Aufsätze

"Die Bankenwelt muss sich wieder mehr auf ihre traditionelle Rolle als Dienstleister für die Realwirtschaft besinnen."

"Zu sehr richtet die Branche alles Tun am kurzfristigen Return aus". Diese zunächst sicherlich etwas banal klingende Feststellung aus der Tagungsbroschüre beschreibt treffend den Kern des Problems der internationalen Kapitalmärkte, das durch den Offenbarungseid des anglo-amerikanischen Finanzsystems in den letzten Monaten eine so schmerzhafte Bestätigung erfahren hat: Die Fokussierung auf maximale Gewinne und das Hecheln von Quartalsbericht zu Quartalsbericht gehen zulasten einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Geschäftspolitik.

Rendite als reiner Selbstzweck

Dort aber, wo die Rendite nicht mehr Ergebnis erfolgreichen wirtschaftlichen Handelns ist, sondern Gefahr läuft, zum reinen Selbstzweck zu verkommen, droht die Realwirtschaft zur "Geisel" der Kapitalmärkte zu werden. Dort, wo eine vergleichsweise geringe Zahl von geschätzten 50 000 leitenden Bankmanagern, Brokern und Vermögensverwaltern der Realwirtschaft vorgibt, wo es langgeht, und wo Kapital und Rendite von ihrer eigentlich dienenden hin zu einer herrschenden Rolle mutieren, ist es nicht mehr weit, die Frage nach der Machtfülle der Finanzmärkte zu stellen. Dort, wo unzureichende Geschäftsmodelle auf einen unerschöpflichen Kapitalmarkt treffen und das "Kreditersatzgeschäft" eigene Schwächen überdeckt, sind Forderungen nach Reformen berechtigt. Und dort, wo es möglich ist, dass weltweit Milliardensummen über ratinggoutierte und kreditgehebelte Verbriefungen gestreut werden und entfesselte Derivatemärkte eine globale Finanzmarktkrise auslösen, die die nationalen Regierungen zu massivem Eingreifen zwingt, sind die eigentlich erwarteten Selbstreinigungs- und Selbstregulierungskräfte der Märkte in Frage zu stellen.

Ob man dies alles dann als "Diktatur" der Kapitalmärkte beschreibt oder eine andere, politisch weniger "vorbelastete" Vokabel wählt (und zum Beispiel stattdessen vom "strukturellen Zwang" spricht), ist fast schon eine akademische Frage. Interessant ist es aber auf jeden Fall, einmal kurz bewusst im politischen Bereich zu bleiben und die Entwicklung der vergangenen Monate mit dem Gegenbegriff von "Diktatur" in Beziehung zu setzen. Konkret heißt dies, die Frage nach "Kapitalmärkten und Demokratie" zu stellen und damit auf einen bislang nur unzureichend betrachteten Aspekt zu verweisen.

Dass die Finanzmarktkrise Milliarden von Euro verschlungen hat, ist für sich genommen schon schlimm genug. Noch schlimmer wäre es jedoch, wenn in der Folge auch noch das demokratische Grundvertrauen der Menschen nachhaltig gestört würde und aus der Krise des globalen Kapitalismus eine globale Krise der Demokratie würde. Indizien einer derartigen De-mokratie-Verdrossenheit finden sich auch bei uns in Deutschland derzeit zuhauf.

Dabei sind es nicht nur neuere demoskopische Umfragen oder die Zersplitterung von Mehrheiten in Parlamenten, die zur Besorgnis Anlass geben. Es sind vielmehr auch vordergründig kurios anmutende Phänomene - etwa die Tatsache, dass "Das Kapital" von Karl Marx - über Jahre hinweg ein Ladenhüter - sich inzwischen einer enorm gestiegenen Nachfrage erfreut und im Buchhandel zeitweilig ausverkauft war. Marx ist allem Anschein nach auf bestem Wege, wieder hoffähig zu werden, und dies hat gewiss mit Glaubwürdigkeits- und Akzeptanzproblemen von Politik und Wirtschaft zu tun. Man kann daher dem Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel nur zustimmen, wenn er - wie jüngst in Bad Godesberg - in der "Aufrechterhaltung und gesellschaftliche(n) Funktionsfähigkeit unserer demokratischen Strukturen" eine der größten Herausforderungen sieht, die aus den gegenwärtigen Problemen resultieren. Die Annahme dieser Herausforderung bedeutet, der Krise nicht nur auf monetärer, sondern auch auf wirtschaftsethischer und politischer Ebene zu begegnen.

Versagen der Selbstreinigungs- und Selbstregulierungskräfte

Von den Gefährdungen der Demokratie zurück zur "Diktatur der Kapitalmärkte"! In diesem Zusammenhang sei an ein Zitat von Hans Tietmeyer erinnert, der während des Davoser Wirtschaftsgipfels vor zwölf Jahren der Politik zurief, dass sie der Kontrolle des internationalen Finanzmarktes unterworfen sei. Und Rolf Breuer hat in diesem Zusammenhang einmal gesagt: "Die autonomen Entscheidungen, die Hunderttausende von Anlegern auf den Finanzmärkten treffen, werden im Gegensatz zu den Wahlentscheidungen nicht alle vier oder fünf Jahre, sondern täglich gefällt". Ohne dieses Zitat aus dem Zusammenhang zu reißen oder zu kritisieren: Es ist in der Öffentlichkeit dahingehend interpretiert worden, dass die Kapitalmärkte besser zur Kontrolle der Politik geeignet seien als die Wähler selbst. Folgt man dieser Interpretation, so scheint sich einmal mehr die Vermutung einer "Diktatur" der Kapitalmärkte zu bestätigen.

Losgelöst von allen begrifflichen Definitionen und Einordnungen hat die Entwicklung der vergangenen Monate eines zweifelsfrei verdeutlicht: Das Versagen der erhofften Selbstreinigungs- und Selbstregulierungskräfte der Märkte erfordert nicht nur temporäre Korrekturen, sondern einen grundsätzlichen Richtungswechsel. "Das Kapital hat den Menschen zu dienen und nicht umgekehrt, " hat Heiner Geißler wiederholt gesagt. Er hat damit eine treffende Leitlinie für die künftigen Notwendigkeiten formuliert. "Weniger Neoliberalismus, mehr soziale Marktwirtschaft im Geiste von Ludwig Erhard" - so könnte man die grundsätzliche Erkenntnis der vergangenen Monate auch zusammenfassen. Und das angeblich antiquierte "old europe" hat dabei eine gute Chance, bei der Modernisierung des globalen Finanzsystems ein gewichtiges Wörtchen mitzureden.

Friedensfördernde Wirkungen einer verwobenen Weltwirtschaft

Bei all dem ist es jedoch wichtig, die Finanzmärkte und die Globalisierung, die den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr überhaupt erst möglich gemacht hat, nicht zu verteufeln. Beides sind keine Schreckgespenster, die bekämpft werden müssten. Richtig verstanden bringen sie viele gute Aspekte mit sich, die Wachstum und Wohlstand auf breiter Basis ermöglichen: So hat die globale Ausdehnung des marktwirtschaftlichen Systems Produktivitätskräfte freigesetzt, von denen frühere Generationen nicht mal zu träumen gewagt hätten. Auch hat sie hohe Wachstumssteigerungen durch eine effizientere Allokation weltweiter Ressourcen ermöglicht.

Darüber hinaus gibt es mehr als nur eine Theorie, nach der der internationale Kapitalverkehr und die in sich verwobene Weltwirtschaft friedensfördernd wirken. Denn die internationalen Wirtschaftsbeziehungen greifen mittlerweile so stark ineinander, dass jeder Versuch, sich den Reichtum eines Landes mit Gewalt anzueignen, mit dem Verlust eben dieses Reichtums enden würde. Und wenn man sich die Vernetzung und Interdependenzen der internationalen Märkte vor Augen führt, kommt man sogar zu dem weiterführenden Ergebnis, dass eine Störung des Friedens nicht nur die wirtschaftliche Situation in den unmittelbar beteiligten Ländern schwächen kann, sondern auch in unbeteiligten Drittstaaten. Anzumerken ist zudem noch, dass letztlich die globale Vernetzung ein konzertiertes Handeln der Notenbanken und Politik ermöglicht und dadurch in Krisensituationen wesentlich zur Schadensbegrenzung beiträgt.

Abkopplung von der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung Auf der anderen Seite muss auch kritisch angemerkt werden, dass die Globalisierung - wie so vieles im Leben - eine Medaille mit zwei Seiten ist. Sie hat für eine Steigerung des weltweiten Wohlstands gesorgt; sie hat aber durch falsche Steuerung auch Exzesse mit sich gebracht, die das System als Ganzes in Verruf zu bringen drohen. Die Finanzmarktkrise ist ein gutes Beispiel hierfür. Gerade deshalb müssen wir ihr entschlossen entgegentreten, um das Erreichte und die zweifellos überwiegenden Vorteile der Globalisierung und der Marktwirtschaft nicht zu gefährden.

Die Ursachen der Krise sind mittlerweile hinlänglich bekannt: expansive Geldpolitik in den USA nach dem Platzen der Dot-com-Blase und den Anschlägen vom 11. September, unzureichende Kreditvergabestandards, vermeintliche Qualitätssiegel von Ratingagenturen (und zwar mit aufsichtsrechtlicher Anerkennung in der Eigen-kapital-Unterlegung), überzogenes Renditestreben auf den Kapitalmärkten und die weltweite Platzierung toxischer und gehebelter Kreditverbriefungen. Oder, wie es Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz kurz zusammenfasste: das "desaströse Geschäftsmodell" an der Wall-Street und die "Ideologie, dass freie, deregulierte Märkte immer funktionieren" würden.

Dabei ist die theoretische Idee von Kreditverbriefungen und Derivaten überhaupt nicht zu beanstanden: Durch eine breitere Risikostreuung auf viele Schultern soll die Stabilität im Finanzsystem erhöht werden. Auch die praktische Umsetzung von J. P. Morgan, wo vor gut zehn Jahren die Grundidee für "Credit Default Swaps" und "Collateralized Debt Obligations" entstand, war keineswegs von vornherein verfehlt. Problematisch war indes, dass es den Akteuren bald weniger um eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Risikostreuung ging, sondern dass die Umgehung der Anforderungen zur Eigenkapitalunterlegung von Krediten im Vordergrund stand. Parallel führten die 1A-Bonitätssiegel der Ratingagenturen zu der Annahme, dass Einzelrisiken durch bloße Verteilung und Anwendung der Finanzmathematik verschwinden können.

Als Folge dieser Entwicklung mussten die Kapitalmärkte erkennen, dass mit der Finanzmarktkrise kein Naturereignis über sie hereingebrochen ist. Sie haben sich vielmehr mit einer gewissen Fahrlässigkeit von der realen Wirtschaft entfernt und geglaubt, sie könnten sich als eigenständige "Finanzindustrie" durch virtuelle Kapitalmarktgeschäfte dauerhaft von der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung abkoppeln. Nicht mehr Wertschöpfung, sondern reiner Kapitaltransfer stand auf der Tagesordnung. In welchem Ausmaß dies geschehen ist, zeigen folgende Beispiele:

Der Welthandel in Waren und Dienstleistungen belief sich im gesamten Jahr 2006 auf 14,5 Billionen Dollar. Die durchschnittlichen Devisenmarktumsätze pro Tag betrugen 3,2 Billionen Dollar. Anders gesagt: Mit dem an 4,5 Tagen gehandelten Devisenvolumen könnte man rein rechnerisch den globalen Güter- und Dienstleistungsaustausch eines ganzen Jahres abdecken. Auch wenn dieser Vergleich insofern hinkt als Güter durch mehrere Hände weitergereicht und deshalb mehrfach finanziert werden, so vermittelt er doch deutlich, in welchem Umfang sich die Finanzmärkte von der realen Wirtschaft abgekoppelt haben.

Dasselbe Ergebnis bringt ein Vergleich der weltweit gehandelten OTC-Derivate mit den realwirtschaftlichen Leistungen. Wenn bei einem globalen Bruttoinlandsprodukt von rund 50 Billionen Dollar Derivate von über 500 Billionen Dollar gehandelt werden und alleine J. P. Morgan zeitweise ein Derivatevolumen von gut 80 Billionen Dol-(Fortsetzung lar hält, dann kann das nicht nur auf der Grundlage wirtschaftlicher Realitäten beruhen.

Rettungspakete in vorher kaum denkbarem Umfang

Um der Krise zu begegnen, hat die US-Regierung Anfang Oktober ihr 700 Milliarden Dollar schweres Maßnahmenpaket geschnürt. Die Kommentare, die das Bild von privatisierten Gewinnen und sozialisierten Verlusten auf Kosten der Steuerzahler zeichneten, waren dabei durchaus nachvollziehbar. Denn die reine Marktwirtschaft, für die insbesondere die angelsächsischen Staaten so gerne eintreten, sieht anders aus. So war denn auch schnell spöttisch von der "Volksrepublik Wall-Street" oder von "öffentlichen Pflastern auf privaten Wunden" die Rede. In Europa sahen sich die Regierungen knapp drei Wochen später ebenfalls zu staatlichem Eingreifen gezwungen.

Die nationalen Rettungspakete erreichten dabei einen vorher kaum denkbaren Umfang: 480 Milliarden Euro in Deutschland, 360 Milliarden Euro in Frankreich, 150 Milliarden Euro in Schweden und 100 Milliarden Euro in Österreich - um nur ein paar Beispiele zu nennen. Und ebenso wie in den USA, so entbrannte auch in Europa eine verständliche Diskussion über Kollateralschäden der Krise für die Steuerzahler. In diesem Zusammenhang muss aber auch klar gesagt werden, dass das staatliche Eingreifen notwendig war, um das Überschwappen der Krise von der Finanz- auf die Realwirtschaft so weit wie möglich zu begrenzen. An diesem Punkt wurde besonders deutlich, dass die Krise nicht nur die Kapitalmärkte selbst, sondern den gesamten Wirtschaftskreislauf bedroht, und dass Teile der globalen Finanzwirtschaft sich ihrer Verantwortung für die Realwirtschaft nicht mehr bewusst waren beziehungsweise diese zumindest vernachlässigt haben.

Weg zu Veränderungen

Die international abgestimmten Zinsschritte und die Rettungspakete der nationalen Regierungen waren jedoch zunächst nur reines Feuerlöschen für die Gegenwart. Für die Zukunft ist präventiver Brandschutz notwendig, damit der Zug der Finanzwirtschaft nicht noch mal auf Crashkurs mit weitreichenden Folgen für die Realwirtschaft geht.

Unstrittig dürfte sein, dass es nach den staatlichen Interventionen ein einfaches "weiter so" nicht geben darf und die Finanzmarktkrise für eine "grundsätzliche Besinnung" sorgen muss, wie es in der Tagungsbroschüre treffend heißt. Zu hoffen ist auch, dass sich die internationalen Gemeinsamkeiten nicht bereits an diesem Punkt erschöpfen und dass zum Beispiel die Vorstellungen Kontinentaleuropas und die der angelsächsischen Staaten hinsichtlich notwendiger Modernisierungen in einem zukunftsfähigen Konsens zusammengeführt werden können.

Es gilt, die Krise als Chance anzunehmen. Hilfreich ist hierbei vielleicht ein Blick auf die chinesische Schrift, wo das Zeichen für "Krise" interessanterweise aus zwei symbolischen Elementen besteht: das eine steht für Gefahr, das andere für Chance. Ganz in diesem Sinne ist es wichtig, dass auf dem Weg zu Veränderungen die folgenden Punkte diskutiert werden. Sie zeigen Möglichkeiten auf, mit denen der apostrophierten "Diktatur" der Kapitalmärkte begegnet werden kann:

Basel II-Vorschriften weltweit umsetzen:

Unter den international definierten Standards von Basel-II wäre eine Entwicklung wie in den vergangenen Monaten zumindest weniger wahrscheinlich gewesen. Konsequenz kann nur sein, Basel-II möglichst schnell flächendeckend einzuführen. Es macht nachdenklich, dass die neuen Eigenkapitalregeln ausgerechnet von den USA und den führenden Investmentbanken als den wesentlichen Initiatoren immer noch nicht umgesetzt sind, während in Deutschland jede noch so kleine Sparkasse und Genossenschaftsbank hohen Aufwand betrieben hat, um dieses Regelwerk anzuwenden.

Bilanzierungsregeln hinterfragen:

Sehr begrüßenswert sind die bisherigen Schritte zur Anpassung der Fair-Value-Betrachtung nach IFRS, die sich im Stresstest der Krise als wenig hilfreich erwiesen hat. Wissenschaftlich untermauert wurde diese Notwendigkeit vor sechs Wochen durch eine Studie der Ruhr-Universität Bochum, die zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die IFRS-Vorschriften prozyklisch gewirkt haben und die Finanzmarktkrise nicht nur begünstigt, sondern sogar verschärft haben. Darüber hinaus ist es wünschenswert, dass das bewährte HGB-Prinzip, das den Gläubigerschutz ins Zentrum der Bilanzierung stellt, eine stärkere Berücksichtigung in den internationalen Rechnungslegungsvorschriften findet - und nicht das Aktionärsinteresse. Denn dem Gläubiger ist ein größeres Schutzrecht einzuräumen als dem Aktionär, da Gläubiger in dieser Krise "gefühlt" mehr verloren haben als Aktionäre.

Rolle der Ratingagenturen neu aufrufen: Die Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, dass von Ratingagenturen ein größeres systemisches Risiko ausgehen kann als von manchem Finanzdienstleister selbst. Um diesem latenten Risiko zu begegnen, ist es zum Beispiel geboten, die bisher nur freiwilligen Regelungen des "Verhaltenskodex für Ratingagenturen" der Internationalen Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus der Finanzmarktkrise zu überprüfen und in ein verbindliches Regelwerk zu überführen.

Ergänzung durch konkrete, durchsetzbare Regeln

Des Weiteren muss auch die Frage nach einer anerkannten, nicht nur durch Aktionäre kontrollierten Europäischen Ratingagentur mit neuer Dynamik auf die Agenda gesetzt werden. Dabei ist von der grundsätzlichen Einsicht auszugehen, dass auch Ratingagenturen dem Aufsichtsrecht unterworfen sein müssen, sofern die von ihnen vergebenen Noten maßgeblich für die Eigenkapitalunterlegung sind. Es kann denn auch nur begrüßt werden, dass die EU-Kommission ihre Pläne für eine staatliche Aufsicht über Ratingagenturen gerade in den letzten Tagen deutlich verschärft hat mit dem Ziel, den überkommenen Verhaltenskodex durch konkrete, durchsetzbare Regeln zu ergänzen. Es soll keine Verantwortung abgewälzt werden; der Vorstand ist erstverantwortlich. Aber immerhin genießt das Rating aufsichtsrechtliche Anerkennung für die Eigenkapitalunterlegung.

Regulierung und Aufsicht auf globaler Ebene organisieren: Auch wenn es dem einen oder anderen wehtut, so ist es doch eine zentrale Erkenntnis der vergangenen 18 Monate, dass der Markt alleine eben nicht alles regelt. Es bedarf auch wohldosierter Regulierung. Hierbei muss aber darauf geachtet werden, dass es nicht zu Überreaktionen kommt, unter denen auch diejenigen Kreditinstitute zu leiden hätten, die aufgrund ihres Geschäftsmodells weniger von den Bewegungen des Kapitalmarkts betroffen sind. Oder anders: Es darf nicht zu einer Aufsicht kommen, die - wie kürzlich Guido Westerwelle im Bundestag kritisch anmerkte - "jede Sparkassenfiliale haarklein untersucht, aber bei einem Dax-Konzern in einen Dornröschenschlaf fällt".

"Schlupflöcher" stopfen

Notwendig ist auch eine Diskussion über die Art und Weise einer künftigen globalen Aufsicht, da die besten Regeln nur wenig nutzen, wenn es keine Instanzen gibt, die ihre Umsetzung überwachen. Institutionen hierfür haben wir übrigens bereits. Zu denken ist da beispielsweise an das internationale "Financial Stability Forum", den IWF und die Weltbank.

Auch das Baseler Komitee für Bankenaufsicht oder der Club der Notenbanker könnten eine stärkere Rolle übernehmen. Woran es all diesen Institutionen jedoch heute mangelt, sind die notwendigen Kompetenzen und die damit verbundene internationale Durchschlagskraft. Ein entsprechender Weg könnte sich vielleicht im Rahmen der Weltfinanzgipfel eröffnen, die am 15. November mit dem Treffen in Washington begannen.

Offshore-Zentren trockenlegen: Auch wenn die meisten Offshore-Zentren quasi souveräne halbstaatliche Einheiten sind, so sind sie doch vom Wohlwollen der eigentlich maßgeblichen Staaten in der Finanzbranche abhängig. Und diese haben bisher geduldet, dass sich Banken und Finanzgesellschaften auf exterritorialen Gebieten wie den Cayman-Inseln, Jersey oder den Bahamas niedergelassen und sich in diesen "Schlupflöchern" weitgehend der Regulierung und der Aufsicht entzogen haben. Eine einfache Lösung dieses Problems hat Altkanzler Helmut Schmidt aufgezeigt, indem er forderte, "den Banken und Versicherungen im eigenen Land zu verbieten, privaten Finanzinstitutionen Kredite zu geben, die sich durch einen rechtlichen Sitz auf jenen Inseln der Aufsicht ... entziehen".

Anreizsysteme reformieren: Die Akteure
auf den Finanzmärkten haben auch deshalb mit vollem Risiko gespielt, weil die meisten Anreizsysteme ausschließlich auf Erträge ausgerichtet sind. In einem solchen System scheint es nur allzu logisch und rational, mit maximalem Einsatz und Risiko zu arbeiten. Um dies künftig zu verhindern, ist eine Modernisierung der Anreizsysteme notwendig. Diese Modernisierung muss vor allem den Komponenten Risiko und Nachhaltigkeit viel stärker gerecht werden. So könnten beispielsweise die Ziele des internen Risikomanagements oder das Interesse der Aktionäre an einer nachhaltigen und stabilen Unternehmensrendite stärker Berücksichtigung bei der Bezahlung finden.

Nicht mehr Werte für einen bestimmten Bilanzstichtag zu schaffen, sondern über einen längeren Zeitraum - das könnte ein Ansatz sein. So könnten Boni in Aktien zum aktuellen Kurs - gezahlt und mit einer Sperrfrist versehen werden.

Nachhaltige Werte schaffen

Die Forderung nach einer pauschalen Höchstgrenze für die Gehälter der Top-Manager im Finanzbereich ist zu kurz gesprungen - bedarf dieser Bereich doch einer unternehmensspezifischen Betrachtung. Wie schon angemerkt sollte hierbei die an der unternehmerischen Wertschöpfung und ihrer Nachhaltigkeit zu bemessende Leistung im Vordergrund stehen.

Wertesystem der Kapitalmärkte überprüfen: Anzuregen sind auch grundsätzliche Korrekturen im Wertesystem der Finanzwirtschaft. Die Bankenwelt muss sich wieder mehr auf ihre traditionelle Rolle besinnen, nämlich Dienstleister für die Realwirtschaft zu sein. Die Umwandlung der verbliebenen US-Investmentbanken in traditionelle Geschäftsbanken ist hierbei ein konsequenter Schritt.

Auch müssen wir weg von der kurzfristigen Renditemaximierung à la "Lower Manhattan" und stattdessen Nachhaltigkeits- und Stabilitätsaspekten einen deutlich breiteren Raum zugestehen. Michael Douglas hat 1987 im Kinoschlager "Wall-Street" sinngemäß gesagt, dass Habgier eine Tugend in der Finanzbranche sei. Ein solch falsches Verständnis von Werten, nach dem nicht nur im Film, sondern auch in der Realität gehandelt wurde, bedarf einer deutlichen Korrektur. Angezeigt ist für die Finanzbranche vielmehr ein Selbstverständnis als Verantwortungsgemeinschaft, die um ihre eminente Bedeutung für die nationale und globale Wirtschaft weiß.

Plurales Finanzsystem erhalten: Eine der

Stärken des westlichen Wirtschaftsystems ist es, dass es den Unternehmen bei ihrer geschäftspolitischen Grundausrichtung einen hoher Freiheitsgrad überlässt. Dies beugt Monokulturen und gleichgerichtetem Verhalten der Marktteilnehmer vor und sorgt für Pluralität und Wettbewerb. Das Drei-Säulensystem der deutschen Kreditwirtschaft, in dem jede Säule ihre spezifische Daseinsberechtigung hat, ist ein gutes Beispiel hierfür.

"Gute Mischung unterschiedlicher Geschäftsmodelle"

Aufgrund der unterschiedlichen Geschäftsmodelle von Banken und Sparkassen haben wir in Deutschland - anders als zum Beispiel in England - nicht das Problem, dass die gesamte Kreditwirtschaft gleichförmig von der Finanzmarktkrise betroffen ist. In diesem Zusammenhang hat denn auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Sommer hervorgehoben, dass es "für die Stabilität des gesamten Systems bis auf Weiteres sehr wichtig ist, wenn es neben Instituten, die ihre Kredite vor allem über den Finanzmarkt erwerben, auch eine ausreichend große Zahl von Banken gibt, die ihre Hauptaufgabe im traditionellen direkten Kreditgeschäft sehen". Auch vor diesem Hintergrund habe ich im Rahmen der aktuellen Sparkassenrechtsnovellierung in Nordrhein-Westfalen immer dafür geworben, an unserem Pluralistischen Finanzsystem festzuhalten. Andere Staaten können von dieser "guten Mischung unterschiedlicher Geschäftsmodelle" durchaus etwas abschauen.

Abschließend noch eine Anmerkung aus der Sicht eines Sparkassenvertreters: In den vergangenen Jahren hatte ich manchmal fast den Eindruck, ich müsste mich für unser angeblich antiquiertes Geschäftsmodell entschuldigen, das nach wie vor den Kunden in das Zentrum des Handelns stellt. "Überholt, altbacken und langweilig" hieß es hier und da. Dabei wollen wir mit unserem Geschäftsmodell gar nicht für Spannung und Nervenkitzel auf den Kapitalmärkten sorgen, sondern für Seriosität, Sicherheit und Stabilität in der Realwirtschaft. Insofern werbe ich für ein plurales System mit Sparkassen als das "soziale Element der Finanzwelt".

Dieses mit einem gewissen Stolz einhergehende Selbstverständnis darf nicht dahingehend interpretiert werden, dass wir als Sparkassen unsere großen privaten Mitbewerber aus der Warte der Despektierlichkeit betrachten. Ganz im Gegenteil sehen wir in einem leistungsfähigen, ökonomisch gesunden Bankensektor ein unverzichtbares Element der deutschen finanzwirtschaftlichen Kultur. Und ich wünsche mir sehr, eine unserer Wirtschaftskraft entsprechende Bedeutung am internationalen Finanzmarkt, aber bitte nicht durch die Übernahme von Sparkassen.

Empfindungen der Solidarität

Gerade in der Krise, die nicht gegeneinander, sondern miteinander durchgestanden werden muss, sind uns Empfindungen der Solidarität nicht fremd. Es wäre daher schön, wenn auf der Grundlage der Gegenseitigkeit auch die privaten Banken die derzeitige Krise als Chance begreifen könnten - und zwar in dem Sinne, dass die in der Vergangenheit oft genug bekundete Aversion gegen die Sparkassen und das Drei-Säulensystem einer stärkeren Konsens- und Akzeptanzorientierung weicht. Dies sei als Wunsch am Rande geäußert.

Die Finanzmarktkrise hat das Geschäftsmodell der Sparkassen und die Notwendigkeit beziehungsweise Modernität des öffentlichen Auftrags einmal mehr bestätigt: Mit einer Steigerung der Unternehmenskredite um 13,5 Prozent in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres haben die Sparkassen wesentlich dazu beigetragen, dass die Kreditversorgung in Deutschland jederzeit gesichert war. Damit sei übrigens keiner anderen Bank unterstellt, dass sie absichtlich keine Kredite mehr vergeben würde.

Es werden eher einige aufgrund ihrer Refinanzierungsstruktur in den nächsten Monaten schwerer haben werden, Kredite im volkswirtschaftlich notwendigen Maße zu vergeben. Wie wichtig es jedoch ist, dass genügend Anbieter für ein ausreichendes Kreditangebot sorgen, verdeutlicht die Studie "Unwinding Leverage" der Deutschen Bank, in der sie bis 2010 eine Einschränkung des Kreditangebotes in Deutschland um rund 12 Prozent prognostiziert. Wir Sparkassen werden alles dafür tun, dass unsere Kunden eine solche Entwicklung - wie in der Vergangenheit - nur vom Hörensagen mitbekommen werden. Und ich wünschte mir, das würden alle sagen.

Wenn es uns jetzt nicht gelingt, die von vielen "gefühlte" Diktatur der Kapitalmärkte in den Griff zu bekommen, ist zu befürchten, dass es dann zu einer Diktatur über Kreditwirtschaft und Kapitalmarkt kommen wird. Handeln ist also angezeigt! Und deshalb sollten wir es mit John F. Kennedy halten, der einst sagte: "Einen Vorsprung im Leben hat, der da anpackt, wo die anderen erst einmal reden."

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors bei der 54. Kreditpolitischen Tagung der ZfgK am 7. November 2008. Die Zwischenüberschriften sind von der Redaktion eingefügt.

Alexander Wüerst , Vorsitzender des Vorstands Kreissparkasse Köln und Landesobmann der rheinischen Sparkassen , Kreissparkasse Köln
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