Im Gespräch

"Im Finanzvertrieb ist kein grundsätzliches Umdenken zu erkennen"

Die Ausrichtung des Bankenvertriebs auf den Produktverkauf hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschärft, so Uwe Foullong. Und in seinen Augen müssen die Angestellten in den Filialen die negativen Folgen dieser strategischen Entscheidung tragen. Sein Appell an die Banken ist deutlich: Produktbezogene Verkaufsziele sollten abgeschafft, die Beratung tatsächlich auf Kundenbedürfnisse ausgerichtet werden. An die Politik richtet er die Forderung nach Einführung eines Finanzdienstleistungs-TÜV bei der BaFin. Red.

Inwiefern hat sich der Vertrieb von Finanzdienstleistungen in Banken Ihrer Meinung nach während der vergangenen zehn Jahre verändert?

Die Entwicklung des Finanzvertriebs in den vergangenen zehn Jahren hat uns geradezu in die gegenwärtige Krise gebracht. Finanzdienstleister haben in zunehmendem Maße derivative Produkte generiert und unkontrolliert in den Markt gebracht. Das hat ein riesiges Wachstum von Spekulationsgeschäften bewirkt, durch das eine Blase entstanden ist. Als die Blase platzte, hatten sich die Derivate vollkommen von der realen Wirtschaft gelöst. Ursache hierfür waren zunehmend weniger stark regulierte Märkte und ständig neue spekulative Produkte. Von den Regierungen wurde diese Entwicklung jahrelang nicht nur toleriert, sondern sogar gefördert.

Nun verkünden Staatschefs wie Barack Obama, Angela Merkel und Nicolas Sar kozy, dass man aus dieser Krise lernen und Konsequenzen ziehen müsse. Doch Resultate hieraus sind bisher nicht erkennbar. Verdi wird jedoch damit fortfahren, an die Verantwortung der Politik zu appellieren. Innerhalb der neuen Regierungsfraktion wirken verschiedene Kräfte: Unter ihnen sind nicht wenige, die ein Mehr an Staat generell ablehnen. Diejenigen Politiker, die einen starken Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte als notwenig erachten, können sich derzeit nicht durchsetzen.

Wie stark haben sich in der Krise die Arbeitsbedingungen in den Banken verändert? Wo sehen die Gewerkschaften konkreten und akuten Handlungsbedarf?

Der Ausbruch der Finanzkrise hat die Arbeitsbedingungen stark geprägt. Viele Gespräche mussten mit aufgebrachten und verärgerten Kunden geführt werden, die teilweise einen enormen Erklärungsbedarf hatten. Für die Filialmitarbeiter war es ein schwieriger und harter Job, für Beruhigung zu sorgen, während sie sich selbst von den persönlichen Schicksalen der Menschen berührt fühlten.

Die Bankangestellten haben damit letztendlich eine Suppe ausgelöffelt, die die Vorstände ihnen durch die Ausrichtung des Bankvertriebs auf den Produktverkauf eingebrockt haben. Selbstverständlich hat diese Tendenz in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen. Kundenberater in den Banken sind vermehrt unter Druck gesetzt worden, ihre Ziele im Vertrieb zu erreichen. Dadurch gerieten sie in eine Zwickmühle. Sie haben das Interesse, den Kunden nach seinem Bedarf zu beraten, kollidieren dabei aber mit den von ihrem Arbeitgeber gesetzten Zielen. In diesem Umfeld sind tatsächlich auch Beratungsgespräche geführt worden, die nicht dem Kundeninteresse folgten. Hat die Finanzkrise zu einem Umdenken im Finanzvertrieb geführt?

Kleinere Anhaltspunkte sind erkennbar, dass einige Vorständen das Nachdenken begonnen haben. Dennoch ist in der Breite kein Umdenken im Finanzvertrieb festzustellen. Es existieren nach wie vor dieselben Systeme. Zudem werden Kundenberater unverändert an produktbezogenen Verkaufszielen gemessen. Ihnen drohen rigide Kontrollmaßnahmen und ein hoher psychischer Druck, wenn sie diese Ziele nicht erreichen. Obwohl bekannt ist, dass die Kunden derzeit zurückhaltender geworden sind und weniger Geschäfte abschließen möchten, hat man diese Ziele auch nicht wesentlich reduziert.

Um bei den Kunden wieder Vertrauen herzustellen, müssen die Banken dieses Vertriebssystem verändern. Wenn die Finanzdienstleister mit ihrer Aussage ernst genommen werden wollen, dass sie eine service- und kundenorientierte Geschäftspolitik betreiben, dann müssen sie im Interesse des Kunden beraten. Solch eine Beratung kann aber nicht nach vorab festgelegten Vertriebszielen funktionieren.

Dem DSGV haben Sie bereits mehrfach die Kooperation in einer gemeinsamen "Zukunftswerkstatt" angeboten. Welche Innovationen im Finanzvertrieb sind aus Ihrer Sicht denkbar und wünschenswert?

Wir sind in ständigen Gesprächen mit dem DSGV. Wir warnen den S -Finanzverbund davor, seine im Sommer 2009 for mulierte Geschäftsstrategie umzusetzen. Diese ist ein Abklatsch der Strategien privater Banken: Produktbezogene Vorgaben werden dazu führen, dass Beratungs gespräche teilweise nicht mehr am Kundeninteresse ausgerichtet sind. Eine Kultur von Drückerkolonnen hat sich im priva ten Bankgewerbe zunehmend durchgesetzt, doch diesem Vorbild sollte der DSGV nicht nacheifern.

Wenn Banken und Sparkassen den Kundenbedarf ernst nehmen, dann werden sie dazu in der Lage sein, neue Produkte beziehungsweise Dienstleistungen zu entwickeln. Dazu brauchen sie aber Berater, die tatsächlich die Zeit haben, den Kunden zuzuhören.

Bleibt den Sparkassen überhaupt eine Alternative zu ihrer neuen Strategie? Auch ein öffentlichrechtliches Unternehmen muss wirtschaftlich arbeiten.

Aus unserer Sicht ist völlig klar, dass Unternehmen Gewinne machen müssen, um Innovationen zu finanzieren und Investitionen tätigen zu können. Das gilt auch für Unternehmen, die dem gemeinwohlorientierten Prinzip unterliegen. Die Sparkassen lagen in den vergangenen Jahren ebenso wie die Genossenschaftsbanken im Durchschnitt konstant bei einer Eigenkapitalrentabilität zwischen acht und zehn Prozent. Insofern haben sie sich als wettbewerbsfähige und starke Unternehmen dargestellt. Sie haben kein Ertrags- oder Gewinnproblem.

Sicherlich gilt: Wer 15 Prozent Eigenkapitalrendite erreichen möchte und zehn Prozent erreicht, der stellt fest, dass ihm fünf Prozent fehlen. Betrachtet man aber den Wert von zehn Prozent unvoreingenommen, dann erkennt man einen ordentlichen Ertrag - und jedenfalls keine Kapitalvernichtung. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass vom DSGV das Ziel einer Eigenkapitalrentabilität von 15 Prozent zurückgenommen wurde. Bisher ist ein solcher Schritt als einziges von den Spar kassen wahrnehmbar, die privaten Banken sind hiervon noch weit entfernt.

In der Finanzkrise ist zudem deutlich geworden, dass die Sparkassen aufgrund ihres Geschäftsmodells und ihrer öffentlichrechtlichen Verfassung eine Säule der Stabilität sind. Daher sollten alle Diskussionen um eine Privatisierung nun ein Ende haben. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung ist angekommen, dass wir einen starken öffentlichen Bankensektor brauchen. Die Sparkassen könnten diese Stärke durchaus deutlicher am Markt darstellen.

Sie bescheinigen dem privaten Bankgewerbe, es habe sich hier eine Kultur von Drückerkolonnen ausgebreitet. Wie sehen Sie die drei Bankengruppen insgesamt positioniert?

Diese Kultur ist in ihrer extremen Form in den privaten Banken realisiert. In den ver gangenen sieben bis acht Jahren haben sich die Informationstechnologie und Datenverwertung stark weiterentwickelt. Dadurch konnten Control-ling-Instrumente immer weiter verfeinert werden. Auch das ist ein Grund dafür, dass Zielvorgaben immer stärker von ganzen Teams bis auf Einzelpersonen herunter gebrochen werden konnten.

Die öffentlich-rechtlichen Institute gehen in dieselbe Richtung wie die privaten Banken. Ihre Geschäftspolitik ist dahingehend aber längst noch nicht so ausgefeilt. Das wird sich mit der im Sommer 2009 neu formulierten Geschäftsstrategie aber ändern.

Bei den Genossenschaftsbanken besteht ebenfalls die große Sorge, dass sie sich in eine ähnliche Richtung bewegen. Denn diese Banken haben in den Tarifver handlungen der letzten Jahre massiv Wert darauf gelegt, zu einer variablen Vergütung zu kommen. Sie haben in den Tarifverhandlungen mit Verdi keinen Kompromiss mehr angestrebt, stattdessen wurde ein Tarifvertrag mit einem kleinen Verband abgeschlossen. Darin ist enthalten, dass den Mitarbeitern nahezu zwei Monatsgehälter pro Jahr, also bis zu 14 Prozent eines Jahresgehaltes gestrichen werden können, wenn sie ihre Verkaufsziele nicht erreichen. Diese Ziele werden aber vom Arbeitgeber einseitig festgelegt. Das zeigt, dass auch die Genossenschaftsbanken beabsichtigen, mit Verkaufsvorgaben Vertriebssteuerung zu betreiben.

Um Rechtssicherheit zu gewährleisten, ist der Bankvertrieb stark technisiert. Die Berater arbeiten oft nur noch vorgegebene Schritte in einem technischen System ab. Wie fühlen sie sich damit?

Viele Berater fühlen sich durch diese Entwicklung gegängelt. Vom Verbraucherschutzministerium wurde angeregt, vorhandene Dokumentationspflichten auszubauen. Das entsprach jedoch mehr einem hektischen Aktionismus der alten schwarzroten Bundesregierung als einer Problemlösung. Denn die erweiterte Dokumentation führt nicht zu dem gewünschten Effekt. Statt einem Mehr an Sicherheit entsteht dadurch nur mehr Bürokratie. Diese könnte zurückgefahren werden, wenn man einen Finanz-TÜV als Fundament für Transparenz einsetzt.

Halten Sie eine variabilisierte Vergütung generell für schädlich?

Denkbar wäre doch ein tarifliches Gehalt, das 100 Prozent ausmacht. Hervorragende Vertriebsleistungen könnten darüber hinaus zusätzlich belohnt werden. Wer aber einen drastischen Teil der Entlohnung im Sinne eines Malus-Modells zur Disposition stellen will, der setzt seine Beschäftigten unter Druck. Dazu kommt, dass die Bank in die Versuchung gerät, über die Vorgabe unerreichbarer Ziele ihre Personalkosten zu steuern.

Das geht dann aber auf Kosten der Beschäftigten und ist daher - in dieser Dimension - nicht akzeptabel.

Variabilität ist nicht per se schlecht, aber sie muss sich in einem positiven Rahmen bewegen. Dazu gehört insbesondere, dass Vertriebsziele nicht als Produktmengenziele definiert werden, sondern entsprechend dem Kundeninteresse ausgestaltet werden.

Von verschiedenen Seiten im Markt wird in einer Petition die vollständige Abschaffung von Provisionen im Bankvertrieb gefordert. Würde es die Arbeit der Bankberater erleichtern, wenn Honorarberatung von den Kunden stärker akzeptiert würde?

In dieser Diskussion wird so vieles vermischt. Die Beschäftigten in den Banken erhalten gar keine Provisionen. Bei Bankangestellten macht die variable Vergütung, die auf Erfolgen im Vertrieb beruht, nur einen sehr geringen Teil der Vergütung aus, das sind etwa ein halbes bis ein ganzes Gehalt. In diesem Rahmen ist die variable Vergütung auch nicht als Anreiz zu verstehen, dem Kunden ein falsches Produkt zu verkaufen.

Grundsätzlich ist es durchaus wünschenswert, wenn Marktteilnehmer das Modell der Honorarberatung ausprobieren. Sicherlich gibt es auch Kundengruppen, die diese akzeptieren. Ob das jedoch auf einer breiten Basis der Fall sein wird und wie dieses Modell in Banken sinnvoll umgesetzt werden kann, bleibt bisher fraglich. Den Ausgang dieser Experimente muss man sich genauer ansehen. Letztendlich zielt Honorarberatung darauf ab, Beratung im Kundeninteresse zu leisten, ohne einen Produktverkauf zu forcieren. Um das zu erreichen, müssten die Banken vor allem ihre produktbezogenen Verkaufsziele abschaffen.

Sie fordern die Einrichtung eines Finanz-TÜV, bei dem Sie die BaFin in der Pflicht sehen, geplante Finanzprodukte zu prüfen, bevor sie in den Handel kommen. Damit soll dann auch eine Einstufung der Papiere in Risikoklassen vorgenommen werden. Wie kann diese Art der Aufsicht konkret ausgestaltet werden?

Ein Finanzdienstleistungs-TÜV sollte eingerichtet werden, um Transparenz in eine Vielzahl von vollkommen unübersichtlichen Bankprodukten zu bringen. Verschiedene Angebote der Finanzdienstleister sind heutzutage so kompliziert, dass sogar die Beschäftigten sie teilweise nicht komplett durchdringen können. Trotzdem werden sie dazu angehalten, diese Produkte zu verkaufen.

Ein Produktinformationsblatt von einer unabhängigen Stelle wie der BaFin, das auch eine Risikoklassifizierung enthält, könnte hier Abhilfe schaffen. Momentan handhaben alle Banken ihre Klassifizierung unterschiedlich, es ist keinerlei Objektivität gegeben.

Was soll ein solcher Finanz-TÜV realistischerweise kosten und wer soll ihn bezahlen?

Bisher haben wir keine Kostenkalkula tion erstellt oder intensive Gedanken an die Finanzierung verwendet. Das Prinzip der Bankenaufsicht ist es doch, dass diese zumindest teilweise vom Finanzdienstleistungssektor finanziert wird. Aus den geprüften Produkten werden schließlich auch Gewinne generiert. Ein anderer Teil der Kosten könnte durchaus vom Steuerzahler gedeckt werden. Solch eine Mischfinanzierung wäre sicherlich auch beim Finanz-TÜV durchaus angemessen.

Wer müsste haften, in dem Fall, dass eine als unbedenklich eingestufte Anlage doch nicht die passende war beziehungsweise zu Verlusten geführt hat?

Es können ja nicht alle Angebote als "unbedenklich" etikettiert werden. Manche Produkte sind eben von Marktentwicklungen abhängig und das muss dann auch kenntlich gemacht werden. Wenn Produkte geprüft wurden und eine Klassifizierung im Produktinformationsblatt ausgedrückt wurde, dann bleibt immer noch die Frage, wie diese im Kundengespräch angewendet wird. Entweder entspricht die Empfehlung des Instituts einer guten Problemlösung für den Kunden oder eben nicht. Es bleibt also bei der unternehmerischen Verantwortung des Finanzdienstleistungsinstitutes.

Sie haben ausführlich dargestellt, welche Schritte in Ihren Augen zu einer verbesserten Regulierung des Finanzvertriebs beitragen würden. Welche Maßnahmen erwarten Sie tatsächlich vom Gesetzgeber?

In den politischen Parteien wird viel geredet, aber wenig getan. Die Bundesregierung hat gar kein allzu großes Interesse daran, alles so umzusetzen wie es im Wahlkampf konstatiert wurde. Vor der Wahl waren sich alle Beteiligten darüber einig, dass sich die gemachten Fehler nicht wiederholen dürfen. Von verschärfter Regulierung war auf allen politischen Seiten die Rede. Lediglich die FDP hielt sich diesbezüglich bereits im Wahlkampf ein wenig zurück. Zum Verbraucherschutz haben sich die Liberalen aber ebenfalls sehr positiv geäußert. Dementsprechend enttäuschend ist es nun zu sehen, dass in dieser Richtung wenig Konkretes in Vorbereitung ist. Wir werden die Politik aber weiter fordern und herausfordern.

Im Sommer wurde das beabsichtigte Gesetz zur Umsatzsteuerbefreiung von Bank- und Versicherungsdienstleistungen durch die Fraktionen von CDU und SPD vom Tisch genommen. Welchen Impuls erwarten Sie in dieser Sache von der neuen Regierung?

Im Sommer wurde das Thema zurückgestellt mit dem Hinweis, dass es damit aber nicht aufgehoben sei, sondern nur verschoben. Wir werden uns wahrscheinlich bald wieder damit auseinander setzen müssen.

Wir halten diese Umsatzsteuerbefreiung für falsch, denn sie ist ein Treiber für Ausgründungen, die in der Regel mit Lohndumping verbunden sind. In der Vergangenheit sind neue Unternehmen meist ohne Tarifbindung ausgegründet worden. Damit verbunden waren niedrigere Löhne für die Arbeitnehmer, längere Arbeitszeiten, weniger Urlaub et cetera. Mit einer Umsatzsteuerbefreiung würde man dieses Vorgehen weiter befeuern.

Hier stellt sich außerdem die Frage der Steuergerechtigkeit. Warum sollte man gerade dem Kreditsektor ein Steuerprivileg einrichten? Das ist gar nicht nachvollziehbar. Zu befürchten ist ein solches Vorgehen aber, denn man hat jetzt gerade bei den Hoteliers angefangen, Klientelpolitik zu machen. Diese führt jedoch lediglich zu Gewinnsteigerungen und nicht zu Preissenkungen für die Kunden.

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