Leitartikel

Besinnliches von Besonnenen

Da hat man also neulich viel Lob bekommen: Das Thema "Diktatur des Kapitalmarkts" als Überschrift dieser 54. Kreditpolitischen Tagung im Jahr 2008 passe doch wie kaum ein anderes zu den schrecklichen Zeiten. "Kreditwesen" bedankt sich gerne für das Lob, um es ungeschmälert an diejenigen weiterzugeben, die diese Veranstaltung zu einer ganz besonderen gemacht haben - an die Redner. Die Redaktion selbst, so gerne sie sich sonst in ihrem aufgabenorientierten Anspruch bestätigt fühlen möchte, windet sich diesmal allerdings in einer gewissen Verlegenheit. Als sie die "Diktatur" etwa vor Jahresfrist für öffentlich beredenswert erachtete und dementsprechend in die Planung schob, war das Ziel mitnichten und glücklicherweise noch keineswegs die Analyse und Kritik der größten Krise seit 1929.

Sondern im Mittelpunkt sollte zwar auch ein Appell stehen - aber eben doch ein solcher, der nicht allein auf eine Verhaltensänderung der rasend-rennenden Financial Community zielte. Nein, "Kreditwesen" wollte vor allem versuchen, um mehr politisches und ökonomisches Verständnis für die schier unglaublichen Zwänge zu ersuchen, die eine zunehmend totale Kapitalmarktorientierung für Kreditinstitute, für Aktiengesellschaften, für Unternehmen und "sogar" für die Menschen mit sich bringt. Kurzum: Eine große Portion "ex culpa" für die Getriebenen sollte gerade diese Tagung liefern. Und vielleicht ein paar Widerstandsmöglichkeiten.

Möglicherweise war ein solches Ziel schon im Ansatz unangemessen, weil bei dem hehren Versuch, alle erreichbaren mildernden Umstände insbesondere für die Kreditwirtschaft zusammenzubringen, eine zu große Befangenheit der Redaktion vorherrschte. Man kannte (kennt) einfach zu viele, die keine Chance sahen (sehen), dem Druck ihrer Aktionäre und Eigner überhaupt, ihrer Kreditnehmer und Einleger, ihrer Analysten und Bewertungsagenturen auch nur einigermaßen gerecht zu werden.

Weil nun jedoch die fatalen Ergebnisse relativ edlen Bemühens nicht an den Motiven ihrer Verursacher gemessen werden, sondern schlicht als entsetzliche Mischung aus persönlicher Erfolgsgier, persönlicher Profilsucht und persönlicher Unfähigkeit in die Schlagzeilen kommen, ist die allgemeine Anklage der "Banker" (laut Bundespräsident nicht "der Bankiers! ") derzeit die populärste überall. Nur ein winziges "ex culpa" scheint gelegentlich noch akzeptiert zu werden - das des institutionellen Versagens der amerikanischen Finanzaufsicht, der inzwischen auch jeder Sparkassenpräsident die Urschuld an den Fehlanlagen der Mündelsicheren zurechnet. Was den Banken, respektive von den Banken schließ lich übrig bleiben sollte, wenn es mit der Diktatur des Kapitalmarkts dank (! ) der Krise für alle Ewigkeit vorbei wäre - besonders sinnig hat es im Folgenden Max Dietrich Kley ausgedrückt: "Umso weniger die Banken präsent wirken, umso mehr werden sie vermisst." Er sieht die seit Mitte der neunziger Jahre zu beobachtende Wendung der Unternehmensfinanzierung hin zum Kapitalmarkt durch dessen aktuelle Funktionsschwäche nicht nachhaltig gestört, sobald die Hausbank ihre Rolle als Intermediär wieder aufnimmt. Das heißt mit einer virtuellen Verbeugung gegenüber dem traditionellen Geschäftsmodell der deutschen Primärbanken und dem möglichen künftigen Geschäftsmodell der letzten deutschen Großbanken, dass die "gewachsene Hausbankbeziehung" keine Ideologie darstellt, sondern schlichte Notwendigkeit.

Die präsidiale Bestätigung des Modells hat Horst Köhler so geliefert: "Lassen Sie vor allem unsere Mittelständler nicht im Stich. Das sind Leute, die hart arbeiten. Ihre Produkte sind weltweit gefragt. Sie verdienen Vertrauen. Gerade in der Krise. Eine panikartige Verkürzung der Bankbilanzen hilft jetzt niemandem. Da sollte auch die Bankenaufsicht berücksichtigen." Das ist staatstragend. Aber noch gilt das KWG.

Ob Banken in der großen Unternehmensfinanzierung schließlich sogar von den Verwerfungen der Finanzkrise profitieren? Bei Kley klingt dies zumindest an. Denn gerade die Fonds und Equity-Häuser, die zuletzt den Direktkontakt zu ihren Zielunternehmen suchten, seien derzeit nicht die Favoriten der Partnerwahl. Und hinzuzufügen ist: Die Staatshilfen für das Finanzsystem sind hochgradig bankbezogen. Das legt die Folgerung nahe, dass Kapitalmarkttransaktionen mit Banken zunächst einen Vertrauensvorsprung genießen könnten. Aber vielleicht drehen sich die Geschäftsinhalte. Kley jedenfalls lobt die Eigenkapitalfinanzierung kräftig. Eigenkapital sei der einzige Risikopuffer des Unternehmens für schlechte Zeiten. "Umso höher das Risiko, umso größer die Notwendigkeit hohen Eigenkapitals. Die Suche nach Öl offshore ist nichts für arme Leute." Ob aber die Aktionäre von heute das immer verstehen?

Auch Kley meint nüchtern, nach Auflösung der klassischen Eignerstrukturen bei den börsennotierten Aktiengesellschaften in Deutschland verhielten sich die (neuen) Aktionäre selten alle gleich, weil sie ja nicht zwingend die gleichen Interessen verfolgten. Da gebe es nun eben auch solche, die sehr aktiv auf die Unternehmen einzuwirken versuchten! : "Shareholder Activism". Dadurch seien Unternehmensleitungen einem sehr viel stärkeren Rechtfertigungsdruck als früher ausgesetzt. Dieser Druck lasse sich jedoch keinesfalls (! ) als "Diktat der Märkte" bezeichnen. "Denn schließlich arbeiten Unternehmen mit dem Geld der Anteilseigner ... Hierauf haben sich die Unternehmen einzustellen." Es gibt also, wenn man das Wort "Diktat" schon nicht schätzt, zweifellos vermehrte Abhängigkeit.

Die Sache mit der vermehrten Abhängigkeit der Krisenbranche Kreditwirtschaft von einem stützenden Staat hat in jüngster Zeit zwei bemerkenswerte Aspekte in die Diskussion geführt. Der erste ist einfach. Er betrifft das Zögern von Banken, diesem helfenden Staat, mit dessen Geld sie ja eigentlich ganz gerne arbeiten möchten, just jenen Einfluss auf die Geschäftspolitik zuzugestehen, wie er Eigentümer nach aktueller Auffassung heute gebührt - siehe oben. Ein im Wortsinne reizendes Element bekommt diese Abneigung gegen Bundeseinfluss nun aber durch aufregende Spielarten des bundesdeutschen Föderalismus. Denn Bayern und Ba-den-Württemberg haben eben in nicht mehr zu überbietender Deutlichkeit dargeboten, wie wichtig ihnen die uneingeschränkte Verfügungsmacht über die "eigene" Landesbank ist. Die Landesbank als Instrument gilt ihnen als unverzichtbar, obwohl sie damit bislang selten wirklich gute Infrastrukturpolitik betreiben konnten.

Landesbanken scheinen für Landespolitiker dennoch nach wie vor wichtige Gefühlswerte zu sein. Eine feine Pointe bekommt die mäßige Begeisterung von Landesbankern für direkte Bundesbeteiligungen im Übrigen auch dadurch, dass mit Günther Merl als SoFFin-Chef jemand als Staatsprüfer sagen kann, was Sache ist, der als langjähriger Helaba-Vorstandsvorsitzender die Kollegen und deren Bilanzen sehr, sehr genau kennt. Und noch ein Aperçu: Merl hätte die Helaba einst durch vertikale S-Fusionen gerne noch sicherer werden lassen. Würde er auch als "Bundesbeauftragter" für solche Geschäftsmodelle offener als andere sein?

Der zweite Aspekt der Abneigung des Südens gegen Berliner Engagements betrifft offenbar nicht zuletzt die Konditionen. Denn die Staatshilfen gibt es nicht umsonst, und der neue bayerische Finanzminister hat soeben vorgerechnet, dass Berlin für München auch in dieser Hinsicht teuer käme. Bankenstütze als Staatsgeschäft? Die amerikanischen Exempel stützen bisher diese Annahme. Aber vielleicht ist ein derartiges Fiskalgebaren gar kein übles Ding. Denn wie Rolf E. Breuer sehr einprägsam feststellt, hat sich vor allem in Europa der "Marktfetischismus" der vergangenen Jahre in einen "Staatsoptimismus" gewandelt: "Große Teile der Bevölkerung erwarten vom Staat bessere Lösungen als sie wie man meint - ganz offenbar der Markt und seine Selbstheilungskräfte produziert haben und in Zukunft produzieren können." Falls sich nun aber erstens hoffentlich erklärtermaßen erweist, dass die Rettungsaktionen über ihren unmittelbaren Nutzen für die Krisenbewältigung hinaus nicht das Ziel haben, die Kreditwirtschaft weitestgehend in eine dauerhafte Verstaatlichung zu treiben, und falls zweitens sichtbar wird, dass die Finanzminister mit ihrem Bankeinsatz Geld verdienen wollen, wäre dies immerhin eine leise Hoffnung für marktwirtschaftliches Denken - von Fiskalisten. Die künftigen Geschäftsmodelle überhaupt? Der Deutschbanker spricht da fürs Haus. Überleben würden die integrier ten Anbieter, die alles "sehr effizient" unter einem Dach anböten. "Die neue Branchenlandschaft könnte so aussehen, dass die globalen Universalbanken mit integriertem Investmentbanking zwei Drittel des Marktes abdecken und ein Drittel aus spezialisierten Banken sowie aus nationalen und auch internationalen Commercial Banks besteht."

Für die privaten Banken der Bundesrepublik ist es nicht unvorteilhaft, dass die beiden anderen Säulen derzeit recht betriebsam mit sich selbst beschäftigt sind. Wäre das nämlich anders, würden beide Platzbankgruppen mit ihrer Solidität und Zukunftsfähigkeit laut und mächtig angeben können. Aber die Öffentlich-Rechtlichen einerseits leiden leider (noch) entsetzlich mit ihren Landesbanken. Und bei den Kreditgenossen andererseits steht die Neuordnung der zentralen Institute und zentralen Verbände dick im Programm. Aber hoffentlich wird sich beides im Jahr 2009 regeln. Denn Alexander Wüerst ist heftig zuzustimmen, wenn er auch fürderhin das pluralistische deutsche Bankensystem lobt: "Andere Staaten können von dieser guten Mischung unterschiedlicher Geschäftsmodelle durchaus etwas abschauen."

Und Wüerst schließt geradezu liebenswürdig. Gerade in der Krise seien den Sparkassen Empfindungen der Solidarität nicht fremd. Es wäre daher schön, so ruft er, wenn auf der Grundlage der Gegenseitigkeit auch die privaten Banken die derzeitige Krise als Chance begriffen, ihre alten Aversionen gegen die Sparkassen und das Drei-Säulen-System mit neuem Konsens und frischer Akzeptanz einzutauschen.

"Kreditwesen" sagt Rednern und Teilnehmern der 54. Tagung ein herzliches Dankeschön. Red.

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