Leitartikel

Gedanken zur Solidarität

Dieser Tage jährt sich die Finanzkrise. Im Juli 2007 war es, als der Zusammenbruch der IKB die durch amerikanische Ramschhypotheken ausgelösten Verwerfungen auch nach Deutschland brachte. Für viele Beobachter ist die visuelle Darstellung der Krise aber keine deutsche, sondern eine englische: nämlich die langen Schlangen besorgter Kunden vor den Filialen von Northern Rock, die ihre Ersparnisse lieber zu Hause unter dem Kopfkissen horten wollten, anstatt sie noch länger in der Verantwortung dieser Bank zu belassen. Sind deutsche Banken wirklich besser? Die schnelle Antwort: Sie sind solidarischer und damit hoffentlich sicherer.

Dies liegt vor allem an den umfassenden Vereinbarungen zum Einlagen- und Anlegerschutz, die stets auf einer das einzelne Institut übergreifenden Solidarität der Finanzwirtschaft beruhen. Stützungsfonds greifen immer dann ein, wenn das betroffene Institut seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. So gründeten beispielsweise Banken in Form der eingetragenen Genossenschaft bereits 1931 einen "Hilfs- beziehungsweise Garantiefonds", der die angeschlossenen Institute vollumfänglich vor Insolvenz schützte. Die Raiffeisenbanken folgten 1941 mit einem eigenen Hilfsfonds. Als schließlich die beiden Spitzenverbände 1977 zusammengeführt wurden, wurden auch die Fonds zur Sicherungseinrichtung des Bundesverbandes der Volksbanken und Raiffeisenbanken vereint. In einem Brief des BVR-Vorstands vom März dieses Jahres an die Kunden aller Volksbanken und Raiffeisenbanken, Spardabanken, PSD-Banken sowie Kirchenbanken heißt es hierzu nicht ohne Stolz: "Befindet sich eine der Sicherungseinrichtung des BVR angeschlossene Bank in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, wird sie stets durch die Sicherungseinrichtung saniert und so gestellt, dass sie ihre rechtlichen Verpflichtungen in vollem Umfang erfüllen kann. Auf diese Weise hat seit der Einrichtung genossenschaftlicher Sicherungssysteme im Nachgang zur Weltwirtschaftskrise und der Bankenkrise in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts kein Einleger und Kunde einer der Sicherungseinrichtung angeschlossenen Bank einen Ausfall oder Verlust seiner Einlagen hinnehmen müssen."

Ähnlich wie für die Genossen stehen die Schutzzäune auch für die Sparkassen-Finanzgruppe. Denn auch hier gilt: "Bei drohenden oder bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten eines Mitgliedsinstitutes leistet die zuständige Sicherungseinrichtung der Sparkassen-Finanzgruppe Hilfe und sichert die Solvenz und Liquidität dieses Institutes." Anders als bei den Genossen gibt es allerdings keinen bundesweiten Sicherungstopf, sondern der Haftungsverbund der Sparkas-sen-Finanzgruppe setzt sich aus elf regionalen Sparkassenstützungsfonds, der Sicherungsreserve der Landesbanken beim DSGV sowie dem ebenfalls beim Bundesverband angesiedelten Sicherungsfonds für die Landesbausparkassen zusammen. Die Solidarität der Öffentlich-Rechtlichen ist jedoch nicht minder groß als bei den Kreditgenossen, denn mittels einer festgeschriebenen Überlaufregelung der regionalen Systeme haften Sparkassen aus Bayern auch für Pleiten in Mecklenburg-Vorpommern, was bekanntlich auch manch politische Versuchung birgt. Für größere Krisenfälle steht der gesamte Topf inklusive Landesbanken und Landesbausparkassen zur Verfügung.

Den beiden institutsichernden Einrichtungen der Sparkassen und Volksbanken stehen vier weitere, allerdings lediglich einlagensichernde Systeme gegenüber. Die gesetzlich vorgeschriebenen Systeme der privaten Banken (Entschädigungseinrichtung deutscher Banken GmbH) und des Verbandes Öffentlicher Banken Deutschlands (Entschädigungseinrichtung des VÖB GmbH) sichern jeweils 90 Prozent der Einlagen, jedoch maximal 20 000 Euro. Um diesen "Nachteil" gegenüber den Sparkassen und Volksbanken auszugleichen, werden die Kundengelder über freiwillige Sicherungseinrichtungen weiter geschützt. Der Einlagensicherungsfonds des VÖB sichert alle Anlagen zu 100 Prozent, der Ein lagensicherungsfonds des BdB garantiert die Anlagen je Einleger bis zu 30 Prozent des haftenden Eigenkapitals der jeweiligen Bank, also ebenfalls so gut wie vollumfänglich.

Per Ende 2007 wiesen alle deutschen Kreditinstitute laut Bankenstatistik der Deutschen Bundesbank Eigenkapital in Höhe von rund 307 Milliarden Euro aus. Davon entfallen 32 Prozent auf die Sparkassen und Landesbanken, 18 Prozent auf die Großbanken, 13 Prozent auf Kreditgenossenschaften samt ihrer Zentralbanken sowie weitere 12,5 Prozent auf Regionalbanken und sonstige Kreditbanken. Diesem Eigenkapital standen Kundeneinlagen in Höhe von 563,8 Milliarden Euro gegenüber. Die besten Einlagensammler sind mit 281 Milliarden Euro natürlich die Sparkassen, gefolgt von den Kreditgenossenschaften mit 164 Milliarden Euro, den Großbanken mit 62 Milliarden Euro, zu denen bekanntlich auch die Postbank zählt, und den Regionalbanken und sonstigen Kreditbanken mit 41 Milliarden Euro. Bedient werden alle Sicherungsfonds durch Beiträge der jeweiligen Mitgliedsbanken. Bei den Kreditgenossenschaften beispielsweise liegt dieser Satz aktuell bei 0,75 Promille der Risikoaktiva.

Dieses System der gegenseitigen Solidarität innerhalb der einzelnen Bankengruppen hat sich bewährt. Von daher ist es umso unverständlicher, dass nun seitens der Berliner Politik über Veränderungen nachgedacht wird. Denn Auslöser der Überlegungen, denen ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten zugrunde liegt, sind nicht etwa die schwächelnden Banken. Vielmehr ist es die Pleite der Wertpapierhandelsfirma Phoenix, die die EdW, die Einlagensicherung der Wertpapierhandelsunternehmen, schlichtweg überfordert. Verpflichtungen gegenüber Kunden von rund 180 Millionen Euro steht ein Fonds von gerade einmal wenigen Millionen Euro gegenüber. Da auch die Mitgliedsinstitute der EdW, gegenwärtig rund 750 Wertpapierhandelsunternehmen, diesen Betrag nicht nachschießen können, schlägt das Gutachten vor, die EdW entweder mit den gesetzlichen Sicherungseinrichtungen der Banken zu verschmelzen oder eine Überlaufregelung aus den Banktöpfen einzuführen. Beides ist zumindest heute blanker Unsinn. Denn warum sollten Banken und Sparkassen für Wertpapierhandelsunternehmen geradestehen, wenn es noch nicht mal innerhalb der Kreditwirtschaft eine säulenübergreifende Zusammenarbeit der Sicherungseinrichtungen gibt?

Wie das Beispiel IKB zeigt, werden im Ernstfall allerdings, wenn ein Sicherungssystem nicht mehr ausreicht, recht schnell Vereinbarungen der Bankengruppen untereinander getroffen. Dies wurde im speziellen Fall IKB natürlich dadurch erleichtert, dass die Düsseldorfer Bank auch zu vernetzt war, um sie, wie es richtig gewesen wäre, einer sauberen Insolvenz zuzuführen. Immerhin hat sie Kredite in Höhe von rund 20 Milliarden Euro bei Volksbanken und Sparkassen offen, die als Konsequenz hätten abgeschrieben werden müssen. Auch an anderer Stelle würde das so erprobte deutsche System der gruppeninternen Solidarität schnell an seine Grenzen stoßen. Denn es bedürfte wahrlich einer sehr, sehr konzertierten Aktion der deutschen Kreditwirtschaft, um eine fallende Deutsche Bank (rein hypothetisch natürlich) aufzufangen. Retten müsste man sie jedoch. Viel zu groß wären in Folge die Auswirkungen auf die gesamte Kreditwirtschaft, nicht nur deutschland-, sondern gar weltweit. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass es die auf dem Papier existierende Unterscheidung in instituts- und einlagensichernde Systeme in der Praxis eigentlich gar nicht gibt. Denn der Institutsschutz gilt auch für private Banken (außer für ganz kleine! ). Selbst ein Vertreter des BdB, also einer "lediglich" einlagensichernden Institution, räumte kürzlich auf der Diskussionsveranstaltung zur Debatte des Marburger Genossenschaftsinstituts ein, dass "die Vermeidung einer Insolvenz durch Institutssicherung in einer Finanzkrise einer offenen Insolvenz mit einer Einlegerentschädigung vorzuziehen ist". Selten herrschte so viel Einigkeit innerhalb der deutschen Kreditwirtschaft.

Das deutsche System ist in Europa nahezu beispiellos. Der europäische Durchschnitt des abgesicherten Einlagenvolumens liegt bei gerade mal 27 000 Euro, also nur knapp über der 1998 im "Gesetz zur Umsetzung der EG-Einlagensicherungsrichtlinie und der EG-Anlegerentschädigungsrichtlinie" festgeschriebenen Mindestsicherung von 20 000 Euro.

Dies geht aus einem Bericht des European Forums of Deposit Insurers (EFDI) hervor. Einen garantierten Institutsschutz gibt es weltweit nur in zwei Ländern, eben in Deutsch land und dazu in Österreich, hier ebenfalls für Sparkassen und Raiffeisenbanken.

Doch werden die "Feuerwehrleute" erst aktiv, wenn das Haus schon brennt? Leider ja: Denn nur 19 Prozent aller europäischen Sicherungseinrichtungen verfügen der Studie zufolge über eine überwachende Funktion, darunter auch die deutschen Bankentöpfe. Die EdW verfügt über kein solches Frühwarnsystem, und wenn dies nun von Vertretern der Kreditwirtschaft gefordert wird, ist das richtig. Doch auch allein mit dem frühzeitigen Erkennen ist es noch nicht getan. So fehlen den Bankenverbänden häufig noch entsprechende

Eingriffsmöglichkeiten bei ersten Anzeichen einer Schieflage. Dass sich mancher Verbandsvertreter daher stärkere Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den betreffenden Instituten wünscht, ist durchaus verständlich, aber vermutlich gegenüber den Mitgliedsbanken nur sehr schwer durchsetzbar. Lediglich die deutschen Kreditgenossenschaften verfügen dank des vom scheidenden BVR-Präsidenten Christopher Pleister gegen viel Widerstand aus der eigenen Gruppe eingeführte Klassifizierungsverfahren über entsprechendes Droh- und Handlungspotenzial. Ein kleiner Trost für den Rest: 59 Prozent der europäischen Sicherungseinrichtungen haben ebenfalls keine Interventionsmöglichkeiten.

Dass die Kunden von all diesen "deutschen Vorzügen" nur wenig wissen, ist kein Versäumnis der Banken. Nein, es liegt schlicht am Wettbewerbsrecht, das keine werbliche Herausstellung der Vorteile oder Besonderheiten einzelner Sicherungssysteme zulässt. Jammerschade, wie die deutschen Banken finden, denn so entgeht ihnen die Möglichkeit der Vermarktung einer ihrer Kernstärken, nämlich der Sicherheit der Einlagen und in vielen Fällen sogar der Institute. Und das ist in so spannenden Zeiten wie diesen viel, viel wert.

Denn Solidarität sorgt für Stabilität. P. O.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X