Leitartikel

Offene Großbankenszene?

Angesichts der weiterhin andauernden Finanzmarktkrise ist es wahrlich nicht angebracht, ein generelles Loblied auf die Verfassung der deutschen Großbanken anzustimmen. Denn auch sie gehören schließlich zu der Branche, unter deren heftigem Mittun in den vergangenen Jahren die Ursachen der heutigen Turbulenzen wachsen und dann zum schwer beherrschbaren Ausbruch kommen konnten. Auch sie sind ein Teil der internationalen Bankenszene, die gerade eine tiefe Vertrauenskrise durchlebt, deren Folgewirkungen nach gut zehn Monaten längst nicht abschließend zu bewerten sind. Auch sie können sich nicht komplett von Geschäftsentwicklungen abkoppeln, etwa den Veränderungen der Usancen an den Geldmärkten, die heute eine Cashbesicherung verlangen, wo vor einem Jahr noch ein Zuruf unter den Geldhändlern genügte. Auch sie leiden unter den Verwerfungen, die verschiedene Segmente des Verbriefungsmarktes ganz zum Stocken gebracht und in anderen die Preisbildung stark verzerrt haben. Und nicht zuletzt müssen auch sie sich mit den geltenden Bewertungsvorschriften der internationalen Rechnungslegungsansätze arrangieren, die ihre Ertragslage in guten Zeiten begünstigt hat - nun aber teilweise Neubewertungen verlangen und damit möglicherweise stille Reserven legen, wo Ausfälle nur drohen, aber nie oder zumindest nicht in so großem Ausmaß tragend werden.

Sichtbaren Ausdruck finden all diese Widrigkeiten in den zum Redaktionsschluss einlaufenden Ergebnissen zum ersten Quartal dieses Jahres. Anders als etwa die beiden größten spanischen Banken weisen demnach alle fünf hiesigen Großbanken per Ende März im Vorjahresvergleich kräftige Einbußen auf, die das günstige Bild der Jahresbericht erstattung 2007 zumindest ein wenig relativieren (siehe Bilanzberichte in diesem Heft). So steht bei der Deutschen Bank trotz der Realisierung erheblicher Sondererlöse von rund 900 Millionen Euro aus dem weiteren Verkauf von Beteiligungsanteilen an der Allianz, Daimler und Linde nach den ersten drei Monaten ein Verlust von 141 Millionen Euro nach Steuern zu Buche, wo vor einem Jahr noch ein stolzes Plus von 2,132 Milliarden Euro aufgeleuchtet hatte. Ebenfalls in die Verlustzone gerutscht ist die HVB Group, die mit einem Ergebnis vor Steuern von minus 237 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr nach drei Monaten einen stattlichen Betrag von rund 1,05 Milliarden Euro aufzuholen hat. Die Commerzbank und die Postbank bleiben zwar in der Gewinnzone. Aber bei den Frankfurtern hat sich das Ergebnis nach Steuern im ersten Quartal auf 330 (641) Millionen Euro fast halbiert, und aus Bonn wird mit 117 (145) Millionen Euro ein Rückgang von fast einem Fünftel gemeldet. Zwar sind all diese Zwischenergebnisse im Jahresverlauf noch korrigierbar. Aber an das bei der Jahresberichterstattung noch tapfer vorgegebene Ziel, sich in der laufenden Periode am Vorjahresergebnis orientieren zu wollen, denkt bei diesen Zahlen auch die Deutsche Bank nicht mehr. Auf eine Prognose für das Gesamtjahr will sich niemand mehr festlegen. Trotz aller Hinweise auf erste Besserungstendenzen der Preisentwicklung für einzelne Finanzprodukte im April bleibt nach wie vor die Sorge um mögliche Zweit-, Dritt- oder Mehrrundeneffekte.

Bei aller Ungewissheit über den weiteren Anpassungsprozess auf dem Weg zu einer Normalisierung der Geschäftsverläufe der internationalen und europäischen Bankenszene sowie einer Bestandsaufnahme und gegebenenfalls Neujustierung der strategischen Ausrichtung gab es in den vergangenen Jahren für die verbliebenen deutschen Institute aber sicherlich wesentlich ungünstigere Zeiten für einen internationalen Vergleich ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Denn zumindest in zwei der Belastungskategorien der global operierenden Banken tauchen sie bislang überhaupt nicht auf oder nehmen jene hinteren Ränge ein, die ihnen in den vergangenen Jahren nur in den einschlägigen Rankings über die Wettbewerbsfähigkeit vergönnt waren. Bayerische Hypo- und Vereinsbank, Commerzbank, Deutsche Bank, Dresdner Bank und Postbank, um in alphabetischer Reihenfolge die Häuser aufzulisten, die die Bundesbankstatistik derzeit unter der Rubrik Großbanken führt, sind demnach von der Finanzmarktkrise deutlich betroffen, aber im Reigen der internationalen Wettbewerber keineswegs besonders auffällig.

Sie erscheinen weder in der Liste jener Banken, die im Zuge der Finanzmarktkrise eine Kapitalerhöhung vorgenommen haben, noch tun sie sich mit einer ausgeprägten Anwendung der Fair-Value-Option für eigene Verbindlichkeiten hervor, zumindest insoweit das für Außenstehende zu erkennen ist. Während etwa die UBS und Merrill Lynch die Nutzung dieser Wahlmöglichkeit in Milliarden-Euro-Höhe zur Verschönerung ihrer Quartalszahlen eingesetzt haben - und selbst die besonders gebeutelte IKB dieser zulässigen, aber kreativen Verarbeitung der Belastungen einen Zwischensprung ihrer Aktie verdankt - spielt das für die hiesigen Banken keine zentrale Rolle. Josef Ackermann etwa wird in diesem Zusammenhang schon seit Ende vergangenen Jahres nicht müde auf die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Bilanzierung einschließlich der Unterschiede zwischen US-GAAP und IFRS hinzuweisen und eine einheitliche Anwendung der einschlägigen Rechnungslegungsvorschriften zu fordern. Ob das Ergebnis der Deutschen Bank bei "aggressiver Bilanzierung" im ersten Quartal dieses Jahres tatsächlich um fünf Milliarden Euro hätte besser ausfallen können, wie er zitiert wird, können freilich nur Spezialisten nachvollziehen.

Wenn es tatsächlich solche Verzerrungen gibt, sind die üblichen Kennzahlen wieder einmal kein verlässliches Indiz für die Wettbewerbsposition der Bankenszene. Man muss vielmehr auf die strategische Positionierung schauen. Zugute kommt den deutschen Großbanken bei diesem Ansatz der derzeitige Unternehmenszyklus. Anders als viele Institute im europäischen Ausland mussten sie sich angesichts des Drucks von den Kapitalmärkten, etwa den immer wieder erhobenen Vorwürfen einer zu niedrigen Effizienz, den vielen kritischen Anmerkungen seitens der Analysten und Ratingagenturen bis hin zu dem kritischen Tenor von Studien aus Wissenschaft und der internationalen Organisationen, besonders in den Jahren 2001 bis 2004 allesamt sehr stark um die Risikobereinigung ihrer Bilanzen und die kritische Bestandsaufnahme ihrer strategischen Ausrichtung kümmern. Neben der Fokussierung auf Kernkompetenzen wurde in diesem Kontext viel Wert auf den Ausbau des Risikomanagements gelegt. In der von großem Wertberichtigungsbedarf geprägten Restrukturierungsphase mussten die hiesigen Großbanken ihre Überlebensfähigkeit erst einmal auf eine Stand-Alone-Lösung einrichten. Und zumindest bei der Commerzbank und der Deutschen Bank ist an dieser strategischen Grundaufstellung im Wesentlichen festgehalten worden. Während die Deutsche Bank klar auf das globale Investment Banking ausgerichtet ist und mit den ebenso weltweit orientierten Geschäftsbereichen Asset and Wealth Management sowie Private & Business Clients auf zwei weitere Standbeine setzt, hat die Commerzbank ihre Investment-Banking-Aktivitäten klar auf das reine Kundengeschäft beschränkt. Beide Häuser sind dabei offen für eine Abrundung ihrer Geschäftsfelder, wobei die Deutsche Bank global und die Commerzbank eher auf Deutschland und Europa konzentriert ist.

Die Dresdner Bank und die HVB sind insofern vergleichbar, als beide permanent in den Sortierungsprozess ihrer Muttergesellschaften eingebunden sind. Bei der Allianz-Tochter wird mit der im Frühjahr 2008 eingeleitenden organisatorischen Aufspaltung der Bank in eine Privat- und Geschäftskundeneinheit sowie eine Investmentbank der Spielraum für strategische Dispositionen größer. Und bei der HVB darf man angesichts des mäßigen Ergebnisbeitrags der Retailsparte in Deutschland permanent gespannt sein, ob die Unicredit eine konzerninterne Verbesserung der Lage im Auge hat (also zusammen mit ihren Retail-Einheiten in anderen europäischen Ländern) oder eher andere Lösungen. Der Post schließlich werden seit einigen Monaten Verkaufsabsichten für ihre Banktochter nachgesagt. Allen fünf deutschen Großbanken ist damit ein Interesse an einer Neusortierung des Privatkundenmarktes in Deutschland gemein. Spannend ist dabei insbesondere, ob eine nationale oder eine grenzüberschreitende Lösung zu Stande kommt. Der Bund als Einflussfaktor bei der Postbank dürfte eine nationale Lösung anstreben, während die Bank selbst wie auch die andern Institue längst auch andere Ansätze zumindest abwägen.

Dass die Bedingungen für grenzüberschreitende Fusionen auch im Bankenbereich besser werden, zeigen die Beiträge dieses Heftes. Die Strukturen und Rahmenbedingungen haben sich deutlich weiterentwickelt. Wenn heute auf die Finanzmarktkrise reagiert wird, dann ist nicht mehr primär von der Berliner Regierung oder der Bundesbank die Rede, sondern - wie das Anfang April besonders sichtbar wurde - von den Papieren des Financial Stability Forums, des Internationalen Währungsfonds, des Institut of International Finance, der Europäischen Bankenvereinigung, der Bank für Zahlungsausgleich, der Internationalen Vereinigung nationaler Börsenaufsichtsbehörden (IOSCO) und nicht zuletzt den konzertierten Aktionen von FED, EZB und anderen wichtigen Notenbanken. Ob das nur Präventivmaßnahmen zur Vermeidung von Regulierung sind und wie Kontrollen und Sanktionen funktionieren sollen, bleibt abzuwarten. Über die krisenbedingten Momentaufnahmen hinaus entsteht freilich in Europa mit den Direktiven rund um den Financial Services Action Plan Schritt für Schritt eine gemeinsame Basis, die auch den Weg für grenzüberschreitende Fusionen im Bankensektor ebnen wird. Projekte wie Sepa, MiFID oder Basel II schaffen ganz andere Voraussetzungen für ein Zusammenwachsen der europäischen Finanzindustrie als sie vor zehn Jahren herrschten. Institutionen wie die European Banking Federation haben sich auf die Fahne geschrieben, die immer noch bestehenden Hindernisse auf dem Weg zu einem europäischen Binnenmarkt beiseite zu räumen (siehe Redaktionsgespräch mit Guido Ravoet). Und parallel dazu entsteht unter dem Arbeitstitel European Credit Sector Associations (ECSA) vergleichsweise unbürokratisch so etwas wie ein europäisches ZKA für den Austausch und die Interessenbündelung zwischen den privaten Banken, dem öffent-lich-rechtlichen Bankensektor und der Genossenschaftsorganisation. Defizite werden freilich sowohl von politischer Seite als auch aus Sicht der Kreditwirtschaft (siehe zum Beispiel Beitrag Weber) bei der Vereinheitlichung der Verhältnisse auf dem Retailmarkt gesehen. Allem Eindruck nach sind die Rahmenbedingungen und vielleicht auch die Mentalitätsunterschiede in den einzelnen Ländern in diesem Segment noch nicht reif für eine europäische Lösung. Ob die deutschen Großbanken das verbleibende Zeitfenster nutzen, eine national geprägte Fortentwicklung des hiesigen Retailbankings zu suchen? Oder kommt im Vertrauen auf die fortschreitende europäische Integration schon eine grenzüberschreitende Konsolidierung zu Stande? PS: Martin Kohlhaussen und Klaus-Peter Müller, denen diese Ausgabe gewidmet ist, hatten in ihrer langjährigen Vorstands-und Aufsichtsratslaufbahn für die Commerzbank zeitweise Kooperationslösungen im Blick ("Wahlverwandschaften" oder "Europartners"). Nicht nur für Emilio Botín, den Chef des Banco Santander, ist das heute kein zeitgemäßer Ansatz der Integration der europäischen Bankenszene mehr: Die langjährigen Übungen mit europäischen Partnern, so resümiert er rückblickend, waren zwar höchst nützlich, um Erfahrungen im grenzüberschreitenden Bankgeschäft zu sammeln, aber am Ende hat man doch besser selbst die volle Kontrolle. Mo.

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