Leitartikel

Fusionen, Übernahmen - und Menschen

Menschen, die in Banken arbeiten, sind auf die Straße gegangen. Sie haben demonstriert. So etwas geschieht nicht oft in Deutschland, weil der Bankberuf gemeinhin doch als etwas Besseres gilt, als eine Profession, für die ihr Inhaber eine ordentliche Ausbildung erfahren hat, die ihn zu einem gutbürgerlichen Lebenswandel ermuntert, ihm viel eigenständiges Ansehen und damit "Persönlichkeit" verschafft. Auf organisierte Solidarität fühlt sich so ein Banker also nicht sonderlich angewiesen. Je gehobener die Karriere verläuft oder zu verlaufen verspricht, desto geringer ist die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft. Und dennoch haben soeben Menschen aus Banken ganz öffentlich auf ihre Nöte, Ängste und Sorgen aufmerksam gemacht, durchaus auch mit den Trillerpfeifen von Verdi.

Gewiss, manche der Demonstranten forderten wie ganz gewöhnliche Leute mehr Lohn. Aber den meisten ging es um mehr: Um den Erhalt ihrer Arbeit in großen Banken - oder wenigstens doch ein Stück Zukunftssicherheit durch materielle Entschädigungen wie Gehaltsfortzahlungen, Abfindungen, Pensionszusagen. "Sozialverträgliche Lösungen" nennt man diese Begleitung von Massenentlassungen heutzutage verbrämt. Und solche Angebote wird es nun aller Erfahrung nach auch für Tausende von Commerzbankern und Dresdnern geben. Ende erträglich, alles erträglich?

Man muss kein polemischer Linkskämpfer und auch kein sozialromantischer Gutmensch sein, um solches zu bezweifeln. Denn das Problem im aktuellen Übernahmefall ebenso wie bei den vielen Fusionen, "Restrukturierungen" und "Konsolidierungen" im marktwirtschaftlichen Alltag, überall ist die Bestrafung von Unschuldigen. Der klugen Filiallady, die den Deckungsbeitrag ihres Drei-Personen-Betriebs allemal übertroffen hat, dem unbestechlichen Zentralrevisor, der noch jede Missbuchung gefunden hat, ebenso wie dem im Dienst rund um die Uhr ergrauten Kreditdirektor jetzt klarzumachen, dass die eindeutig erstklassige Berufsleistung fürderhin leider völlig überflüssig sei, ist unmöglich etwas anderes als ein Schlag in ein Menschenleben. Es sei, so hat es ein weggeschickter Vorstandsvorsitzender einmal ausgedrückt, ihm selbst angesichts seiner vorzüglichen Versorgung und der vielen Berateraufträge, nicht bange. Er wisse ja um seinen Marktwert. Aber - die vielen, vielen seiner fleißigen, grauen Ameisen, die jahrzehntelang für das Wohlergehen ihrer (! ) Firma von morgens bis abends geschafft hätten, um deren inneres Wohlergehen sorge er sich. Für sie, die Ameisen, nicht genug geleistet zu haben, das sei sein bleibendes Versagen. Freilich bleibe er trotzdem ein überzeugter Verfechter des prinzipiell marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems. Nur, dass im nötigen Strukturwandel das Neue doch oft so schrecklich lange brauche, um seine Vorzüge gegenüber dem Alten zu beweisen, das tue ihm weh.

Noch nie im einigermaßen zeitgenössischen Kreditwesen Deutschlands ist eine Bank von ihrem Eigentümer so demütigend behandelt worden, wie die Dresdner Bank von der Allianz. Man braucht die ganze schreckliche Geschichte gar nicht mehr in den Details nachzuerzählen. Sie sind geradezu übermäßig bekannt. Also darf schlicht subsumiert werden: Lange, lange bereits vor den Katastrophen der "Kreditkrise" nach 2000 ist die Allianz-Gruppe de facto Mehrheitseigner der unglücklichen Grünen gewesen. Der Allianz-Einfluss auf Frankfurt war auch stets noch stärker, noch schärfer als das Hineinregieren des Versicherers in seine Münchener Beteiligungsbetriebe - Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank sowie Bayerische Vereinsbank.

Es gibt zwar plausible Vermutungen, dass die Allianz bei der Übernahme der notleidenden Hypo durch die gesunde BV die Vereinsbank-Kraft zu stark belastet und dadurch den Unicredito-Einstieg überhaupt erst möglich gemacht habe. Viel eindeutiger hat es der Versicherer jedoch nach dem tragischen Tod von Jürgen Ponto bei der Dresdner versäumt, ihr eine Strategie zu erlauben, die nicht allein im Hinterherrennen hinter der Deutschen Bank bestand. Die Dresdner Bank der deutschen Nachkriegszeit genoss den berechtigten Ruf, die gewiefteste, emsigste und innovativste Kapitalmarktbank unter den großen deutschen Filialinstituten zu sein. Dieses Image und diese Potenz für das beginnende Investmentbanking von der deutschen Basis aus weiterzuentwickeln - unter Wolfgang Röller als Bankchef schienen einmal die Weichen dafür gestellt. Eine klassische mitteleuropäische "Händlerbank" für Investments und Merchants hätte damals einen guten Platz finden können. Aber sie durfte das wohl nicht: Was immer das Grüne Haus auf diesem Weg in den letzten Jahren betrieb, wirkte (im doppelten Wortsinn! ) halbherzig. Und wer die Aussagen der Konzernmutter zum Kapitalmarktgeschäft mit seinen Risiken und Chancen bis jetzt in die Endtage von Dresdner Kleinwort hinein verfolgt, vermag das Unbehagen des Versicherers unmittelbar zu spüren. So gut die Allianz begreift, was bewahrendes Asset Management einbringen kann, so widerlich scheint ihr jeder Handel damit zu sein.

Ein kluger Mann aus schwäbischen Gefilden merkte einmal an, nachdem er eine Gemeinschaftsunternehmung mit der Allianz aufgekündigt hatte, es sei einfach nicht weitergegangen: "Die Allianz denkt und handelt immer nur als Allianz. Es ist ihr unmöglich, die Interessenlagen anderer zu begreifen." Nun hat die Dresdner Bank auch unter totaler Herrschaft des Alleinaktionärs in den schwierigen Bankjahren dieses ersten Jahrzehnts des zweiten Jahrtausends zugegebenermaßen nicht immer erfolgreich genug agiert. Darüber hätte, wie es sich gehört, der Bankvorstand als solcher ordnungsgemäß zu berichten gehabt. Das hat er auch getan. Nur - vorher hatte sich der Konzern in München in aller Regel bereits wieder derart furchtbar über die Frankfurter Zahlen geärgert, dass alle neuen Niederlagen vorab "aus Allianz-Kreisen" zu erfahren waren. Dies mag vielleicht noch als böswillige Verleumdung abgetan werden können. Dass jedoch bei allem Dresdner-Bank-Geschehen von Wichtigkeit der Finanzvorstand der Allianz, sein Kapitalmarktkollege oder der Vorstandsvorsitzende selbst ihre Unzufriedenheit ausdrückten, die Vorgänge grimmig kommentierten und Abhilfe androhten, kann auf die davon unmittelbar betroffenen Dresdner unmöglich anders als entmündigend und demotivierend gewirkt haben. Hatte denn nicht ihr eigener Vorstandsvorsitzender auch im Konzerngremium direkt Sitz und Stimme? Und so etwas behält er ja nun sogar im neuen Konzern ...

Der Commerzbank darf man, muss man sogar nun auf das Herzlichste gratulieren - zu ihrem außergewöhnlichen Mut! Ihre Börsenentwicklung hat die Ambivalenz ihres Engagements ziemlich unverzüglich ausgedrückt: " Es kommt drauf an, was man draus macht! " steht von jetzt an für geraume Zeit auf ihrem Anhänger. Und es gibt nicht eben wenige, die den neuen Schwerlastzug im Kriechgang wähnen. Aber wie am Beispiel auch die gegenwärtige Behandlung der einverleibten Eurohypo demonstriert, scheint die Commerzbank-Führung eine Menge von klaren Kommandos zu halten: Da ist es nichts mit jenem "Merging von Gleichen", das einst für Albrecht Schmidt bei BV und Hypo zur Belastung wurde.

Eher ist ein anderes Exempel denkbar. Als vor nicht all zu langer Zeit eine große amerikanische Bank übernommen wurde, soll der CEO des Übernehmers das ganze Management der Eingekauften zusammengerufen haben: "Ich erkläre Ihnen allen jetzt unsere Strategie in 15 Minuten. Danach wird nicht diskutiert. Sondern wem unser Konzept nicht gefällt, der kann sich draußen seine Papiere holen. Sie liegen alle bereit." Etwa eine Handvoll soll sie sich geholt haben.

Wann immer sich bei den deutschen Großbanken irgendetwas bewegt, geraten die meisten Medien in eine ausgefallene Verzückung. Irgendwie herrscht da die Vorstellung, jedes Auf- oder Anfressen der einen durch die andere sei ein Fortschritt für das Gemeinwohl oder wenigstens "im nationalen Interesse". Woher diese Verkürzung der Sehkraft rührt, ist primitiv zu erklären: Dem Normalsterblichen mit seinen überwiegend beschränkten Ressourcen erscheint die vordergründig unendliche Verfügungsgewalt der Finanzgrößen über Geld zwar einerseits als etwas Unheimliches und Erschreckendes. Zum anderen klebt am vielen Geld aber stets auch die Vermutung von entsprechender Macht. Und Geld plus Macht zusammengenommen wirken eben auf das gemeine Volk noch allemal faszinierend. Dass die nationale Kreditwirtschaft durch das Verschwinden der Dresdner Bank so gut wie keine "strukturelle" Änderung erleben wird - von einer hoffentlichen Stärkung der inzwischen allen so lieben deutschen (! ) Commerzbank abgesehen - ist bei der Begrüßung des Ereignisses jetzt kaum eine Zeile wert gewesen. Dabei ist eindeutig festzustellen: Es wird ohne die Dresdner demnächst in Deutschland weniger Bankstellen geben, weniger Bankbelegschaften und weniger Wahlmöglichkeiten für Kunden. Ein Fortschritt??

Wieder einmal droht jetzt zum Teil in der öffentlichen Meinung eine grobe Vernachlässigung der tatsächlichen Gewichte im deutschen Bankwesen. Bis zu vier Fünftel aller bürgerlichen Bankgeschäfte besorgen unverändert die Sparkassen und die Bankgenossenschaften - wer wüsste dies "eigentlich" nicht, weil man ja immerhin damit lebt. An dieser Grundversorgung mit finanziellen Dienstleistungen ändert das mögliche Wachstum einer Commerzbank wenig, und nicht einmal eine Deutsche Bank plus Postbank würden die Marktanteile drastisch verschieben: So wenig wie das Schließen einer Großbankfiliale kommunales Leben spürbar stören würde. Mit dem Ende der Sparkasse an der berühmten Ecke und dem Genoladen gleich daneben verlöre eine Gemeinschaft dagegen einen Bezugspunkt, welcher, mit Verlaub, der Kirche an Bedeutung "draußen im Lande" nicht viel nachsteht. Es darf sehr wohl hinterfragt werden, ob die öffentliche Hand Sparkassen betreiben muss, um deren Präsens (fast) zu sichern. Heute heißt die Antwort aber klar: "Ja". Die beiden Verbünde-Verbände sollten darum ihre Leistung dringend einmal wieder lauter loben. K. O.

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