Aufsätze

Lehren der Finanzmarktkrise: Die Aufsicht internationalisieren und stärken

Die Ursachen der jüngsten Finanzmarktkrise sind vielschichtig. Sie reichen von mangelnder Transparenz und dem allzu leichtfertigen Umgang mit Risiken bis hin zu politischen Fehlentscheidungen insbesondere in den USA. Fest steht: Die Finanzmarktkrise stellt eine Zäsur dar - nicht nur für die Banken, sondern für das gesamte globale Finanzsystem. Gegenwärtig ziehen die verschiedenen Akteure weltweit Lehren aus dieser Krise. Wesentliche Risiken rechtzeitig zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren, steht dabei an erster Stelle. Das ist eine Herausforderung für Banken, aber ebenso für die Aufsicht.

Expertise der Kontrolleure erhöhen

Immer komplexer werdende Bank- und Kapitalmarktprodukte erhöhen zwangsläufig die Anforderungen an die Expertise der Kontrolleure. Hinzu kommt: Das Bankgeschäft ist - wie viele andere Dienstleistungsbereiche - zunehmend global aufgestellt, und zwar im traditionell international tätigen Kapitalmarkt- und Firmenkundengeschäft sowie immer stärker auch im Privatkundengeschäft. Dies ist eine Entwicklung, der die Aufsicht Rechnung tragen muss - der Bankenverband hat hierauf bereits seit Jahren mit Nachdruck hingewiesen.

Die Aufsicht muss in dieser Hinsicht dem Markt folgen. In den nächsten Jahren werden wir weitere grenzüberschreitende Zusammenschlüsse von Banken sehen. Die Finanzmarktkrise dürfte diese Entwicklung sogar eher befördern als verlangsamen; erste Belege hierfür lassen sich bereits auch in Deutschland - beobachten. In diesen international aufgestellten Bankgruppen erfolgt die Steuerung des operativen Geschäftes jedoch in der Regel weitgehend zentral. Risiken werden konsequenterweise auf Gruppenebene erfasst und gesteuert. Ein einheitliches Risikomanagement verantwortet die Kontrolle der gesamten Gruppe.

Mehraufwand durch Parallelität der Aufsicht

Während das Risikomanagement einer Bank also auf die Gruppenebene abstellt, folgt die Aufsicht dieser Betrachtungsweise noch nicht in vollem Umfang. Zwar werden Bankengruppen hinsichtlich ihrer Solvenz seit vielen Jahren von der Aufsichtsbehörde der Konzernmutter auf Gruppenebene beaufsichtigt. Doch daneben gibt es weiterhin die Solvenzaufsicht der Einzelinstitute (Soloaufsicht). Diese wird durch die nationalen Aufsichtsbehörden der Staaten verantwortet, in denen die Tochtergesellschaft ihren Sitz hat. Außerdem sind diese nationalen Behörden auch für alle übrigen Aufsichtsbereiche zuständig.

Eine solche Parallelität von Gruppen- und Soloüberwachung führt nicht nur bei den Banken, sondern auch bei den verantwortlichen Behörden zu erheblichem Mehraufwand. Im schlimmsten Fall drohen gar Aufsichtslücken durch Kompetenzkonflikte. Und schließlich: Da das EU-Bankaufsichtsrecht noch nicht vollständig harmonisiert ist, sind in bestimmten Bereichen - etwa dem Liquiditätsrisikomanagement - voneinander abweichende Vorschriften zu beachten. Selbst in stark harmonisierten EU-Rechtsgebieten - wie der Eigenkapitalunterlegung - kommt es häufig immer noch zu unterschiedlichen Anforderungen. Wenn aber die Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts zwischen den Mitgliedstaaten auseinanderläuft, hat dies für die Betroffenen signifikante Mehrkosten zur Folge.

Harmonisierung des Bankaufsichtsrechts

Wie können diese Probleme gelöst werden? Im Kern geht es darum, dass dem in internationalen Bankengruppen üblichen "Risikomanagement aus einer Hand" auch eine "Aufsicht aus einer Hand" gegenübergestellt wird. Um dies zu erreichen muss zunächst die Harmonisierung des Bankaufsichtsrechts europaweit wie international weiter vorangetrieben werden.

Daran schließt eine deutlich intensivere Kooperation der Aufsichtsbehörden an. Mit dem vor einigen Jahren gegründeten Committee of European Banking Supervisors (CEBS) wurde bereits ein wichtiges Forum für die Verbesserung der Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden geschaffen. Weil aber die Märkte sich so rasant weiterentwickeln, reicht dieser Ansatz nicht aus.

Wegweisend ist hier das Modell des Lead Supervisor. Es verlagert die Aufsicht von der Solo- zur Gruppenebene und wendet das Prinzip der Heimatlandkontrolle konsequent auf rechtlich selbstständige Tochtergesellschaften im Ausland an. In diese Richtung geht auch der von der EU-Kommission im Oktober 2008 vorgelegte Entwurf zur Änderung der Capital Requirements Directive (CRD). Er sieht eine deutliche Stärkung der Befugnisse für die Aufsichtsbehörde vor, die für die Beaufsichtigung auf Gruppenebene zuständig ist (Consolidating Supervisor). Außerdem schlägt die Kommission die Einrichtung von Colleges of Supervisors vor, mit denen die praktische Aufsicht von grenzüberschreitenden Bankengruppen verbessert werden soll.

Modell des Lead Supervisor als Zwischenstation

Aber auch das Modell des Lead Supervisor kann in einem immer stärker integrierten EU-Finanzmarkt nur eine Zwischenstufe darstellen. Am Ende der Entwicklung sollte in einem echten Binnenmarkt ein europäisches System der Aufsichtsbehörden stehen.

Wesentliches Element wäre dabei - ähnlich dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) - eine auf der Grundlage eines harmonisierten EU-Aufsichtsrechts agierende paneuropäische Aufsichtsbehörde. Diese würde die großen europaweit tätigen Bankengruppen - und nur diese - beaufsichtigen. Die national tätigen Banken blieben auch weiterhin unter der Kontrolle der jeweiligen Aufsichtsbehörden.

Es ist bedauerlich, dass es im Rat der EU-Finanzminister Bestrebungen gibt, hinter die Kommissionsvorschläge zur CRD-Änderung zurückzugehen und eine Ausweitung der Befugnisse für die Gruppenaufsichtsbehörde abzulehnen. Der Widerspruch zwischen dem politisch gewollten und ökonomisch sinnvollen Ziel der europäischen Finanzmarktintegration und den nach wie vor rückständigen Aufsichtsstrukturen bleibt damit bestehen.

Es bleibt zu hoffen, dass das Europäische Parlament in dieser Frage die zielführenden Vorschläge der EU-Kommission unterstützt. Mit den notwendigen Schritten zur Verbesserung der europäischen Aufsichtsstruktur wird sich außerdem die kürzlich von der EU-Kommission eingesetzte Expertengruppe (Larosière-Gruppe) befassen.

Bewährte Aufsichtsstrukturen in Deutschland

Während auf der EU-Ebene zu befürchten ist, dass die Weiterentwicklung der Aufsichtsstrukturen nicht schnell genug vorankommt, droht auf nationaler Ebene eine Debatte, die an den eigentlichen Problemen vorbeigeht. So wurde in den vergangenen Monaten diskutiert, ob Deutschland nicht seine Aufsicht in einer Behörde zusammenfassen sollte. Wahlweise - je nach Standpunkt - bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) oder der Deutschen Bundesbank. Das muss erstaunen: Denn die Arbeitsteilung zwischen den beiden Institutionen hat sich bewährt - für grundlegende Änderungen besteht keinerlei Notwendigkeit. Im Gegenteil: Ein solcher Schritt würde keine Probleme lösen, dafür aber viele neue schaffen. Vor allem wäre die wichtige geldpolitische Unabhängigkeit der Notenbank gefährdet, da die Bankenaufsicht einer Rechts- und Fachaufsicht unterstellt sein muss.

Der Präsident der Deutschen Bundesbank, Axel Weber, hat im November 2008 explizit bekräftigt, dass die Zusammenarbeit zwischen BaFin und Bundesbank gut und insbesondere mit der letzten Überarbeitung der Aufsichtsrichtlinie im Jahre 2007 überschneidungsfrei funktioniert. Das deutsche Modell einer Allfinanzaufsicht hat sich nach Einschätzung des Bundesbankpräsidenten als tragfähig erwiesen. Im Übrigen wäre Deutschland auch mit einer anderen Aufsichtsstruktur der Finanzkrise nicht entkommen. Große Unterstützung verdient die Forderung, den Beitrag der Bundesbank zur Finanzstabilität in deren gesetzliches Mandat aufzunehmen - diesem Auftrag sollte im Zielkatalog der Notenbank eine herausgehobene Stellung eingeräumt werden.

Mittelfristiger Übergang zu einer prinzipienbasierten Regulierung

Doch nicht nur die Institutionen, sondern auch das aufsichtliche Regelwerk muss den neuen Entwicklungen angepasst werden. Neue Produkte gehen einher mit immer schneller voranschreitenden Entwicklungen im Bereich des Risikomanagements. Wie haben Gesetzgeber und Aufsicht auf diese Herausforderung reagiert? In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von Detailvorschriften erlassen, und die Bankenregulierung wurde immer umfangreicher und komplexer. Gesetzgeber und Aufsicht versuchen zunehmend, allen Risiken und Einzelfällen gerecht zu werden. Doch in diesem Vorgehen liegt eine Gefahr: In der Fülle von Einzelregelungen kann es immer wieder zu Schlupflöchern kommen. So ist es in einem Konvolut von Einzelregelungen durchaus möglich, dass ein Teil der Risiken überhaupt nicht erfasst wird.

Notwendig ist daher ein Paradigmenwechsel im Bankaufsichtsrecht. Dieses sollte grundsätzlich qualitativ ausgerichtet werden. Die heute vorherrschende detailregelbasierte Regulierung würde durch eine prinzipienbasierte ersetzt. Gesetzgeber und Aufsicht würden sich auf die Festlegung und Überwachung von einzuhaltenden Richtlinien konzentrieren und deren Anwendung im Einzelnen den Banken überlassen. Die Prinzipien sollten möglichst knapp und zielorientiert formuliert sein und ausreichende Beurteilungs- und Ermessensspielräume bieten. Kernelement eines solchen Aufsichtsrechts wäre, dass eine Bank die Gesamtheit ihrer Risiken kennen muss und sie adäquat steuern und überwachen kann.

Bessere Besoldungsmöglichkeiten der Aufsicht schaffen

Der Übergang zu einer prinzipienorientierten Regulierung kann jedoch nur gelingen, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Zum einen muss die Aufsicht Transparenz schaffen. Sonst besteht die Gefahr von Rechtsunsicherheit und Wettbewerbsungleichheit infolge steigender Ermessensspielräume. Zum anderen muss ein gemeinsames Verständnis zwischen Aufsicht und Unternehmen geschaffen werden. Dies betrifft zunächst den Risikogehalt bestimmter Geschäfte. Daran anknüpfend ist zu bestimmen, welche Verfahren als Good oder Best Practices anzusehen sind. Beides kann nur in einem Dialog geschehen, der von gegenseitigem Vertrauen getragen ist.

Last but not least muss die fachliche Qualifikation der Aufsicht gestärkt werden. Nur so können die dann gestiegenen Ermessensspielräume adäquat ausgefüllt werden. Banken und Aufsicht konkurrieren im Bereich des Risikomanagements grundsätzlich um dieselben Mitarbeiter. Die Aufsichtsbehörden müssen daher in die Lage versetzt werden, entsprechend qualifizierten Bewerbern auch eine angemessene Vergütung zu bieten.

Keine "offene Flanke" auf der Personalseite zulassen

Da die Möglichkeiten hierfür derzeit stark beschränkt sind, ist der Gesetzgeber gefordert, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Die Personalseite darf nicht zur "offenen Flanke" der Aufsicht beim Übergang zu einer prinzipienbasierten Regelung werden. Dies heißt nicht, das Gehaltsniveau flächendeckend anzuheben. Die Besoldungsverbesserungen müssen aber individuell angepasst und entsprechend der fachlichen Anforderungen und Verantwortung erfolgen. Wenn die Aufsicht mit den Entwicklungen in den beaufsichtigten Instituten nicht Schritt halten und diesen immer weniger "auf Augenhöhe" begegnen kann, können Fehlentwicklungen für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden.

Die privaten Banken sind jedenfalls bereit, ihren Beitrag im Rahmen der Finanzierung des BaFin-Haushaltes zu leisten. Die Besoldungsverbesserungen sind im Übrigen unabhängig von einem möglichen Übergang zu einer stärker prinzipienbasierten Regulierung dringend erforderlich.

Deutschland hat mit seiner Aufsichtsstruktur international Vorbildcharakter. Wir sollten und können uns aber auf dem Erreichten nicht ausruhen. Das Bankwesen des 21. Jahrhunderts ist global ausgerichtet. Ein Markt kann immer nur so gut sein wie seine Rahmenbedingungen. Die Politik muss daher die Aufsicht in die Lage versetzen, sich den geänderten Strukturen anzupassen. Auch am bislang gut funktionierenden Aufsichtsrahmen der deutschen Kreditwirtschaft sind in dieser Hinsicht Verbesserungen notwendig.

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