Leitartikel

Survival of the fittest

"Als Charles Robert Darwin (1809 bis 1882) die moderne Evolutionstheorie niederschrieb, mag er an Echsen, Riesenschildkröten und die berühmten Darwin-Finken auf den Galapagosinseln gedacht haben, ganz sicher hat er keinen Gedanken an deutsche Hypothekenbanken verschwendet", sinnierte Hubert Schulte-Kemper, der langjährige Vorstandsvorsitzende der Hypothekenbank in Essen AG, vor genau vier Jahren zum Geschäftsmodell seines Hauses (vergleiche Ausgabe 02-2004, Seite 44 ff.). Dass sich der britische Naturwissenschaftler nie zu einer Übertragung von ökologischen Zusammenhängen auf ökonomische Gefüge verstieg, spricht für seine wissenschaftliche Kompetenz.

Schulte-Kemper, Träger des päpstlichen Ordens "Ritter des heiligen Gregorius", scheute diesen Vergleich weit weniger, ließ sich doch das Darwinsche Postulat "Survival of the fittest" scheinbar mühelos auf "seine Bank" übertragen. Immerhin hatte es der umtriebige, in Marl geborene Banker geschafft, seit 1987 mit viel Gespür - wie die Bewunderer meinen - oder einfach nur Glück - wie die Neider bemäkeln - und mit dem Vermögen des Wolfgang Schuppli eine Hypothekenbank aufzuziehen, die 20 Jahre später mit einer Bilanzsumme von über 90 Milliarden Euro zu den größten sowie mit einem Kosten-Ertrags-Verhältnis von etwa 13 Prozent und einem Return on Equity nach Steuern von rund 15 Prozent zu den effizientesten Spezialfinanzierern gehört.

Allerdings - und das muss dem Vorstandsvorsitzenden bewusst gewesen sein, wenn er Darwin zweckentfremdet - werden die Zeiten für Spezialisten dann rauer, wenn sich das Umfeld ändert. Zwar spricht die steigende Zahl der Pfandbriefemittenten - zu denen jetzt auch die Postbank gehört - für das grundsolide und seit über 100 Jahren bewährte Refinanzierungsprodukt, doch sind die neuen Pfandbriefbanken vor allem eines: Generalisten. So fanden sich bislang schon die Aareal Hypo, die HSH Nordbank Hypo, die SEB Hyp, die Wüstenrot Hyp und seit jüngster Zeit auch die Deutsche Hypo aus Hannover in größeren, universell aufgestellten Banken wieder. Dass relative Größe und hohe Rentabilität zwar Zeichen ökonomischer Fitness, aber keine Garanten für Unantastbarkeit sind, musste vor einigen Jahren schon eine nahe Frankfurt beheimatete Bank kurz vor ihrem großen Schritt auf das Börsenparkett erfahren. Jetzt droht der Essenhyp ein ähnliches Schicksal wie einem anderen großen Staatsfinanzierer - der Depfa, die zunächst noch als Geschäftseinheit erhalten bleibt, von der aber vielleicht schon bald nur noch die Marke übrig sein könnte.

Doch während dem Depfa-Chef Gerhard Bruckermann, als er der Börse nach einigen glücklosen Projekten kaum noch eine fantasievolle Story bieten konnte, immerhin durch den Verkauf seines Kreditinstituts an die Hypo Real Estate ein "goldener Schnitt" gelang, konnte Schulte-Kemper nicht akzeptieren, dass "seine" Bank wohl schon bald mit den Staatsfinanzierungsaktivitäten von Commerzbank und Eurohypo in eine neue Form gegossen wird. Dass er diese Konstellation nie wollte, hat auch persönliche Gründe. Denn sein Ehrgeiz nährte sich zu einem nicht unwesentlichen Teil aus der Konkurrenz zunächst zu den Konzernverwandten Rheinhyp beziehungsweise später Eurohypo, die sich nicht allein auf das Geschäftliche beschränkte. Unterschiedlicher konnten die Vorstandsvorsitzenden der beiden Commerzbank-Töchter seinerzeit kaum sein: aristokratisch im besten Sinne des Wortes der eine, bodenständig und direkt der andere. Letztendlich aber verbindet beide, dass sie die Neuordnung in der Commerzbank nicht mitgestalten (wollten).

Bei dem, was bislang hinsichtlich der Neuordnung der Geschäftsbereiche innerhalb der zweitgrößten Bank Deutschlands zu erfahren ist, überraschen die zahlreichen Ähnlichkeiten zur Neuorientierung bei der Hypo Real Estate. Bei beiden bildet ein spezialisierter Immobilienfinanzierer von internationalem Rang einen Kernbereich, ergänzt durch großvolumige Aktivitäten in der Staatsfinanzierung, für die über das klassische Kommunal- und Kapitalmarktgeschäft hinaus neue Betätigungsmöglichkeiten erschlossen werden sollen. Wenn dabei auch die Finanzierung von Verkehrssystemen im Vordergrund steht, entspricht das zweifellos deren wachsender Bedeutung für die modernen Volkswirtschaften. Dass künftig auch Flugzeuge über Pfandbriefe refinanzierbar sein sollen, ist dabei sicherlich willkommen.

Die durchaus vorhandene Ähnlichkeit der Konzepte wird übrigens weder in Frankfurt noch in München ernsthaft geleugnet, gleichwohl man hier wie dort fröhlich betonen möchte, dass selbstverständlich der andere das eigene Modell nachahmt. An dieser Stelle könnte man freilich - wenn man schon bei den Evolutionsbiologen bleiben möchte - eher Jean-Baptiste de Lamarck statt Darwin Gewalt antun und meinen, die gleichen Umweltbedingungen würden zu ähnlichen Anpassungen zwingen. Für beide Banken dürfte aber noch ein weiterer Antrieb gegeben sein. Sowohl die eine wie die andere wurden und werden hin und wieder - ob zu Recht oder aufgrund spezieller Interessen - als Übernahmekandidaten ins Gespräch gebracht. Um diesem lästigen Gerede etwas Substanz zu nehmen, mag die Integration eines soliden und anerkannten, aber vor allem bilanziell großen Staatsfinanzierers durchaus im Sinne der eigenen Wertsteigerung hilfreich sein. Große Happen sind nun mal schwerer zu schlucken.

Die qualitativ zumeist hochwertigen Bestände der Pfandbriefbanken sind eben begehrt - wenn nicht sogar ihr Hauptzweck. Schließlich gelingt es der Hypo Real Estate erst mit der Depfa, ihren Staatsfinanzierungszweig auf eine äquivalente Größe zu den Immobilienkrediten zu wuchten. Und auch der Commerzbank kommt zugute, dass im zuletzt etwas problematischen und ohnehin margenschwachen Staatskreditgeschäft zusätzliche Skaleneffekte nutzbar gemacht werden könnten. Auch dass mit der Deutschen Hypo jetzt eine der letzten konzernunabhängigen Pfandbriefbanken in den Nord-LB-Hafen manövriert wurde, hat in erster Linie die attraktiven Aktiva zum Ziel, denn inwieweit der gute Name der einstigen BHF-Bank-Tochter künftig als Plattform für internationale Immobilienfinanzierungen tatsächlich nutzbar ist, bleibt abzuwarten. Universalität in der Breite und Spezialität in den Einzelsegmenten - vielleicht ist das ja der Erfolg versprechende Weg für die deutschen (Pfandbrief)Banken in einer sich stets wandelnden Landschaft. L. H.

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