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MiFID II und MiFIR - Proportionalität der Regulierung beachten

Die Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) im Jahr 2007 war für die deutsche Kreditwirtschaft insgesamt und speziell die dezentralen Verbünde wie die genossenschaftliche Finanzgruppe ein Kraftakt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum die Richtlinie mit ihrer Vielzahl von anhängenden Bestimmungen jetzt erneut geändert werden muss.

Die Europäische Kommission möchte auf wichtige Veränderungen der Finanzmärkte seit Inkrafttreten der MiFID reagieren und Antworten auf die Finanzkrise formulieren. Regulierungsgegenstand der Richtlinie MiFID II sowie der Verordnung MiFIR sind zum einen die Märkte und zum anderen die auf ihnen handelnden Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Die Europäische Kommission setzt neue Akzente. Dazu gehören:

die Ausweitung der Vorhandels- und Nachhandelstransparenzbestimmungen von Aktien auf Anleihen und Derivate,

die Regulierung des Algorithmushandels,

die Einführung der Informationspflicht für die Kreditinstitute, ob sie eine abhängige oder unabhängige Anlageberatung durchführen (Honorarberatung)

und die europaweit verbindliche Einführung einer Pflicht zur Aufzeichnung von Telefongesprächen und elektronischen Mitteilungen unter anderem bei Kundenorders.

Differenzierung ist angesagt

Trotz des Verständnisses für den Anlass der erneuten Regulierung und den im Vordergrund stehenden Anlegerschutzgedanken gibt es wichtige Kritikpunkte zu den vorliegenden Regulierungsentwürfen. Auch die Regulierung der Wertpapierdienstleistungsunternehmen, zu denen die Genossenschaftsbanken zählen, muss auf Proportionalität bedacht sein.

Es war eine der Schwächen von MiFID I, organisatorische Vorgaben für alle von den Regelungen Betroffenen in gleicher Weise zu erlassen. Die EU-Kommission hat dies erkannt und geht in Erwägungsgrund 5 in MiFID II auf die Unterschiedlichkeit der Wertpapierdienstleistungsunternehmen ein, die bei der Regulierung zu berücksichtigen sei. Die Maßgabe steht in Zusammenhang mit den krisenverstär kenden Defekten der "corporate governance" der Unternehmen und der Notwendigkeit, hier regulierend gegenzusteuern.

Differenzierung der Regulierung ist angesagt; in diesem Vorhaben möchten wir die Kommission nachhaltig unterstützen. Zu oft sind die legislativen Maßnahmen zur Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes auf dem Rücken der kleinen und mittleren Kreditinstitute ausgetragen worden.

Bei vielen Detailregelungen ist zudem das Nutzen-/Kostenverhältnis nicht ausgewogen; das heißt zu viel Aufwand auf Seiten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen steht ein zu geringer Nutzen für den Anleger gegenüber. Die Krise hat die Augen geöffnet, wie unterschiedlich die Kreditwirtschaft tatsächlich aufgestellt ist. Dies muss auch für MiFID/MiFIR ausreichend berücksichtigt werden.

Erst in Ansätzen zu erkennen

An dem selbst propagierten Proportionalitätsmaßstab der Regulierung muss sich die Kommission messen lassen. Seine Umsetzung ist erst in Ansätzen zu erkennen, etwa wenn die Nachhandelstransparenzbestimmungen beispielsweise für Anleihen und Derivate in Artikel 20 MiFIR eine "de minimis"-Regelung für prospektbefreite Emissionen vorsehen. Nach den Vorschlägen der Europäischen Kommission wären die meisten Genossenschaftsbanken mit ihren Emissionen einfacher Inhaberschuldverschreibungen ohne Nachrangabrede von den für außerbörsliche Transaktionen zukünftig geltenden Veröffentlichungspflichten befreit. Dies sind zu begrüßende Ansätze, die jedoch einer echten Proportionalitätsregulierung letztlich nicht gerecht werden, sondern eher ein Feigenblatt sind.

Dass eine spezifische und hinreichend differenzierende Regulierung nottut, zeigen viele Aspekte der MiFID II und der MiFIR. Ein eklatantes Beispiel sind die Pflichten für den systematischen Internalisierer nach Artikel 17 der MiFIR. Sie erlegen den Kreditinstituten, die bereits nach geltendem Recht auf "best execution" der Kundenorder verpflichtet sind, unverhältnismäßige Lasten auf. Die Einordnung als systematischer Internalisierer gilt bislang nur für den Handel in Aktien gegen das eigene Buch. Sie soll jetzt auf Anleihen und Derivate ausgedehnt werden und würde damit das normale Wertpapieroffertengeschäft der Banken erfassen.

Die Veröffentlichungs- und Quotierungspflichten sollen unabhängig davon gelten, ob es sich um ein in der Region tätiges Kreditinstitut handelt, das seinen lokalen Kunden auf deren Wunsch hin eine Kursofferte unterbreitet, oder ob es sich um einen am internationalen Kapitalmarkt engagierten systematischen Internalisierer mit entsprechend weit gestreuter Klientel handelt. Nur die letztgenannten Institute stellen eine ernstzunehmende Konkurrenz gegenüber Börsen und anderen organisierten Handelsplätzen dar. Deren Regulierung mit den besonderen Pflichten des systematischen Internalisierers in der Vorhandelstransparenz macht Sinn. Das auf ihren lokalen Markt bezogene Retailangebot zum Beispiel einer Genossenschaftsbank ist demgegenüber für den globalen Kapitalmarkt eine "quantité négligeable".

Die Quotierungs- und Veröffentlichungspflichten als systematische Internalisierer würden bei den in ihrer Region tätigen Kreditinstituten, die derzeit für eine breite Produktpalette Sorge tragen, zu einer Ausdünnung des Wertpapierangebotes führen. Das mit dem Kommissionsentwurf offenbar verfolgte Ziel eines vollkommenen Wettbewerbsmarktes mit homogenen Preisen im Retailbereich würde tatsächlich zu einer Einschränkung der Produktpalette zulasten von Anlegern führen.

Ein Grund hierfür ist die in Verbundorganisationen, aber auch andernorts anzutreffende Verkettung von Festpreisgeschäften, um die Wertpapierofferte vor Ort überhaupt darstellen zu können. Die Kette läuft zum Beispiel von einem Zentralinstitut (wie etwa der DZ Bank) zu dem Ortsinstitut (zum Beispiel einer Volksbank oder Raiffeisenbank) und von diesem zu dem Kunden, was die Pflichten des systematischen Internalisierers zweifach auslösen würde und damit je nach Länge der Kette zur Verdopplung, gegebenenfalls auch Vervielfachung der Lasten beiträgt. Der Ausfall des herkömmlichen Offertengeschäfts mit Wertpapieren kann kontraproduktive Auswirkungen auf Umfang und Tiefe der Anlageberatung in der Fläche haben.

Ungezielte Informationspolitik gegenüber den Anlegern

Eine andere große Schwachstelle der MiFID liegt in den bestehenden Regelungen mit Blick auf einen höheren Anlegerschutz. Die Regelungen erzeugen eine ungezielte Informationspolitik gegenüber den Anlegern. Sie werden mit Informationen überschüttet statt mundgerecht versorgt. Dieses Problem ist grundsätzlich erkannt und wird von der Kommission in parallelen Regulierungen wie der investmentrechtlichen "UCITS IV"-Regulierung, der Prospektrichtlinienrevision und der kommenden "packaged retail investment products"-Regulierung (PRIPS) sowie der versicherungsrechtlichen IMD-Revision mit dem Fokus auf dem Kundenkontakt am Point of Sale angegangen.

Der Preis hierfür ist jedoch ein Flickenteppich der Regulierung aus unterschiedlichen Maßnahmen, die den realen Test auf Konsistenz und Praxistauglichkeit erst noch zu bestehen haben. Die Kreditwirtschaft sieht sich einem ausufernden aufsichtsrechtlichen Normenkranz, der von Brüssel vorgegeben wird, gegenüber.

Hinzu kommt die deutsche gesetzgeberische Regelungsambition - beispielsweise bei den Produktinformationsblättern oder dem Beratungsprotokoll sowie der Beraterregistrierung. Dringende Forderung der Kreditwirtschaft ist daher eine kohärente Regulierung mit möglichst einheitlichen europäischen Vorgaben, die unbelastet von nationalem "gold plating" bleibt.

Aufzeichnungspflicht als Beispiel für Überregulierung

Ein Beispiel für eine von der Kommission vorgesehene Überregulierung ist die in Artikel 16 der MiFID II vorgesehene generelle Verpflichtung zur Aufzeichnung von Telefongesprächen und elektronischen Mitteilungen unter anderem bei Kundenorders. Sie wäre mit erheblichen Kosten für die deutsche Kreditwirtschaft im Allgemeinen und dezentralen Institutsgruppen wie den Sparkassen und Genossenschaftsbanken im Besonderen verbunden.

Defizite bei der telefonischen Annahme, Weiterleitung und Ausführung von Kundenorders sind - jedenfalls in Deutschland von der BaFin bisher nie festgestellt worden. Die Aufsichtsbehörde hält die Sprachaufzeichnung auch mit Blick auf ihre Überwachungstätigkeit (unter anderem Bekämpfung von Marktmissbrauch) nicht für erforderlich. Vielmehr seien die bestehenden Überwachungsinstrumente ausreichend.

Unverhältnismäßige Kostenbelastung für kleinere Institute

Aus der Auswirkungsstudie der Kommission geht hervor, dass kleinere Unternehmen von der neuen Anforderung um ein Vielfaches stärker betroffen sein werden als mittlere und große Unternehmen.

Die unverhältnismäßige Kostenbelastung würde in das Geschäftsmodell der Sparkassen und Genossenschaftsbanken eingreifen, das unter anderem durch Präsenz in der Fläche gekennzeichnet ist. Sie könnte im Ergebnis dazu führen, dass vor allem kleinere und/oder dezentrale Institute zukünftig nicht mehr in der Lage sein werden, ihren Kunden flächendeckend die Dienstleistungen Anlageberatung beziehungsweise beratungsfreies Geschäft per Telefon anzubieten. Dies läge nicht im Interesse der Kunden und würde dem Ziel eines wirkungsvollen Anlegerschutzes nicht gerecht.

Ein weiteres Beispiel für nicht zielführende Regulierungsvorschläge zum Zwecke des Anlegerschutzes ist die Erklärungspflicht des Kreditinstitutes, ob es abhängig oder unabhängig berät. Die Tatsache der Zuwendungsannahme von Dritten bedeutet nicht, dass eine abhängige Anlageberatung durchgeführt wird, wenn ausreichende Transparenz über Zuwendungen hergestellt ist, was der Fall ist. Umgekehrt muss Honorarberatung nicht per se unabhängig sein. Die in Schwarz-Weiß gehaltene Kategorisierung der beiden Formen der Anlageberatung (abhängig versus unabhängig) würde der Lebenswirklichkeit nicht gerecht.

Einen wichtigen Präzedenzfall der Regulierung enthält Artikel 1 der MiFID II. Danach sollen bestimmte Einlagenprodukte in den Kreis der Beratungs- und Organisationspflichten in Bezug auf Finanzinstrumente einbezogen werden. Die Kommission wählte hier die Form der negativen Abgrenzung. Sie schließt lediglich solche Einlagen aus, deren Verzinsung durch Referenzzinssätze festgelegt ist.

Damit wären aber einfache Einlagen - beispielsweise Sparbücher, Termineinlagen, gegebenenfalls auch Sichteinlagen sowie Sparbriefe, die gerade nicht strukturiert sind - wie Finanzinstrumente zu behandeln. Eine solche Erfassung hätte schwerwiegende Konsequenzen für die gesamte Organisationsstruktur der Anlageberatung in der deutschen Kreditwirtschaft. Eine solche übermäßige und kontraproduktive Regulierung würde besonders die Kreditinstitute treffen, die breite Bevölkerungsschichten betreuen und in den Regionen für die Bürgerinnen und Bürger präsent sind.

Erheblicher Änderungsbedarf

Die aufsichtsrechtliche Erfassung des Algorithmushandels in Artikel 4 Absatz 30 MiFID II soll die Basis für die Regulierung des Hochfrequenzhandels legen. Dazu ist zunächst eine trennscharfe Definition vonnöten, die sicherstellt, dass nicht Teile der normalen Prozesskette im Wertpapiergeschäft in den "Verdacht" des Algorithmushandels gelangen. Schließlich wird heute der gesamte Prozess von der Orderausführung bis zur Abwicklung durch Algorithmen gesteuert - auch und gerade das Kundenwertpapiergeschäft; dies unter anderem, um aufsichtsrechtliche Vorgaben wie etwa "best execution" zu erfüllen.

Insgesamt lässt sich ein erheblicher Änderungsbedarf an den beiden legislativen Maßnahmen MiFID II und MiFIR feststellen, der zu intensiven Diskussionen Anlass gibt und ein schwieriges Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene erwarten lässt.

Gerhard Hofmann , Mitglied des Vorstands , Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR), Berlin
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