DIGITALISIERUNG

Kundendaten nutzen - trotz Regulatorik

Claudia Fell, Foto: KPMG

Mit Blick auf eine attraktive Kundenschnittstelle sind viele etablierte Finanzdienstleister auf Augenhöhe mit Fintechs oder ihnen sogar einen Schritt voraus, weil sie gesamthafte Lösungen anbieten. Für eine individuelle Kundenansprache ist gleichwohl noch einiges zu tun, mahnt Claudia Fell. Vor allem gilt es, an allen Kundenkontaktpunkten Daten zu sammeln, zu analysieren und in Maßnahmen zu überführen. Dafür müssen neben der Verwaltung von Bestandsdaten auch neue Datenquellen erschlossen werden. Und bei aller berechtigten Vorsicht in Sachen Datenschutz sollte der der rechtliche Gestaltungsspielraum dabei ausgeschöpft werden, um vom Silo-Denken zur End-to-End-Sicht auf den Kunden zu gelangen. Red.

Um ihre Customer Journey zu verbessern, müssen Unternehmen Kundendaten erheben, auswerten und sinnvoll nutzen. Für Finanzdienstleister ist das eine Herausforderung, unterliegen sie doch hohen Datenschutz-Standards und Regularien. Aber die Zeit drängt - denn auch beim Abschluss von Finanzprodukten erwarten Kunden Einfachheit und Schnelligkeit. Gefragt sind personalisierte digitale Services rund um die Uhr.

Der Druck ist hoch. Durch "Digital-First"-Unternehmen sind es Kunden gewohnt, dass ein Service allzeit verfügbar, maßgeschneidert und die Leistungserfüllung nur wenige Klicks entfernt ist. Deshalb ist Customer Centricity das Schlagwort der Stunde. Das haben nahezu alle Finanzdienstleistungsunternehmen erkannt und damit begonnen, die Kundenbedürfnisse stärker in den Blick zu nehmen. Das Ziel ist, eine ganzheitliche Sicht auf potenzielle und Bestandskunden zu erlangen und ihnen über den passenden Kanal die passenden Produkte in der passenden Sprache und Tonalität anbieten zu können. Der Schlüssel dafür sind Kundendaten und die Erkenntnisse, die sich daraus gewinnen lassen.

Hybrider Kunde im Fokus

Dabei dreht sich alles um den hybriden Kunden. Er ist es gewohnt, nach Bedarf - beispielsweise bei komplexen Produktfragestellungen - einen persönlichen Ansprechpartner an die Seite gestellt zu bekommen. Gleichzeitig möchte er auch immer und überall digital mit dem Finanzdienstleister in Kontakt treten können. Dabei erwartet er einfache und personalisierte Erlebnisse mit dem Unternehmen sowie eine unmittelbare Problemlösungskompetenz, bezogen auf ein umfangreiches Produkt- und Serviceangebot. Der Anspruch ist, alles aus einer Hand zu erhalten.

Finanzdienstleister müssen folglich eine persönliche Beratung auch digital zur Verfügung stellen. Maßgeblich ist dabei allerdings, diesen Service nahtlos in die Customer Journey einzubinden. Der Kunde ist digital unterwegs, interessiert sich für ein Produkt, möchte es vielleicht sogar abschließen - hat aber vorher noch eine Frage. Für diesen Punkt in der Customer Journey bedarf es einer sinnvollen Lösung, damit es auch tatsächlich zum Abschluss kommt. Das kann ein Callcenter sein, das mit qualifizierten Mitarbeitern besetzt ist. Das Angebot, innerhalb der nächsten Stunde einen Rückruf zu erhalten, ist ebenfalls eine Option. In jedem Fall ist die möglichst nahtlose Einbettung in individuelle Customer Journeys wichtig, um Kunden proaktiv zu unterstützen.

Auch die etablierten, oft regional geprägten Finanzdienstleister haben den hybriden Kunden im Blick. Zwar stammen sie aus einer Servicewelt, in der Kunden Face-to-Face zu definierten Öffnungszeiten in der Filiale vor Ort Beratung gesucht und Produkte abgeschlossen haben. Doch auf Unternehmensseite hat hier ein Umdenken stattgefunden - schließlich handelt es sich um die Summe aller Kunden und ihrer unterschiedlichen Offline- und Online-Bedarfe, die ein Finanzdienstleister eben nicht schablonenartig adressieren und erfüllen kann. Stattdessen muss er datengetrieben lernen und die Kommunikation personalisieren, um den Kunden zu gewinnen und im Zuge einer harmonisierten Ansprache dauerhaft zu halten.

Auf Augenhöhe mit den Fintechs

Aus diesem Grund laufen in den traditionellen Häusern umfangreiche Digitalisierungsprojekte mit dem Ziel, die Kundenschnittstelle attraktiv zu gestalten. Hier ist die Branche fortschrittlicher geworden, denn häufig werden Entwicklungen sehr viel schneller vorangetrieben und immer öfter werden auch frühzeitig Kunden eingebunden, etwa wenn es um den Launch von neuen Produkten geht.

Dabei agieren die etablierten Unternehmen auf Augenhöhe mit den Fintechs - oder sind ihnen sogar einen Schritt voraus. Denn sie profitieren in vielen Fällen von dem regionalen Bezug, den sie über Jahrzehnte hinweg kultiviert haben. Es bestehen eine hohe Beratungskompetenz sowie ein gewachsenes Vertrauensverhältnis zu Kunden. Diese Faktoren fallen zwar in einer digitalen Welt mit größerem Wettbewerb weniger ins Gewicht. Aber in Kombination mit dem passenden Angebot - bestehend aus einer durchdachten digitalen Customer Journey mit relevanten Produkten und ansprechender Tonalität in dem vom potenziellen oder Bestandskunden gewählten Kanal - zählen diese Faktoren immer noch.

Ein weiterer Vorteil ist, dass die etablierten Finanzinstitute gesamthafte Lösungen anbieten können. Den Fintechs gelingt das häufig nicht in gleichem Maße. Oft haben sie nur einen einzigen digitalen Service im Angebot, der zwar gut ist - aber nicht dem Kundenwunsch nach Ganzheitlichkeit entspricht. Gleichzeitig absolvieren die Fintechs diese einzelnen spezialisierten Services aber so gut, dass etablierte Unternehmen in einigen Fällen die Wertschöpfung an sie als Partner abgeben, um insgesamt wettbewerbsfähig zu bleiben.

Moderne Art der Datenhaltung gestalten

Alles in allem hat sich in puncto Kundenkommunikation in der Finanzwelt bereits einiges getan. Einzelne Unternehmenseinheiten wie beispielweise der Vertrieb oder das Marketing sprechen Kunden individueller und personalisierter an als noch vor einigen Jahren, anhand zunehmend granularer Mikrosegmente. Doch klar ist, dass die Bemühungen darüber hinausgehen müssen, um das gesteckte Ziel zu erreichen und sich mit einer individuellen Kundenansprache deutlich vom Wettbewerb zu differenzieren. Deshalb gilt es, über die gesamte Customer Journey hinweg an allen Kontaktpunkten mit potenziellen und Bestandskunden Daten zu sammeln, zu konsolidieren, auszuwerten und anschließend in Maßnahmen zu überführen.

Doch der Weg zu einer datengetriebenen Kundenorientierung birgt Herausforderungen. Dazu gehört zum Beispiel die technische Infrastruktur. Denn die Finanzdienstleister sind bislang häufig nicht dafür gerüstet, Daten an einem Punkt zu sammeln, auszuwerten und allen Bereichen zugänglich zu machen. Zwar hat eine Vielzahl an Finanzdienstleistern in den vergangenen Jahren für das Sammeln ihrer Datawarehouses aufgebaut.

Doch um heutzutage ein wirklich erfolgreiches Customer-Relationship-Management zu betreiben, müssen sich Finanzdienstleister über die Verwaltung von Bestandsdaten hinaus auch neue Datenquellen erschließen - etwa Webtracking-Daten, unstrukturierte und externe Social-Media-Informationen oder Daten über die Demografie und Kaufkraft, die an einem bestimmten Standort oder dem Umfeld eines potenziellen oder Bestandskunden vorherrschen.

Zu diesem Zweck gilt es, eine moderne Art der Datenhaltung zu gestalten. Erst dann können Ansätze wie Data Mining, Data Analytics und Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen, die es den Finanzdienstleistern erlauben, wertvolle Erkenntnisse aus ihren Daten zu ziehen. Um datengetrieben kundenzentriert agieren zu können, stehen folglich zunächst erhebliche Investitionen in die Modernisierung der IT-Infrastruktur an.

Rechtlichen Gestaltungsrahmen bestmöglich ausschöpfen

Eine weitere Kernaufgabe für die Finanzbranche besteht darin, die geltenden Datenschutzbestimmungen und Regulierungsanforderungen mit Blick auf das Speichern, Teilen und Verarbeiten von Daten zu berücksichtigen.

  • So sind etwa personenbezogene Daten wie Name, Anschrift, E-Mail-Adresse, Standortdaten oder IP-Adresse durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) umfassend geschützt und dürfen nur mit ausdrücklichem Einverständnis erhoben und auch nur zweckgebunden verarbeitet werden.
     
  • Die Kontaktaufnahme per E-Mail ist nur möglich, wenn das Einverständnis vorliegt. Auch der Einsatz eines Trackings oder von Cookies auf Webseiten ist gemäß dem neuen Datenschutzrecht für Telekommunikation und Telemedien (TTDSG) nur zulässig, wenn der potenzielle oder Bestandskunde auf der Grundlage von klaren Informationen eingewilligt hat.

Um die datengetriebene Kundenorientierung voranzutreiben, ist es folglich wichtig, den bestehenden rechtlichen Gestaltungsrahmen bestmöglich auszuschöpfen.

Kooperationen ergänzen Digitalangebot

Um die skizzierten Herausforderungen zu meistern, haben traditionelle Bankhäuser über passende Kooperationspartner oft bereits das fehlende Digitalangebot ergänzt, die mangelnde Online-Kompetenz hinzugekauft und sich so eine Nische erschlossen. Viele große Fondsdienstleister, deren Fokus historisch bedingt auf aktivem Asset Management liegt, arbeiten beispielsweise mit einem Fintech zusammen, das ETFs anbietet. So lassen sich gezielt auch jüngere Kundengruppen ansprechen, die sich kostengünstig ihr eigenes ETF-Portfolio zusammenstellen möchten.

Dabei gilt es immer auch zu hinterfragen, ob ein Produktabschluss in wenigen Klicks und unter zehn Minuten tatsächlich in allen Fällen das Zielbild sein muss. Bei einfachen Produkten wie kleinen Krediten ist das sinnvoll und funktioniert auch heute im Regelfall schon gut. Was ist jedoch mit einer Finanzierung, die aus mehreren Modulen besteht und eine sehr hohe Summe abdeckt? Hier ist es aus Unternehmens- und Kundensicht ratsam, dass ein qualifizierter Berater zentrale Fragen stellt und der Kunde ein passendes Produkt erhält, mit dem er über den dafür angesetzten langen Zeithorizont auch umgehen kann.

Darüber hinaus gibt es - je nach Produkt - verschiedene Teile in der Abschlussstrecke, an die potenzielle oder Bestandskunden unterschiedliche Erwartungen haben. Stellt sich ein Nutzer zum Beispiel einen Fondssparplan zusammen, darf das durchaus länger dauern, sofern die Inhalte clever verpackt sind und die Anwendung kurzweilig ist. Dagegen muss die technische Legitimierung, die den Kaufprozess abschließt, schnell zu durchlaufen sein, damit der potenzielle Kunde nicht im letzten Moment noch abspringt.

Zielbild definieren

Vor dem Hintergrund der Erwartungen der Kunden einerseits sowie der technischen, datenschutzrechtlichen und regulatorischen Anforderungen andererseits sind die Herausforderungen rund um das Thema Customer Centricity enorm. Was also kann die Finanzbranche tun, um die Umsetzung einer datengetriebenen Kundenorientierung weiter voranzutreiben? Welche konkreten Schritte müssen die Unternehmen einleiten?

Der erste Schritt besteht darin, sich ein übergeordnetes Bild der eigenen Situation zu verschaffen und zentrale Fragen zu klären:

Welche Relevanz hat das Sammeln und Auswerten von Daten für das konkrete Unternehmen und welches Zielbild soll damit verfolgt werden?

Lassen sich diese Ziele mit eigenen Kapazitäten erreichen, muss aufgestockt werden oder ist eine Kooperation sinnvoll?

Auch kleine Maßnahmen können viel bewirken

Ist dieser grundsätzliche Rahmen gesteckt, folgt Schritt zwei. Hier lautet die goldene Regel, Maß zu halten und die ersten Teilziele nicht zu hoch zu stecken. Denn tatsächlich lässt sich mit überschaubaren Maßnahmen viel erreichen. Auf Basis von Bestandsdaten und einem Webtracking lässt sich beispielweise vergleichsweise einfach und pragmatisch eine Einmalanalyse erstellen, die Optimierungspotenzial in der Abschlussstrecke aufdeckt.

In vielen Fällen zeigt sich zum Beispiel, dass bis zu einem Drittel der potenziellen Kunden verloren gehen, weil sie die Legitimierung nicht erfolgreich abschließen können. Bietet das Unternehmen an dieser Stelle eine Alternative an, um auch diese potenziellen Kunden ins Ziel zu bringen, so ist das ein entscheidender Hebel, um die Konversionsraten zu erhöhen - der sich auch beziffern lässt.

Sind aus fachlicher Sicht erste Potenziale gehoben, ist das die perfekte Grundlage, um im dritten Schritt in die längerfristige strategische Planung zu gehen - und dafür auch das Engagement des Managements zu erhalten. Auf Basis einzelner Use Cases lassen sich nacheinander gezielte Projekte umsetzen. In dieser Phase ist auch wichtig, einen Schwerpunkt auf die Organisationsstruktur und das Mindset der Belegschaft zu legen, um einen Wandel vom Silo-Denken zur End-to-End-Sicht auf den Kunden zu erreichen.

Claudia Fell , Head of Strategie- und Managementberatung , KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Köln

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