Leitartikel

Allzu viel ist ungesund

sb - In diesem Sommer brachen über viele Kunden der Finanzdienstleister in Deutschland wahre Papierfluten herein. Als Konsequenz aus den diversen rechtlichen Änderungen (Versicherungsvermittlerrichtlinie, Verbraucherkreditrichtlinie, Zahlungsdiensteumsetzungsgesetz) wurden massenweise neue Vertragsunterlagen beziehungsweise Allgemeine Geschäftsbedingungen versandt, jeweils mit Begleitschreiben, aus dem in Kürze hervorging, was darin denn nun eigentlich neu ist. Denn eines ist völlig klar: Lesen wird der Großteil der Kunden das viele Kleingedruckte allenfalls dann, wenn es einmal zu Auseinandersetzungen mit dem jeweiligen Anbieter kommt und man sich seiner Rechte versichern will. Die Flut an Informationen, die kostenträchtig aufbereitet werden müssen, ohne dass sie dem Kunden einen wirklichen Mehrwert bieten, gehört denn auch zum Hauptkritikpunkt, wenn es um die regulatorischen Eingriffe in das Verhältnis zwischen Finanzdienstleistern und ihren Kunden geht. Dass ein Mehr an Information nicht unbedingt kundenfreundlich ist, hat mittlerweile auch der Gesetzgeber erkannt. Daher der Vorschlag von Noch-Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner vom Sommer dieses Jahres, das Wesentliche zu den einzelnen Finanzprodukten doch bitte in Form eines Produktinformationsblattes knapp, übersichtlich und verständlich aufzubereiten. Dies, wohlgemerkt, wenigstens bislang additiv zu all dem, was die neuen Regelungen in ausführlicher Form vorsehen.

Keine Frage: Nicht überall sind die Verbraucherschützer in Europa - dem Ursprung der meisten Änderungen - und Deutschland über das Ziel hinausgeschossen. Dass etwa mit der Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie die Werbung mit völlig unrealistischen Lockzinsen faktisch ausgehebelt wird, ist sicher nicht verkehrt - obschon die Vergleichbarkeit der Angebote für die Kunden dadurch auch nicht besser wird (Stichwort bonitätsabhängige Konditionen). Auch die Verpflichtung der gesamten Branche zur Erstellung von Beratungsprotokollen hat letztlich ihren Ursprung in offenbar allzu häufigen Fällen von Falschberatung, in denen die Risikoprofile der Kunden und ihre Bedürfnisse nicht sorgfältig erhoben beziehungsweise zu großzügig ausgelegt wurden, und ist insofern nicht ganz unberechtigt. Anderes wird von der Branche zu Recht als fragwürdig bewer tet. Ein 14-tägiges Rückgaberecht etwa ist bei Produkten, die Kursrisiken unterliegen, nun einmal anders zu bewerten als bei einem Pullover, der sich doch als zu eng oder farblich nicht passend erweist. Und wenn Aufzeichnungspflichten bei telefonischer Beratung dazu führen, dass das Angebot ganz eingestellt werden muss, weil die Kosten für die technische Umsetzung beziehungsweise die Archivierung nicht mehr geschultert werden können, wird auch das nicht im Sinne des Kunden sein.

Das Bedürfnis von Politik und Verbraucherschützern, der Kreditwirtschaft in Zukunft verstärkt auf die Finger zu sehen, ist angesichts der längst noch nicht ausgestandenen Folgen der Finanzkrise verständlich. Doch gilt es dabei zu bedenken, dass noch so ausgefeilte Gesetze nie alle Missstände im Verhältnis zwischen Anbietern und ihren Kunden werden beseitigen können. Andererseits aber können allzu restriktive Vorgaben dazu beitragen, das Vertrauensverhältnis über das Maß eines "gesunden Misstrauens" hinaus zu zerstören, indem die Finanzdienstleister insgesamt unter den Generalverdacht gestellt werden, ihre Kunden übervorteilen zu wollen, wo immer es nur geht.

Positive Nebeneffekte, wie man sie sich von MiFID versprochen hatte, sind vermutlich auch deshalb bislang weitgehend ausgeblieben. Ein Cross-Selling aufgrund der umfangreicheren erhobenen Daten lässt sich offenbar kaum realisieren. Bei anhaltendem Druck auf die Margen wird der durch immer neue Auflagen verursachte Aufwand somit fast unausweichlich über die Konditionen an die Kunden weitergereicht werden müssen. Sie müssen dann auch denjenigen Verbraucherschutz bezahlen, den beide Seiten vor allem als Ballast empfinden.

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