Im Gespräch

"Nicht nur Spezialinstitute können den Markt aufmischen"

Herr Kassow, nach Stationen bei der Deutschen Bank und der Comdirect sind Sie nun seit gut drei Jahren Vorstand der Commerzbank. Was ist der wesentliche Unterschied zwischen der Commerzbank des Jahres 2008 und der Commerzbank des Jahres 2003?

Die Commerzbank von heute denkt viel stärker als eine gestaltende Kraft. Vor fünf Jahren war sie zwar eine der großen Universalbanken, aber nur eine von mehreren. Heute ist sie eines von zwei unabhängigen Instituten. Damit verbunden sind ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten und eine ganz andere Rolle. Wir können und wollen gerade auch im Privatkundengeschäft verstärkt First Mover sein und trauen uns etwas zu.

Sie sprachen von nur noch zwei unabhängigen Universalbanken, spüren Sie auch im Wettbewerb ein verändertes Konkurrenzbild? Sind Dresdner Bank und Hypovereinsbank weniger wahrnehmbar?

Ich nehme die Dresdner Bank und die Hypovereinsbank als Wettbewerber ernst, aber sie sind nicht unsere Hauptkonkurrenten. Die Commerzbank hat den Schalter von Bestandswahrung umgelegt auf Wachstum, und der Großteil der Kunden, die wir gewinnen, kommt nicht von diesen beiden Häusern. Hoflieferanten sind klar die großen Verbünde. Darauf ist unsere Strategie ausgerichtet. Wir müssen Strategien entwickeln, um in den jeweiligen regionalen Märkten gegenüber dem Platzhirsch noch attraktiver zu werden. Betrachtet man allein die Großbanken, redet man nur über 25 Prozent Marktanteil.

Das erinnert ein wenig an die früheren Regionaldirektionen.

Ja, mit einem Unterschied: Früher waren die Regionaldirektionen vollständige Vertriebs- und Betriebseinheiten an einem Standort. Die ganzen Betriebsaufgaben wie Buchhaltung, Zahlungsverkehr und ähnliches sind aber inzwischen zentra lisiert worden. Erhalten geblieben ist die Beratungskompetenz vor Ort. Deshalb haben diese Standorte immer noch eine große Wertigkeit. Denn für die Großbanken ist es wichtig, in solchen Städten und Regionen ein Gegengewicht zu den öffentlich-rechtlichen Banken stellen zu können.

Bleibt der erfolgreiche Vertreter der Commerzbank dafür denn lange genug vor Ort, bevor er in die Zentrale befördert wird?

Natürlich ist die Fluktuation größer als in einem regional aufgestellten Institut. Aber sie hat auch etwas Gutes, denn so kommen neue Ideen und Akzente in die Niederlassungen. Das erhöht die Agilität.

Blick nach vorne, wo sehen Sie die Herausforderungen für die Commerzbank im Retailbanking?

Sicherlich in der Stärkung unseres organischen Wachstums. Die Kundenzahl ist in den vergangenen zwölf Monaten von 5,0 Millionen auf 5,4 Millionen gestiegen. Ziel bis 2009 sind 5,8 Millionen Euro. Wir haben also heute schon die Hälfte des Weges hinter uns. Das zeigt, dass nicht nur Spezialinstitute den Markt aufmischen können. Dieses Tempo müssen wir beibehalten und dabei auch weiterhin zentrale Themen besetzen: So sind wir beim kostenlosen Girokonto sehr gut positioniert. Beim Thema Samstagsöffnung bleiben wir am Ball.

Meine Aufgabe als Vorstand für dieses Geschäftsfeld sehe ich aber auch darin, das klassische Problem des Privatkundengeschäfts aller Großbanken zu verhindern. Nämlich alle drei bis vier Jahre ein Kostenproblem zu haben und dann als Geschäftsbereich zur Disposition zu stehen.

Wir brauchen Nachhaltigkeit. Das geht nicht, wenn wir mit Bestandswahrung zufrieden sind. Denn dann bleiben wir potenzielles Opfer der Ertrags-Kosten-Schere.

Wir wollen und werden weiter angreifen und damit auch kalkulierte höhere Risiken eingehen.

Diese Strategie beinhaltet natürlich, dass wir uns auch in Zukunft stets weiter nach externen Verstärkungen für dieses strategisch wichtige Geschäftsfeld umschauen werden.

Durch den Verzicht auf Kontoführungsgebühren haben Sie aber auch schöne, stabile Bestandserträge eingebüßt. Hat sich das gelohnt?

Ja, denn wir sind schneller gewachsen als die Bestandserträge gesunken sind. Wussten wir das vor zwölf Monaten? Nein, aber wir haben hart dafür gearbeitet.

Wo gewinnt der Konzern die Kunden?

Derzeit gewinnen wir unsere Neukunden je zur Hälfte über die Comdirect und über die Commerzbank. Ab wann spüren Sie die vielen Neukunden im Ergebnis?

Im Grunde genommen sofort. Für 2007 wird die Bilanz noch neutral bis leicht positiv ausfallen, da den Erträgen der Neukunden die Akquisitionskosten gegenüberstehen. In den Folgejahren erwarten wir eine sukzessive Steigerung der Ergebnisbeiträge unserer Neukunden mindestens auf das Niveau der Bestandskunden.

Wie erfolgreich ist das Cross-Selling? Hierzu ein paar Zahlen: 90 Prozent der Kunden, die ein kostenloses Girokonto abgeschlossen haben, würden uns sofort

weiterempfehlen, 75 Prozent nutzen uns als Hausbank ohne weitere Girokontobankverbindung und 35 Prozent schließen gleich mit Kontoeröffnung ein weiteres Produkt ab. Das heißt, die initiale Cross-Sel-ling-Rate liegt bei 1,4. Nach drei bis sechs Monaten steigt sie auf rund 1,6.

Wir schätzen, dass wir die Akquisitionskosten in einbis eineinhalb Jahren wieder reingeholt haben - bei Kunden, die erfahrungsgemäß im Schnitt sieben Jahren bei einer Bank bleiben. Stichwort Samstagsöffnung: Eine Option für die Zukunft?

Ja, die Branche wird an diesem Thema nicht vorbeikommen. Es ist also nicht die Frage, ob die Samstagsöffnung kommt, sondern wann sie kommt. Dabei gilt es zu bedenken, dass es kein Thema für das Mengengeschäft ist. Samstags wollen die Leute die Möglichkeit zur Anlageberatung wahrnehmen, weniger Kreditberatung oder Kontoeröffnung. Es geht also primär um das obere Drittel des Marktes.

Die Commerzbank hat dieses Thema als erste besetzt, wie geht es weiter?

Die Samstagsöffnung ist eine Möglichkeit, die Bank als innovativ, als kunden- und dienstleistungsorientiert darzustellen. Es geht aber auch um Arbeits- und Öffnungszeiten, das ist Kern der Mitbestimmung und zwar nicht auf Unternehmens-, sondern sogar auf Betriebsebene.

Hier gibt es zwei Hürden: Zum einen wird in der Region natürlich jede Betriebsratsentscheidung von den Arbeitnehmervertretern der anderen ansässigen Banken sehr genau beobachtet. Zum anderen sieht der derzeitige Tarifvertrag vor, dass eine Öffnung möglich ist, wenn ein Konkurrent auch öffnet.

Nun muss abgewogen werden: Aus kaufmännischer Sicht ist die Frage, verdient die Bank dadurch mehr? Die Antwort ist unseren Erfahrungen nach eindeutig ja. Aus Sicht der Arbeitnehmervertretung heißt es, sichert das Wachstum und damit Arbeitsplätze? Auch da kann ich aus meiner Sicht sagen - ja. Wir haben allein in den vergangenen Monaten vierhundert neue Mitarbeiter insbesondere im Vertrieb eingestellt und suchen weitere dreihundert.

Man muss sich immer wieder fragen, sind wir als Bank noch zeitgemäß und passen unsere Gewohnheiten noch? Oder ist es an der Zeit, mit der einen oder anderen zu brechen? Dazu finden Gespräche statt. Honoriert der Kunde Innovationen?

Ja, vom Kunden bekommen Sie immer honoriert, wenn Sie sich bewegen. Selbst wenn nicht alles auf Anhieb klappt, nimmt der Verbraucher wahr, dass man etwas Neues versucht.

Die Commerzbank hat den Anspruch "beste Bank" sein zu wollen: Was können Sie Ihren Kunden besseres bieten als der Wettbewerb?

Man muss differenzieren: Leistungen des täglichen Bedarfs im Bankgeschäft sind ein reines Preisthema geworden. Da die Commerzbank keine Boutique ist, bei der das Einkaufserlebnis höhere Preise rechtfertigt, müssen wir uns diesem Thema bei Dingen wie dem Girokonto oder auf der Einlagenseite stellen und haben das aus meiner Sicht gut gemacht. Bei Commodity-Produkten sind wir preisaggressiv und wettbewerbsfähig.

Zweitens Mehrwert-Dienstleistungen: Überall dort, wo inhaltliche Unterschiede bestehen, müssen wir uns über die Leistungs- und Produktbreite vom Wettbewerb abheben. Bei Anlage- und Vorsorgeberatung sowie der Immobilienfinanzierung ist "Lösungskompetenz" das Stichwort. Mit der Tüv-geprüften Fondsarchitektur beispielsweise haben wir uns klar der Offenheit verpflichtet, viel stärker und nachhaltiger als andere. Oder das Thema Derivate auch hier setzt die Commerzbank ein klares Qualitätssignal.

Der dritte Punkt, mit dem wir uns von der Konkurrenz abheben wollen, ist die Servicebereitschaft. Die Samstagsöffnung ist hier zu nennen, aber auch die derzeit laufende vollständige Erneuerung unseres Filialnetzes bei der SB-Ausstattung. Bei diesem Thema sind wir gut unterwegs, aber noch lange nicht am Ziel.

Geschäftsmodell, Preis, Vertrieb, Marke - was ist die wichtigste Stellschraube im Wettbewerb?

All diese Dinge bedingen sich gegenseitig. Ein Beispiel: Ohne die Marke Commerzbank hätte das kostenlose Girokonto nicht die Strahlkraft. Hier wertet die Marke das Produkt also auf. Andersrum macht eine reine Markenkommunikation ohne entsprechend zugkräftige Produkte keinen Sinn.

Ähnliches gilt für das Vertriebsthema: Über zehn Prozent der Neukunden für die Filialbank kommen heute über die Onlinepräsenz. Entscheidend ist, dass alles konsistent gesteuert wird. Immer mit dem Ziel, im Markt Kunden gewinnen zu wollen.

Wie ist der Stellenwert des Privatkundengeschäfts im Konzern?

Das Privatkundengeschäft ist schon immer eines der Kerngeschäftsfelder der Commerzbank. Da gut die Hälfte all dessen, was im Konzern passiert, über die Gewinn- und Verlustrechnung des Retailsegments läuft, ist die Wertschätzung entsprechend hoch. Von 36 000 Mitarbeitern insgesamt stehen allein 11 000 in der direkten Verantwortung Retail, im Inland ist es gut ein Drittel. Zudem wird die Auslastung des Back-Office zu mehr als 50 Prozent durch das Retailgeschäft dominiert.

Wie viel hängt bei all dem von der Persönlichkeit des verantwortlichen Managers ab?

Es hängt vor allem von der Richtung ab, in die sich ein Konzern bewegt. Wir bewegen und verändern uns und spielen stärker auf Angriff. Das macht vielen Leuten viel Spaß. Nur so können wir die besten Mitarbeiter gewinnen. Nur so können wir die Bank über den Tag hinaus stärker machen.

Warum sollte die Commerzbank die Postbank kaufen? Diese Frage stellt sich uns heute nicht, denn die Postbank steht zurzeit nicht zum

Verkauf. Allerdings schauen wir uns die wenigen Kaufgelegenheiten in Deutschland genau an. Diese müssen einerseits strategisch sinnvoll sein. Und andererseits sind wir nicht bereit, jeden Preis zu zahlen.

Der Geschäftsbereich Privatkunden hat per 30. September mit einem Ergebnis von 334 Millionen Euro schon fast das Soll für das Gesamtjahr von 375 Millionen Euro erfüllt. Bleiben Sie trotzdem bei Ihrer Prognose?

Ja! Ich teile Ihre Einschätzung, dass wir ganz gut unterwegs sind, unser Jahresziel - das immerhin einem Rekordergebnis entspricht - zu erreichen. Allerdings muss man im vierten Quartal schon die Dynamik für das kommende Jahr entwickeln. So investieren wir derzeit beispielsweise viel in Marketing. Das wird man in den Ausgaben auch sehen.

Leidet die Commerzbank auch unter den zinsbedingt geringeren Möglichkeiten zur Fristentransformation?

Ja, aber weniger als andere, da wir keinen Einlagenüberschuss haben, also nicht passivlastig sind. Wir sind durch die Übernahme der Eurohypo vielmehr - für eine Retailbank atypisch - aktivlastig. Das zeigt sich auch in der vergleichsweise niedrigen Eigenkapitalrendite.

Wie ist das Verhältnis von Zins- zu Provisionsüberschuss?

956 Millionen Euro zu 1,2 Milliarden Euro per 30. September. Wir bauen zurzeit unser Kreditbuch ab, weil wir niedrig-rentierliche Kredite aus den Büchern haben wollen und im Neugeschäft fokussiert ankaufen.

Wie setzt sich der Zinsüberschuss zusammen?

Aus drei Komponenten: Zum einen fließt die Differenz aus Kunden- und Marktzins ein, also der klassische Konditionenbeitrag. Dann kommt der Transformationsbeitrag hinzu, der aus der längerfristigen Anlage eines Teils der Einlagen resultiert. Und schließlich noch der sogenannte Anlagenutzen auf das dem Segment zugerechnete Eigenkapital.

Zur Comdirect: Kommt deren neue Filialstrategie dem Mutterhaus wirklich nicht in die Quere?

Nein, das funktioniert völlig reibungslos. Es geht sogar so weit, dass Teile unserer Filialmanager die Comdirect als weitere Möglichkeit für den Kunden sehen und anbieten.

Wer entscheidet bei Konflikten?

Am Ende natürlich der Konzernvorstand. Ober-Bankenaufseher Jochen Sanio hat vor Risiken im Konsumentenkreditgeschäft gewarnt: Wie steuert die Commerzbank das Risiko?

Wir haben ein eigenes Scoringmodell auf Schufa-Basis entwickelt. Größere Ausfälle sind für die Commerzbank kein Thema, im Gegenteil, ich erwarte, dass das Geschäft weiter solide wächst.

Dennoch zwei Anmerkungen: Es ist richtig, sich immer wieder mit dem Thema Konsumentenkreditgeschäft kritisch auseinanderzusetzen. Aber die Zyklizität der Meinungen ist schon beachtlich. Vor kaum zwölf Monaten hieß es noch: Liebe deutsche Banken, passt auf, dass ihr den Anschluss nicht verpasst.

Heute werden wir aufgrund steigender Kreditkartenausfälle in den USA schon wieder gewarnt und gebremst. Auch wenn man mit Blick auf die steigende Zahl der Verbraucherinsolvenzen den deutschen Markt sicherlich etwas kritischer betrachten muss, von amerikanischen Verhältnissen sind wir weit entfernt.

Wie hoch ist das Volumen an Ratenkrediten?

1,1 Milliarden Euro wiederum per 30. September.

Stichwort Restschuldversicherung?

Die Commerzbank ist für faire Kreditberatung von Finanztest ausgezeichnet worden. Meine Überzeugung: Eine Restschuldversicherung ist nicht per se zu verdammen, man darf sie aber auch nicht zwingend machen, da es Kunden gibt, bei denen sie einfach keinen Sinn macht. Das ist von der konkreten Lebens- und Finanzsituation abhängig.

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