Gespräch des Tages

Stresstests - Gefährlicher Aktionismus

Nun ist es also offiziell: Sechs deutsche Banken haben den aktuellen Stresstest der European Banking Authority (EBA) nicht bestanden. Der Commerzbank fehlen 5,3 Milliarden Euro, bei der Deutschen Bank sind es 3,2 Milliarden Euro, Nord-LB und Helaba benötigen weitere 2,5 respektive 1,5 Milliarden Euro. Mit 353 Millionen Euro vergleichsweise unwesentlich ist der Kapitalbedarf der DZ Bank. Und nur pro forma, da ihre Zerschlagung zum 30. Juni 2012 ohnehin längst beschlossen ist, wurde der WestLB eine Lücke von 224 Millionen Euro bescheinigt. Per saldo sind das 13,1 Milliarden Euro, deutlich mehr als die im Oktober konstatierten 5,2 Milliarden Euro. Im Ländervergleich steht Deutschland damit nicht gravierend schlecht da, zumal die Anzahl der gestressten Institute hierzulande größer als in jedem anderen Land war. In Spanien, um nur ein Beispiel zu geben, beläuft sich der zusätzliche Refinanzierungsbedarf allein der Großbank Santander auf 15,3 Milliarden Euro. Insgesamt, so hat es die europäische Bankenaufsichtsbehörde in London vermeldet, fehlen den geprüften 71 Banken aus 21 der insgesamt 27 EU-Staaten 114,7 Milliarden Euro.

Hat sich die Kapitalsituation der hiesigen Institute in den vergangenen zwei Monaten also derart verschlechtert? Sicherlich hat die verschärfte Marktlage mit dem zunehmend schwierigeren Kapitalmarktzugang Spaniens und Italiens einen Einfluss. Im Wesentlichen resultiert der Mehrbedarf allerdings daraus, dass die EBA gleich mehrmals und mitten im laufenden Prozess die Spielregeln verändert hat - aus Sicht vieler Banken sogar willkürlich. Zumindest mit Blick auf das Procedere und seine öffentliche Wirkung hat die EBA rein gar nichts aus den Fehlern des vorherigen Tests gelernt. Ohnehin war die offizielle Veröffentlichung der Stresstestergebnisse zum Teil zur Farce verkommen. Schon drei Wochen zuvor waren von London aus vereinzelte Details, etwa der Kapitalbedarf der Commerzbank, nach außen gedrungen. Selbst deren Aufsichtsrat hat sich schon damit befasst. Seriös ist das nicht, und zur dringend erforderlichen Ruhe an den Märkten trägt solches "Durchstecken" von Interna auch nicht bei.

Die Mängelliste des jüngsten "Schnelltests" lässt sich mühelos ausweiten. Am schwerwiegendsten sind wohl die zum Teil gravierenden Unterschiede in der aufsichtsrechtlichen Behandlung von Kernkapital und Bewertungsmaßstäben allein schon zwischen EBA und Basel III - von den Inkonsistenzen gegenüber den internationalen Bilanzregeln IFRS einmal ganz zu schweigen. Insbesondere ist die (Markt-)Risikogewichtung von Staatsanleihen längst nicht überzeugend geklärt. Und ist es wirklich eine solide Information für die Märkte, dass Helaba und Nord-LB aus rein formalem Grund, nämlich der Stichtagsfestlegung, als Kandidaten für Refinanzierungsbedarf auftauchen, obwohl ihre notwendigen Kapitalmaßnahmen schon beschlossen und terminiert sind?

Letztendlich werden sich die hierzulande attestierten Lücken bis zum Stichtag 20. Januar 2012 schließen lassen, für die am stärksten tangierte Commerzbank zur Not unter Abspaltung der Eurohypo und oder/Wiederbelebung des SoFFin. Betroffen sind aber nicht nur die gestressten Großbanken. Fatal ist auch die Signalwirkung des wilden Gefeilsches auf die vielen Institute, die nicht in den Stresstest einbezogen waren. Wie sollen die Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die kleineren privaten Banken und die Spezialbanken unter solch chaotischen Umständen und widersprüchlichen Maßgaben ihre Banksteuerung konzipieren? Sollen sie sich nun ganz oder teilweise von gewissen Staatspapieren trennen? Was gilt heute noch und morgen schon nicht mehr?

Eine europäische Aufsichtsbehörde mag auf dem Papier eine gute Idee gewesen sein - in der Praxis hat die EBA allerdings kläglich versagt. Mit dem in den vergangenen Monaten lauthals geschaffenen Wirrwarr jedenfalls stabilisiert man keine Märkte. Ganz im Gegenteil. Auch wenn strengere Eigenkapitalregeln erst einmal sinnvoll sind, so müssen die darauf abzielenden Vorgaben konsistent sein, und es darf für die Märkte keine permanente Dauerberieselung mit Einzelaspekten über den Dialog mit den Banken geben. Was der EBA offensichtlich fehlt, ist ein stimmiges, allgemein akzeptiertes Gesamtkonzept. Ohne es hat sie keine Daseinsberechtigung.

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