Kundenbindung

Sind Testkäufe ein geeignetes Instrument im Neukundengeschäft?

In zwischenmenschlichen Beziehungen entdecken die Partner im
Zeitablauf kontinuierlich einzelne Facetten der Persönlichkeit des
jeweils anderen Menschen. Dies trifft auch auf die Geschäftsbeziehung
Bankkunde/Berater zu. Durch systematischen Beziehungsaufbau entwickeln
sich persönliche Bindungen, die das Fortbestehen der
Geschäftsbeziehung erklären.1)
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Notwendigkeit der Erstkontaktanalyse
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Am Anfang der Geschäftsbeziehung zwischen einem Bankkunden und einem
Vertreter des Geldinstitutes steht jedoch der Erstkontakt, die erste
Begegnung der Partner, die sich nicht kennen und wahrscheinlich vorher
noch nie gesehen haben. Dieser Erstkontakt folgt meist dem typischen
Ablauf eines Beratungsgesprächs, in der Psychologie Script genannt.2)
Am Ende des ersten Kontaktes reflektieren die Geschäftspartner - Kunde
und Berater - für sich das gemeinsame Gespräch und bewerten es.
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Sie prognostizieren das Erlebte auf zukünftige Gesprächserlebnisse und
treffen eine Entscheidung über Fortführung oder Abbruch der Beziehung.
Entscheiden sich die Partner für ein Aufrechterhalten der Beziehung,
kommt es zu einem zweiten Kontakt, der unter Berücksichtigung des
Erlebten wiederum beurteilt wird. Es folgen erneut Prognose und
Entscheidung.3)
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Für die Beziehung Kunde/Finanzdienstleister gilt jedoch, ebenso wie
für die meisten anderen Anbieter/Nachfrager-Beziehungen, dass die
Entscheidung bezüglich der Fortführung der Geschäftsbeziehung meist
einseitig vom Kunden getroffen wird, weniger häufig vom Anbieter.
Zudem hat der Finanzberater in der Regel das größere Interesse an der
Entstehung und Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung.
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Systematisch angelegte Testkäufe
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Dennoch ist eine Ablehnung des Geschäftskontakts und der damit
verbundene Entschluss, auf einen neuen Kunden zu verzichten, aufseiten
des Anbieters nicht gänzlich auszuschließen, wie anhand des Beispiels
"Kreditantrag" leicht illustriert werden kann. Abbildung 1 stellt den
beschriebenen Entstehungsprozess einer Geschäftsbeziehung grafisch
dar.
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Deutlich wird, dass insbesondere dem Erstkontakt eine entscheidende
Bedeutung zukommt: Wird die erste Abwägung zu Lasten einer
Geschäftsbeziehung gefällt, verlieren alle Überlegungen, Pläne und
Strategien für nachfolgende Begegnungen an Relevanz. Dieser auf den
ersten Blick trivial wirkende Aspekt birgt weit reichende
Implikationen für das Marketing und das Management eines Unternehmens:
Viele strategische und operative Maßnahmen sind auf die Bindung des
Kunden an das Unternehmen und den profitablen Ausbau der
Kundenbeziehung gerichtet. Gerade in der Branche der
Finanzdienstleister spielen Up- beziehungsweise Cross-Selling zur
besseren Ausschöpfung der Kundenpotenziale eine zentrale Rolle.
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Für dieses Ziel und den damit verbundenen Einsatz entsprechender
Instrumente des Bindungsmarketings ist die Entstehung einer auf Dauer
angelegten Kundenbeziehung Voraussetzung. Hierfür unerlässlich ist
aber eine positive Bewertung des Erstkontaktes des Interessenten
bezüglich der Fortführung der Kundenbeziehung. Dieser Tatsache
Rechnung tragend, sind in vielen Kreditinstituten systematisch
angelegte Testkäufe inzwischen fester Bestandteil des operativen
Vertriebscontrollings, das die Basis vielfältiger
Optimierungsmaßnahmen darstellt.
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Die Praxis der Testkäufe in Kreditinstituten
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Mit Hilfe von Testkäufen, die auch unter den Begriffen
"Testberatungen" oder "Mystery Shopping" firmieren, ist es
Geldinstituten möglich, die Beratungsqualität von Erstkontakten in den
Filialen zu messen. Dabei suchen speziell für die Durchführung von
Testkäufen geschulte und auf die jeweils konkrete Aufgabe vorbereitete
Testpersonen das zu bewertende Kreditinstitut auf und lassen sich zu
der ausgewählten Problemstellung (zum Beispiel Baufinanzierung)
beraten.
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Im Anschluss an das Beratungsgespräch wird der Erstkontakt mithilfe
eines umfangreichen Kriterienkatalogs von der Testperson in einem
Gedächtnisprotokoll festgehalten und beurteilt.
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Methodisch gesehen handelt es sich bei dieser Variante der
Marktforschung um eine aktive verdeckte Beobachtung.5)
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Die gewonnenen Daten werden dann anhand festgelegter Dimensionen
ausgewertet und oft zu einem Gesamtindex verrechnet, der die einzelnen
Qualitätselemente des Beratungsgesprächs in einer Zahl aggregiert.
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Bevor die Tester jedoch mit der Datenerhebung beginnen können, ist es
zunächst Aufgabe des Projektteams, die zu beurteilende Qualität der
Beratung zu operationalisieren, das heißt, das nicht direkt messbare
theoretische Konstrukt "Beratungsqualität" messbar zu machen.6)
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Zwei Denkrichtungen
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Dazu werden in der Praxis zwei Denkrichtungen verfolgt:
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1. Prozessorientierte Messung: Zum einen kann die Bewertung von
Beratungsqualität anhand des psychologischen Skripts, also des
Kommunikationsprozesses "Beratungsgespräch", erfolgen. Dabei wird der
gesamte Kommunikationsablauf in einzelne Phasen aufgeteilt und mittels
ausgewählter Kriterien konkretisiert. So beginnt der Beratungsprozess
mit der wechselseitigen Begrüßung der potenziellen Geschäftspartner,
auf die idealerweise ein einleitendes Gespräch folgt, in dem es das
Ziel des Beraters sein sollte, eine angenehme Gesprächsatmosphäre zu
schaffen.
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Daran schließt sich idealtypisch die Analyse des Kundenwunsches an,
nach der eine Präsentation von ausgewählten Problemlösungen
stattfindet. Gefolgt von einer möglichen inhaltlichen Diskussion und
der Bewertung verschiedener Lösungsvarianten endet der
Beratungsprozess meist mit einer Entscheidung bezüglich des
Abschlusses seitens des Kunden und einer Verabschiedung. Im
Vordergrund der Untersuchung steht bei der prozessorientierten Messung
die Bewertung dieser einzelnen Phasen der Beratung.
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2. Kompetenzorientierte Messung: Alternativ kann die Qualität der
Beratung auch anhand von Dimensionen und Indikatoren operationalisiert
werden, die den typischen Ablauf des Beratungsgesprächs überlagern und
eher grundsätzliche Anforderungen an die Kommunikation, das Auftreten
und das Verhalten des Beraters verkörpern. Dabei spielen neben der
Serviceorientierung Fragen der sozialen und fachlichen Fähigkeiten
sowie der Verkaufskompetenz eine Rolle. Die kompetenzorientierte
Messung zielt somit vornehmlich auf die Wünsche und Ansprüche des
Kunden bezüglich übergeordneter Beraterleistungen ab. (Zur Skizzierung
dieses Messansatzes siehe Abbildung 2).
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Neben diesen beiden Formen der Operationalisierung sind in der Praxis
häufig auch Kombinationen anzutreffen, die in jeder Phase des
Beratungsprozesses das Erfüllungsprofil des Beraters hinsichtlich
So-zial-, Fach-, Service- und Verkaufskompetenz überprüfen.
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Der weit verbreiteten Methode der Testkäufe wird öfters
entgegengehalten, dass die Urteile der Testpersonen von der
Wahrnehmung "echter" Kunden abweichen. Ferner besteht in den
Geldinstituten bisweilen Unklarheit darüber, ob Testkäufe den Status
quo der Beratungsqualität ausreichend genau messen. Dabei werden
insbesondere zwei kritische Fragen aufgeworfen:
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1. Haben Testpersonen aufgrund der Durchführung von Tests einen
höheren Wissensstand in Finanzfragen und fällen sie somit strengere
Urteile als "normale" Beratungsinteressenten?
\
2. Gibt es einen Schulungseffekt in der Wahrnehmung der Tester durch
Hintergrundinformationen, die Testpersonen zur Vorbereitung auf eine
Testkaufreihe erhalten? Führt dies dazu, dass Testpersonen einzelne
Aspekte kritischer oder großzügiger bewerten als "echte" Kunden?
\
Zur Beantwortung dieser Fragestellungen wurde von TNS Infratest in
Kooperation mit dem bayerischen Genossenschaftsverband eine
"Spiegelbildbefragung" initiiert, die die Aussagekraft von Testkäufen
überprüfen sollte. Dabei wurden nach der Durchführung von 100
Testberatungen zum Thema Geldanlage 115 "echte" Interessenten befragt,
die sich zur gleichen Problemstellung in den Filialen der getesteten
Institute tatsächlich hatten beraten lassen.
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Transformation
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Um sicherzustellen, dass beide Befragtengruppen die zugrunde liegenden
Kriterien einheitlich aufnahmen und verstanden, wurde das
Gedächtnisprotokoll, das die Tester im Anschluss an die Testberatung
ausfüllten, in einen Fragebogen für "Echt"-Kunden transformiert.
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Dabei erfuhren lediglich Grammatik und Satzbau einige Korrekturen,
während Inhalte und Wortwahl unverändert blieben, so dass die
Vergleichbarkeit zwischen Fragebogen der echten Kunden und
Gedächtnisprotokoll der Testkunden gewährleistet war. Abweichungen
aufgrund unterschiedlicher Frageformulierungen konnten somit
ausgeschlossen werden.
\
Unterschiede im Beurteilungsniveau
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Bei einem Vergleich der Ergebnisse ist zunächst festzustellen, dass
auf der aggregierten Ergebnisebene eines Index die Beratungsqualität
von Testern und realen Kunden sehr ähnlich wahrgenommen wurde. So
liegt bezüglich der vier Dimensionen Serviceorientierung, soziale und
fachliche Kompetenz sowie Verkaufskompetenz bei einem Wertebereich von
null bis 140 Indexpunkten im Mittel eine Abweichung von zehn
Prozent-Punkten vor. Diese Differenz kann als gering bezeichnet
werden. Auffallend ist allerdings, dass die Tester auf aggregierter
Ebene durchweg etwas kritischer urteilten als dies bei den echten
Kunden der Fall war.
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Entscheidend für die Diskussion obiger Fragestellungen ist jedoch der
nahezu parallele Verlauf der Ergebnisprofile. Die Tester nahmen
demnach die Teildimensionen Service-, Sozial-, Fach- und
Verkaufskompetenz in ihrem Verhältnis zueinander ebenso gut oder
schlecht wahr wie die Kunden. Der ermittelte Niveauunterschied hat
über alle Teilaspekte nur eine geringe Streuung. Abbildung 3
verdeutlicht das Ergebnis auf der Ebene des ermittelten Ge-samt-Index
und der Teildimensionen.
\
Auch der Ergebnisvergleich auf Ebene einzelner Items am Beispiel der
Teildimensionen Service- und Sozialkompetenz (Abbildung 4) bestätigt,
dass die Beurteilung durch die Testpersonen der Qualitätswahrnehmung
der Kunden entspricht. Teilweise sind sie sogar deckungsgleich.
Unterschiede zeigen sich wiederum lediglich im Beurteilungsniveau -
nur in Ausnahmefällen gaben Tester ein besseres Urteil ab als echte
Kunden.
\
Die Hypothese, dass Tester durch einen eventuell gewonnenen
Erfahrungsvorsprung strengere Urteile fällen als reale Kunden, kann
somit nicht widerlegt werden. Tatsächlich scheinen Testkunden etwas
strenger zu bewerten. Fraglich ist, ob ein Erfahrungsvorsprung
relevanten Einfluss hat, da auch "echte" Interessenten das dritte oder
vierte Beratungsgespräch zu einer bestimmten Problemstellung (zum
Beispiel Baufinanzierung) anders bewerten als das erste. Jedenfalls
besitzt der Niveauunterschied Tester/Kunde keine Implikationen für die
strategische und operative Analyse der Ergebnisse, da Tester insgesamt
dieselben Stärken und Schwächen identifizieren wie die Kunden.
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Bewerten Testkunden strenger?
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Die zweite Frage, die Verzerrungen durch Schulungseffekte und
Hintergrundinformationen der Tester unterstellt, kann widerlegt
werden. Die Darstellungen haben gezeigt, dass sowohl auf der
aggregierten Index-Ebene als auch bei den Einzelergebnissen
Testpersonen die gleichen Indikatoren als gut oder schlecht einstufen
wie "normale" Interessenten. Ferner beurteilen sie die Qualität bei
einzelnen Aspekten nicht deutlich kritischer oder großzügiger als
Kunden. Man kann bei ausreichend großer Fallzahl demnach davon
ausgehen, dass Testkäufe die Elemente des Kommunikationsprozesses
"Beratungsgespräch" durchaus valide abbilden und bewerten.
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Gerade bei der Gewinnung von Neukunden spielt das erste Gespräch
zwischen Interessent und Berater eine bedeutende Rolle. Um die
Qualität der Erstberatung zu überprüfen und mit Maßnahmen der
Vertriebsoptimierung angemessen reagieren zu können, werden von vielen
Geldinstituten Testkäufe durchgeführt. Ein Vergleich der
Einschätzungen von Testkunden und echten Kunden hat gezeigt, dass der
Verkaufsprozess sowie das damit verbundene Anforderungsprofil an die
Kommunikation und das Verhalten der Berater von Testern und Kunden
nahezu gleich wahrgenommen werden. Die Durchführung von Testberatungen
ist somit ein geeignetes Instrument, den Erstkontakt von Kunde und
Berater wiederzugeben und stellt dadurch ein wichtiges Tool im
Portfolio des Vertriebscontrollings dar.
\
Literaturhinweis:
\
Bruhn (2001), Bruhn, Manfred, Relationship Marketing, München, 2001.
\
Nerdinger (1994), Nerdinger, Friedmann W., Zur Psychologie der
Dienstleistung, Stuttgart, 1994.
\
Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002), Nieschlag, Robert/Dichtl,
Erwin/Hörschgen, Hans, Marketing, 19.Auflage., Berlin, 2002.
\
v. Rosenstiel/Neumann (2002), von Rosenstiel, Lutz/Neumann, Peter,
Marktpsychologie, Darmstadt, 2002.
\
Fußnoten:
\
1) Vgl. Bruhn (2001), Seite 36.
\
2) Vgl. Nerdinger (1994), Seite 109.
\
3) Vgl. Bruhn (2001), Seite 38f.
\
4) Quelle: Bruhn (2001), Seiten 38f.
\
5) Vgl.v.Rosenstiel/Neumann (2002), Seiten 286f.
\
6) Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002), Seiten 394f.
\
7) Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an
Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002), Seite 395.
\
8) Quelle: Eigene Untersuchung, TNS Infratest (2005).

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