend erforderlich, dass dieses spezielle auf Druck basierende Vertriebssystem geändert wird. Es ähnelt stark dem Prinzip von Strukturvertrieben und keinesfalls von seriösen Banken. Realistische Ziele sind erforderlich. Realistisch sind Ziele, die das Ergebnis einer fairen Aushandlung zwischen Bankberater und Vertriebsführung sind. Das bedeutet unter anderem auch, dass regionale Marktbedingungen und aktuelle Entwicklungen gleichberechtigt in die Zielfindung einbezogen werden. Erforderlich sind Ziele, die auf diese Weise tatsächlich individuell vereinbart werden.

Variable Vergütungsmodelle verschärfen den Druck zusätzlich

Viele Banken wollen jedoch zurzeit das auf Druck von oben basierende System weiterentwickeln. So soll in zunehmendem-Maße das Gehalt in Abhängigkeit zur Zielerfüllung gebracht werden. Dieser unter dem Begriff "individuelle Leistungsvergütung" angestrebte Weg ist aber in Wahrheit ein Irrweg, weil diese Form der variablen Vergütung, die das Tarifgehalt bei Nichterfüllung der Zielvorgaben absenken soll, den Interessenkonflikt zwischen Zielerfüllung einerseits und Kundeninteresse anderseits noch verschärfen und die psychischen Belastungen der Berater/innen ins Unerträgliche treiben würde.

Dringend erforderlich sind auch deshalb Maßnahmen zum Gesundheitsschutz in den Betrieben, nicht nur für den Vertrieb, sondern auch für die übrigen Bereiche. Wir brauchen faire Arbeitsbedingungen. Das ist nicht nur wichtig für die Beschäftigten, sondern auch für die Kunden.

Der Bank wird es immer einen Gewinn bringen durch motivierte, gesunde Beschäftigte und zufriedene Kunden. Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse belegen dies und werden deshalb immer wichtiger für das Bankgewerbe. Für faire Arbeitsbedingungen und mehr Gesundheitsschutz werden wir notfalls mit den Banken unter anderem in der diesjährigen Tarifrunde streiten.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X