Leitartikel

Respice finem

Die anhaltende Krise bringt viele Emotionen und Betroffenheiten mit sich. Mal wird da von "Monstern" gesprochen, dann wieder die Innovationsfreudigkeit der Financial Community als notwendig betont. Mal werden Manager an den Pranger gestellt, dann wird wieder mit Nachsicht und Mitleid für gestrafte Vorstände nicht gespart. Fast zu viel Lob gibt es dieser Tage für das Vorgehen der Notenbanken - allen voran der amerikanischen Fed und der EZB - die, so empfindet es dankbar der Markt, immer dann da gewesen seien, wenn man Geld brauchte, und so in beruhigender Weise gewirkt und Panik verhindert hätten.

Einige Verwunderung erntete dagegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, erst recht seit ihr Präsident kürzlich mit einem knappen und damit sehr pauschalem "ex culpa" alle Zweifel an der Leistung der BaFin mundtot machen wollte: Clevere Finanzmarktingenieure hätten nationale und internationale Aufsichtslücken ausgenutzt und eine groß angelegte Regulierungsarbitrage inszeniert, wird er im Vorwort des Geschäftsberichtes zitiert. Die Subprime-Krise sei wie ein Tsunami über die weltweiten Finanzmärkte hinweggerollt, führte er auf der Bilanzpressekonferenz aus. Überraschend, unvorhersehbar und mit katastrophalen Folgen. Die BaFin habe dem Urteil der Ratingagenturen genauso vertrauen müssen, wie die ganze Industrie, da die Analysten über ein auf Informationsprivilegien beruhendes überlegenes Wissen verfügten. Die BaFin habe sich also nichts zuschulden kommen lassen, so das Fazit.

Nein, schuld an der Krise ist das Amt sicherlich genauso wenig wie am Fast-Zusammenbruch von IKB und Sachsen-LB. Aber ein klein bisschen mehr Betroffenheit und Unzufriedenheit bei der Manöverkritik wäre schön. Denn schließlich, so wissen Akteure zu berichten, habe die BaFin doch einige der nun als Kern des Übels ausgedeuteten Zweckgesellschaften höchstpersönlich genehmigt. Und selbstverständlich könnten die Aufseher bei Verdachtsfällen mittels einer angeordneten 44er-Prüfung die Beziehungen zwischen Bank und außerbilanziellen Untergesellschaften überprüfen und dann Vorstand und Aufsichtsrat des betroffenen Instituts per Brief ihre Sorge ob bedenklicher Volumenanhäufung mitteilen. Und das natürlich unabhängig davon, dass nach Basel I Kreditzusagen, deren Laufzeiten ein Jahr nicht überschritten, nicht mit Eigenkapital zu unterlegen waren, und dass die geschaffenen Vehikel den Instituten nicht zugerechnet werden durften. Sind das nur die Versuche einer arg gebeutelten Branche, ein klein wenig zurückzuschlagen?

Doch es fällt nicht leicht, diesem außerordentlich erfahrenen Aufseher einfach so abzunehmen, dass er sich nun im Tal der Ahnungslosen neben die betroffenen, teils inzwischen auf sein Drängen hin entlassenen, Bankvorstände stellt. Denn war es nicht Jochen Sanio, der ganz am Anfang vor der Gefahr der "schlimmsten Bankenkrise seit 1931" warnte? Und gab es nicht schon seit Langem immer wiederkehrende Warnungen vor einer Immobilienblase, insbesondere in den USA, und deren Folgen für die Finanzindustrie?

Bereits in ihrem Geschäftsbericht zum 75. Jubiläumsjahr 2004 schrieb beispielsweise die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ): "Das rasante Wachstum des Engagements der Banken am Markt für Wohnimmobilien war in den letzten Jahren eine der wichtigsten Gewinnquellen der Banken. Das Hypothekenkreditgeschäft ist in den vergangenen fünf Jahren in den meisten Volkswirtschaften sprunghaft gestiegen - unter anderem im Vereinigten Königreich (kumulierter Anstieg von 160 Prozent), in Australien (100 Prozent), in den USA (75 Prozent), im Euro-Raum (50 Prozent) und in Japan (30 Prozent). [...] Sollte sich der Anstieg der Preise für Wohnimmobilien abflachen oder umkehren, könnte das Hypothekengeschäft (wie vor Kurzem in Australien und im Vereinigten Königreich) einbrechen, was einen entsprechenden Rückgang der Gebührenerträge der Banken zur Folge hätte. Darüber hinaus könnten sich die Verluste aus immobiliengestützten Krediten erhöhen, insbesondere an den Märkten mit einer hohen Verschuldung der privaten Haushalte und hohen Beleihungsquoten. Ferner könnte ein Rückgang der Vermögen der privaten Haushalte einen allgemeinen wirtschaftlichen Abschwung infolge sinkenden Konsums ankündigen. Sollte es tatsächlich so weit kommen, könnten sich aus diesen indirekten, aber umfassenderen und nachhaltigeren systemweiten Entwicklungen beträchtliche Herausforderungen für den Bankensektor ergeben. [...] Dies unterstreicht die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit der verschiedenen Einrichtungen auf der Grundlage einer übereinstimmenden Problemdiagnose."

Lediglich Plötzlichkeit und Ausmaß der Katastrophe mögen also überraschen, nicht die Tatsache an sich. Und eine Aufsicht die ahnungslos ist, ist überflüssig!

Die tatsächlich Schuldigen an alledem sind nicht nur von der BaFin schnell ausgemacht: Die Kritik der gesamten Financial Community prasselt auf die Ratingagenturen ein, die mit offensichtlich unzureichenden Modellen viel zu gute Bewertungen für zweifelhafte Geschäftspraktiken und -modelle sowie bestimmte Produktvarianten vergeben haben - diese dann überraschend schnell und schonungslos drastisch abgesenkt, so die Abwärtsspirale und die Panik zunächst ausgelöst und dann noch weiter verstärkt haben. Ist diese Kritik berechtigt? Natürlich! Ein Absinken des Ratings für eine Verbriefungstranche vom Top-Wert "AAA" auf Ramschstatus innerhalb weniger Tage kann jedenfalls nur sehr, sehr schwer mit sich wandelnden Märkten begründet werden. Viel wahrscheinlicher ist ein System- oder Modellfehler beziehungsweise eine zu große Oberflächlichkeit und zu geringe Skepsis der Analysten.

Doch mit diesem untragbaren, weil unkalkulierbaren Risiko soll künftig Schluss sein - zumindest nach den Vorstellungen von Finanzministern, Notenbankgouverneuren und Aufsehern. Die Internationale Organisation der Wertpapieraufseher (IOSCO) hat als eine Schlussfolgerung aus der Krise jedenfalls ihren Verhaltenskodex für Ratingagenturen überarbeitet und deutlich verschärft - die Veröffentlichung soll in Kürze erfolgen. Ziel ist es, die Qualität, Integrität und Beständigkeit der Ratings durch mehr Transparenz und eine Prüfung der Modelle zu erhöhen. So hofft man, endlich wieder die Glaubwürdigkeit in die Ratings und damit den Markt zu bekommen. Eine Ratingagentur, die sich nicht an den Kodex hält, soll öffentlich gebrandmarkt und damit aus dem Markt gedrängt werden. Das alleine wird allerdings nicht ausreichen. Denn immer dort, wo Verhalten einwandfrei sein soll, muss es einen Kontrolleur geben. Das kann, so hat Sanio richtig festgestellt, nur eine internationale und unabhängige Instanz sein. Am liebsten würde der BaFin-Chef diese an das europäische Komitee der Wertpapieraufseher CESR angedockt sehen.

Doch es muss allen Beteiligten klar sein, dass selbst der beste Verhaltenskodex für dann ordentlich beaufsichtigte und (hoffentlich) einwand- weil nahezu fehlerfrei arbeitende Ratinggesellschaften den Einzelnen, Investor wie Verkäufer oder Aufseher, nicht von der Pflicht entbindet, sich ebenfalls ein scharfes Bild der Lage zu machen. Blindes Vertrauen kann nicht die Basis für stabile Finanzmärkte sein.

Das leider erst Anfang 2008 schrittweise eingeführte Regelwerk Basel II kommt für die aktuelle Krise nicht nur zu spät, es schließt leider auch nur einige Lücken im Aufsichtssystem. So wünscht sich mancher beispielsweise eine noch schärfere Eigenkapitalunterlegung für ABS-Transaktionen. Auch werden noch Vorschriften vermisst, diejenigen Banken, die Kredite einfach durchhandeln, zu zwingen, wenigstens einen Teil des Volumens auf den eigenen Büchern zu halten. So erhoffen Stabilitätsbewusste, einen gewissen Disziplinierungseffekt bei der in der Vergangenheit doch allzu sorglosen Kreditvergabepraxis zu erzielen. Vielleicht mögen hier die vom italienischen Notenbankchef Mario Draghi im Auftrag des Financial Stability Forums entwickelten 67 klar formulierten und von den G7-Finanzministern und Zentralbankern abgesegneten Handlungsanweisungen an Finanzdienstleister und Aufseher in der ganzen Welt helfen, das Regelwerk noch dichter zu machen. Binnen 100 Tagen sollen die ersten hiervon bereits umgesetzt und damit verpflichtend sein, beispielsweise neue Liquiditätsvorschriften. Vor diesem Hintergrund sind sicherlich auch die aktuellen Vorschläge aus der Branche selbst, des IIF beispielsweise, zu bewerten. Denn natürlich möchte sich die Finanzdienstleistungsindustrie größtmögliche Freiheit erhalten und sich zu enge Vorschriften ersparen. Schließlich leben die Institute mitunter von feinen Pionierprämien für allerlei noch nicht Kopiertes. Doch haben sie nicht genau diese nun gefährdeten Freiheiten in der Vergangenheit über Gebühr ausgenutzt? Warum sollten Aufseher und Notenbanker nun auf die Selbstheilungskräfte der Branche vertrauen? Und sollte es wirklich zu einem verbindlichen Maßnahmenkatalog seitens der im IIF zusammengeschlossenen Häuser kommen, so bleibt immer noch die Frage nach der Kontrolle desselben und der möglichen Sanktionen für "Sünder". Nein, nein, diese Einsicht kommt wahrlich zu spät und wer nun vor einer möglichen Überregulierung warnt, dem fehlt, wie Sanio treffend feststellt, schlicht der Realitätssinn. Denn wer auch nur ein bisschen davon hat, wird wissen, dass selbst das engmaschigste Netz die ausgesprochen umtriebigen Innovatoren in deren Kreativität keineswegs bremsen, sondern im Gegenteil nur noch beschleunigen wird. Und selbst mit dem besten aller Regelwerke wird die beste aller Finanzaufsichten niemals alles Übel abwenden können.

Wann ist eine Aufsicht gut? Wenn man sie kaum sieht oder spürt, wenn wenig passiert, wenn sie mit klaren und verlässlichen Signalen an die Marktteilnehmer agiert und wenn sie die sich ständig ändernden Marktgegebenheiten und internationalen Entwicklungen berücksichtigt. Gemessen an alldem ist die BaFin sicherlich eine gute Aufsichtsbehörde was vor allem an den handelnden Personen liegt. Der Präsident und die Direktoren verstehen die schwierige Gratwanderung zwischen Sagen und Nichts-Sagen ausgesprochen gut und sind auf internationalem Parkett stets an vorderster Front gefragt. Das deutsche Bankensystem war und ist trotz IKB und Sachsen-LB außerordentlich stabil. Es brauchte bislang kaum Hilfe von Staatsfonds oder ähnlichen Kapitalgebern, lediglich die Eigentümer, die sich in guten Jahren über feine Ausschüttungen freuen durften, wurden in die Pflicht genommen.

Das ist selbstverständlich nicht nur ein Verdienst der BaFin, sondern auch der Bundesbank, die vor allem für die Aufsicht in der Fläche verantwortlich zeichnet. Dass hier in der Vergangenheit Eifersüchteleien und Kompetenzstreitigkeitendem Ansehen der Sache hüben wie drüben geschadet haben man hat gelernt. Eine deutlich größere Trennschärfe und die bis in Details geregelte Aufgabenabgrenzung soll - wird? künftig für ein einheitliches Auftreten im Markt sorgen.

Was aber selbst damit nicht gelöst werden kann, ist das alte Dilemma einer jeden Bankenaufsicht: Jeder ernsthaft maßregelnde Eingriff wird von den unmittelbar Betroffenen stets als "zu früh" klassifiziert, von allen mittelbar Beteiligten jedoch - am besten gleichzeitig - als "zu spät" kritisiert. Also: "Quidquid agis, prudenter agas et respice finem.

Was immer Du tust, tue es gut und bedenke das Ende." P.O.

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