Interview

Redaktionsgespräch mit Klaus-Peter Müller - "Wünschenswert wäre eine Gesellschaft, in der immaterielle und nachhaltige Komponenten stärker an Bedeutung gewinnen."

Herr Müller, gut ein Jahr ist es nun her, dass die amtierende Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP die Regierungsgeschäfte übernommen hat: Wie zufrieden sind Sie mit dem bislang Geleisteten, wo ist Nachbesserungsbedarf?

Die Bundesregierung hat es geschafft, in der Öffentlichkeit schlechter auszusehen, als es auf Basis der vorliegenden Fakten und Erkenntnisse eigentlich angemessen wäre. Wie stellt sich die Lage dar? Das Wirtschaftswachstum ist ausgesprochen erfreulich und wurde in dieser Höhe von keinem Experten erwartet. Die Arbeitslosenzahl ist unter drei Millionen gesunken. Das ist eine enorme Leistung, die natürlich auch von der Wirtschaft erbracht werden musste. Aber die Bundesregierung hat hierzu mit einer klugen Kurzarbeiterpolitik beigetragen. Die Bilanz ist deutlich besser als die Wahrnehmung ihrer Leistung.

Woher kommt das schlechte Image?

Ein schlechtes Image entsteht immer dann, wenn man sich streitet. Da sich diese Regierung vom ersten Tag an gestritten hat, hat dies die wirkliche Leistung vollständig überlagert. Der zweite Punkt ist, dass innerhalb der CDU und für die CDU zu viele Leute sprechen. Das, was früher das Sommertheater genannt wurde, gibt es mittlerweile das ganze Jahr. Jeder vermeintliche Experte äußert sich für die Partei, für die Fraktion, und das immer wieder. Daraus ergibt sich zwangsläufig ein bunter, sich teils widersprechender Strauß an Meinungen, der dazu führt, dass die tatsächliche Arbeit der Regierung nicht mehr gewürdigt wird.

Wer hat die richtigen Antworten zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise: die Politik, die Wirtschaft oder muss man quer denken, Dinge ganz anders denken?

Zunächst muss man fairerweise anmerken, dass für die Wirtschafts- und Finanzkrise, wie wir sie derzeit erleben, niemand eine Blaupause in der Schublade hatte. Die Bewältigung der Bankenkrise ist besser gelungen, als die derzeitigen Versuche, die Staatsschuldenproblematik in den Griff zu bekommen. Das kann nicht wirklich verwundern. Überraschend ist aber, dass innerhalb der Eurozone keine Transparenz, kein so guter Wissensstand über die jeweiligen Verhältnisse des anderen vorliegt, wie zu vermuten gewesen wäre und dass nicht rechtzeitig miteinander gesprochen wurde, um Dinge auszubremsen.

In der freien Wirtschaft reagieren die Ratingagenturen mit Herabstufungen. Die europäischen Staaten standen dagegen mehr oder minder alle auf dem nicht mehr reflektierten "AAA"-Status. Wenn dann plötzlich Dinge geschehen, die sich mit diesem Status nicht mehr vereinbaren lassen, kommt es an den Märkten natürlich zu Reaktionen.

Wie kann man ein Gebilde wie die Eurozone stabilisieren? Sind größere Rettungsschirme oder Eurobonds geeignete Maßnahmen, eine in sich nicht geschlossene Ländergemeinschaft nach außen hin zu stärken?

Es ist nicht sinnvoll, mit weiteren Einzelmaßnahmen - mögen diese auch im Gesamtpaket sinnvoll erscheinen - nach vorne zu preschen. Da sich die Eurozone eindeutig in Richtung Transfer-Union bewegt, muss vorher die Diskussion um die politische Union geführt werden. Weitere Zugeständnisse zulasten der starken Länder sind erst dann vertretbar, wenn mit der politischen Union auch Eingriffs- und Kontrollrechte verbunden sind.

Denn es gibt nach wie vor große Unterschiede in den einzelnen Ländern. Es muss einen deutschen Bürger irritieren, dass ein griechischer Angestellter im öffentlichen Dienst bereits mit 43 Jahren nach 25 Dienstjahren pensioniert werden kann, wenn hierzulande gerade über die Rente mit 67 diskutiert wird. Wenn Länder mit einer Anhäufung solchen Privilegien in Zahlungsschwierigkeiten kommen, wenn festgestellt wird, dass dort eine miserable Steuerkultur herrscht, dass dort Korruption und Schwarzgeld eine wichtige Rolle spielen, dann müssen sich stabile Länder ernsthaft fragen, ob sie das weiter begleiten können, wenn sie solche Missstände nicht verhindern können.

Hinzu kommt doch auch das "Moral Hazard"-Problem: Welche Anreize sollten die schwächeren Länder haben, schmerzhafte Anstrengungen zu Verbesserungen zu unternehmen, wenn sie ohnehin von der Bonität der starken Länder profitieren?

Richtig. Deswegen sollte nur noch denen geholfen werden, die bereit sind Zugeständnisse zu machen. In einer Solidargemeinschaft gibt es einen Rechte- und einen Pflichtenkatalog. Wer das Recht beansprucht, dass ihm von anderen geholfen wird, muss es im Gegenzug als seine Pflicht ansehen, gewisse Souveränitätsrechte aufzugeben.

Aber warum ist es so schwer, sich innerhalb Europas oder der Welt, innerhalb der deutschen Politik und sogar innerhalb von Bankengruppen auf eine gemeinsame Meinung zu verständigen und sich nicht immer wieder durch Partikularinteressen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduzieren zu lassen?

Nationale Egoismen haben sicherlich zugenommen. Diese hat es immer gegeben, nur rücken sie in guten Zeiten stärker in den Hintergrund als in schlechten. Auf dem Weg hin zu einer Transferunion und dann weiter zu der angesprochenen notwendigen politischen Union spielen nationale Gegebenheiten und Befindlichkeiten eine ganz entscheidende Rolle. Und nicht nur Politiker, sondern auch Wirtschaftsunternehmen fragen sich natürlich, was die Konsequenzen eines solchen Schrittes wären. Beispiel Steuern: In Ländern mit traditionell niedriger Steuerquote ist die Sorge und damit der Widerstand gegen höhere Belastungen groß. Arbeitsmärkte sind ein weiteres Thema.

Da es sich keineswegs um nebensächliche Partikularinteressen handelt, sondern fundamentale Gegebenheiten in den einzelnen Ländern betroffen sein können, ist die Situation so schwierig zu handhaben. Ohne Übergangslösungen, ohne zwischenzeitliche Hilfslösungen wird das nicht gehen.

War die Bankenkrise leichter zu lösen als die Staatsschuldenkrise, weil sich die Bewältigung sehr viel stärker national abgespielt hat?

Da ist sicherlich was Wahres dran. Die nationalen Lösungsmechanismen haben gut gegriffen. Da gebührt auch der deutschen Politik Anerkennung, die schnell und besonnen gehandelt hat. Es ist zweifelsfrei leichter, Probleme innerhalb eines Landes zu bereinigen, als Lösungen für 27 Länder zu finden, die teils völlig gegenläufige Interessen und Entwicklungsstände haben. Das wird noch eine unglaublich große Herausforderung, und Patentlösungen habe ich auch von Vertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft noch nicht gehört.

Am deutschen Banken-Rettungspaket nimmt die Kritik in Deutschland, aber auch aus dem Ausland ob der Fülle der Maßnahmen und deutscher Alleingänge zu. Wie ist das Gesamtpaket mit all Ihrer Erfahrung im Bankbereich, aber auch auf politischer Ebene, zu beurteilen?

Was ist passiert? Die Bundesregierung hat zunächst sichergestellt, dass die Spareinlagen abgesichert sind. Das hat gerade in der Bevölkerung eine Panik verhindert. Dies ist allen zugute gekommen, vor allem denjenigen mit hohen Marktanteilen bei Privatkunden im Einlagengeschäft. Dann war die HRE zu retten, wobei es sich weniger um den Fortbestand des Instituts als vielmehr um eine Verhinderung von größeren Verwerfungen auf dem Pfandbriefmarkt gehandelt hat. Dann musste die Politik der Commerzbank unter die Arme greifen, nachdem die Entwicklung bei der Dresdner Bank drastisch anders verlief, als sich das vor Lehman darstellte. Und dann war da noch die Aareal Bank, die auf den Fonds zugegriffen hat.

Heute stellt sich die Situation wie folgt dar: Die HRE wird große Summen an Garantien zurückgeben. Der deutsche Pfandbriefmarkt ist stabil, was manchen in London sicherlich nicht erfreut. Die Aareal Bank hat angekündigt, mit der Verzinsung und der Rückzahlung der Darlehen und Garantien zu beginnen. Der Vorstand der Commerzbank steht zu seinem Wort, spätestens 2012 mit der Rückzahlung zu beginnen. Das sieht alles gut aus.

Nun kommen aber mit Bankenabgabe, Finanztransaktionssteuer, Leerverkaufsverbot, Basel III weitere, erhebliche Belastungen auf die Bankenbranche zu. Ist das in Summe zu viel des Guten?

Höhere Eigenkapitalvorschriften nach Basel III sind unbedingt zu begrüßen. Allerdings muss streng darauf geachtet werden, dass nicht das gleiche passiert wie bei Basel II, als die Amerikaner die Europäer zu schärferen Vorschriften gedrängt haben, diese aber selbst nicht eingeführt haben. Es darf keine Wettbewerbsverzerrungen über mögliche Regulierungsarbitragen geben.

Zweitens: Die Frage der nationalen Befindlichkeiten ist unterschiedlich. Wenn es eine Finanztransaktionssteuer gäbe, würde dies in angelsächsisch geprägten Ländern zu erheblichen Widerständen führen, die eine globale, gerechte Einführung unmöglich machen. Von nationalen Vergoldungsversuchen, wie sie insbesondere die Schweizer und die Deutschen betreiben, ist unbedingt abzuraten.

Wer von Banken verlangt, mehr Eigenkapital vorzuhalten, muss immer berücksichtigen, dass dies zu weniger Gewinnen führt. Wenn dazu noch besondere nationale Abgaben kommen, wird systematisch dazu beigetragen, dem heimischen Bankensektor die internationale Wettbewerbsfähigkeit Schritt für Schritt zu nehmen. Der Gesetzgeber muss sich also gut überlegen, wann die Schraube überdreht wird. Dass die Neigung, Schrauben zu überdrehen, in Deutschland besonders ausgeprägt ist, macht die Lage nicht einfacher.

Aber wie sehr kann eine Regierung, die wiedergewählt werden möchte, gegen Volkes Willen agieren? Das Volk möchte Banker peinigen.

Zunächst mal bleibt festzuhalten, dass es in der Vergangenheit sehr viel Meinungsmache von Politikern gegen Banken gegeben hat. Da nun das Volk auf diese Meinungsmache eingeht, meinen dieselben Politiker, dass sie nicht mehr anders könnten, denn dies sei Volkes Wille. Das ist eine nicht akzeptable Form, die Meinungsführerschaft in einer Demokratie zu betreiben.

Banken haben ohne Zweifel gravierende Fehler gemacht, und es besteht allen Anlass, sich dafür zu entschuldigen. Diese Fehler waren möglich, weil beispielsweise die amerikanischen Aufsichtsbehörden komplett versagt haben und sich die europäischen auch nicht mit Ruhm bekleckert haben. Mit Ausnahme Irlands ist meines Wissens kein Bankenaufseher abgelöst worden. Aber rund die Hälfte der betroffenen Banken in Europa hat eine neue Führung. Das ist eine Ungleichbehandlung. Ähnliches gilt auch für Politiker.

Machen Ihnen als Verantwortlichem in der Corporate-Gover-nance-Kommission diese schnellen Wechsel Sorgen?

Es muss Sorge machen, weil dadurch die Kontinuität verloren geht. Zudem erlaubt die entstehende Hektik nur selten die angemessene Sorgfalt bei der Suche nach einem geeigneten Nachfolger. Aber in vielen Fällen sollte ein Exempel statuiert werden.

Wie viel Harmonisierung verträgt der deutsche Bankenmarkt noch, der von seinen Abläufen und Prozessen doch ausgesprochen effizient ist?

Er verträgt eine ganze Menge. Doch lassen Sie mich zunächst mit einem Missverständnis aufräumen. Ich halte die drei Säulen für eine gute und vernünftige Struktur und habe mich dagegen auch nie gewandt. Nur darf es nicht sein, dass eine der drei Säulen einen privilegierten Status genießt. Diese Wettbewerbsverzerrung habe ich angeprangert und werde das immer tun, solange diese Privilegien bestehen.

Nun beschwert sich aber genau diese Säule über Wettbewerbsverzerrungen in der anderen Richtung, nämlich dass staatlich gestützte Privatbanken die Margen drücken und sich Marktanteile kaufen.

Die Commerzbank fühlt sich geehrt, gleich von zwei Säulen als "Feindbild" ausgemacht zu werden. Es beschweren sich diejenigen über mehr Wettbewerb in der Fläche, die eben jenen Wettbewerb in der Fläche häufig als Argument in eigener Sache verwendet haben. Und es wird sich beschwert, weil sie sich von hohen Margen verabschieden müssen. Diese Beschwerden muss man mit großem Verständnis aufnehmen.

Doch zu den Fakten. Der öffentliche Sektor wurde mehrfach eingeladen, die Preisvergleiche doch einmal offenzulegen und nicht nur zu verbalisieren - wogegen man sich dort bislang offenbar sträubt. Die Mittelstandsbank der Commerzbank, über die hauptsächlich geklagt wird, hat gerade ein Rekordquartal abgeliefert. Das erreicht man nicht, wenn man mit abwegigen Kampfpreisen im Markt unterwegs ist.

Aber in der Vergangenheit wurde doch gerade von den großen privaten Banken immer wieder über zu hohen Wettbewerb und zu geringe, international nicht wettbewerbsfähige Margen im Retail- und Mittelstandsgeschäft gejammert. Wie passt das zusammen?

Hier darf man zeitlich die Dinge nicht durcheinander werfen. Bis vor zwei oder drei Jahren waren es ohne Zweifel die Landesbanken, die im Firmenkundengeschäft mit Niedrigst-Margen versucht haben, ihre überreichliche Liquidität an den Mann zu bringen. Das hat sich aus einer ganzen Reihe von Gründen geändert. Heute kann man im Firmenkundengeschäft wieder Geld verdienen. Im Retailbanking sieht es anders aus. Aufgrund des niedrigen Zinsniveaus sind in diesem passivlastigen Geschäft keine Margen zu verdienen.

Das ist das Kundengeschäft. Doch gerade Sparkassen und Volksbanken verdienen derzeit sehr üppig an der Fristentransformation.

Ich kann nur davor warnen, wieder in alte Fehler zu verfallen und mit dem sehr billigen kurzen Geld in die Zehn-Jahres-Papiere zu investieren. Das geht immer eine Reihe von Jahren gut und dann geht es immer richtig schief. Bei dieser Art von Spekulation habe ich große Bedenken, denn wer garantiert uns, dass es eine moderate, eine sanfte Zinswende geben wird?

Nun sorgen gerade Notenbanken für sehr viel Liquidität im Markt und halten die Zinsen niedrig. Birgt das nicht die Gefahr neuer Blasen?

Die Niedrigzinspolitik, deren Gründe durchaus plausibel sind, birgt natürlich Risiken. Sie ist solange vertretbar, solange die Inflation unter Kontrolle ist. Die wirtschaftliche Situation in Deutschland würde höhere Zinsen zulassen und dies wäre sogar wünschenswert. Die EZB muss allerdings eine Politik für den ganzen Euro-Raum machen und von daher die Politik des leichten Geldes fortsetzen. Im Mai dieses Jahres wäre es an der Zeit, hier die Wende einzuleiten. Spätestens muss die EZB reagieren, wenn die Inflationsrate ansteigt. Dies müssen die Zinsen widerspiegeln.

Die Politik der Fed würde ich für Europa gerne verhindert sehen, denn dies ist eine typisch amerikanische Problemlösung, die sich nur mit der oberflächlichen Behebung befasst, die Sanierung eines Grundproblems dagegen nicht anpackt.

Das neuerliche deutsche Wirtschaftswunder wurde bereits angesprochen. Was ist ursächlich dafür, dass die Bundesrepublik auf einmal so viel besser ist als andere Industrienationen?

Nicht auf einmal. Seit mehr als zehn Jahren wird in Deutschland von den Tarifparteien eine beachtliche Disziplin geübt. Gleichzeitig steigt die Produktionsrate erheblich - und zwar von Jahr zu Jahr. In der gleichen Zeit haben viele unserer Nachbarn fröhlich und unbeschwert vor sich hingelebt und -gewirtschaftet.

Diese Disziplin, diese sehr frühzeitig geübte Zurückhaltung kommt der deutschen Konjunktur jetzt zugute. Und man muss es noch einmal betonen: Ohne die Solidarbeiträge der Arbeitnehmer wäre diese Entwicklung in den vergangenen Jahren nicht möglich gewesen.

Zusätzlich zur hohen Produktivität liefern deutsche Unternehmen gewohnt gute Qualität und bestechen durch eine enorme Kreativität bei der Produkt- und Lösungsentwicklung. Das erkennen die Abnehmer an, das sind Differenzierungsmerkmale, die auf dem Weltmarkt entscheidende Wettbewerbsvorteile verschaffen. Man darf nun nur nicht nachlassen, sondern muss unvermindert hart an der Nachhaltigkeit dieser Entwicklung arbeiten. Natürlich dürfen die Tarifabschlüsse in den kommenden beiden Jahren wieder höher sein - solange ein gewisses Maß gehalten wird.

Steuert man Unternehmen inzwischen anders als über materielle Anreize?

Wünschenswert wäre eine Gesellschaft, in der immaterielle und nachhaltige Komponenten stärker an Bedeutung gewinnen. Unternehmensführer und Manager sollten dementsprechend viel Verantwortungsgefühl zeigen und vielleicht einmal auf die ein oder andere Lohnsteigerung verzichten, auch wenn diese den Zahlen und der Statistik nach vertretbar wäre.

Es würde mich freuen, wenn wir uns in eine Gesellschaft hineinbewegen, in der Begriffe wie Respekt, Anstand, Moral und Demut wieder eine stärkere Rolle spielen. Dazu will ich durch meine Tätigkeit an der ein oder anderen Stelle gerne meinen Beitrag leisten. Denn das würde das Vertrauen der Menschen in Unternehmen und ihre Anführer wieder stärken.

Wie ist der Finanzplatz Deutschland im internationalen Wettbewerb einzuordnen?

Zunächst einmal: Der Finanzplatz Deutschland ist der Finanzplatz Frankfurt, auch wenn es mitunter immer noch divergierende Interessen gibt. Hier wäre ein Schuss mehr Solidarität und eine Spur weniger branchenspezifisches Denken aller Finanzdienstleister zu begrüßen. Ohne diese Solidarität ist eine vernünftige Standortpolitik schwierig. Das zeigt sich allein daran, das es große Überlappungen zwischen den Aktivitäten verschiedener Initiativen gibt. Ein Zusammenrücken würde die Schlagkraft deutlich erhöhen.

Gibt es eigentlich in der neuen hessischen Landesregierung andere Ansichten zu solchen Fragen als in der alten unter Roland Koch?

Keine, die bislang evident geworden sind. Hier herrscht Kontinuität.

Stichwort Steuerpolitik: Wie ist diese aus Sicht eines Wirtschaftsführers einzuschätzen. Hätten Sie sich lieber einen großen Wurf nach Vorstellungen der FDP gewünscht?

Die Vorstellungen der FDP waren vom Grundsatz her löblich, kamen aber zu einem zu späten Zeitpunkt und waren nicht mehr umsetzbar. Eine große Steuerreform wäre sehr zu begrüßen. Allerdings braucht ein solches Vorhaben eine Vorlaufzeit von drei bis vier Jahren.

Es ist allerdings jetzt nicht die Zeit für Steuersenkungen. Man kann Geld nicht verteilen, dass man nicht hat. Für solche Überlegungen habe ich keinerlei Verständnis. Die entscheidende Frage ist doch: Welche Welt hinterlassen wird denen, die nach uns kommen. Von daher muss es oberstes Gebot jeder Politik sein, die Verschuldung herunterzubringen.

Haben wir für die vor uns stehenden Herausforderungen die richtigen Menschen?

Zum Teil ja. Aber es wird billigend hingenommen, dass Deutschland ein viel zu großes Parlament hat. Das wäre mühelos auf zwei Drittel, wenn nicht gar die Hälfte zu verkleinern. Auch wenn damit zwangsläufig ein Stück der Nähe zum Bürger verloren ginge. Zum anderen sind viele Parlamentarier für das, was ihnen als Aufgabe auferlegt wird, nicht gut genug ausgebildet.

Sie plädieren also ähnlich wie bei Aufsichtsräten für eine Professionalisierung der Parlamentarier?

Ja.

Wie sehen auskömmliche Geschäftsmodelle für Banken aus?

Auskömmlich heißt hinreichend profitabel. Das geht nur, wenn in den einzelnen Geschäftsfeldern, auf die sich ein Haus konzentriert, hinreichende Margen zu erzielen sind. Ohne dies hilft auch das viel beschworene Cross Selling nicht. Im Mittelstandsgeschäft ist die hinreichende Profitabilität erreicht, hier ist die Zeit der Minimargen vorbei. Im Privatkundengeschäft drücken die niedrigen Zinsen die Margen auf ein nicht auskömmliches Niveau. Hier wird die Schlacht der Zukunft über die Qualität der Berater und der Produkte geschlagen werden.

Wenn dem so ist, sind die Aktivitäten von Verbraucherschützern, die niedrige Preise wollen, dann kontraproduktiv?

Die deutsche Wirtschaft macht es den Banken doch vor. Gute, qualitativ hochwertige Produkte, die von professionellen Mitarbeitern hergestellt und vertrieben werden, kosten mehr Geld. Die Verbraucher sind bereit, dies zu akzeptieren und zu bezahlen. Allerdings ist bei den Banken und Sparkassen hier in der Vergangenheit auch nicht immer alles gut gelaufen. Mitunter wurde zu sehr verkauft und zu wenig beraten. Nun gilt es, mit guten Produkten, hoch qualifizierten Mitarbeitern zu vernünftigen Preisen um Vertrauen zu werben. Das wird dauern, aber es wird sich durchsetzen. Qualitativ ordentliches Geschäft zum "Nulltarif" kann und darf es nicht geben.

Haben wir zu viele Banken in Deutschland, wie es gerade von ausländischen Institutionen gerne kritisiert wird?

Deutschland braucht zum einen starke, flächendeckend aufgestellte Banken oder Bankengruppen. Das sind zweifelsohne die Sparkassen und die Volksbanken. Es wäre eine Fehler, diese Stärke durch Rationalisierung aufgeben zu wollen. Eine Einschränkung dieser Aussage muss man für Ballungszentren machen. Es erschließt sich nicht, warum die Sparkasse Essen direkt neben der Sparkasse Mülheim, neben der Sparkasse Oberhausen um Kunden wirbt. Hier könnten größere Einheiten entstehen, ohne dass das Gesicht und die Struktur Sparkasse verloren ginge. Aber diese Frage wird tabuisiert, denn an solchen Überlegungen hängen immer auch Menschen und Posten. Solche Fehlentwicklungen sind nur möglich, weil sich der kommunale Aktionär, der von unendlicher Geduld ist, dem Steuerzahler nicht stärker verpflichtet fühlen muss.

Das darf nicht ausschließen, dass es daneben große, international aufgestellte Banken geben muss, die deutsche Unternehmen überall in dieser Welt mit Produkten und Dienstleistungen begleiten können. Wer das Drei-Säulen-System kritisiert ist nicht sofort ein Feind des Wettbewerbs. Es muss ein gutes Nebeneinander sein.

Bei Landesbanken ist die Professionalisierung der Aufsichts- beziehungsweise Verwaltungsräte thematisiert. Sollte man auch bei Sparkassen über die Strukturen nachdenken?

Gibt es Oberbürgermeister, die die Voraussetzung für die professionelle Führung einer Sparkasse mitbringen? Ja! Gilt das für alle Vorsitzende von Verwaltungsräten von Sparkassen in Deutschland? Nein. Das hat auch die BaFin festgestellt und versucht eine Veränderung herbeizuführen, was aber politisch noch nicht gewollt ist.

Wie viele Marken "verträgt" eine Bank, wie viele Marken verstehen die Kunden?

Es gibt sicherlich viele Wege, die nach Rom führen. In Frankreich und Italien ist es fast schon traditionell, dass in einem Konzern viele Marken parallel nebeneinander betreut werden. Nimmt die Wettbewerbslage allerdings zu, wird eine solche Politik zwangsläufig in Frage gestellt, da nicht alle Synergien gehoben werden können.

Wenn die Deutsche Bank die Postbank als eigene Marke weiterführt, ist das aufgrund der Vergangenheit und der Strukturen beider Häuser verständlich. Zu enge Berührungspunkte wären geschäftlich nicht sinnvoll. Die Commerzbank hat mit der Dresdner Bank einen anderen, aber ebenso richtigen Weg eingeschlagen, nämlich alles unter einem Dach und einem Namen zu bündeln. Dies wurde frühzeitig und offen kommuniziert. Dabei sind Strukturen und Ideen und Menschen der Dresdner Bank keineswegs untergegangen. Das ist sehr wichtig.

Sind deutsche Banklobbyisten richtig aufgestellt, um deutsche Institute und Interessen international gut genug zu vertreten?

In Brüssel gibt es eine französische, eine italienische, eine spanische und eine belgische Stimme, aber eine ganze Reihe von Meinungsäußerungen aus Deutschland. Hier ist die Vielfältigkeit und die Zerstrittenheit des deutschen Kreditgewerbes keineswegs immer hilfreich geschweige denn förderlich.

Lobbyismus, und das gilt auch und gerade für Deutschland, darf nicht das blinde Vertreten von Brancheninteressen sein. Man darf bei allem Auftrag für die ein oder andere Gruppe das große Ganze nicht aus den Augen verlieren. Hier muss schnell ein Umdenken stattfinden. Das blinde Vertreten von Firmen- oder Brancheninteressen ist nicht mehr zeitgemäß und schwächt jeden Lobbyisten als Gesprächspartner erheblich.

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