Kreditwesen aktuell

Bankenaufsicht im europäischen Kontext: Kooperation nationaler Aufseher oder europäische Zentralaufsicht?

Josef Ackermann
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"Das Heimatland-Prinzip ist nur so gut, wie die Kooperation zwischen
Heimat- und Gastaufsicht funktioniert"
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Die Entwicklung der Finanzaufsichtsstruktur in Europa wird intensiv
diskutiert, und auch wenn sie die Gemüter nicht so heftig bewegt wie
die Fußball-WM, ist ein Vergleich zu den Ereignissen der letzten
Wochen zum Verständnis vielleicht hilfreich: Man kann einheitliche
Regeln überall noch etwas anders interpretieren. Ob ein Spieler im
Abseits steht oder nicht, hängt durchaus auch vom jeweiligen
Blickwinkel ab. Aber immerhin gibt "die Fußballaufsicht" den
wichtigsten Strafstoß auf der ganzen Welt als Elfmeter. Im
Finanzdienstleistungsbereich jedoch - um den Vergleich zu wagen - wird
heute hier ein Vierzehnmeter geschossen, anderswo ein Neunzehnmeter
und wieder an einem anderen Ort ein Dreiundzwanzigmeter.
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Das ist die Situation, der sich ein weltweit operierendes Bankinstitut
gegenübersieht: Nicht nur dass es eine unterschiedliche Interpretation
gleicher Regeln gibt - das wäre schlimm genug. Vielmehr existieren
teilweise sogar noch ganz unterschiedliche Regeln.
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[Steuerung auf Basis globaler Geschäftsfelder]
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Dies steht in zunehmendem Kontrast zur internen Organisation der
Banken - die diese nicht zuletzt im Vertrauen auf das politische
Versprechen der Marktintegration geschaffen haben. Die großen Häuser
führen und organisieren eben nicht mehr bereichs- oder länderbezogen,
sondern steuern auf Basis globaler Geschäftsfelder. Der rechtliche
Charakter der operativen Einheit - das heißt, ob wir uns dafür einer
Auslandsfiliale oder einer Tochtergesellschaft bedienen - ist für die
Gesamtbanksteuerung weitgehend irrelevant geworden.
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Unabhängig von der Rechtsform der operativen Einheiten besteht für uns
die Notwendigkeit, mit integriertem Risiko-, Kapital- und
Liquiditätsmanagement zu arbeiten. Dagegen ist die Bankenaufsicht mit
Blick auf die nationalen Finanzmärkte noch stark an den jeweils
handelnden rechtlichen Einheiten orientiert - nicht nur in Europa,
sondern auch in den Vereinigten Staaten oder in Japan. Während also
die nationalen Aufsichtsbehörden heute noch substanziell prüfen, ob
wir in diesem oder jenem Land ausreichend kapitalisiert sind, müssen
wir uns fragen, ob unsere Risiken unter den kritischen Werten liegen,
um weltweit als sichere Bank dazustehen. Ein Beispiel zur
Illustration: Um eine Abstimmung zwischen den zahlreichen
Aufsichtsbehörden mit Zuständigkeit für die Deutsche Bank zu
erleichtern, hat die BaFin dankenswerterweise Regionalkonferenzen zu
Basel II organisiert. Dennoch haben wir von nationalen Bankaufsehern
30 zum Teil duplizierende Nachfragen erhalten, wie wir den
Internal-Rating-Based-Ansatz in unserem Haus implementieren wollen.
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[Unterschiedliche Ausfalldefinition]
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Schlimmer noch: Die nationalen Wahlrechte stehen einer einheitlichen
Anwendung des IRB-Ansatzes im Weg: Zum Beispiel beträgt die
Ausfalldefinition in Deutschland 90 Tage, in England, Italien, Spanien
aber 180 Tage! Wir hätten daher den Fortgeschrittenen Ansatz nach
Basel II in allen Lokationen nur mit unverhältnismäßigen Kosten
einführen können, weil wir für die einzelnen Länder grundsätzlich
verschiedene Modelle hätten einsetzen müssen - und haben uns daher
entschieden, den Fortgeschrittenen Ansatz nur auf Gruppenebene
anzuwenden. Vergleichbares gilt für die Berichtspflichten, zu denen
sich die nationalen Aufsichtsbehörden nicht auf ein schlankes
Berichtsformat haben einigen können. Zusammengenommen: Das Ziel,
Anreize zur Anwendung des Fortgeschrittenen Ansatzes zu setzen, ist
nicht erreicht worden.
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Ein weiteres Beispiel ist die Geldwäsche: Auch hier gibt es höchst
unterschiedliche Definitionen der berichtspflichtigen Anlässe - noch
dazu ändern sich die Praktiken der Geldwäscher rasant - sie werden
immer raffinierter. Es ist offenkundig, dass unterschiedliche
Definitionen die Kosten der Einhaltung der Regeln unnötig erhöhen und
die Schaffung eines bankweit einheitlichen Systems verhindern und
damit auch die Effektivität unserer Bemühungen reduzieren.
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Selbstverständlich ist vor diesem Hintergrund jeder für "mehr
Kooperation" zwischen den Aufsehern. Aber meinen wir damit wirklich
überall das Gleiche? Die institutionellen Rahmenbedingungen für den
intensiven Kontakt zwischen den Aufsehern sind nicht in allen Aspekten
geklärt. Am Beispiel der Deutschen Bank heißt das Folgendes: Wir sind
in London eines der größten Handelshäuser. Für unseren Erfolg im Markt
ist es zentral, dass unsere Modelle und unsere Überwachung jederzeit
als mindestens so gut gelten wie jene unserer Wettbewerber. BaFin und
UK FSA müssen so eng kooperieren, dass beide dies nötigenfalls
jederzeit und gleicher Art bestätigen können.
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[Lead-Supervisor-Modell]
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So gut das Heimatland-Prinzip ist - es ist nur so gut, wie die
Kooperation zwischen Heimataufsicht und Gastaufsicht funktioniert. Die
Initiative zur Bildung so genannter "Operational Networks" der BaFin
ist ein guter Ansatz. Die Praxiserfahrungen der Banken sollten dabei
noch stärker einbezogen werden.
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Außerdem müsste es zu einem ständigen Austausch über aktuelle Probleme
sowie zu einem Personalaustausch zwischen den nationalen
Aufsichtsbehörden kommen, weil die Strukturen so unterschiedlich sind.
Wie will zum Beispiel eine nationale Aufsicht, deren Banken
beispielsweise zu 80 Prozent in ausländischer Hand sind, die Dynamik
des Geschehens in Ländern beurteilen, in denen Hunderte von Instituten
Tag und Nacht neue Produkte entwickeln.
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Es wäre für uns bereits ein deutlicher Fortschritt, wenigstens im
europäischen Raum mit einem Lead Supervisor arbeiten zu können, als
Single Point of Contact für alle Genehmigungen für die
Tochtergesellschaften und Filialen in Europa. Dieses
Lead-Supervisor-Modell könnte sich über die Jahre weiterentwickeln zu
einem Europäischen System der Finanzaufseher. Ein solches System hätte
eine föderale Struktur, aber eben eine zentrale, einheitliche
Willensbildung. Nicht zu vergessen: Nur ein solches Aufsichtssystem
wäre der angemessene Gesprächspartner für die anderen großen Blöcke,
für Amerika und für Asien vor allem.
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Karl-Joachim Dreyer
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"Die Nähe des Aufsehers zu seinem Kreditinstitut ist ein Vorteil, den
man nicht ohne Weiteres aufgeben sollte"
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Als echter Retailer gehe ich auch in dieser Frage von einem Vergleich
zur Struktur der deutschen Wirtschaft und dem dadurch geprägten
Bankensystem aus. Die Frage nach Zentralität und Dezentralität wird
hier in eindeutiger Weise beantwortet: Die Wirtschaftsstrukturen in
Deutschland sind maßgeblich durch kleine und mittlere Unternehmen
geprägt, die das Rückgrat der Wirtschaft bilden. Schon aufgrund ihrer
Größe sind diese mittelständischen Unternehmen besonders eng mit ihrer
jeweiligen Heimatregion verbunden. Sie sind auf wenige Standorte
konzentriert und vielfach auch in ihrem Produkt- und
Dienstleistungsangebot regional ausgerichtet.
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Für diese Unternehmen kommt es auf diese regionale Verbundenheit heute
mehr denn je an, um unter dem zunehmenden Globalisierungs- und
Wettbewerbsdruck auf strukturelle Veränderung reagieren und
wirtschaftliche Dynamik entfalten zu können und damit gleichzeitig die
innere Stabilität und damit den Erfolg unserer Gesellschaft auch in
Zukunft zu sichern. Denn nicht nur die Auswirkung der Globalisierung
sind vor Ort am deutlichsten sichtbar, auch die Antworten auf
wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Folgen des verschärften
internationalen Wettbewerbs können dort am besten gefunden werden. Sie
liegen vor allem in der Stärke der regionalen Eigenkräfte und der
Wirtschaftspotenziale.
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[Regionale Verbundenheit]
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Und jetzt komme ich zu meiner Institutsgruppe. Wen wundert's: Die
Sparkassenidee trägt eben dieser Wirtschaftsstruktur Rechnung. Sie
gründet auf dem Prinzip selbstständig verankerter und
kundenorientierter Kreditinstitute in der Fläche, korrespondiert mit
unserer Wirtschaftsstruktur und ist ganz einfach "gut für
Deutschland". Das allein reicht aber nicht. Sparkassen zeichnen sich
durch ihre regionale Verankerung und durch ihre Gemeinwohlorientierung
aus. Den jeweiligen Regionen sind sie verständlicherweise dauerhaft
verpflichtet. Im intensiven Wettbewerb des deutschen Bankenmarkts
haben sich die Sparkassen aufgrund einer klaren Retailstrategie,
aufgrund der lokalen Präsens und der arbeitsteiligen Zusammenarbeit im
Verbund die Marktführerschaft erarbeitet. Sie zählen zu den
profitabelsten kreditwirtschaftlichen Gruppen in Deutschland.
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Allerdings beschränken sich die Sparkassen nicht auf die profitablen
Geschäftsbereiche, sondern sie engagieren sich dauerhaft in der Fläche
und im Kleinkundengeschäft. So gewährleisten sie das flächendeckende
kreditwirtschaftliche Angebot in Deutschland. Sie sind die Hausbanken
des Mittelstandes. 75 Prozent aller Klein- und mittleren Unternehmen
erhalten bei ihnen Beratung, Service und die Kredite!
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[Nähe des Aufsehers]
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Die privaten Großbanken dagegen haben sich mit jeweils anderen
Geschäftsmodellen weitgehend aus ländlichen oder strukturschwächeren
Gebieten zurückgezogen. Das ist eine Feststellung ohne irgendeine
Kritik, aber es ist leider so - in 31 von insgesamt 321 Landkreisen
und somit in jedem zehnten unterhalten die Großbanken heute keine
Zweigstellen mehr.
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So wie die Bürgerinnen und Bürger Kunden bei den Kreditinstituten
sind, so sind die Kreditinstitute, wenn man diesen Vergleich wagen
darf, quasi Kunden bei der Bankenaufsicht. Frage deshalb: Gibt es
wirklich einen Bedarf, 463 regional agierende Sparkassen und knapp 1
300 Genossenschaftsbanken in der Bundesrepublik einer einheitlichen
europäischen Aufsicht zu unterstellen? Nein! Die Nähe des Aufsehers zu
seinem Kreditinstitut ist ein Vorteil, den man nicht ohne Weiteres
aufgeben sollte. Den diskutierten Möglichkeiten erstens einer
Beaufsichtigung grenzüberschreitend tätiger Banken von einer
EU-Behörde, während rein national agierende Institute ortsnah
beaufsichtigt bleiben, oder zweitens eine Schaffung einer zentralen
europäischen Allfinanzaufsichtsbehörde für alle Banken lassen sich
noch einige wenige Aspekte hinzufügen.
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Die Umsetzung der ersten Alternative birgt die Gefahr national
agierende Institute zu benachteiligen, die durchaus auf ihren
Heimatmärkten mit den international tätigen Banken konkurrieren. Hier
sehe ich das Level Playing Field, die gleichen Wettbewerbsbedingungen
zwischen international und national tätigen Banken gefährdet. Die mit
unterschiedlichen Aufsichtsregimen verbundenen Auswirkungen auf den
Wettbewerb wären auch ordnungspolitisch bedenklich.
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Für eine einheitliche europäische Aufsicht über alle Institute müssten
eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt werden. Ein
Souveränitätsverzicht der europäischen Staaten in Sachen
Bankenaufsicht muss vor allem politisch gewollt sein. Ferner bestünde
die Gefahr, dass sich aufsichtliche Vorgaben und aufsichtliche Regeln
alleine an den Anordnungen orientieren, die für große international
tätige Institute geboten wären. Auch das Bürokratieargument ist nicht
von der Hand zu weisen. Zentral ausgerichtete Institutionen neigen
leicht zu Verkrustungen. Des Weiteren bestehen erhebliche strukturelle
und kulturelle Unterschiede zwischen den verschiedenen
Kreditinstituten in Europa, denen durch zentrale Aufsichtsregeln nur
unzureichend Rechnung getragen sein könnte.
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Und vor allem: Ein zentrales Institut hätte den wesentlichen Nachteil,
dass die für eine effiziente und risikoorientierte Aufsicht notwendige
Nähe der Aufseher zu ihren Instituten durch Kenntnis der Situation und
vor Ort bekannte Ansprechpartner auf keinen Fall mehr gewährleistet
ist.
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[Andere Kompetenzverteilung]
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Dabei ist ganz spannend: Für beide derzeit diskutierten Alternativen
müsste die Kompetenzverteilung im Rahmen der Anpassung des
EU-Vertrages geändert werden. Wer tritt im Falle einer Bankenkrise in
einem Mitgliedsland ein? Ist der deutsche Steuerzahler wirklich
bereit, im Extremfall inländische Einlagen bei einem Kreditinstitut zu
garantieren, das nicht der deutschen, sondern einer anderen nationalen
oder gar einer zentralen europäischen Aufsicht unterliegt. In einem
zentralen europäischen Aufsichtssystem müssten alle Länder dafür
einstehen - auch wenn sie gegebenenfalls nicht selbst von einem
Stützungsfall betroffen wären. Bevor diese Grundsatzfrage nicht
geklärt werden kann, kann nicht ernsthaft eine Verlagerung nationaler
Souveränitäten oder gar eine zentrale Aufsicht ins Auge gefasst
werden!
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Das Lamfalussy-Verfahren und die Arbeit von CEPS bieten durchaus die
Chance, die Angleichung der Aufsichtspraktiken und der Aufsichtsnormen
über eine verstärkte Kooperation der Aufseher zu erreichen. Nur zwei
Jahre nach der Gründung von CEPS ist es aber noch zu früh um ein
endgültiges Urteil über diese Aktivitäten zu fällen. Insgesamt gibt es
damit zum derzeitigen Aufsichtsmodell bestehend aus nationaler
Verantwortung in Verbindung mit intensiver grenzüberschreitender
Kooperation zumindest mittelfristig keine realistische Alternative.
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Thomas Mirow
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"Die Kooperation der nationalen Aufseher und nicht die europäische
Zentralaufsicht ist derzeit der richtige Weg"
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These 1: Nur im europäischen Kontext:
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Bankenaufsicht gibt es nur noch im europäischen Kontext. Eine rein
national orientierte Bankenaufsicht ist nicht mehr möglich. Die
Aufsichtsstandards werden heutzutage global und auf europäischer Ebene
gesetzt. Mit den großen grenzüberschreitenden Bankenfusionen ist das
Betreiben des Bankengeschäfts Teil eines Allfinanzkonzepts von großen
multinationalen Finanzkonglomeraten geworden. Die Nutzung der Chancen
der EU-Osterweiterung durch die Kreditwirtschaft hat zu erheblichen
Veränderungen in der Aufsichtslandschaft geführt. Es ist
offensichtlich, dass die Ausgestaltung der Aufsicht sich an diese
neuen Realitäten anpassen muss.
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[Ansätze zu einer europäischen Aufsichtskultur]
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These 2: Anzustreben ist eine Stärkung der Aufsichtskonvergenz: Die
Kooperation der nationalen Aufseher und nicht die europäische
Zentralaufsicht ist derzeit der richtige Weg. Wer die Verantwortung
für die Systemstabilität trägt, und das sind die nationalen
Finanzaufseher, muss auch die Kompetenzen in der Bankenaufsicht haben.
Dabei darf die Bankenaufsicht und dürfen nationale Aufsichtsregeln den
europäischen Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen nicht unnötig
behindern. Solche Barrieren für den grenzüberschreitenden Wettbewerb
sind abzubauen.
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Ziel muss es sein, Konvergenz im Aufsichtshandeln zu schaffen. Hält
man sich vor Augen, dass es in der EU derzeit rund 70
Aufsichtsbehörden gibt, so liegt es nahe, dass große
grenzüberschreitende Bankengruppen umfassende Ansätze zur Schaffung
einer europäischen Aufsichtskultur favorisieren - entweder einen
nationalen Lead Supervisor, dessen Kompetenz die
Zuständigkeitsbereiche anderer nationaler Aufsichtsbehörden
überlagert, oder eine zentrale Aufsicht, wie wir sie im Rahmen der
Zusammenschlusskontrolle kennen. Beide Modelle, das des Lead
Supervisors und das der europäischen Zentralaufsicht, haben eines
gemeinsam: Der nationale Aufseher gibt wesentliche hoheitliche
Befugnisse ab.
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Eine supranationale Instanz hätte die aufsichtliche Kompetenz über die
großen systemrelevanten Institute, und zwar bis hin zu Maßnahmen wie
der Schließung von Instituten. Deshalb ist darauf hinzuwirken, dass
Verantwortung und Kompetenz nicht länger auseinanderfallen.
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Dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Kompetenzwahrnehmung -
zum Beispiel im Verwaltungsrecht, Verwaltungsvollstreckungsrecht, im
Insolvenzrecht oder auch im Gesellschaftsrecht Europas - derzeit nicht
vorliegen, stellt Allgemeinwissen dar und sei hier nur am Rande
erwähnt. Deshalb dürfte das Konzept einer europäischen Zentralaufsicht
und ein reines Lead-Supervisor-Konzept wohl keine kurzfristig
realisierbare Option darstellen.
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These 3: Demokratische Legitimation unerlässlich: Sollte es
langfristig zu einer weiteren, über das Kooperationsmodell
hinausgehenden schrittweisen Zentralisierung der Aufsicht kommen, dann
unter zwei Vorbedingungen:
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- Erstens muss die Politik dem Markt folgen und nicht umgekehrt.
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- Zweitens muss eine stärker zentralisierte europäische Aufsicht durch
die Parlamente
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- national oder europäisch - legitimiert und demokratisch kontrolliert
werden.
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[Marktintegration beflügeln]
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Die Entscheidung "Kooperation der nationalen Aufseher oder europäische
Zentralaufsicht" ist dauerhaft keine Entweder-oder-Frage. Die
Integration des europäischen Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen
wird weiter voranschreiten. Insofern werden die europäischen
Aufsichtskonzepte immer wieder auf dem Prüfstand stehen. Manche
erwarten dabei von der Politik, dass sie die Ausgestaltung der
europäischen Bankenaufsicht gezielt einsetzt, um die Marktintegration
zu beflügeln. Natürlich gilt es, die Herausbildung europäischer
Strukturen in der Finanzaufsicht zu unterstützen.
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Die Vielzahl von Finanzaufsichtsbehörden in der europäischen Union und
ihre unzureichende Vernetzung stellen auf Dauer ein
Integrationshindernis dar. Die Bundesregierung unterstützt deshalb den
begonnenen evolutionären Ansatz zur Herstellung europäischer
Strukturen in der Finanzmarktaufsicht und zur Stärkung der
Aufsichtskonvergenz in Europa. Sie wird sich für die Fortsetzung
dieses Kurses aktiv einsetzen. Aber ich betone auch ganz deutlich: Für
die Bundesregierung folgt die Ausgestaltung der europäischen
Bankenaufsicht den Marktentwicklungen und nicht umgekehrt.
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Das Vertrauen in die Stabilität der Finanzmärkte ist ein hohes Gut und
zeichnet die europäischen Volkswirtschaften im globalen Wettbewerb
besonders aus. Diese Stabilität basiert darauf, dass die
Finanzaufsicht eng am Markt agiert, eben weil ihre Reichweite den
Marktstrukturen entspricht. Sollte der Markt in der langfristigen
Perspektive echte europäische Aufsichtsstrukturen unter
weiterreichender Aufgabe nationaler Kompetenzen erfordern, dann müssen
wir diese Aufsichtsstrukturen mit einer hinreichenden eigenen, also
nicht von den nationalen Aufsichtsbehörden abgeleiteten demokratischen
Legitimation versehen.
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Ich sehe das durchaus auch in einem größeren Zusammenhang. Ich glaube
die Krise, die wir gegenwärtig im Rahmen der europäischen
Gemeinschaft/Union erleben, hat wesentlich etwas damit zu tun, dass
die Völker Europas die demokratische Legitimation des dortigen
Handelns als unzureichend empfinden.
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These 4: Vom Kooperationsmodell zur zentralen Aufsicht: Das
Kooperationsmodell hat bereits unter Beweis gestellt, dass es sich
wandelnden Markterfordernissen anpassen kann. Es muss zukünftig noch
schlag- und entscheidungskräftiger ausgestaltet werden.
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[Fortentwicklung des Kooperationsmodells]
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Das Modell der Kooperation ist geprägt durch zwei Grundsätze: den
Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Herkunftsmitgliedsstaat
und Aufnahmemitgliedsstaat sowie den Grundsatz der Aufsicht auf
konsolidierter Basis.
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Diese beiden Grundsätze werden auch weiter die Basis sein, doch das
Kooperationsmodell muss im Lichte der aktuellen Erfordernisse der
Beaufsichtigung von großen internationalen Bankengruppen mit ihrem
stark zentralisierten Risikomanagement fortentwickelt werden. Dies
bedeutet: Die nationalen Aufsichtsbehörden geben auf der Basis
schriftlich fixierter multilateraler Koordinierungs- und
Kooperationsvereinbarungen wirklich Aufgaben an den "Consolidating
Supervisor" ab. Und auch da, wo die Gefahr eines Entscheidungsstaus
auf der Hand liegt (zum Beispiel bei der Abnahme der institutsinternen
Ratingsysteme von grenzüberschreitenden Bankengruppen), weil man sich
national nicht einig wird, müssen Kompetenzen von den nationalen
Aufsichtsbehörden auf den "Consolidating Supervisor" übertragen
werden. Hier ist dann der nationale Gesetzgeber gefordert.
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Wir müssen jedoch gerade in einer Debatte wie dieser, die für den Fall
einer Krise das Schicksal vieler Menschen in Europa betrifft, den
Grundsatz beachten, dass wir institutionell nicht weitergehen können
als es die demokratische Legitimation in Europa erlaubt.
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Alexander Schaub
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"Es muss die richtige Balance zwischen nationaler und europäischer
Intervention gefunden werden"
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Die Diskussion über die Zukunft der Bankenaufsicht Europas ist nicht
allein von brennender Aktualität, sondern sie ist auch entscheidend
für die künftige Glaubwürdigkeit des gemeinsamen Kapitalmarkts. Mir
erscheint dabei allerdings die Beschränkung der Fragestellung auf ein
Ent-weder-oder, nämlich auf Kooperation oder Zentralisierung, als zu
eng.
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Aus meiner Sicht hat die Lösung unbedingt in der Mitte zu liegen: Die
europäische Finanzaufsicht muss sowohl die großen europäischen
Bankengruppen vollständig erfassen, als auch die Kontrolle über die
überwiegend nationalen oder regionalen Kreditwirtschaften angemessen
darstellen können.
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Vor allem grenzüberschreitende Gruppen rufen heute nach einer aus
ihrer Sicht vereinfachten Aufsichtspraxis. Das ist sehr verständlich.
Sie wollen eine Aufsichts-Architektur, die ihrer eigenen Organisation
entspricht - sie wollen, vereinfacht ausgedrückt, ein zentrales
Aufsichtsmanagement für eine ebensolche Unternehmensführung. Die
Mehrheit der europäischen Banken dagegen betreibt keine oder kaum
grenzüberschreitende Geschäfte. Folgerichtig sind sie mit den
gegenwärtigen nationalen Aufsichtsstrukturen durchaus zufrieden. Auch
das ist sehr verständlich. Es muss deshalb die richtige Balance
zwischen nationaler und europäischer Intervention gefunden werden -
eben eine Mischung nationaler und europäischer Elemente. Erst wenn
nationale und europäische Akteure der Bankenaufsicht gleichermaßen
vertrauen, ist das Ziel erreicht.
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[Traditionen sorgsam beachten]
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Es kommt dafür alles darauf an, in einem fortschreitenden Prozess eine
gemeinsame Kultur der europäischen Finanzaufsicht zu festigen, die die
gemeinsame europäische Verantwortung widerspiegelt. Nun spüre ich
jedoch heute gelegentlich Anzeichen
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der Ungeduld, spüre ich den Drang, die Dinge fast zu überstürzen. Das
hielte ich für einen schweren Fehler. Denn wir haben in der
europäischen Wettbewerbspolitik doch immer wieder lernen müssen, dass
man gemeinsame Arbeitsmethoden systematisch entwickeln muss, dass man
die Traditionen sorgsam zu beachten hat, dass ein gemeinsames
Zielverständnis viel Geduld erfordert.
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Ich meine, dass die vorhandenen Aufsichtsstrukturen noch so weit von
einem Optimum entfernt sind, dass man zunächst einmal forciert an der
Verbesserung des Vorhandenen arbeiten kann und muss, bevor ganz neue
Institutionen geschaffen werden können.
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[Ungeduld und Selbstzufriedenheit]
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Die Kommission sieht jedoch zwei aktuelle Gefahrenlagen: Zum einen die
bereits erwähnte Ungeduld, die auf neue Strukturen drängt, ohne dass
es dafür bereits sichere Fundamente gibt; zum anderen bekümmert uns
eine etwas übertriebene Selbstzufriedenheit bei manchen nationalen
Aufsehern. Die letztere Haltung halte ich für besonders gefährlich!
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Ein Schreckensszenarium wäre für mich, wenn wir in Europa erst über
dramatische Unfälle und unter dem Zwang emotionaler Debatten zu dann
wahrscheinlich nicht sachgerechten Entscheidungen gezwungen würden,
weil wir den ganzen Prozess verschlafen haben. Sarbanes-Oxley sollte
uns eine Lehre sein!
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Die Zwischenüberschriften in Klammern sind von der Redaktion
eingefügt.

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