Aufsätze

Drei Jahre nach Lehman - wo steht das Finanzsystem?

Es ist gut drei Jahre her, da standen das globale Finanzsystem und mit ihm ganze Volkswirtschaften am Abgrund. Was zunächst mit unterkapitalisierten amerikanischen Immobiliengeschäften und Spekulationsexzessen auf den internationalen Kapitalmärkten begann, brachte infolge der Lehman-Pleite kaum vorstellbare Risiken für die Weltwirtschaft zutage. Die Schwere der Krise verdeutlichte die Notwendigkeit schneller und durchschlagender Gegenmaßnahmen, die nachhaltig an der Wurzel des Übels ansetzen und das zunehmend zu beobachtende Primat der Kapitalmärkte gegenüber der Realwirtschaft beenden.

Fundamente für eine neue Finanzmarktarchitektur

Blickt man heute auf die aus der Krise gezogenen Konsequenzen zurück, so sollte man sich zunächst noch einmal die großen Forderungen und Notwendigkeiten vor Augen führen, die in den ersten Wochen nach der Lehman-Pleite als Fundamente für eine neue Finanzmarktarchitektur formuliert worden sind. So herrschte beispielsweise schnell Konsens darüber, den systemischen und prozyklischen Einfluss der Ratingagenturen künftig zu begrenzen.

Auch bestand Einigkeit, dass es neuer und weltweit wirksamer Regeln bedarf, mit denen komplexen und systemgefährdenden Spekulationsgeschäften, die teilweise gegen ganze Staaten gerichtet sind, Einhalt geboten werden kann. Ein weiterer zentraler Punkt war es, die Abhängigkeiten der Politik beziehungsweise der Volkswirtschaften von systemrelevanten Banken und den von diesen ausgehenden Stabilitätsgefahren zu begegnen. Weitere Aspekte waren eine stärkere Beteiligung der Finanzwirtschaft an der Risikovorsorge für künftige Krisen und eine zielgerichtete Reform des Aufsichtsrechts, die die Modernisierung der Finanzwelt flankiert und sich stärker als bisher an realwirtschaftlichen Anforderungen orientiert.

Analysiert man heute, inwieweit diese Forderungen und Notwendigkeiten erfüllt worden sind, so zeigt sich, dass bereits einige Schritte in die richtige Richtung gemacht worden sind. So ist es - losgelöst von den gleich noch dargestellten kontraproduktiv wirkenden Kritikpunkten -grundsätzlich zu begrüßen, die Basel-II-Vorschriften weiterzuentwickeln und Mechanismen zu erarbeiten, wie das internationale Finanzsystem künftig stärker an der Bewältigung von Krisen beteiligt werden kann. Eine Bestandsaufnahme der bisher eingeleiteten Veränderungen zeigt jedoch ebenso wie aktuelle Ereignisse in der Finanzwelt -, dass eine grundlegende und nachhaltige Reform der globalen Finanzmärkte bisher noch nicht erfolgt ist.

Ratingagentur für Europa

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass nicht nur von Banken, sondern auch von Ratingagenturen hohe Risiken für die Finanzmärkte ausgehen können. Gerade in den letzten Wochen und Monaten ist zunehmend deutlich geworden, dass vom Urteil der Bonitätsprüfer nicht mehr nur die Zukunft einzelner Unternehmen, sondern ganzer Volkswirtschaften abhängen kann, wie sich unter anderem im Rahmen der Griechenlandkrise und der Diskussionen über Irland, Portugal oder Italien zeigte. Zwar sind Rolle und Risiken der marktbeherrschenden Ratingagenturen im Laufe der Krise kritisch hinterfragt und in der EU erweiterte Regulierungsmaßnahmen verabschiedet worden, zu einer nachhaltigen weltweiten Neuausrichtung des Ratingsektors ist es jedoch bis heute noch nicht gekommen.

Vor diesem Hintergrund ist es angezeigt, alternativ zu einer globalen Lösung das Ziel einer Europäischen Ratingagentur, aus der ein spürbares Gegengewicht zu den drei dominierenden US-Gesellschaften erwachsen könnte, mit neuer Dynamik anzugehen. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass von den Wertungen der Ratingagenturen das Schicksal ganzer Nationen abhängen kann, sollte bei der Formulierung ihres Aufgabenspektrums auch festgeschrieben werden, dass neben dem Kernziel einer nachhaltigen Markt-, Staaten- und Unternehmensbeurteilung auch gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte angemessen berücksichtigt werden.

Des Weiteren sollte sich diese Agentur bei der Beurteilung von Unternehmen nicht zu einseitig auf deren Gewinnkomponenten konzentrieren, sondern das gesamte Geschäftsmodell beziehungsweise dessen Nachhaltigkeit und den Grad seiner Ausrichtung an der Realwirtschaft angemessen berücksichtigen. Wichtig wäre bei der Implementierung einer Europäischen Ratingagentur ferner, potenzielle Interessenkonflikte, die sich heute daraus ergeben, dass Auftraggeber und Ratingempfänger identisch sind, soweit wie möglich zu vermeiden. Dies könnte beispielsweise dadurch erreicht werden, dass eine Europäische Ratingagentur zunächst aus Mitteln der EU gegründet und anschließend in eine unabhängige Stiftung überführt wird. Diese müsste dann nicht mehr von den zu beurteilenden Institutionen bezahlt werden.

Bei der Diskussion über die Gründung einer Europäischen Ratingagentur wird immer wieder eine potenziell fehlende Anerkennung ihrer Bonitätsbeurteilungen von Seiten "der Märkte" angeführt. Würden jedoch die Aufsichtsbehörden die Bewertungen der neuen Agentur akzeptieren, dürfte auch die Finanzwelt diesem Vorgehen ohne großen Zeitverzug folgen.

Wettbewerbsverzerrung durch "too big to fail"

Ein Blick auf die Größenordnungen globaler Bankkonzerne verdeutlicht die Risiken, die nach wie vor von ihnen bei einer Schieflage für ganze Volkswirtschaften ausgehen können. So beträgt beispielsweise die aggregierte Bilanzsumme der fünf größten Banken in England das zweieinhalbfache des nationalen BIP. Ein ähnliches Bild zeigt sich in Frankreich, wo das entsprechende Bilanzvolumen fast das doppelte des BIP beträgt.

Auch Deutschland ist in diesem Zusammenhang nicht risikofrei. Schließlich weist die größte hiesige Privatbank eine Bilanzsumme von gut 60 Prozent des nationalen BIP auf, sodass deren Schieflage gravierende gesamtwirtschaftliche Verwerfungen mit sich bringen würde. Solche relativen Größenordnungen des Finanzsektors im Verhältnis zur jeweiligen Volkswirtschaft lassen zwangsläufig die Frage nach ihrem ökonomischen Sinn aufkommen. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit den daraus resultierenden wirtschaftlichen und fiskalpolitischen Klumpenrisiken, die ein Gegensteuern erfordern. Dabei müssen ja nicht gleich so drastische Schritte aufgerufen werden, wie es zuletzt mit einem Entflechtungsgesetz für die Mineralölkonzerne oder die Energiewirtschaft getan wurde. Was aber könnten praktikable Alternativen sein?

Eine Option sind die aktuell diskutierten höheren Eigenkapitalanforderungen für die Systemically Important Financial Institutions (Sifis), damit diese von ihnen selbst befeuerte Krisen künftig stärker aus eigener Kraft tragen können. Diese müssten so ausgestaltet sein, dass systemrelevante Banken einen spürbaren Puffer für künftige Krisen bilden, ohne dass ihnen parallel die "Luft zum Atmen" genommen wird.

Des Weiteren könnte die implizierte Staatshaftung für Sifis, von der diese spätestens seit der Krise aufgrund ihrer übermäßige Größe profitieren, mit einer noch näher auszugestaltenden "Sifi-Tax" bepreist werden, die neben dem bilanziellen auch das gesamte außerbilanzielle Geschäft berücksichtigen müsste. Mit einer solchen Abgabe könnte ein Notfallfonds für künftige Krisenfälle befüllt werden. Damit könnte auch der Wettbewerbsvorteil ausgeglichen werden, den "too big to fail-Institute" gegenüber kleineren Marktteilnehmern bei der Refinanzierung haben. Schätzungen zufolge resultiert aus der implizierten Staatshaftung ein Refinanzierungsvorteil von bis zu 50 Basispunkten, was Subventionen in Milliardenhöhe gleichkommt. Damit werden heute genau diejenigen Bankkonzerne bevorzugt, die für die Steuerzahler aufgrund ihrer Größe ein besonderes Risiko darstellen. Letztlich wird damit eine der zentralen Lehren aus der Lehman-Pleite ins Gegenteil verkehrt.

Ein weiterer Vorteil einer "Sifi-Tax" wäre, dass sie verursachungsgerechter ist als die Bankenabgabe, die in Deutschland von praktisch allen Marktteilnehmern bei Überschreiten der Freibetragsgrenze erhoben werden soll und bei deren Konzeption einige wichtige Aspekte außer Acht gelassen wurden.

Ohne Klientelpolitik zu betreiben, seien an dieser Stelle zwei die Sparkassen betreffende Beispiele genannt: Die Sparkassen verfügen mit der Institutssicherung über ein gruppeneigenes Sicherungssystem, das bereits vor einer Insolvenz eines Mitgliedsinstituts greift. Dementsprechend würde eine Sparkasse in Schieflage keine Leistungen aus dem mit der Bankenabgabe gespeisten Rettungsfonds in Anspruch nehmen können. Des Weiteren würde diese Sparkasse auch deshalb keine Leistungen aus dem Rettungsfonds erhalten, weil dieser nur für die Stützung systemrelevanter Banken gedacht ist, die einzelne deutsche Sparkasse jedoch nicht systemrelevant ist. Niemand wird es diesen daher verübeln können, wenn sie die heutige Ausgestaltung der Bankenabgabe mit einigem Unverständnis sehen.

Hinsichtlich der geografischen Anwendung einer "Sifi-Tax" sind mehre Varianten vorstellbar: Optimal wäre, wenn diese global, mindestens aber auf europäischer Ebene implementiert werden könnte und parallel die in Deutschland entwickelte Bankenabgabe ablösen würde. Sollte dies nicht erreichbar sein, könnte alternativ die deutsche Bankenabgabe unter Berücksichtigung der vorgetragenen Gedanken weiterentwickelt werden.

Krisenfeld Derivatemärkte

Eine Krise hat meist mehrere Ursachen, deren Summierung und Zusammenwirken erst zu schwerwiegenden Folgen führt. Auch die Finanzmarktkrise hatte viele Gründe und Beteiligte. Da waren der US-Subprime-Markt, Hedgefonds, Ratingagenturen, Aufsichtsbehörden und-vorschriften, außerbilanzielle Zweckgesellschaften, Renditegier, unregulierte Off-Shore-Zentren, Leerverkäufe, prozyklische Bilanzierungsregeln, die Niedrigzinspolitik der USA, Boni-Exzesse globaler Investmentbanken und finanzmathematisch goutierte Verbriefungstechniken wie Credit Default Swaps oder Collateralized Debt Obligations. Die Liste ließe sich weiter fortführen.

Will man die Krise jedoch auf einen Nukleus zurückführen, muss man sicherlich die exzessive Ausgestaltung des Derivatehandels, der sowohl der ertrags-, also auch der risikoreichste Teil der modernen Finanzmärkte ist, als einen der zentralen Auslöser nennen. Dabei darf zwar nicht vergessen werden, dass Derivate vom Grundsatz her nichts Schlechtes sind und bei einer Koppelung an realwirtschaftliche Transaktionen viele Vorteile mit sich bringen. Rein spekulativ und fern jedes realwirtschaftlichen Bezugs eingesetzt, bringen sie jedoch auch große Risiken mit sich.

Nicht zufällig malte Warren Buffett einmal das martialische Bild von "finanziellen Massenvernichtungswaffen". Schließlich ist der große Vorteil von Derivaten für die Spekulanten auch gleichzeitig deren großes Risiko für das Finanzsystem und die Weltwirtschaft: Sie laden über komplexe Hebelmechanismen förmlich dazu ein, mit einem zigfachen des vorhandenen Kapitals ins Risiko zu gehen. Vielfaches Hebeln kann jedoch auch das gesamte Finanzsystem aushebeln. Ein Blick auf die gehandelten Volumina verdeutlicht dies: Bei einem Welt-BIP von 60 Billionen Dollar kann ein geschätztes globales Derivatevolumen von 600 Billionen Dollar nicht ungefährlich sein.

Bessere Ausstattung der Aufsicht

Die Größenordnung solcher Handelsvolumina verdeutlicht, dass man dem überbordenden Derivatehandel bis heute regulatorisch nicht Herr geworden ist. Es gibt jedoch Maßnahmen, die in die richtige Richtung gehen. So wurden in den USA mit dem "Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act" zwischenzeitlich klare Vorgaben als Reaktion auf die Finanzmarktkrise formuliert und unter anderem einschneidende Veränderungen des Derivatemarktes eingeläutet.

So sollen Finanzinstrumente beispielsweise nur noch an den Börsen gehandelt werden dürfen und nicht mehr "over the counter" zwischen den einzelnen Akteuren (wobei "under the counter" die heutige intransparente Praxis wohl besser beschreiben würde). Wünschenswert ist, dass solche Vorgaben global aufgegriffen werden; in Europa zum Beispiel im Rahmen der Erarbeitung der "European Market Infrastructure Regulations". Damit könnte zusätzlich zu einer Stabilisierung der Märkte auch die Transparenz über die tatsächlichen Handelsvolumina und die jeweiligen Kontrahenten gesteigert werden.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Ausstattung der Aufsichtsbehörden. Für eine qualitative Beaufsichtigung komplexer Marktsegmente - wie beispielsweise des Derivatehandels - braucht es alleine schon deshalb ausgewiesene Experten, weil ihnen "auf der anderen Seite" ebenfalls Spezialisten gegenüberstehen, die mit immer kürzerer Halbwertszeit neue ausgefeilte Finanzprodukte entwickeln. In diesem Zusammenhang hat sich immer mehr ein "Hase-und-Igel-Spiel" entwickelt: Wo die Aufsicht mit ihren Regulierungsmaßnahmen ansetzt, ist der Spekulant meist schon lange. Und oftmals leider auch schon einen Schritt weiter. Um die qualitative Aufsicht über systemrelevante Banken zu verbessern, muss daher sicherlich auch über die finanzielle Ausstattung der Aufsichtsbehörden - unter Berücksichtigung des Verursacherprinzips - gesprochen werden.

Basel III - Orientierung an der Realwirtschaft gefragt

Die Krise hat verdeutlicht, dass eine von Neoliberalismus geprägte Regulierungspolitik, die sich an dem Credo orientiert, dass der Markt von sich aus schon alles regelt, zu sehr von perfekten Märkten ausgeht. Doch die Märkte sind eben nicht perfekt, was eine zielgerichtete, dem gesamten Wirtschaftssystem dienende Regulierung der Finanzmärkte erfordert. Wenn allerdings solche Regulierungsschritte im Angesicht einer großen Krise gemacht werden, besteht immer die Gefahr einer Überreaktion, die zwar theoretisch "gut gemeint", praktisch jedoch nicht immer in allen Teilen "gut gemacht" ist. Ein Beispiel hierfür sind die neuen Eigenkapitalvorschriften nach Basel III, von denen selbst die BaFin sagt, dass sie von der Grundtendenz her zwar richtig sind, jedoch auch Mängel und Ungerechtigkeiten enthalten, die aus deutscher Sicht nicht leicht zu ertragen sind.

Mit Basel III soll das Finanzsystem für die Zukunft krisenfester gemacht werden. Durch höhere Eigenkapitalunterlegungen soll die Finanzwirtschaft künftige Verwerfungen stärker aus eigener Kraft meistern können, als dies in den vergangenen Jahren der Fall war. Dieses Ziel ist grundsätzlich zu begrüßen. Um es zu erreichen, müssen Verbesserungsschritte jedoch am Kern des Problems ansetzen. Wo dieses im Detail liegt, darüber kann durchaus kritisch diskutiert werden; eins liegt jedoch auf der Hand: Weder die Realwirtschaft noch der Teil der Finanzwirtschaft, der das klassische Kreditgeschäft fest in seinem Geschäftsmodell verankert hat, waren Krisenauslöser. Weder einige wenige noch die Summe aller klassischen Bankkredite an die Realwirtschaft waren der Brandherd. Dies war vielmehr die aus dem Ruder gelaufene Spekulationskultur auf den internationalen Kapitalmärkten.

Statt jedoch hier ganz gezielt anzusetzen und der Finanzwirtschaft zum Beispiel über höhere Anforderungen an den Derivatehandel oder kostenverursachende Instrumente wie eine Finanzmarkttransaktionssteuer ihr spekulatives Eigenleben zu erschweren, wirken die höheren Eigenkapitalanforderungen nach Basel III über Gebühr in das klassische Kreditgeschäft mit der Realwirtschaft hinein. Darüber hinaus belastet das neue Instrumentarium nicht nur die Kreditversorgung des Mittelstands, sondern auch die der Kommunen. Eine Ursache hierfür ist die aus dem Leverage Ratio resultierende Verschuldungsgrenze, die das Geschäftsvolumen der Banken limitiert. Daraus könnte folgen, dass Banken sich künftig verstärkt von margenschwachen Geschäftsfeldern trennen oder diese nur noch mit höheren Margenanforderungen betreiben. So haben erste Banken bereits verlauten lassen, ihr Staatsgeschäft ganz oder zumindest teilweise aufgeben zu wollen.

Risiko von Fehlsteuerungen

Neben dem Leverage Ratio beinhaltet Basel III weitere Neuerungen, die sich auf die Liquiditätssituation der Finanzwirtschaft und ihr Kreditgeschäft auswirken können. Beispiele hierfür sind die Liquidity Coverage Ratio, mit der die Liquiditätssteuerung der Banken reguliert werden soll und die Net Stable Funding Ratio, über die die Fristentransformation der Kreditwirtschaft eingeschränkt werden soll. Träte diese wie vorgesehen in Kraft, würde die Möglichkeit der Banken, langfristige Kredite durch kurzfristige Einlagen zu refinanzieren, deutlich eingeschränkt und die in Deutschland traditionell langfristige und damit für die Kunden gut kalkulierbare Finanzierungskultur wäre nicht mehr wie bisher fortzuführen. Letztendlich würde damit eine der zentralen volkswirtschaftlichen Funktionen des Bankensektors beschnitten.

Des Weiteren birgt Basel III in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung auch deshalb das Risiko von Fehlsteuerungen, weil international tätige Großbanken die neuen Regeln leichter erfüllen können dürften als kleinere Institute. Daraus erwächst das Risiko, dass kleinere Institute es künftig schwerer haben werden, ihre Marktposition zu halten. Gerade diese haben jedoch während der Finanzmarktkrise durch ihr konservatives Geschäftsmodell erheblich dazu beigetragen, dass die Mittelstandsfinanzierung in Deutschland jederzeit gesichert war und es nicht zu der so oft beschworenen Kreditklemme gekommen ist. Würden nun aufgrund regulatorischer Anforderungen Anbieter vom Markt gedrängt, ginge dies zwangsläufig zulasten der Wettbewerbsintensität, was die - alleine schon durch die höheren Eigenkapitalunterlegungen steigenden - Kreditkosten für die Kunden noch weiter erhöhen könnte. Nicht umsonst also hat BaFin-Präsident Jochen Sanio zu Jahresbeginn vor einer neuen Form des "Finanzdarwinismus" gewarnt, aus der Bankkonzerne mit noch größeren Systemrisiken hervorgehen könnten.

Vor diesem Hintergrund ist ein zielgerichteter Umgang mit den Basel-III-Vorschriften erforderlich, der Raum für die Berücksichtigung individueller Besonderheiten der nationalen Volkswirtschaften und deren Anforderungen an die Kreditversorgung lässt. So ist beispielsweise die mittelständisch geprägte deutsche Unternehmenslandschaft mit ihrer tiefen Verwurzelung in der Realwirtschaft nicht ohne Weiteres mit der britischen vergleichbar, in der ein erheblicher Teil des BIP vom Finanzsektor abhängt.

Dementsprechend muss auch die aktuell für Europa zu beobachtende Umsetzungsplanung kritisch betrachtet werden: Basel III soll in den entscheidenden Punkten per EU-Verordnung mit der Gießkanne über alle Kreditinstitute gegossen werden - egal ob klein oder groß, international tätig oder regional, systemrelevant oder nicht. Voraussetzung für eine differenzierte Umsetzung in Deutschland, die sich an den Anforderungen der realwirtschaftlichen Gegebenheiten orientiert, wäre jedoch, dass Basel III in Form einer EU-Richtlinie erlassen wird. Auch wenn es mittlerweile wenig wahrscheinlich ist, bleibt zu hoffen, dass Brüssel diesen Weg vielleicht doch noch einschlägt.

In den USA gibt es übrigens schon länger Überlegungen, Basel III nur für systemrelevante, international tätige Großbanken vorzuschreiben, nicht jedoch für Regionalinstitute. Vor dem Hintergrund der genannten negativen Auswirkungen von Basel III für die Kreditversorgung der Realwirtschaft und der grundsätzlichen Zielrichtung des Baseler Ausschusses (Begrenzung systemischer Risiken international tätiger Banken) ist diesem Vorgehen einiges abzugewinnen. Würden Brüssel und Berlin bei der Umsetzung ähnlich verfahren, würde damit sicherlich ein wichtiger Beitrag dafür geleistet, dass die aufgrund neuer eigenkapitalbelastender Faktoren (Bankenangabe, EU-Einlagensicherung) ohnehin schon erschwerte Vergabe von Krediten an die mittelständische Wirtschaft nicht noch weiter erschwert wird und keine "aufsichtsrechtlich verordnete Kreditklemme" droht. Keine Alternative für die mittelständisch geprägte deutsche Wirtschaft ist übrigens der häufig vorgeschlagene Ersatz von Krediten durch Kapitalmarktprodukte, da nur die allerwenigsten Unternehmen kapitalmarktfähig sind.

Regionalinstitute ausnehmen?

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Einführung von Basel III in Europa ist, ob das Instrumentarium parallel auch wirklich auf allen relevanten internationalen Bankplätzen eingeführt wird. Bisher ist keineswegs auszuschließen, dass sich einzelne Staaten, die an Basel III mitgewirkt haben, einer nationalen Umsetzung entziehen. Dabei geht es nicht darum, bei der Umsetzung wie oben dargestellt - spezielle Anforderungen der nationalen Volkswirtschaften zu berücksichtigen und die Eigenkapitalregeln gesamtwirtschaftlich sinnvoll zu gestalten, sondern Basel III in Gänze nicht umzusetzen.

Bei Basel II hat es dies bekanntermaßen gegeben, was unter anderen deshalb zu Wettbewerbsverzerrungen insbesondere unter den international tätigen Banken geführt hat, weil Finanztransaktionen wenn möglich immer dort durchgeführt wurden, wo die Regulierung am schwächsten war. Für die Zukunft könnte eine solche "regulatorische Arbitrage" dadurch verhindert werden, dass Basel III in Europa unter der aufschiebenden Bedingung verabschiedet wird, dass alle anderen Unterzeichnerstaaten das Instrumentarium mit den zur Erreichung seiner Kernziele wesentlichen Inhalten ebenfalls und gleichzeitig umsetzen.

Die Forderung nach einer differenzierten Umsetzung der neuen Eigenkapitalanforderungen wird oftmals mit dem Argument gekontert, damit würde ein fairer Wettbewerb im Finanzsektor verhindert. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass "fairer Wettbewerb" hier kein sinnvoller Bezugspunkt ist, weil nicht alle Arten von Finanzinstituten gleich gut geeignet sind, verschiedene Arten von Finanzrisiken zu tragen und verschiedene Arten von Finanzprodukten anzubieten. Schließlich haben beispielsweise das realwirtschaftliche Geschäftsmodell der Sparkassen mit seinem zentralen Schwerpunkt im klassischen Kreditgeschäft und das kapitalmarktorientierte, derivategetriebene Spekulationsgeschäft von Investmentbanken nicht wirklich viel miteinander gemeinsam.

Gleichmacherei für differenzierte Geschäftsmodelle

Dementsprechend hat denn auch die mit hochkarätigen internationalen Wissenschaftlern besetzte Warwick-Kommission gegen eine undifferenzierte Gleichmacherei der Finanzinstitute bei regulatorischen Fragen plädiert. Die Kommission hat auch bemängelt, dass das heutige Regulierungssystem große Finanzinstitute bevorteilt und damit zur Instabilität der Finanzmärkte beiträgt. Dies liegt insbesondere daran, dass kleinere Finanzinstitute im Großen und Ganzen dieselben Anforderungen erfüllen müssen wie international tätige Bankkonzerne, obwohl von ihnen selbst keine systemischen Risiken ausgehen. Dies fördert auch die "too big to fail"-Problematik", was wiederum zu Marktverzerrungen und gesellschaftlichen Problemen führen kann.

Zu Marktverzerrungen kann es durch Moral Hazard, das exzessive Eingehen von Risiken, den Anreiz zu übermäßiger Fremdkapitalfinanzierung oder den Hang zu betriebswirtschaftlich unvernünftiger Größe und der daraus folgenden Gefahr einer Oligopolstruktur des Marktes kommen. Gesellschaftliche Probleme können aus einer potenziellen "Erpressbarkeit" des Staates oder der Gefahr einer drohenden Einschränkung fiskalischer Handlungsspielräume herrühren, die von der Bevölkerung nach den Erfahrungen der Finanzmarktkrise künftig nicht mehr ohne Weiteres hingenommen werden dürfte.

So hat denn auch Bundespräsident Wulff im Rahmen des letzten Deutschen Bankentages sinngemäß davor gewarnt, dass die Steuerzahler in Zukunft nicht noch einmal bereit sein werden, das Finanzsystem vor dem Kollaps zu bewahren. Würde es jedoch heute zu einer neuen Krise kommen, hätten die Regierungen - nicht zuletzt aufgrund einer noch nicht geschaffenen neuen und nachhaltigen Finanzmarktarchitektur - abermals keine andere Wahl, als systemrelevante Banken mit Steuergeldern zu stützen, was wiederum die Dringlichkeit einer Gegensteuerung verdeutlicht.

Vorschläge der Warwick-Kommission

Den Vorschlägen der Warwick-Kommission, wie den genannten Kritikpunkten begegnet werden kann, ist einiges abzugewinnen. So sollte unter anderem eine praktikable Unterteilung zwischen system- und nicht-systemrelevanten Marktteilnehmern geschaffen werden. Des Weiteren sollte sich die regulatorische Aufsicht stärker an der Institutsgröße ausrichten. Dies könnte zum Beispiel durch die Implementierung eines europäischen Subsidiaritätsprinzips erfolgen. Dabei würden systemrelevante, international tätige Großbanken auf europäischer Ebene reguliert, während nicht-systemrelevante regional tätige und realwirtschaftlich ausgerichtete Kreditinstitute durch die nationalen Regulierungsbehörden ihres Heimatlandes beaufsichtigt würden.

In diesem Zusammenhang wird die Zukunft zeigen, inwieweit die Implementierung der drei neuen europäischen Aufsichtsbehörden und des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken ein Schritt in die richtige Richtung war. Des Weiteren sollten laut der Warwick-Kommission praktikable Mechanismen zur geordneten Abwicklung von "Krisenbanken" geschaffen und die Vielfalt im Bankenmarkt gefördert werden, womit Homogenität und gleichgerichtetes Marktverhalten reduziert werden könnte. Auch und gerade für diesen letzten Punkt kann Deutschland als Vorbild dienen.

Stabilität durch Vielfalt

Eine der Stärken des deutschen Wirtschaftsystems ist es, dass es den Unternehmen bei ihrer geschäftspolitischen Grundausrichtung einen hohen Freiheitsgrad überlässt. Dies beugt Monokulturen und gleichgerichtetem Verhalten der Marktteilnehmer vor und sorgt für Pluralität und Wettbewerb. Nicht zuletzt durch die Vielfalt des Drei-Säulensystems der deutschen Kreditwirtschaft mit den unterschiedlichen Geschäftsmodellen von Großbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen gab es in Deutschland - anders als zum Beispiel in England - während der Finanzmarktkrise nicht das Problem, dass die gesamte Kreditwirtschaft gleichförmig von ihr betroffen war.

So hat sich beispielsweise gerade im Verlaufe der Krise die ausgleichende Funktion der Sparkassen - und der Genossenschaftsbanken - bestätigt, die sich einmal mehr als zuverlässige volkswirtschaftliche Stabilisatoren erwiesen haben. Dies galt in den Jahren 2007/2008 insbesondere auf der Passivseite, als die Bevölkerung für Geldanlagen zunehmend den "sicheren Hafen Sparkasse" ansteuerte. 2009/2010 wurden dann vor allem die Stärken der Sparkassen auf der Aktivseite deutlich, als sich viele Wettbewerber aus der Unternehmensfinanzierung zurückzogen und die Sparkassen maßgeblich dazu beitrugen, die Kreditversorgung der mittelständischen Wirtschaft zu sichern.

Vielfalt auf dem Bankenmarkt ist dementsprechend ein positives und schützenswertes Gut für eine Volkswirtschaft. Im Zusammenhang mit den aktuellen Regulierungsdiskussionen ist es daher wichtig, diese Vielfalt angemessen zu berücksichtigen. Leider nehmen die stabilisierend wirkenden Systemunterschiede in der aktuellen Regulierungspraxis jedoch einen zu kleinen Raum ein. Getrieben vom europäischen Harmonisierungsgedanken werden die verschiedenen Marktteilnehmer mehr und mehr über einen Kamm geschert. Dabei verlangt Harmonisierung keinesfalls Uniformität. Sie verlangt jedoch Gerechtigkeit. Und Gerechtigkeit bedeutet nach Aristoteles auch, Gleiche gleich und Ungleiche ungleich zu behandeln.

Die Warwick-Kommission hat in diesem Zusammenhang viele gute Anregungen identifiziert. Würde sich Europa - oder zumindest Deutschland - diese zu eigen machen, könnte damit ein wichtiger Beitrag für eine nachhaltige und heterogene Bankenlandschaft geleistet werden, die die unterschiedlichen Bedürfnisse von Handwerk, mittelständischen Betrieben und global ausgerichteten Großunternehmen vollständig erfüllen kann. Damit würde auch die originäre Funktion der Finanzwirtschaft wieder stärker gefördert, nämlich Dienstleister für die Realwirtschaft zu sein.

Alexander Wüerst , Vorsitzender des Vorstands Kreissparkasse Köln und Landesobmann der rheinischen Sparkassen , Kreissparkasse Köln
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