Verbraucherschutz

Wie verändern neueste Urteile und Beschlüsse den Vertrieb?

"Das Leitbild des , unmündigen Verbrauchers' ist realitätsfern"

Von Claus Friedrich Holtmann, Geschäftsführender Präsident des Ostdeutschen Sparkassenverbandes, Berlin - Rechtliche Vorgaben haben zu jeder Zeit den Vertrieb von Banken und Sparkassen beeinflusst. Die letzte große Änderung, die nicht nur Bankkaufleuten in Erinnerung geblieben ist, war die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Harmonisierung der Finanzmärkte im europäischen Binnenmarkt, kurz MiFID.

Bereits 2002 war es dabei das Ziel, bestehende nationale Regelungen zur Erbringung von Finanzdienstleistungen um weitreichende Bestimmungen zum Anlegerschutz und zur verbesserten Transparenz der Finanzmärkte zu ergänzen. Deren Umsetzung hat sowohl finanziell als auch personell und zeitlich erhebliche Ressourcen gefordert.

Sparkassen sehen solche Regulierungen im Regelfall mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Auf der einen Seite sind Kundennähe, Seriosität, Vertrauen und Stabilität seit 200 Jahren ihr Markenzeichen. Dieses stellen sie auch ohne zusätzliche Eingriffe des Gesetzgebers her, denn seit jeher wissen sie, dass Geschäftspolitik gegen den Verbraucher nicht dauerhaft funktionieren kann. Wer sich über den Tisch gezogen fühlt, wird niemals ein guter und vor allem kein treuer Kunde.

Andererseits sind Sparkassen fraglos verpflichtet, jede neue gesetzliche Regelung in ihre betrieblichen und vertrieblichen Prozesse zu integrieren, und das bedeutet immer Mehraufwand.

In Reaktion auf die Finanzmarktkrise hat der Gesetzgeber neue aufsichtsrechtliche Vorschriften erlassen. Mit oder ohne diese ist festzuhalten, dass die nachhaltige, ehrliche, genau auf die Bedürfnisse der Kunden ausgerichtete Beratung das Fundament des kreditwirtschaftlichen Erfolges bleibt. In diesem Zusammenhang durchgeführte Testkäufe bei Sparkassen bestätigen dann auch erfreulicherweise, dass die Beratungsqualität bei ihnen in den letzten Jahren weiter verbessert wurde. Das ist ebenfalls die materielle Basis für die hervorragenden Umfrageergebnisse des Sommers 2009, nach denen Sparkassen kurz hinter dem Bundespräsidenten und weit vor dem Wettbewerb ein großes Maß an Vertrauen in der Bevölkerung genießen.

Lockzinsangebote sind nicht mehr möglich

Dennoch sind die neuen gesetzlichen Vorhaben zu verdauen. Als Beispiele seien hier die anstehenden Änderungen bei der Anlageberatung, beim Verbraucherkredit- und im Wettbewerbsrecht genannt. Positiv ist, dass mit der Verbraucherkreditrichtlinie typischen Lockzinsangeboten der Garaus gemacht wird. Diese den Wettbewerb verzerrenden Geschäftspraktiken werden zu Recht unterbunden. Zugleich wird die Verbraucherkreditrichtlinie den Aufwand für Kreditinstitute und deren Kunden erhöhen, der Papierdschungel wird also weiter wachsen.

Im Rahmen der Anlageberatung sind künftig zusätzlich zur einvernehmlichen Dokumentation des Kunden-Risikoprofils Ge-sprächs-Protokolle auszufertigen. Das gibt Kunden und Kreditinstituten die Möglichkeit der nachträglichen Analyse eines jeden Beratungsgesprächs und es erleichtert die Beweisführung im Falle von Streitigkeiten, was zu begrüßen ist.

Streitigkeiten sind im Alltag eher eine Randerscheinung

Andererseits sind solche Streitigkeiten im Alltag glücklicherweise eher eine seltene Randerscheinung. Da diese Regelung nun für jede Anlageberatung gilt, wird sie zunächst den Vertrieb belasten und verkomplizieren. Schließlich muss jeder Vorgang umfangreich schriftlich festgehalten werden, was Zeit erfordert, die für andere Zwecke, etwa den Vertrieb, entfällt.

Umsetzung der neuen Beratungsregeln verschlingt zweistelligen Millionenbetrag

Aus Sicht von Sparkassen setzt das solchen Regelungen oft zugrunde liegende Leitbild eines "unmündigen Verbrauchers" nicht an der Realität an. Sehr viele Kunden haben ohnehin kein Verständnis für bürokratische Vorgänge. Die Sparkassen bleiben angesichts dieser Herausforderungen flexibel und werden so pragmatisch wie möglich darauf reagieren. Ziel ist es dabei, Kunden so wenig wie nötig zusätzlich zu belasten.

Um sowohl den rechtlichen Anforderungen nachzukommen als auch die unweigerlich entstehenden Kosten im Rahmen zu halten - deutschlandweit dürfte die Umsetzung der neuen Beratungsregelungen allein bei den Sparkassen jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag Zusatzkosten verursachen - werden künftig verstärkt Standards wie das Finanz-Konzept oder das S-Com-fort-Depot genutzt.

Daneben setzen Sparkassen in der hochregulierten Welt mehr denn je auf Innovationen. Die Sparkassen-Card-Plus ist ein Beispiel für solch eine Innovation. Dabei handelt es sich um ein aufwandsarmes und langfristig nutzbares Kreditprodukt. Der Kunde muss in diesem Fall das aufwändige Prozedere der Kreditbeantragung nur einmal durchlaufen. Fortan ist er für den vereinbarten und revolvierenden Kreditrahmen frei von Bürokratie.

"Verbraucherorientierung bedarf keiner moralischen Überhöhung"

Von Hans Pfeifer, Vorsitzender des Vorstands des Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverbands e. V., Münster -

Das Wohl des Verbrauchers soll im Vordergrund stehen. Europaweit. Von der Hohen Tatra bis ins Hochsauerland. Ein Ziel, das sich die Europäische Union nicht erst seit gestern auf die Fahne geschrieben hat. Eines der jüngsten Beispiele: die Verbraucherkreditrichtlinie. Im April 2008 vom Europäischen Rat endgültig gebilligt, wurde sie vom Deutschen Bundestag in diesem Sommer mit dem "Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie" in nationales Recht gegossen.

Verbraucher sollen dadurch künftig bessere Informationen bei Kreditverträgen erhalten und vor unseriösen Lockvogelangeboten geschützt werden. Ein Ansatz, den die Volksbanken und Raiffeisenbanken grundsätzlich sehr unterstützen. Für deren Verwirklichung - zumindest bei seriös wirtschaftenden Banken - allerdings keine europaweite Richtlinie und auch kein Bundesgesetz erforderlich gewesen wäre.

Negative Nebenwirkungen überwiegen den Nutzen

Und so überwiegen, wie bei vielen europäischen Initiativen, die negativen Nebenwirkungen den eigentlichen Nutzen. Leider reiht sich diese Verbraucherkreditrichtlinie zudem in eine Reihe von finanzpolitischen Entscheidungen ein, die große grenzübergreifend tätige Banken bevorzugen und kleinere, regional tätige Institute wie die Genossenschaftsbanken, benachteiligen. Grob zusammengefasst sieht das Gesetz im Einzelnen vor, die Informationsmaterialien und Informationspflichten deutlich auszuweiten, die Kündigungsmöglichkeiten bei Kreditverträgen durch den Darlehensgeber einzuschränken und den Verbrauchern eine Kündigung unbefristeter Verträge jederzeit zu ermöglichen. In der Werbung müssen alle Kosten eines Vertrags genannt und an einem realistischen Beispiel exemplifiziert werden.

All das ist für sich nicht zu bemängeln. Wahrheit und Klarheit im Geschäftsverkehr sind wichtig und auch bereits heute weitreichende Praxis. In der beabsichtigten Umsetzung bedeuten diese Regelungen zunächst aber einmal eins: Mehr bürokratischen Aufwand, den im Übrigen die Kunden in vertraulichen Gesprächen mit den Bankberatern oft bemängeln - ein Aufwand der selbst ihnen als Kunden bei der Einhaltung der Pflichten durch die Bank entsteht.

Auf unsere Mitgliedsbanken kommt vor allem durch die umfangreicheren Informationspflichten viel Arbeit zu. Sämtliche einschlägige Formulare und Vertragsbedingungen müssen angepasst werden. Leitfäden für die Mitgliedsbanken wollen entwickelt werden. Hinzu kommen die neu zu schaffenden Vorabinformationen und eine neue allgemeine Informationsbroschüre für Verbraucherkredite. Die hierzu erforderlichen umfangreichen Arbeiten laufen bereits und beschäftigen eine Vielzahl von Mitarbeitern.

Reduzierung auf Zinskonditionen greift zu kurz

Doch nicht nur der bürokratische Mehraufwand greift massiv in den Bankenalltag ein. Volks- und Raiffeisenbanken sind regional tätige Banken. In ihren Märkten kennen sie ihre Kunden. Das ist ihr Vorteil im Wettbewerb. Nähe, Vertrauen und persönliche Beziehungen machen Volks- und Raiffeisenbanken im Wettbewerb stark.

Eine Bank lediglich auf die Sicherstellung einer standardisierten Zinskondition zu reduzieren, greift gerade im Sinne des Verbraucherschutzes viel zu kurz. Es ist sogar ein Eingriff in den Wettbewerb. Denn es verwischt die grundlegenden Unterschiede: Volksbanken und Raiffeisenbanken sind fest verwurzelt in ihrer Region und stehen den Menschen in allen Lebenslagen zur Seite. Andere Kreditgeber haben sich auf wenige Produkte spezialisiert, sind international tätig und vertriebsmäßig damit ständig auf der Durchreise.

Verbraucherorientierung ist für Volksbanken und Raiffeisenbanken nicht erst Ausfluss aus Gesetzgebung. Sie bedarf auch keiner moralischen Überhöhung. Sie ist schlicht strukturbedingt und elementar überlebensnotwendig. Volksbanken und Raiffeisenbanken wenden sich also nicht dem Kunden zu und behandeln ihn fair, weil jede einzelne Bank dies als ihre Strategie festgelegt hätte. Sie tut es, weil ihr - nüchtern betrachtet - gar nichts anderes übrig bleibt, wenn sie überleben will, denn das ist ihr Unternehmenszweck als Kreditgenossenschaft.

Wenn nun bei einem so erheblichen Eingriff in die Kunde-Bank-Beziehung wie bei der Verbraucherkreditrichtlinie strukturell völlig ungleiche Wettbewerber über einen Kamm geschoren werden, schwächt diese Art der Gesetzgebung gerade die von sich aus nachhaltig am Verbraucherwohl - wir würden es Mitgliedernutzen nennen - ausgerichteten Banken.

Benachteiligung von regionalen Banken

Angesichts dessen ist die Frage nach der Auswirkung des "Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie" auf den Vertrieb zu kurz gesprungen. Das Gesetz versucht, dem Verbraucher bei einer Entscheidung mit Standards zu helfen, wo doch eigentlich der Gesamteindruck und die persönliche Beziehung viel wichtiger wären. Die meisten Verbraucher machen Geldgeschäfte mit Menschen, die sie kennen und deren Geschäftsgebaren sie einschätzen können. Wo sie im Übrigen auch nicht damit rechnen müssen, dass ihre Kredite als verbriefte Forderungen weiterverkauft werden.

Insofern benachteiligt die Gesetzgebung kleine und regionale Banken, und sie geht auch an den Bedürfnissen eines Großteils der Bevölkerung in Europa und in Deutschland vorbei. Ein Wettbewerb zwischen regionalen griechischen und dänischen Banken, zwischen Banken in Westfalen und Tirol, im Rheinland und in Schottland ist Theorie. Der Wunsch der Kunden nach Nähe und Regionalität ist die gelebte Praxis.

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