Aufsätze

"Der Staat muss den Ordnungsrahmen für das Bankgeschäft neu definieren."

Als das Thema dieser Tagung konzipiert wurde, hätte man in der Tat darüber philosophieren können, ob wir unter der Diktatur des Kapitalmarkts leben. Heute dagegen haben wir es vielmehr mit einer Trendumkehr zu tun. Banken verschwinden reihenweise von der Bildfläche. Der Staat nutzt die Gunst der Stunde und greift ein, um Dinge - wie er meint - besser zu ordnen. Der Grund liegt auf der Hand: Wir haben es nicht nur mit einer Krise im Finanzsystem zu tun, sondern mit einer Krise des Finanzsystems und, was diese im Vergleich zu historischen Vorbildern zu einer besonderen macht, sie ist weltweit.

Krisen rufen nach Reformen. Aber es ist nicht die Zeit für Schnellschüsse. Zunächst geht es um Sofortmaßnahmen, die die akuten Nöte lösen. Reformen aber sollten den Atem haben, zuerst die Ursachen und Folgen der Krise aufzuarbeiten, um dann zu qualitativ besseren und international einheitlichen Reformvorschlägen zu kommen. Das ist die Aufgabe der kommenden Monate.

Stärkere Regie des Staates

In diesem Reformprozess scheint sich ein bemerkenswertes Comeback des Staates anzubahnen. Die Anzeichen mehren sich, dass der "Marktfetischismus" der vergangenen Jahre sich in einen "Staatsoptimismus" wandelt. Große Teile der Bevölkerung erwarten vom Staat bessere Lösungen als sie - wie man meint - ganz offenbar der Markt und seine Selbstheilungskräfte produziert haben und in Zukunft produzieren können. Dies ist die Stunde der Politiker, und viele, denen die soziale Marktwirtschaft schon seit Jahren ein Dorn im Auge war, nutzen die Gelegenheit, um dieses Wirtschaftsmodell weiter in Zweifel zu ziehen. Wer unter Neoliberalismus stets etwas Vernünftiges verstanden hat, der wird Lügen gestraft. Neoliberalismus ist heute das "Totschlagsinstrument" in der Diskussion über Markt und Ordnung.

Die Zeiten sind also andere geworden. Bis vor Kurzem noch haben wir einen angloamerikanischen Finanzkapitalismus erlebt, der immer mehr die Standards für die Finanzindustrie und die Wirtschaft generell, besonders aber bei den börsennotierten Unternehmen, gesetzt hat.

Wenn man den Start dieses Finanzkapitalismus an irgendeinem Datum festmachen möchte, dann an der Regierungsübernahme durch Ronald Reagan im Jahr 1980. Damals gab es den ganz deutlichen Entschluss der amerikanischen Regierung, unterstützt vom Kongress und nicht zuletzt von der US-Notenbank, konsequent auf Liberalisierung zu setzen, Deregulierung in allen Bereichen einzuführen und damit eine neue Ära des Wirtschaftsaufschwungs einzuleiten.

Das Resultat war überzeugend. Die Vereinigten Staaten erlebten einen enormen Wirtschaftsaufschwung. Die Globalisierung machte große Fortschritte und eröffnete damit weltweit neue Wachstumschancen. Der technologische Fortschritt unterstützte alle diese Entwicklungen in einem großen Ausmaß. Die Amerikaner, aber auch die Bevölkerungen aller Länder, die sich dieser Bewegung anschlossen, profitierten von mehr Wachstum, mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr und deutlich besseren Jobs sowie mehr Wohlstand für alle.

Angelsächsischer Finanzkapitalismus mit Absolutheitsanspruch

Vorangetrieben wurde der Wirtschaftsaufschwung von einer Politik des billigen Geldes. Wenn es zu Krisen kam, wurden Börsen und Wirtschaft durch das Anwerfen der Notenpresse wieder auf Wachstumskurs gebracht. All dies führte dazu, dass es keine Zweifel geben konnte, dass das amerikanische Modell das Richtige sei. Die Reihe der Nachahmer diesseits des Atlantik häuften sich.

In den Jahren des Erfolges wurde dann von den Amerikanern, aber auch von den Engländern, die sich gleichermaßen zu Vorreitern dieses Modells machten, ein Absolutheitsanspruch entwickelt. Sie betrachteten ihr System nicht länger als eine Option unter mehreren, sondern ganz deutlich als das allein selig machende. Liberalismus und Deregulierung wurden zur Weltanschauung, und das angelsächsische Erfolgsmodell wurde zum Gesetz.

Die Kontinentaleuropäer haben das mehrfach im Umgang mit den Angelsachsen erleben müssen, wenn es darum ging, mehr Skepsis walten zu lassen. Erinnern wir uns gerade in jüngster Zeit an das Bemühen von Bundeskanzlerin Merkel und anderen europäischen Staatschefs, zu einer gemeinsamen neuen Regulierungslösung für die Finanzmärkte zu kommen. Der Widerstand aus New York/Washington und London war unüberhörbar und hinderte jeden Fortgang der Diskussion. Erinnern wir uns, dass Basel II bis heute von den Vereinigten Staaten nicht umgesetzt worden ist. Es zeigt sich also: Die angelsächsischen Länder sind nach wie vor davon überzeugt, dass ihr System das Richtige sei.

Institutionelle Investoren als zentrale Akteure

Der Erfolg gab ihnen lange Zeit Recht. Die Finanzindustrie erlebte eine unglaubliche Blütezeit, insbesondere in den Vereinigten Staaten. Zuletzt erzielte sie dort 14 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung und ein Drittel aller Unternehmensgewinne. Und wir wissen, dass auch die Wirtschaft in Großbritannien ganz maßgeblich auf den Beitrag der Dienstleistungsbranche und insbesondere der Finanzdienstleister aufgebaut ist. Von daher sind also die Folgen dieser durch Ronald Reagan eingeleiteten Entwicklung noch heute unübersehbar.

Auf dem europäischen Kontinent fand diese Politik ihre Nachahmer, und das ursprüngliche Modell der Sozialen Marktwirtschaft, des Ausgleichs zwischen Wettbewerb und Ordnung, erodierte. Der Staat, wann immer er seine ordnende Rolle beanspruchte, wurde eher als Bremsklotz, denn als Helfer betrachtet. Jacques Delors hat das, was hier in Europa Mode wurde, kurz bezeichnet als "capitalism savage". Man fühlt sich an Helmut Schmidt erinnert, der das etwas griffiger "Raubtierkapitalismus" nannte. Das heißt also: Diese Entwicklung hat zu Übertreibungen geführt, aber nicht aus Übermut, sondern letztlich getrieben von einer strukturellen Entwicklung an den Kapitalmärkten weltweit.

Zentrale Akteure auf diesen Märkten sind die institutionellen Investoren, die über die Zeit eine immer größere Rolle eingenommen haben. Das Aufkommen großer Pensionsfonds, Versicherungen, die Privatisierung des Alterssicherungssystems weltweit, all dies hat in den letzten 25 Jahren zu einer Anhäufung von Finanzvermögen in der Größenordnung von 60 Billionen US-Dollar geführt. Und diese 60 Billionen US-Dollar sind im Wettbewerb und suchen nach Anlagemöglichkeiten und dem besten Anlageergebnis. Der dadurch aufgebaute Druck war nicht zuletzt der Treiber für die gerade skizzierte Entwicklung.

Shareholder Value über alles

In deren Verlauf kam es dann auch kulturell zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse. Nicht mehr der Unternehmer eines Familienunternehmens oder der Manager eines Börsenunternehmens waren diejenigen, die das Sagen hatten und den Weg bestimmten. Es waren die das Kapital gebenden Finanzinvestoren, die diese Unternehmer, vor allem aber die Manager von börsennotierten Unternehmen, drängten, bestimmte Strategien einzuschlagen, die den Investoren am günstigsten erschienen, um deren Ziele am ehesten zu erreichen. Der letzte Ausfluss dieser Entwicklung war der auf die reine Rendite getrimmte Aktionärsaktivismus, der beispielsweise bei der Deutschen Börse einen deutlichen Niederschlag gefunden hat.

Und so ist fast automatisch ein Anspruchsdenken und ein Wettbewerb um immer höhere Renditen in Gang gekommen. Es wurde ein Shareholder-Value-Denken entwickelt, das nichts mit dem ursprünglichen Erfinder von Shareholder Value, Alfred Rappaport, zu tun hat und im Grunde falsch verstanden wurde. Es diente aber als Entschuldigung, diese primär und allein auf Rendite getrimmte Unternehmenspolitik zu rechtfertigen und angeblich in einen größeren Zusammenhang zu stellen.

Licht und Schatten

Verkannt werden sollte nicht, dass diese Entwicklung dennoch auch sehr positive Effekte hatte. Der Rendite-Druck veranlasste die Unternehmen zu einer Überprüfung ihrer Prozesse, Strukturen und Strategien. Im Grundsatz war das überaus heilsam. Gerade für die deutsche Industrie, deren strahlendes Comeback auf die Weltmärkte Mitte dieses Jahrzehnts ohne die energische Umstrukturierung kaum möglich gewesen wäre.

Andererseits aber ist durch diesen Einfluss der institutionellen Investoren auf die Unternehmenspolitik in die gesamte Strategie und die Perspektive des Wirtschaftens eine Kurzatmigkeit hineingekommen und damit verbunden auch eine Kurzsichtigkeit. Das Schielen auf Quartalsabschlüsse und das Antizipieren der Reaktion von Analysten, Investoren und der interessierten Öffentlichkeit auf solche Abschlüsse haben dazu geführt, dass die langfristige strategische Perspektive in der Unternehmenspolitik zuweilen zu kurz gekommen ist.

Dadurch hat diese Entwicklung nicht nur Gewinner, sondern nicht zuletzt auch Verlierer hervorgebracht. Und dies führt zur Diskussion in Deutschland über den nicht angekommenen Aufschwung, über die Gerechtigkeitslücke, über den Finanzmarktkapitalismus als Ursache allen Übels generell. Von daher also ist eine Entwicklung, die in guter Absicht vor 25 Jahren begonnen hat, inzwischen an einer Stelle angekommen, an der man sich in der Tat unabhängig von der Finanzkrise hätte fragen können und müssen, ob das so weiter gehen kann.

Finanzkrise als Zäsur

Die Finanzkrise markiert eine Zäsur in dieser Entwicklung. Die Lage ist in der Tat ausgesprochen ernst. Wir haben es mit einer systemischen und strukturellen Krise zu tun und nicht nur mit einem unglücklichen "Happening". Anders als die Asienkrise 1997, der Zusammenbruch des Hedgefonds LTCM oder die Dotcom-Blase, anders also als alle jüngeren Unglücksfälle, hat diese Finanzkrise ein anderes Charakteristikum. Sie ist weiter greifend und die Anzeichen verstärken sich täglich, dass sie die Realwirtschaft überall in der Welt nachhaltig trifft.

Vielfältige Ursachen und Verursacher der Finanzkrise

Für die Entstehung der Finanzkrise gibt es keine monokausale Erklärung. Vielmehr sind eine ganze Reihe von Negativfaktoren zusammengekommen. Zunächst haben wir es mit einem ganz deutlichen Staatsversagen der Vereinigten Staaten zu tun. Denn daraufhin ist nicht die Krise insgesamt, aber doch der Auslöser erst möglich geworden. Die Politik hat viele Menschen ermutigt, Immobilien zu erwerben, die sie sich eigentlich nicht leisten konnten. Diese Entwicklung wurde unterstützt durch die staatlichen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac, aber auch durch die Federal Reserve, die die Geldschleusen sehr großzügig öffnete. Niedrige Zinsen ermutigten private Haushalte zu einer noch höheren Verschuldung. Insbesondere für Hypothekenaufnahmen wurde in Amerika ein neues Kundensegment entdeckt, die sogenannten Ninjas: No income, no job, no assets.

Dazu kamen hochkomplexe Verbriefungsstrukturen, die jeden Bezug zum ursprünglichen Kreditgeschäft vermissen ließen, denen unzureichendes Research zugrunde lag und die letztlich den Anleger über die Risiken im Unklaren ließen. Banken ohne tragfähiges Geschäftsmodell fühlten sich dennoch angezogen, sich an diesem Markt zu beteiligen und zunächst einmal interessant erscheinende Profite zu erzielen. Zu unserer aller Überraschung war auch eine Vielzahl von deutschen Instituten munter dabei, sich in verbrieften, kaum durchschaubaren US-amerikanischen Immobilienrisiken der Ninjas zu engagieren.

Die Aufsichtsbehörden insgesamt haben diesem Treiben zu lange zugeschaut. Sie haben außerbilanzielle Zweckgesellschaften geduldet, also das Verstecken von Risiken, sodass diese im eigentlichen Rechnungswerk nicht mehr deutlich genug zum Vorschein kamen. Sie haben Regulierungsarbitragen zugelassen; das Wort Dublin genügt, um deutlich zu machen, wovon die Rede ist.

Fehlentscheidungen auch bei Banken

Letztlich haben auch die Ratingagenturen deutliche Defizite gezeigt. Sie haben zu positive Bewertungen von sich gegeben und waren auch zum Teil befangen, weil sie an der Konstruktion der Produkte, die sie später selbst mit einem Rating versehen haben, beteiligt waren. Zudem wurde den Ratingagenturen von der Investorengemeinschaft ein zu großer Kredit entgegengebracht und das Rating mit zu viel Glauben an das Anständige im Menschen unterlegt. So kam es zu eklatanten Fehlentscheidungen in vielen Bereichen und letztlich natürlich auch bei Banken.

Die Banken dürfen und können sich nicht ausnehmen, Mitverursacher der Krise zu sein. Das heißt nicht, nur noch Asche aufs Haupt zu streuen, aber doch zuzugeben, dass sie an vielen Dingen, die eben geschildert wurden, ein deutliches Maß an Mitschuld und Mitverursachung tragen. Nicht zuletzt hat dazu eine Vergütungsstruktur beigetragen, die Anreize und Bonuszahlungen für kurzfristige Gewinne gewährte, ohne zu berücksichtigen, dass manche der zunächst geglückten Transaktionen sich im Laufe ihrer Zeit ins Gegenteil verkehrten.

Die Rettungsaktionen der internationalen Politik sind uneingeschränkt zu unterstützen. Zweifellos mussten die Staaten eingreifen, weil die Beteiligten die Krise nicht mehr alleine beheben konnten. Insofern verdient das konsequente Handeln der Staaten einen sehr deutlichen Respekt. Ihr gemeinsames Handeln war richtig: In einer globalisierten Welt machen Finanzströme nicht an den Grenzen halt. Wenn eine Krise im internationalen Sinn systemisch ist, muss die Antwort darauf ebenfalls systemisch und im weltweiten Gleichschritt sein.

Neuordnung der Finanzarchitektur

Wie geht es jetzt weiter? Viele haben Hausaufgaben zu machen. Für die Aufsichtsbehörden ist bessere Kontrolle angesagt. Dazu bedarf es qualifizierterer und motivierter Mitarbeiter. Bei allem Respekt vor dem Fleiß und dem Eifer der Behördenmitarbeiter: Eine staatliche Vergütungsstruktur, die insbesondere in der Bundesrepublik das Raster auch für die Aufsichtsbehörde vorgibt, setzt keine adäquaten Anreize. Der Staat sollte an der personellen und sachlichen Ausstattung der Aufsicht nicht sparen. Er sollte die Vergütung aus dem öffentlich-rechtlichen Gehaltstarif herausnehmen und ihr einen eigenen Zuschnitt geben. Dann würden sich wesentlich mehr Personen auch eher für eine Tätigkeit bei der und für die Aufsicht interessieren, und die Marktteilnehmer würden wahrscheinlich besser kontrolliert werden können. Wir brauchen - und dieses Petitum wird ständig wiederholt zudem eine europäische Aufsicht für große grenzüberschreitend tätige Finanzinstitute. Ein Modell wie die Europäische Zentralbank, die ein System nationaler Zentralbanken ist, könnte hier Pate stehen.

Die Ratingagenturen haben festzustellen: Selbstregulierung reicht offenbar nicht aus, um strukturelle Defizite in der Branche zu beheben. Notwendig ist mehr Transparenz, damit ein echter Wettbewerb um die besten Bewertungsverfahren ausgelöst wird. Das muss der Gesetzgeber fordern und die Voraussetzungen dafür nennen.

Höhere Transparenzpflichten

Für die Finanzbranche wird der Staat neue Verkehrsregeln aufstellen. Der Staat muss den Ordnungsrahmen für das Bankgeschäft neu definieren. Das heißt nicht, die ganze Branche auf den Kopf zu stellen. Aber es gibt eine Reihe von Punkten, die sicherlich regulierungs- und regelbedürftig sind.

Dazu gehören - erstens - höhere Transparenzpflichten für alle Marktteilnehmer. Zweitens: Alle Risiken müssen in der Bilanz auftauchen. Es kann nicht sein, dass sie durch großzügige Auslegung der Rechnungslegungsvorschriften, Zweckgesellschaften oder welche Instrumente auch immer so ausgebucht oder anders verbucht werden, dass der Gesamtzusammenhang verloren geht und sowohl die Aufsicht wie auch die Anleger, die Investoren wie die Kunden und die Mitarbeiter, im Dunkeln tappen. Drittens ist abzusehen, dass Banken künftig bei weitergereichten Risiken einen Teil davon im eigenen Buch behalten müssen.

Langfristigere Ausrichtung im Vergütungssystem

Im Vergütungssystem brauchen wir eine langfristigere Ausrichtung. Es ist falsch, Boni anhand von Erfolgen zu zahlen, die kurzfristig gut aussehen, deren langfristige Auswirkungen sich aber erst später niederschlagen. Boni sind zweifellos ein wunderbares Motivationsmittel und müssen beibehalten werden. Aber ausgezahlt sollen

sie erst werden, wenn sich wirklich feststellen lässt, dass das nicht nur ein Anfangserfolg ist, der sich später ins Gegenteil verkehrt.

Die internationale Politik wird den Druck der Krise und den jetzt erreichten Schulterschluss nutzen und bei den Regulierungen aufs Tempo drücken. Das ist richtig, denn wir benötigen einen besseren, arbeitsfähigeren Ordnungsrahmen für die Finanzbranche. Zwar lehrt uns die Erfahrung aus Basel II, aber auch aus Verhandlungen über Umwelt-/Klimaabkommen, wie schwerfällig Abstimmungsprozesse für internationale Regeln sind, erst recht, wenn damit Wettbewerbsnachteile für die nationale Wirtschaft oder Souveränitätsverluste für die Regierungen verbunden sind.

Einen gemeinsamen Nenner zu finden, wird schwierig werden. Man muss es aber versuchen und auf ein internationales Level Playing Field hinarbeiten, auf dem möglichst weltweit alle Institute und Marktplayer nach gleichen Prinzipien reguliert werden.

Aus den Fehlern lernen

Die Bankenwelt wird aus ihren Fehlern lernen und sie abstellen. Fünf Entwicklungen zeichnen sich ab:

Erstens: Der Kapitalbedarf der Branche steigt. Das liegt einmal an einer Fülle von unrealisierten Verlusten, die früher oder später schlagend und transparent werden. Durch den sich abzeichnenden wirtschaftlichen Abschwung wird es zu weiteren Wertberichtigungen im Kreditgeschäft kommen. Eine dritte Quelle für zusätzlichen Kapitalbedarf ergibt sich dann, wenn Geschäfte, die sich bisher "Off Balance Sheet" vollzogen, künftig in der Bilanz verbucht werden müssen.

Zweitens: Erlöse und Gewinne schrumpfen. Insofern wird die Finanzbranche von Renditevorstellungen Abstand nehmen müssen, wie sie vielleicht noch vor zwei, drei Jahren der Fall waren oder realistischerweise angenommen werden durften. Die Zeiten werden härter. Insbesondere Geschäftsmodelle, die darauf basieren, dass auf der Grundlage kurzfristigen Fundings längerfristige Aktivitäten getätigt werden, stoßen an Grenzen der Liquiditätsbeschaffung. Sie werden dann weniger möglich und fallen als Erlös- und Gewinnquelle aus. Die Kosten für das Funding der Banken werden ohnehin steigen. Und damit werden eine Reihe von Geschäften, die vor der Finanzkrise von vielen Banken als Ersatzdebitoren im weitesten Sinne genommen worden waren, immer weniger getätigt werden.

Verbriefte Produkte werden in Zukunft nicht mehr so komplex sein beziehungsweise sein dürfen wie in der Vergangenheit. Sie werden vielmehr standardisiert und einfacher, damit der Anleger weiß, womit er es zu tun hat, insbesondere was das Risiko angeht. Das verhindert natürlich Innovationen, die sich in der Vergangenheit in sehr komplexen Verästelungen verfangen haben, die kaum jemand, insbesondere der Abnehmer, mehr durchschaute, die aber hohe Margen abgeworfen haben.

Diese Quelle für Erlöse und Gewinne wird nicht mehr so sprudeln wie früher. Schließlich steht zu befürchten, dass die Kosten für ein teureres Funding nicht vollständig an die Kunden weitergegeben werden können. Denn der Wettbewerb wird nach wie vor sehr intensiv bleiben. In diesem Umfeld werden Marktteilnehmer mit einer großen Einlagen-/Depositenbasis ihren Vorteil ausspielen. Für diejenigen Banken, die keine solche Basis haben und sich Geld anderweitig am Kapitalmarkt beschaffen müssen, ergibt sich eine Verteuerung ihrer Refinanzierung und eine Schmälerung ihrer Margen, Erlöse und Gewinne.

Radikale Anpassung der Kosten

Drittens: Die Finanzbranche steht vor einem Strukturwandel. Es wird vermutlich zu einer radikalen Anpassung der Kosten an das neue Umfeld kommen. Die Marktteilnehmer können nicht so tun, als könnten sie angesichts eines Drucks auf die Margen und eines wachsenden Eigenkapitalbedarfs mit dem gegenwärtigen Kostengefüge so weitermachen wie bisher.

Das heißt, Kostensparen wird wieder einmal - leider, aber unumgänglich - das Gebot der Stunde sein. Die Attraktivität mancher Produkte wird sich wandeln. Vieles, was modern war, wird seinen Reiz verlieren. Komplizierte Zertifikate werden beim breiten Anlegerpublikum an Attraktivität verlieren. Stattdessen dürften wieder gut verständliche und traditionelle Produkte in der Gunst vorne liegen.

Viertens: Die Konsolidierung geht weiter. Marktteilnehmer werden näher zusammenrücken, um dem gewandelten Umfeld besser Rechnung tragen zu können. Wir haben schon einige Beispiele gesehen - in Deutschland, aber auch europaweit und nicht zuletzt in Amerika und UK. Treiber sind Deposit Gathering und Multi-Chan-nel-Vertrieb: Alle Banken haben gemerkt, wie wichtig eine große Einlagenbasis sein kann, gerade in Zeiten von Liquiditätsnöten. Liquiditätsmanagement, offensichtlich eine in Vergessenheit geratene Kunst, wird auch insofern wieder einen hohen Stellenwert haben. Daher werden Retailbanken begünstigt sein, die zudem ihre Vertriebskanäle nutzen und ausweiten, nicht nur national, sondern optimalerweise international.

Auftrieb für integrierte Anbieter

Fünftens: Investmentbanking. Eine Prognose hierfür fällt außerordentlich schwer. 2008 ist ein hartes Jahr für Investmentbanker und Investmentbanken gewesen. Die Verluste sind erheblich - wenn auch nicht durchgängig in allen Sparten des Investmentbankings. Wir werden noch eine Menge Überraschungen sehen, nicht katastrophenähnlich, aber doch in einer Größenordnung und aus ungeahnten Ecken so wie uns das im Verlauf dieser Finanzkrise immer wieder ergangen ist. Der Überraschungseffekt war ungeheuer, sowohl was Produkte als auch was die beteiligten Institute anging. Die ganze Wahrheit ist noch nicht ans Licht gekommen.

Auf mittlere Sicht wird das Investmentbanking mit einem Rückgang von Erlösen und Gewinnen rechnen müssen. Die Rekorde der Jahre zuvor werden so schnell nicht wieder erreicht werden können. Die Aktivitäten werden zurückgehen. Auch durch Regulierungen bedingt dürften daher Innovationen eine gewisse Grenze gesetzt werden und damit schrumpfen die Margen.

Die traditionellen Geschäftsmodelle erreichen dagegen eine Renaissance. Das Zusammenwirken zwischen Investmentbanking und Asset Management, zwischen Investmentbanking und Corporate Banking innerhalb einer integrierten Finanzinstitution, wird wieder modern werden. Überleben werden die integrierten Anbieter, die alles sehr effizient unter einem Dach anbieten können: Mit guten Produkten, guten Relationship Managern und mit guten Spezialisten, die den Kunden hervorragende Lösungen bieten. Die neue Branchenlandschaft könnte so aussehen, dass die globalen Universalbanken mit integriertem Investmentbanking zwei Drittel dieses Marktes abdecken und ein Drittel aus spezialisierten Banken sowie aus nationalen oder auch internationalen Commercial Banks besteht.

Vertrauen wiederherstellen

Vom Vertrauensverlust war noch nicht die Rede. Er ist eigentlich das Schlimmste, was den Banken widerfahren ist. Dass sich Banken gegenseitig kein Geld mehr leihen, habe ich in meinen 45 Jahren Banking nie erlebt. Der Interbankenmarkt ist das Blut des Daseins der Banker. Er hat immer wunderbar funktioniert, ohne Sicherheiten, einfach auf Zuruf, im Direktverkehr am Telefon.

Dieser Interbankenmarkt ist nun zusammengebrochen. Er läuft zurzeit nur mit Hilfe der Europäischen Zentralbank, weil sie eine Institution ist, die allen Beteiligten des Interbankenmarkts die Angst vor einem Ausfall des Geschäftspartners nimmt. Wenn es nicht gelingt, auf natürliche Art und Weise - das heißt statt der Europäischen Zentralbank - das Vertrauen zwischen den Kreditinstituten wiederherzustellen, dann könnte eine von der Finanzwirtschaft getragene zentrale Clearinggesellschaft, wie es sie zum Beispiel im Derivate-Markt gibt, eine interessante Lösung sein.

Das langfristige Ansehen der Finanzbranche und damit des Bankgeschäfts wird davon abhängen, wie ihr Verhalten in nächster Zukunft wahrgenommen wird. Ethische Grundsätze und Verhalten werden verstärkt unter Beobachtung stehen. Daher sind die Banken gut beraten, mehr denn je neben der Ökonomie auch die gesellschaftliche und politische Reichweite ihrer Aktivitäten zu bedenken und zu versuchen, das Bankgeschäft unter moralischen und ethischen Perspektiven darzustellen. Dabei müssen die Banken deutlich machen, dass sie eine wertvolle Funktion erfüllen und Banking eine unverzichtbare Branche ist.

Diese Diskussion, die weltweit in Gang gekommen ist, wird letztlich dazu beitragen, dass die amerikanische Hegemonie mit ihrem Absolutheitsanspruch in punkto Wirtschafts- und Finanzmodell gemindert wird, wenn nicht gar verschwindet. Kontinentaleuropäer mit dem Modell der Balance zwischen Freiheit und Ordnung haben eine gute Chance, letztlich wieder glaubwürdiger zu werden und Vertrauen zu gewinnen. Die soziale Marktwirtschaft ist dabei eine große Hilfe, haben sich doch die Grundsätze dieses Modells weit überwiegend bewährt. Sie ist und bleibt wahrscheinlich das leistungsfähigste, das effizienteste und das humanste Wirtschaftssystem.

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