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Privatkundengeschäft - Girokonto für Jedermann: Nur eine Atempause

In einem sind sich die deutsche Kreditwirtschaft und die Bundesregierung einig. Einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf auf nationaler Ebene gibt es beim Girokonto für Jedermann derzeit nicht. Das gilt nicht zuletzt mit Blick auf die aktuelle Initiative seitens der EU-Kommission.

Im Detail ist die Branche indessen mit dem Bericht der Bundesregierung durchaus unzufrieden. Denn die Beurteilung des Handlungsbedarfs seitens der Kreditwirtschaft, den die Politik nach wie vor als erheblich einschätzt, hängt nicht zuletzt an der Bewertung der vorliegenden Daten zum Thema. Und eine grundlegende Studie, aus der sich die Zahl der ungewollt kontolosen Verbraucher ablesen ließe, gibt es nicht. Allein die kontinuierlich steigende Anzahl der "Girokonten für jedermann" ist kein Indiz dafür, hat doch die Kreditwirtschaft keine Informationen zu Personen ohne Bankverbindung.

Unklare Datenbasis

Auch alle übrigen Versuche, sich dem Thema anzunähern, sind fragwürdig. So lässt etwa der vergleichsweise hohe Anteil der Kontolosen unter denjenigen Verbrauchern, die sich an die Schuldnerberatungsstellen wenden, kein verlässlicher Wert für die Gesamtbevölkerung ableiten, ebenso wie die Hochrechnung der gerade einmal 1 100 Telefoninterviews für die Studie der EU-Kommission auf die gesamte Bevölkerung nicht wirklich überzeugt. Mag die im hohen sechsstelligen Bereich liegende Zahl der Kontolosen, von der die Bundesregierung ausgeht vielleicht zu hoch sein, scheint der Näherungsvorschlag der deutschen Kreditwirtschaft zu gering: Sie kommt auf 2 500 Zahlungsempfänger der Bundesagentur für Arbeit, die Barleistungen kostenfrei ausgezahlt erhalten, was nur gegen den Nachweis möglich ist, dass den Betroffenen die Eröffnung eines Girokontos verweigert wurde. Die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen, wobei die Kreditwirtschaft zweifellos zu Recht zu bedenken gibt, dass es durchaus auch Menschen gibt, die ganz bewusst auf ein Girokonto verzichten, um beispielsweise eine Pfändung zu vermeiden. Auch Menschen, die sich ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt entziehen wollen, soll es geben.

Einig gegen Kontrahierungszwang

Bei der Frage, wie die Situation verbessert werden kann, erhalten die Banken Schützenhilfe durch Prof. Dr. Mathias Casper vom Institut für Unternehmens- und Kapitalmarktrecht der Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster. In seiner Stellungnahme zum Thema rät er etwa davon ab, einen möglichen Kontrahierungszwang einseitig zulasten der Sparkassen festzuschreiben - eine Einschätzung, der sich die Politik anschließt. Eine einseitige Verpflichtung einzelner Institute (zum Beispiel Sparkassen) könne dazu führen, dass Privatbanken einseitig zulasten öffentlichrechtlicher Geldinstitute kostenträchtige, wenig lukrative Kunden abwälzten und sich so einen durch nichts zu rechtfertigenden Wettbewerbsvorteil verschafften, heißt es in der Bundestagsdrucksache 17/8312.

Auch gegen die Erwägungen der EU-Kommission, das Basiskonto automatisch auch mit einer Karte zum elektronischen Bezahlen auszustatten, wendet sich das Gutachten. Infrage kämen hier am ehesten Prepaidkarten oder spezielle Kundenkarten, die in der Autorisierung zwingend eine Abfrage der Kontodeckung vorsehen. Es sei aber nicht angemessen, Banken, die solche Karten derzeit nicht anbieten, zu deren Ausgabe zu verpflichten.

Auch die Erwägung der EU-Kommission, das Basiskonto "zu angemessenen Konditionen" oder besser noch gratis anzubieten, hält Casper für nicht ganz so einfach. Denn anders als beim gebührenfreien Girokonto ist beim Basiskonto die Quersubventionierung durch andere Geschäfte im Rahmen der Kundenbedingung eher unwahrscheinlich. Gratis muss das Basiskonto deshalb nicht sein, auch wenn eine Bank ansonsten keine Kontoführungsgebühr erhebt. Sein Vorschlag: Die Kreditwirtschaft möge sich auf eine einheitliche Pauschalgebühr einigen - die durchaus über dem durchschnittlichen Preis für das Standardgirokonto liegen könnte. Das würde einen Ansturm auf diejenigen Banken mit dem günstigsten Zahlungsverkehr ausschließen, durch den letztlich gutes Wirtschaften und eine niedrige Kostenstruktur bestraft würde. Ob dieses Modell bei der EU-Kommission auf Gegenliebe stoßen würde, ist aber ver mutlich fraglich.

Das Abwarten der Initiative aus Brüssel ist somit sicher richtig. Niemandem wäre damit gedient, wenn die deutsche Politik im nationalen Alleingang Regelungen schaffen würde, die dann wieder zu revidieren wären. Damit eine Brüsseler Regulierung vermieden wird, die ohne Not und mit möglicherweise wettbewerbsverzerrenden Folgen in den Markt eingreift, ist aber vermutlich noch manches Engagement seitens der Politik wie auch der Branchenvertreter erforderlich. Mehr als eine Atempause gibt es derzeit nicht. Red.

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