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Industriebrachen - Chancen und Fallstricke für Projektentwickler

Der stetige und zum Teil rasante Wandel und wohl auch die ökologische Sorglosigkeit, Unkenntnis oder Ignoranz bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein haben dazu geführt, dass heute eine Vielzahl von Industrieflächen brach liegen. Deutschland gehört seit Beginn der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts zu den aktivsten Industrienationen der Welt. Zwei Weltkriege, Wiederaufbau und "Wirtschaftswunder", die Ölkrise der siebziger Jahre, die Krisen der Textil-, Montan- und Stahlindustrie, die ökologische Bewegung der achtziger Jahre, der Zusammenbruch des "Ostblocks" und schließlich die Implikationen der Globalisierung haben sich jeweils auf den Bedarf und den Umgang mit den für die industrielle Produktion genutzten, benötigten oder nicht mehr benötigten Flächen ausgewirkt.

Diese in der Regel mit Altlasten kontaminierten Areale liegen nicht nur in Industrie- oder Gewerbegebieten, sondern vielfach auch in innerstädtischen A- und B-Lagen. Den Kommunen, Stadtplanern und der Bürgerschaft sind sie ein Dorn im Auge. Doch lange Zeit stand einer sinnvollen Umnutzung und Konversion der Flächen in vielen Fällen der immense Aufwand für die Altlastensanierung entgegen. Sprich: Für Eigentümer, Projektentwickler und Investoren, von den Gemeinden ganz zu schweigen, standen Sanierungskosten und Risiko in keinem Verhältnis zum erwarteten Ertrag.

Veränderte Rahmenbedingungen

Das hat sich inzwischen geändert. Schließlich hat auch die Politik erkannt, dass es schlicht unverantwortlich ist, das strukturelle Problem der Industriebrachen einerseits und die fortschreitende Flächenversiegelung auf der "grünen Wiese" andererseits dauerhaft zu ignorieren. So gibt es heute eine Reihe von EU-Regelungen und Förderprogrammen für Industriebrachen, Strukturwandel und regionale Entwicklung. Auch national existieren verschiedene Ansätze für die Flächenaufbereitung.

Seit 2002 gilt in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie neben den einschlägigen Klimazielen auch ein Ziel für den Flächenneuverbrauch: Der soll von den damals 130 Hektar pro Tag auf 30 Hektar im Jahr 2020 heruntergefahren werden. Im Jahr 2010 wurden im Schnitt noch 77 Hektar pro Tag verbaut. Bis 2020 dürfte sich die verfügbare Neubaufläche demnach um weitere 60 Prozent verringern. Es gilt also, mögliche Alternativen zu suchen und zu nutzen. Nichts ist daher naheliegender, als bereits existierende Nutzflächen zu reaktivieren.

Die Strategien zur Flächenaufbereitung sind von Bundesland zu Bundesland verschieden. Zum Teil existieren kleinere Förderprogramme und auch die Regionen experimentieren mit verschiedenen Instrumentarien wie einer Flächenverbrauchsabgabe, Abschreibungsvorteilen oder einer niedrigeren Grundsteuer für Brachflächen. Sogar der Handel mit Flächenzertifikaten nach dem Vorbild der Kohlendioxidemissionen wird diskutiert.

Flächenknappheit in den Ballungszentren

Dabei ist die Situation zumindest in den Ballungszentren und den wirtschaftlichen und logistischen Top-Regionen, mit denen sich Nextparx als Projektentwickler beschäftigt, schon heute mehr als angespannt. Der Logistikimmobilienmarkt boomt. Deutschlandweit wurden 2012 zwar nur etwas über zwei Drittel der Gesamtflächen des Jahres 2011 neu gebaut. Doch mit knapp 2,2 Millionen Quadratmetern (3,1 Millionen Quadratmetern im Jahr 2011) bewegt sich das Volumen auf hohem Niveau. Zudem wurden bei der vom Münchner Immobilienberater Logivest GmbH und dem Fraunhofer Supply Chain Institut, Nürnberg, durchgeführten Studie rund 700 000 Quadratmeter bereits projektierte Neubaufläche nicht eingerechnet. Die Bautätigkeit hätte sogar durchaus höher ausfallen können, denn die Nachfrage gerade nach Logistikflächen ist hoch. Zunehmend haben Entwickler, Mieter und Investoren Probleme, geeignete Flächen etwa in Hamburg, im Rhein-Main-Gebiet, im Münchner und Stuttgarter Raum und zum Teil auch im Ruhrgebiet zu finden.

Im Ruhrgebiet, wo durch die Abwicklung des Steinkohlebergbaus genügend Konversionsflächen zur Verfügung stehen sollten, schätzen die Industrie- und Handelskammern den Bedarf bis zum Jahr 2030 etwa auf 3 200 Hektar, wovon derzeit nur rund die Hälfte zu identifizieren sei. Voraussichtlich ab 2016 soll dort ein städteübergreifender, regionaler Plan die Ausweisung von Gewerbeflächen regeln.

Im Münchner Raum wie auch etwa in Hamburg oder Stuttgart werden neue Gewerbeflächen, soweit sie überhaupt ausgewiesen werden, immer weiter an die Peripherie gedrängt. Laut Immobilien Zeitung hat die Handelskammer Hamburg aktuell 100 Hektar an Gewerbeflächen für die Umwidmung zum Wohnungsbau vorgesehen. Gleichzeitig schätzt die HWF Hamburgische Gesellschaft für Wirtschaftsförderung das zur Verfügung stehende Potenzial an Gewerbe- und Brachflächen 2012 in Hamburg auf 140 Hektar, davon 107 Hektar in städtischem Besitz. Doch statt die Areale für den großflächigen Bedarf etwa der Luftfahrt- oder der Logistikindustrie freizugeben, setzt man zunehmend auf Wohnungsbau.

Angespannt ist die Situation auch im Rhein-Main-Gebiet. Rund um das "goldene Logistikdreieck", das durch die drei Autobahnkreuze Mönchhofdreieck (A3/ A67) im Westen, Frankfurter Kreuz (A3/ A5) im Osten und Darmstädter Kreuz (A67/A5) im Süden begrenzt wird, sind kaum noch größere Areale ab zehn Hektar verfügbar. Eines der letzten verfügbaren Areale ist das 27 Hektar umfassende ehemalige Südzucker-Gelände in Groß-Gerau, das die Nextparx-Gruppe Ende 2012 von Südzucker erworben hat.

Logistikansiedlungen benötigen vergleichsweise große Flächen. Das Verhältnis der Grundstücks- zur Gebäudefläche liegt in der Regel mindestens bei 2:1. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten ist die Ansiedlung auf der "grünen Wiese", etwa an strategisch wichtigen Autobahnkreuzen, immer schwieriger durchzusetzen. Zumal die Branche - nach Angaben des Branchenverbands Bundesvereinigung Logistik (BVL) mit rund 228 Milliarden Euro Umsatz und 2,85 Beschäftigten im Jahr 2012 der drittgrößte Wirtschaftszweig in Deutschland - es in der Vergangenheit nicht geschafft hat, ihr Negativimage wesentlich zu verbessern. Dabei ist Logistik heute weit mehr als der stauverursachende "Brummi". Nicht selten werden größere Ansiedlungsprojekte der Logistik von Bürgerprotesten zu Fall gebracht. Beispiele der letzten Jahre sind etwa die lange Suche nach einem Standort für das neue Distributionszentrum von Hugo Boss in Metzingen oder die Aufgabe der Planungen für ein Edeka-Zentrallager im bayerischen Denkendorf.

Südzucker in Groß-Gerau: traditionsreiches Gelände

Für Nextparx als Projektentwickler von Logistik- und Light-Industrial-Immobilien ergibt sich aus all dem: Industriebrachen sind - abhängig von den individuellen Gegebenheiten und der Lage - interessante Standorte für Logistikimmobilien, sie bergen jedoch Risiken verschiedenster Art. Ein Projektentwickler muss sich deshalb heute mit vielen Themen beschäftigen, die über seine klassische Tätigkeit hinaus gehen und vor allem mit allen involvierten Interessensgruppen - Politik, Bürger, Fachleute, Gremien - im Gespräch sein. Für ein Engagement ist das Zusammenspiel aller Beteiligten und die frühzeitige Einbeziehung der Bevölkerung unabdingbare Voraussetzung. Am Beispiel des Südzucker-Geländes soll dies im Folgenden näher erläutert werden.

Seit 1883 wurde das Gelände für die industrielle Verarbeitung von Zuckerrohr verwendet. Im Zuge der europäischen Anstrengungen, die Überproduktion zu beseitigen und den Zuckermarkt zu harmonisieren, wurde das Werk der Südzucker AG in Groß-Gerau 2007 geschlossen, vollständig rückgebaut und der Boden von Altlasten saniert.

Dies war eine elementare Voraussetzung für das Engagement von Nextparx. Denn die Kosten der Sanierung, die von Südzucker, einem der größten europäischen Lebensmittelkonzerne mit EU-Fördermitteln durchgeführt wurde, hätten jede wirtschaftliche Nutzung infrage gestellt. Hinzu kommt, dass jede Bodensanierung, wie auch im Fall des Südzucker-Areals, unvorhergesehene "Überraschungen" bereithalten kann, die das Risiko unkalkulierbar machen. Derzeit wird die Eignung des Bodens für eine geplante Wohnbebauung noch untersucht. Das Südzuckergelände grenzt im Südosten unmittelbar an die Kernstadt mit Wohnund Mischnutzung an. Im Norden schließt sich das Industriegebiet "Im Schachen" an, das überwiegend von Logistikunternehmen genutzt wird. Im Südwesten und Nordosten befinden sich landwirtschaftliche Nutzflächen. Durch die Innenstadtnähe ist das Gebiet optimal mit Angeboten des täglichen und periodischen Bedarfs versorgt.

Ein Gutachten des Fraunhofer Instituts von Januar 2013 bescheinigt dem Südzucker-Gelände in Groß-Gerau eine besondere Bedeutung hinsichtlich logistischer Nutzungsmöglichkeiten in der logistikaffinen Region Frankfurt: "Das Südzucker-Areal erfüllt alle wichtigen Anforderungen an für die Logistik geeignete Flächen, wie beispielsweise die geringe Entfernung zur Autobahn, zudem ist ein Gleisanschluss möglich. Für die Arbeitskräfte ist das Gelände gut zu erreichen, da es über einen Anschluss an den öffentlichen Personennahverkehr verfügt. Im Standortwettbewerb hebt sich das Südzucker-Areal im Hinblick auf die Größe und die hohe zusammenhängende Flächenverfügbarkeit von anderen Gewerbegebieten in der Region ab."

Die Stadt Groß-Gerau steht Logistikansiedlungen grundsätzlich offen gegenüber. Doch auch hier scheiterte im Jahr 2010 just auf dem Südzucker-Gelände die Ansiedlung von Rewe. Die Handelskette wollte zunächst ein von rund 700 Beschäftigten bewirtschaftetes Distributionslager errichten. Neben positiven Stimmen gab es vor allem seitens einer Bürgerinitiative Kritik an dem Vorhaben. Schließlich wurde das Projekt in beiderseitigem Einvernehmen beendet, nachdem Rewe abweichend von der ursprünglichen Planung ein automatisiertes Hochregallager bauen wollte.

Planungs- und Projektmanagement

In dieser Situation half nur ein professionelles Planungs- und Projektmanagement, das konstruktive Lösungswege erarbeitet. Seit August 2012 arbeitet das Stadtplanungsbüro Stadtbauplan in enger Abstimmung mit Stadt und Entwickler an einer Bestandsanalyse sowie verschiedenen Nutzungsszenarien auf Basis des Flächennutzungsplans. Ziel ist es, die Wünsche, Vorstellungen und Bedenken aller Beteiligten in der Konzeption weitestgehend zu berücksichtigen und damit eine Diskussionsgrundlage für die Zukunft des Geländes und letztendlich für den Bebauungsplan zu schaffen. Eine wichtige Quelle dafür war das Stadtentwicklungskonzept Groß-Gerau 2020, das in einem mehrstufigen Prozess mit Bürgerbeteiligung zwischen 2009 und 2010 entstanden war.

Das Ergebnis, das im November 2012 in einer Bürgerversammlung der Stadt Groß-Gerau vorgestellt wurde, sieht eine Dreiteilung des Geländes vor: Gewerbenutzung im Norden, Wohnbebauung im Süden und dazwischen ein Grüngürtel zur öffentlichen Nutzung. Aufgrund der positiven Resonanz arbeitete Stadtbauplan verschiedene Varianten im Detail aus. Egal, wie die Endversion am Ende realisiert wird: Das Stadtbild wird enorm profitieren, denn mit ökologischer Fassadengestaltung, Lärmschutzwällen, grüner Erholungszone sowie einer Wohnbebauung entsteht eine harmonische Anbindung an den Stadtkern.

Derzeit wird in enger Zusammenarbeit zwischen Planungsbüro, Projektentwickler und Stadt an verschiedenen Fragestellungen intensiv gearbeitet. Dazu zählen vor allem die Neugestaltung der Verkehrsanbindung, die Konkretisierung der möglichen Wohnbebauung hinsichtlich der Einschränkungen, die durch die vorhandenen Immissionen durch Flug-, Bahn- und Straßenverkehrslärm gegeben sind sowie die detaillierte Begutachtung von Flora und Fauna, die zusätzliche Maßnahmen erfordern könnte. Erst wenn die Ergebnisse feststehen, kann die Stadt den Bebauungsplan verabschieden.

Die Südzucker AG hat ein hohes Interesse daran, diesen traditionsreichen Standort einer neuen, in der Bevölkerung akzeptierten Nutzung zuzuführen. Nextparx als Projektentwickler arbeitet konstruktiv mit der Stadt zusammen, um Lösungen für die skizzierten Felder zu finden. Das schließt zum Beispiel eine Beteiligung an den Maßnahmen zur Entzerrung der Verkehrssituation und der Gestaltung des Grüngürtels ein.

Die Herausforderung liegt darin, die Bedürfnisse der Kommune mit der wirtschaftlichen Machbarkeit und Finanzierbarkeit auszutarieren. Und auch für die Stadt kommt ein erneutes Scheitern nicht in Frage. Die zentrumsnahe Brache muss wieder erblühen und Gewerbesteuer in den Stadtsäckel bringen. Doch selbst in einem bereits weit vorangeschrittenen Projekt wie diesem müssen alle Beteiligten immer wieder mit Unwägbarkeiten rechnen. Eine Lösung kann nur in enger Abstimmung und mit gutem Willen von allen Seiten gefunden werden.

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