Leitartikel

Vergessene Solidarität

Man muss sich wirklich aufmerksam mühen, bei all den Regelungen, mit denen Politiker und Aufseher das deutsche Kreditgewerbe dieser Tage krisenfester machen wollen, auf dem Laufenden zu bleiben: Basel II plus beziehungsweise schon Basel III, Bankenabgabe auf die Bilanzsumme oder nur auf die Bilanzsumme ohne Einlagen, ein Einlagensicherungstopf für alle deutschen Banken, Europäischer Sicherungsfonds, Brückenbank, Aufwertung des SoFFin ... Hinzu kommen KWG-Novellen, MAH, MAK, MaRisk, CRD oder eine Leverage Ratio. Hut ab vor demjenigen, der dabei nicht nur den Überblick behalten, sondern sogar all die Wirkungen in ihrer Gesamtheit abschätzen kann.

Daneben muss natürlich die Frage gestellt werden, ob all das wirklich an die Wurzeln der Schwierigkeiten der vergangenen Jahre heranreicht, ob die richtigen Anreize gesetzt werden. Und da muss man feststellen, dass bislang offensichtlich doch noch nicht alles so gut durchdacht ist. Eine allgemeine Bankenabgabe nach amerikanischem Vorbild in Höhe von einem Promille der Bilanzsumme (ob mit oder ohne Einlagenvolumen als Bemessungsgrundlage) würde zwar zweifelsfrei einiges an Geld zusammenkommen lassen. Doch würde sie das Bankgeschäft keineswegs sicherer machen, denn die Institute würden wieder verstärkt nach Möglichkeiten suchen, ihre Geschäftsvolumina zu verringern - wie mit dem intransparenten Vehikel der Zweckgesellschaften.

Rund eine Milliarde Euro will Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eigenen Angaben zufolge mit einer solchen Bankenabgabe von einer Promille auf die Bilanzsumme ohne das Einlagenvolumen einnehmen. Laut Bankenstatistik der Deutschen Bundesbank beträgt die Bilanzsumme aller erfassten Kreditinstitute per Januar 2010 rund 7,5 Billionen Euro. Die gesamten Verbindlichkeiten gegenüber Nichtbanken belaufen sich auf rund drei Billionen Euro. Ein Promille auf die Differenz in Höhe von 4,5 Billionen Euro ergibt das Viereinhalbfache des vom Bundesfinanzminister genannten Betrags. Verwirrung oder taktisches Geplänkel?

Widerstand regt sich laut, wobei vor allem der Zorn der Volks- und Raiffeisenbanken deutlich zu vernehmen ist. Diese wollen nicht für Geschäftsmodelle zahlen, die nicht ihre eigenen sind. Auch die Sparkassen murren, leiser zwar, da die Landesbanken ihren Teil zur Banken- und Wirtschaftskrise beigetragen haben, aber sie murren. Immerhin wurden hier die Probleme weitestgehend von den Eigentümern bereinigt, fast ohne externe Hilfe der Bundesregierung.

Wie weit es mit der Solidarität im Kreditgewerbe her ist, kann man seit 1974 am Beispiel der Liquiditäts- und Konsortialbank, kurz Liko-Bank, bestens beobachten. Gegründet nach der Herstatt-Pleite von allen drei Bankengruppen auf Initiative der Deutschen Bundesbank, mit einem Stammkapital von 372 Millionen und einer Nachschusspflicht von 1,86 Milliarden Euro, ist es ihre Aufgabe, einer Bank bei einem unvorhergesehenen Liquiditätsproblem durch einen plötzlichen Einlagenabzug zur Seite zu stehen. Die Inanspruchnahme erfolgt als Buchkredit soweit auf Eigenmittel zurückgegriffen wird beziehungsweise durch Diskontierung von an die Order der Liko-Bank ausgestellten Solawechseln. Das Institut ist Teil der freiwilligen Einrichtungen der Institute zur Einlagensicherung, Gesellschafter sind die Deutsche Bundesbank, der BdB, der DSGV, die DZ Bank als Vertreter der Volks- und Raiffeisenbanken sowie der Bankenfachverband. Im Zuge der letzten Krise wurde die Liko-Bank genauso vergessen, wie sie in den 36 Jahren seit ihrer Gründung nie ihr Potenzial zur Rettung in Not geratener, aber noch solventer Banken hat unter Beweis stellen können. Letzte, von der Deutschen Bundesbank initiierte Wiederbelebungsversuche scheiterten 2000 am Widerstand der einzelnen Bankengruppen. Seitdem führt die ehemals als Feuerwehrbank gegründete Liko-Bank nur noch eine trauriges Schattendasein.

Dabei könnte sie vielleicht helfen, manche Diskussion um die Einlagensicherung zu versachlichen. Fakt ist doch, die deutschen Einlagensicherungssysteme waren nie darauf ausgelegt, im Katastrophenfall der "Lender of last resort" sein zu können. Sie sollten vielmehr normale Grausamkeiten eines Bankenlebens abfedern können und haben dies bislang immer geschafft. "Wenn ein Bankenzusammenbruch einen Fonds überfordert oder gar das Bankensystem als solches in seinem Bestand gefährdet, ist es Sache der Regierung beziehungsweise des Gesetzgebers zu entscheiden, wie mit dem wirtschafts- und finanzpolitischen Instrumentarium einem 'too big to fail'-Problem begegnet wird. Ihr Handeln sollte nicht vorher kalkulierbar sein." Diese klare Analyse und Aufgabenteilung ist nachzulesen in einem Bericht der Deutschen Bundesbank aus dem Jahr 1992. Auch die diskutierte Europäische Einlagensicherung könnte niemals ausreichend Mittel einsammeln, um mehrere strauchelnde Großbanken gleichzeitig aufzufangen. Sie stünde also vor genau demselben Problem.

Doch was tun, um für künftige Krisen besser vorbereitet zu sein? Politischer, vom Stimmenwerben getriebener Aktionismus hilft da genauso wenig wie renitente Banken beziehungsweise Bankengruppen. Die Regierung wäre gut beraten, sich bei ihren Entscheidungen mehr Zeit zu nehmen, die Wirkungen sauber zu analysieren und dann ein gut durchdachtes Maßnahmenpaket vorzulegen. Die Bankenbranche dagegen muss sich nicht wundern, wenn sie nun mit Regelungen überzogen wird, die um einiges grausamer sind, als man sie sich selbst auferlegen würde. Sie muss sich auf die vergessene Solidarität besinnen und in entscheidenden Fragen von Regulierung mit einer Stimme sprechen, den ZKA gibt es schließlich noch. Doch vielleicht ist das im Zeitalter des erbarmungslosen globalen Wettbewerbs ein zu hoher Anspruch?

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