Schwerpunkt Einzelhandel

Genehmigung von Einzelhandelsgroßprojekten - aktuelle Rechtsprechung und Entwicklungen

Handelsimmobilien sind seit vielen Jahren ein gefragtes Asset. Trotz gewisser Sättigungseffekte besteht in vielen Regionen Deutschlands auch marktseitig weiterhin Bedarf an der Entwicklung neuer und zeitgemäßer Einzelhandelsprojekte. Diese wird allerdings - mit bestimmten Ausnahmen im Bereich der Nahversorgung - immer schwieriger, weil die öffentliche Hand immer umfassender steuernd eingreift. Nicht selten werden die Verwaltungsgerichte angerufen, um die Rechtsmäßigkeit einschränkender Regelungen der Raumordnung und Landesplanung, der örtlichen Bauleitplanung oder der Ablehnung von Baugenehmigungen und Vorbescheiden zu überprüfen.

Trotz mehrerer Grundsatzentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in den vergangenen Jahren beschäftigen immer wieder neue Konstellationen die Gerichte. 2011 und 2012 wurden in mehreren obergerichtlichen Entscheidungen die raumordnungs- und bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen für die Ansiedlung großflächigen Einzelhandels präzisiert. Gleichzeitig werden derzeit in einigen Bundesländern, unter anderem in Bayern und Nordrhein-Westfalen, neue Landesentwicklungsprogramme aufgestellt, welche die Anforderungen an die Planung von Einzelhandelsgroßprojekten deutlich verändern.

Bau eines "Einkaufszentrums"

Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans und sogenannter faktischer Baugebiete, die nach den dort vorhandenen Nutzungen genau einem Baugebiet nach der Baunutzungsverordnung (BauNVO) entsprechen (§ 34 Abs. 2 BauGB), sind nach § 11 Abs. 3 BauNVO "Einkaufszentren" und "großflächige Einzelhandelsbetriebe, die sich nicht nur unwesentlich auf die Ziele der Raumordnung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung auswirken können" nur in Kerngebieten oder in den für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig.

Bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben, welche nach der Rechtsprechung des BVerwG bei einer Verkaufsfläche von 800 Quadratmeter beginnen, werden die wesentlichen Auswirkungen in obigem Sinne bei einer Geschossfläche von 1 200 Quadratmetern vermutet. Sie können im Einzelfall widerlegt werden, wobei dies relativ selten und nur in atypischen Situationen, wie zum Beispiel bei einer zentralen Lage in einer größeren Stadt, gelingt. Die Schwellenwerte haben in der Praxis häufig dazu geführt, dass in Gewerbegebieten Projekte sukzessiv entwickelt wurden, indem mehrere, baulich getrennte und für sich genommen nicht großflächige Märkte nach und nach zur Genehmigung beantragt wurden.

Die Rechtsprechung schiebt dem jedoch zunehmend einen Riegel vor. Dies illustriert das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Koblenz vom 3. November 2011 (Aktenzeichen 1 A 10270/11). Danach kann ein im Gewerbegebiet unzulässiges "Einkaufszentrum" entstehen, wenn neu genehmigte Fachmärkte zusammen mit bereits bestehenden Fachmärkten eine Agglomeration bilden.

Geklagt hatte hier eine Nachbargemeinde gegen die Erteilung von Baugenehmigungen für die Neuerrichtung beziehungsweise Erweiterung zweier Textil- und Schuhmärkte. Auf dem als Gewerbegebiet festgesetzten Grundstück befanden sich bereits vier Fachmärkte, die mit den neu genehmigten Betrieben zusammen auf eine Verkaufsfläche von 3 360 Quadratmeter kämen.

Das Gericht maß insbesondere dem Umstand Bedeutung zu, dass alle Einzelhandelsbetriebe von demselben Bauherrn und Eigentümer des Geländes einheitlich geplant, finanziert und sukzessive verwirklicht wurden, auch wenn diese von unterschiedlichen Architekten geplant und durch unterschiedliche Banken finanziert wurden. Daneben sprachen nach Auffassung des Gerichts die gemeinsame Zufahrt, der gemeinsame Parkplatz sowie die Tatsache, dass einzelne Gebäude ohne Einhaltung von Abständen aneinander gebaut seien, für ein aus Kundensicht zusammengehöriges "Einkaufszentrum" anstelle einer lediglich zufälligen Ansammlung von Einzelhandelsbetrieben.

Die Betroffenheit der Nachbargemeinde in eigenen Rechten bejahte das Gericht in diesem Fall, ohne die Auswirkungen des Vorhabens auf die Nachbargemeinde im Einzelnen zu prüfen. Bei einem "Einkaufszentrum" würden derartige, einen Abstimmungsbedarf auslösende Auswirkungen auf die Nachbargemeinde unwiderleglich vermutet und ließen sich nur in besonderen Einzelfällen ausschließen.

Anders ist die rechtliche Ausgangslage, wenn ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 1 BauGB errichtet werden soll. Hier erlangt die Einschränkung des § 34 Abs. 3 BauGB Bedeutung, wonach von Bauvorhaben keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche ausgehen dürfen. Dies gilt auch für Einzelhandelsbetriebe, die nicht die Schwelle der Großflächigkeit erreichen. Nach der bisherigen Praxis konnte sich ein solcher zentraler Versorgungsbereich aus den tatsächlichen Gegebenheiten, wie auch aus planerischen Festlegungen in Bauleit- oder Raumordnungsplänen ergeben. Dies sieht der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg (Urteil vom 20. Dezember 2011, Aktenzeichen 8 S 1438/09), bestätigt durch das BVerwG (Beschluss vom 12. Juli 2012, Aktenzeichen 4 B 13/12) nun anders.

In dem Fall ging es um die Frage der Zulässigkeit eines Drogerie- und eines Textilfachmarktes in einem Gebiet, für das zwar kein Bebauungsplan bestand, welches aber im Regionalplan als "Vorranggebiet für zentrenrelevanten Einzelhandel" ausgewiesen war. Dagegen erstreckte sich der im Einzelhandelskonzept der Stadt ausgewiesene Bereich "Einzelhandel-Innenstadt" nicht auf das Grundstück.

Nachdem die Stadt ihr Einvernehmen zur Erteilung eines Bauvorbescheids mit der Begründung versagt hatte, das Vorhaben lasse schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche erwarten, trug der Bauherr im Klageverfahren vor, solche Auswirkungen seien schon nicht möglich, da das Vorhaben sich selbst innerhalb eines zentralörtlichen Versorgungskerns befände.

Dem folgte der VGH nicht, sondern befand stattdessen, weder das Einzelhandelskonzept als informelle Planungsleitlinie noch die landesplanerischen Zielvorgaben, sondern allein die tatsächlichen Verhältnisse seien für die Beurteilung maßgeblich. Die Ziele der Raumordnung setzten nur Grenzen für die Bauleitplanung, hätten aber keine unmittelbare Auswirkung auf die Auslegung und Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB.

Bei der Prüfung der Frage, ob von dem Vorhaben tatsächlich schädliche Auswirkungen ausgehen, lehnte der VGH es ab, ein gerichtlich bestelltes Sachverständigengutachten einzuholen. Stattdessen billigte das Gericht die behördliche Prognose-Methode, die auf einem Vergleich der Verkaufsfläche des geplanten Vorhabens mit der im Versorgungsgebiet bereits vorhandenen Gesamtverkaufsfläche basierte. Betrage die Verkaufsfläche des Vorhabens, wie hier, etwa 24 Prozent der bisher vorhandenen Verkaufsfläche und sogar 54 Prozent in Bezug auf die beantragten Sortimente, stelle dies einen gewichtigen Hinweis auf eine Schädigungsgefahr dar.

Demgegenüber sieht der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 13. Dezember 2011, Aktenzeichen 2 B 07.377) weiterhin die Größe der Verkaufsflächen lediglich als ein Indiz an, das nicht überbewertet werden dürfe. Stattdessen müsse der Kaufkraftabfluss in seinem konkreten städtebaulichen Kontext bewertet werden. Dazu gehöre die Entfernung des Vorhabens zum zentralen Versorgungsbereich, eine eventuelle Vorschädigung dieses Bereiches und die Gefährdung vorhandener Magnetbetriebe.

Im Ergebnis sah der VGH den im zu entscheidenden Fall ermittelten Umsatzverlust von 6,8 Prozent nicht als schädlich an. Ein Versorgungsbereich sei regelmäßig nicht gefährdet, wenn die Umsatzlenkung durch das neue Vorhaben weniger als zehn Prozent betrage, sofern der Versorgungsbereich nicht bereits vorgeschädigt sei.

Zu der Frage, wie schädliche Auswirkungen in der Praxis festzustellen sind, ist von der Rechtsprechung derzeit wohl keine weitere grundsätzliche Klärung zu erwarten. Die hier genannten Kriterien können als Leitlinien dienen, letztlich hängt jedoch alles von den Umständen des Einzelfalls ab.

Neue Vorgaben für Gemeinden aus der Landesplanung

Echte Neuerungen für die gemeindliche Bauleitplanung zu Einzelhandelsgroßprojekten sind durch die anstehenden Änderungen in der Landesplanung einiger Bundesländer zu erwarten. Der aktuelle Entwurf für ein neues Landesentwicklungsprogramm (LEP) Bayern1) sieht Erleichterungen für die Ansiedlung von Nahversorgungsbetrieben vor. Diese sollen künftig bis zu einer Verkaufsfläche von 1200 Quadratmetern in allen Gemeinden unabhängig von ihrer Größe und Kaufkraft grundsätzlich zugelassen werden können. Auch nicht-zentrale Orte dürfen danach entsprechende Sondergebiete ausweisen.2) Ferner soll die Ansiedlung von nicht-zentrenrelevantem Einzelhandel in städtebaulichen Randlagen erleichtert werden.

Danach sind Einzelhandelsbetriebe für Waren des sogenannten sonstigen Bedarfs (insbesondere Möbel, Bau- und Gartenmärkte) dort künftig auch ohne Nachweis des Fehlens integrierter Standorte möglich. Diese Änderungen entsprechen den Bedürfnissen der Praxis. Der Entwurf enthält aber nicht nur Erleichterungen: So sollen beispielsweise Möbel-, Bau- und Gartenmärkte künftig nur noch in Gemeinden zugelassen werden, in denen bereits ein großflächiges Angebot in dieser Sortimentsgruppe besteht - die Anzahl der Standortgemeinden für solche Großprojekte würde damit deutlich reduziert.

Für Nordrhein-Westfalen liegt ebenfalls der Entwurf eines neuen "Sachlichen Teilplans Großflächiger Einzelhandel" zum Landesentwicklungsplan vor.3) Dieser sieht sehr restriktiv die Ausweisung von Einzelhandelsgroßprojekten mit zentrenrelevantem Kernsortiment grundsätzlich nur noch in zentralen Versorgungsbereichen (Innenstädten, Stadt- beziehungsweise Ortsteilzentren) vor. Ausnahmen sollen nur für nahversorgungsrelevante Kernsortimente möglich sein, wenn nachweislich eine integrierte Lage nicht möglich ist, die Gewährleistung der wohnortnahen Versorgung es erfordert und zentrale Versorgungsbereiche nicht wesentlich beeinträchtigt werden.

Rechtsstreitigkeiten darüber, wann eine integrierte Lage "nicht möglich" ist und wann die wohnortnahe Versorgung eine Ansiedlung "erfordert", sind damit vorprogrammiert. Vorhandene Standorte außerhalb zentraler Versorgungsbereiche müssen nach dem Entwurf in der Regel auf den genehmigten Bestand begrenzt werden. Außerdem müssen die Gemeinden künftig dem Entstehen neuer und der Verfestigung oder Erweiterung zentrenschädlicher Agglomerationen entgegen wirken. Ein solches Ziel könnte nach der Rechtsprechung sogar zu einer entsprechenden Planungspflicht der Gemeinde führen.

Ziele der Raumordnung und Zielabweichungsverfahren

Ist eine gemeindliche Planung mit verbindlichen Zielen der Raumordnung/ Landesplanung nicht in Einklang zu bringen, besteht die einzige Möglichkeit, das Vorhaben dennoch zuzulassen, in der Beantragung einer Zielabweichung. Einen Rundumschlag um die hierbei auftretenden Fragestellungen lieferten die Entscheidungen des BVerwG vom 16. Dezember 2010 (Aktenzeichen 4 C 8/10) und des VGH Baden-Württemberg vom 4. Juli 2012 (Aktenzeichen 3 S 351/11) zur Zulassung eines Ikea-Einrichtungshauses sowie eines Bau- und Gartenmarktes und eines Küchenfachmarktes in Rastatt. Die Vorgabe des LEP Baden-Württemberg 2002, wonach die Verkaufsfläche von Einzelhandelsgroßprojekten so bemessen sein soll, dass deren Einzugsbereich den zentralörtlichen Verflechtungsbereich nicht wesentlich überschreitet (Kongruenzgebot), konnte hier nicht eingehalten werden, das Regierungspräsidium lehnte den Antrag auf Zielabweichung ab. Als Ergebnis dieses Rechtsstreits wurde letztlich die Stellung der Raumordnung/Landesplanung gegenüber den Gemeinden gestärkt.

Zum einen wurde bestätigt, dass auch "Soll-Vorschriften" verbindliche Ziele der Raumordnung darstellen. Dafür genügt es, wenn die Voraussetzungen für eine Ausnahme im Wege der Auslegung des LEP beziehungsweise des Regionalplans bestimmt oder bestimmbar sind. Zum anderen teilte das BVerwG zwar nicht die Einschätzung des VGH, wonach ein Zielabweichungsverfahren gar nicht in Betracht kam, weil ein Verstoß gegen das Kongruenzgebot stets die Grundzüge der Planung (des LEP respektive Regionalplans) berühre. Vielmehr kommt es nach dem BVerwG darauf an, ob im jeweiligen Einzelfall ein Härtefall vorliege, bei dem eine Zulassung vertretbar erscheint.

Der VGH entschied nach Rückverweisung des Falles durch das BVerwG sodann jedoch, dass dies bei dem geplanten Vorhaben nicht der Fall sei. Dabei stellte das Gericht insbesondere darauf ab, dass neben dem Ikea-Möbelhaus als Magnetbetrieb weitere - auch branchenfremde - Fachmärkte als eine wirtschaftliche Einheit verwirklicht werden sollten. Dies würde eine erhebliche Vorbildwirkung entfalten und damit eine Durchbrechung der im LEP zum Ausdruck kommenden tragenden Raumordnungsstruktur bewirken, dessen unausweichliche Folge ein "Windhundrennen" um Großvorhaben zwischen den Zentren wäre. Dem stehe auch das Fehlen anderweitiger geeigneter Standorte nicht entgegen, denn sonst hätte das Unternehmen es in der Hand, durch entsprechende Dimensionierung seines Vorhabens die Raumplanung zu durchkreuzen.

Weiter hatte sich der VGH mit dem Integrationsgebot zu beschäftigen, wonach für Einzelhandelsgroßprojekte vorrangig städtebaulich integrierte Standorte in Betracht kommen, bei nicht zentrenrelevanten Sortimenten auch städtebauliche Randlagen. Auch diese Soll-Vorschrift stelle ein verbindliches Ziel der Raumordnung dar. Sie verletze auch nicht die Planungshoheit der Gemeinden, da die Einschränkung durch überörtliche Belange gerechtfertigt sei.

Schließlich wurde in dem Rechtsstreit auch auf die Frage eingegangen, ob durch den LEP die europarechtlich garantierte Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit verletzt sein könnte. Diese Thematik war nach einem Schreiben der EU-Kommission an die Bundesregierung vom 25. Juni 2009 und einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen Spanien vom 24. März 2011 (Aktenzeichen C-400/08) ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Nach dem EuGH-Urteil verstößt es gegen höherrangiges europäisches Recht, wenn die Zulässigkeit von Einzelhandelsprojekten von deren wirtschaftlichen Auswirkungen auf bestehende Betriebe abhängig gemacht wird. Auch das BVerwG hatte zuvor bereits die grundsätzliche Wettbewerbsneutralität des Planungsrechts hervorgehoben, wonach nicht der Schutz bestehender Einzelhandelsbetriebe um ihrer selbst Willen, und schon gar kein Konkurrenzschutz bezweckt werden dürfe (Urteil vom 17. Dezember 2009, Aktenzeichen 4 C 1/08). Dies sehen die Gerichte hier jedoch nicht als erfüllt an. Die landesplanerischen Vorschriften dienten nicht wirtschaftlichen Zwecken, sondern dem auch im Europarecht anerkannten legitimen Ziel der Vermeidung von Sozial- und Umweltlasten.

Dass diese Regelwerke in der Praxis als Folge Konkurrenzschutz für die in zentralen Lagen ansässigen Betriebe bewirken, wird von den Gerichten damit letztlich akzeptiert. Das Gleiche gilt für die Tatsache, dass Einzelhandelsbetriebe mit einem deutlich überörtlichen Einzugsbereich sich aufgrund landesplanerischer Restriktionen oftmals praktisch nur noch in Großstädten ansiedeln können. Ob dies immer im Sinne einer verbrauchernahen Versorgung und einer nachhaltigen, auf Vermeidung von Verkehr ausgerichteten Planung ist, darf bezweifelt werden.

Fußnoten

1) Vergleiche dazu www.stmwivt.bayern.de/landesentwicklung/instrumente/landesentwicklungsprogramm/gesamtfortschreibung-des-lep/.

2) Vergleiche ähnlich auch LEP Sachsen-Anhalt 2010 und den Entwurf für das LEP Sachsen 2012.

3) Vergleiche www.nrw.de/landesregierung/landesplanung/.

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors auf dem 3. CoRE Handelsimmobilientag in München.

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