Zukunft des Vertriebs

Regulierungsbedar f im Finanzvertrieb - Standpunkte der Parteien

Übertriebener Verbraucherschutz wirkt langfristig kontraproduktiv

Von Leo Dautzenberg - Die Finanzmarktkrise hat viele Gesichter und viele Ursachen. Mit den US-amerikanischen "Subprime"-Krediten wurden Finanzierungen an eigentlich ungeeignete Kreditnehmer vergeben - ein optimaler Vertrieb sieht anders aus. Auch im Anlagebereich privater Investoren sind Finanzmarktkrise und Vertrieb prominent verknüpft. Die Pleite der ehemaligen Investment-Bank Lehman Brothers leitete die Hochphase der Krise ein. Aus Kundensicht sind Leh-man-Zertifikate vermutlich noch in vielen Jahren Inbegriff schlechter Beratung, hatten doch die Anleger bei ihrer Investition das Ausfallrisiko eines Emittenten dieses Renommees nicht im Blick. Es ist daher nachvollziehbar, dass die Kunden in der Krise viel Vertrauen in die Finanzwirtschaft verloren haben. Und das hat Folgen.

Wenn wir nicht das Comeback des Sparbuchs - oder gar des Sparstrumpfs - erleben wollen, muss schnell neues Vertrauen entstehen. Es gibt also guten und aktuellen Anlass zu der Frage, ob der Vertrieb von Finanzdienstleistungen vom Staat stärker geregelt werden muss. Aus gesellschaftlicher Sicht sollten wir zudem einen weiteren, womöglich wichtigeren Grund bedenken. Die Akzeptanz unserer Sozialen Marktwirtschaft leidet insgesamt, wenn die Bürger den Verdacht haben, eine ganze Branche übervorteilt sie.

Die Politik kann dieses Vertrauen nicht alleine wiederherstellen; sie kann aber wichtige Rahmenbedingungen schaffen. Bereits in den letzten Jahren hat der Gesetzgeber dafür auf europäischer und nationaler Ebene eine Vielzahl an Initiativen auf den Weg gebracht. Die neue Bundesregierung wird diesen Weg weitergehen und dabei das nötige Augenmaß beweisen. Fehlentwicklungen sollen korrigiert werden. Die Freiheit von Kunden und Anbietern muss aber im Kern bestehen bleiben.

Mündiger Verbraucher als Leitbild

Grundsätzlich sollten private Anleger eigenverantwortlich bei ihren Anlageentscheidungen agieren können. Übertriebener Verbraucherschutz schafft unnötige Bürokratie, endet als Bevormundung und wirkt langfristig kontraproduktiv. Wer dem Bürger ständig einredet, er sei nur ein wehrloser und schutzbedürftiger Verbraucher, gewöhnt ihm eigenverantwortliches Verhalten ab, anstatt es zu fördern. Diesem Ansatz folgt auch der Koalitionsver trag, in dem es heißt: "Unser Leitbild ist der gut informierte und zu selbstbestimmtem Handeln befähigte und mündige Verbraucher."

Dieses grundsätzliche Bild des Verbrauchers verstellt der Koalition jedoch nicht den Blick darauf, dass für den Vertrieb von Finanzprodukten möglicherweise besondere Regeln gelten müssen. Die Entscheidung über eine langfristige Geldanlage ist etwas anderes als ein Einkauf im Supermarkt.

Im Koalitionsvertrag wird deshalb allgemein das Ziel formuliert, Verbraucher in Zukunft besser vor vermeidbaren Verlusten und falscher Finanzberatung zu schützen. Die Koalition erkennt dabei ausdrücklich an, dass dies grundsätzlich möglich ist, ohne bestimmte Produkte oder Vertriebswege von vornherein auszuschließen. Der Kunde wird weiter die freie Wahl haben, jedoch soll sich kein Anbieter von Finanzprodukten der staatlichen Finanzaufsicht entziehen können.

Haftung für Produkte und Vertrieb vereinheitlichen Der Koalitionsvertrag trifft darüber hinaus auch konkrete Vereinbarungen, die den Vertrieb betreffen:

Haftung für Produkte und Vertrieb sowie Anforderungen an Berater und Vermittler sollen - insbesondere in Bezug auf Qualifikation, Registrierung und Berufshaftpflicht - in Anlehnung an das Versicherungsvermittlergesetz vereinheitlicht werden.

- Wichtig ist der Koalition, den Verbrauchern transparente Entscheidungen zu ermöglichen. Deshalb sollen künftig sämtliche Kosten und Provisionen einschließlich Rückvergütungen klar erkennbar sein.

- Ein weiterer Baustein könnte laut Koalitionsvertrag eine unabhängige Stiftung für Finanzprodukte sein. Allerdings hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bereits im März 2009 darauf hingewiesen: Eine Art "TÜV" ist nur sinnvoll, wenn der Verbraucher die Informationen auch nachvollziehen kann. Eine neue Prüfstelle, die nur Bürokratie und Kosten verursacht, wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Bis zur Mitte der Legislaturperiode will die Koalition für die angesprochenen Punkte Lösungen gefunden haben.

Entwicklung auf EU-Ebene beobachten

Auch die EU wird in den kommenden Jahren eine Vielzahl von Richtlinien und Verordnungen auf den Weg bringen, die den Verbraucher schützen sollen. Dies wird etliche Vorgaben mit Bezug auf den Vertrieb umfassen. Zu nennen ist insbesondere der geplante EU-Rechtsrahmen für Finanzprodukte für Kleinanleger. Darin werden einheitliche Informationspflichten und Vertriebsvorschriften für Finanzprodukte angestrebt, die unabhängig vom Vertriebsweg sein sollen. Der Gesetzgeber wird die weitere Entwicklung genau verfolgen. Eigene nationale Bestrebungen sollten nicht parallel erarbeitete EU-Vorhaben vorwegnehmen.

Doch alle Regelungen des Gesetzgebers ändern wenig, wenn nicht ein Umdenken in der Finanzbranche selbst stattfindet. Die Finanzbranche muss alles daran setzen, ihre Kunden im Verkaufsgespräch umfassend und richtig zu informieren. Eine ehrliche Aufklärung der Kunden über alle Chancen und Risiken einer Anlage ist der einzige erfolgversprechende Weg, sensibilisierte Kunden im Anlagebereich langfristig zu binden. Hier hat die Branche bereits einiges erreicht, zum Beispiel die Wohlverhaltensregeln des BVI, den Derivate Kodex des Deutschen Derivate Verbandes oder die Vorgaben des Bundesverbandes Deutscher Vermögensberater. Viele weitere Schritte müssen folgen.

Leo Dautzenberg ist finanzpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Es darf keine Schattenfinanzmärkte mehr geben

Von Nicolette Kressl - Die Finanzmarktkrise hat deutlich gezeigt, dass mehr Transparenz und Sicherheit beim Kauf von Finanzanlagen notwendig ist. Anlegerinnen und Anleger wurden in der Vergangenheit oftmals ungewollt zum Kauf von Finanzprodukten gedrängt, die ihrer speziellen Lebenssituation nicht entsprochen haben.

Auch wurden Finanzanlagen empfohlen, ohne dass eine entsprechende Risikoaufklärung stattgefunden hat. Massive finanzielle Verluste privater Anlegerinnen und Anleger sind in der Folge aufgetreten. Durch gesetzliche Maßnahmen zur Stärkung des Anlegerschutzes muss das Vertrauen in den Finanzsektor wiederhergestellt werden.

Für die SPD ist klar: Es muss sichergestellt werden, dass alle Finanzprodukte, alle Vertriebswege und alle Finanzdienstleister einer Regulierung unterliegen und die Einhaltung dieser Vorschriften angemessen überwacht wird. Wir wollen konsistente, alle Produkte und Vertriebswege umfassende Regelungen, die geeignet sind, die Transparenz, Verständlichkeit und Sicherheit für die Anlegerinnen und Anleger zu erhöhen. Es darf keine "Schattenfinanzmärkte" mehr geben.

Wir setzen auf eine verstärkte Verantwortung und Haftung der Berater und Vermittler von Finanzprodukten. Für Finanzberater und Finanzvermittler sollten Mindestanforderungen gelten, zum Beispiel dass alle über eine Berufshaftpflichtversicherung und eine Mindestqualifikation verfügen.

Auch muss mehr Transparenz und Vergleichbarkeit bei provisionsgestützter Beratung sowie die Stärkung der anbieter- und produktunabhängigen Beratung erreicht werden. Entgeltsysteme und Bonusregelungen dürfen keine Anreize für Falschberatungen geben. Wir fordern die Stärkung der Honorarberatung sowie eine einfache, aber vollständige Aufklärung über die für das Kapitalanlageprodukt entstehenden Kosten.

Kunden müssen über die Risiken der jeweiligen Produkte voll informiert und aufgeklärt werden. Dadurch muss es für sie einfacher werden, eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen zu können. Die Risiken und Auswirkungen von Finanzprodukten müssen dokumentiert und überprüft werden. Wir setzen uns für einen Finanz-TÜV ein, dessen Aufgabe es unter anderem sein wird, verpflichtende Informationsblätter über die wesentlichen Charakteristika und Risiken sowie die Kosten von Finanzprodukten zu prüfen und zu genehmigen. Wir sehen es außerdem als erforderlich an, die Finanzberatungsangebote der Verbraucherzentralen in den Ländern massiv zu stärken. Denn auch bei einem geringen Einkommen muss eine unabhängige Beratung gesichert sein.

Freiwillige Zertifizierungssysteme

Ein Baustein für mehr Transparenz und Sicherheit am Finanzmarkt kann auch die Einrichtung beziehungsweise Weiterentwicklung von freiwilligen Zertifizierungssystemen sein, die die Qualität von Produkten und Vertriebswegen bewerten. Ziel muss es sein, dem Kunden durch eine einheitliche, qualitative Prüfung die Möglichkeit zu geben, Finanzprodukte verlässlich vergleichen zu können.

Die SPD hat in der großen Koalition durchgesetzt, dass beim Vertrieb von Finanzprodukten ein schriftliches Beratungsprotokoll, welches dem Kunden auszuhändigen ist, ausgestellt wird. Der wesentliche Ablauf des Beratungsgesprächs muss nachvollziehbar protokolliert werden. Der Berater wird verpflichtet, in dem Protokoll insbesondere die Angaben und Wünsche des Kunden, die vom Berater erteilten Empfehlungen und die für diese Empfehlungen maßgeblichen Gründe zu dokumentieren.

Sonderverjährung abgeschafft

Die Dokumentationspflicht soll den Anlageberater zu höherer Sorgfalt veranlassen, sodass insgesamt die Qualität der Beratung erhöht wird. Darüber hinaus haben wir die kurze Sonderverjährung für Schadenersatzansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung abgeschafft. Schadenersatzansprüche wegen Falschberatung verjähren nicht mehr in drei Jahren seit Vertragsschluss. Die Dreijahresfrist beginnt vielmehr erst dann zu laufen, wenn der Anleger von dem Schaden erfahren hat. Unabhängig von der Kenntnis des Anlegers vom Schaden verjähren die Ansprüche jedoch spätestens in zehn Jahren.

Diese Maßnahmen erleichtern dem Kunden im Streitfall die Beweisführung, zum Beispiel, wenn er den Finanzdienstleister wegen einer fehlerhaften Beratung auf Schadenersatz in Anspruch nehmen will. Hiermit haben wir für den Vertrieb von Finanzdienstleistungen erste gesetzliche Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise gezogen. Die SPD-Bundestagsfraktion wird weiter darauf drängen, dass mehr Transparenz, Verständlichkeit und Sicherheit für die Anlegerinnen und Anleger erreicht wird.

Nicolette Kressl ist finanzpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.

Die Aufsicht muss unabhängiger, selbstbewusster und politikferner werden

Von Frank Schäffler - Die Finanzkrise hat die Schwächen im Anlegerschutz in Deutschland aufgezeigt. Die Zersplitterung und die damit verbundene Unterkapitalisierung der Einlagensicherungs- und der Anlegerentschädigungssysteme in Deutschland haben dazu geführt, dass die Entschädigung von Anlegern selbst bei der Schieflage eines mittleren Instituts nicht gesichert ist. Am Ende mussten die Anleger wie im Falle Phoenix Kapitaldienst "vertröstet" werden oder die Institute wie im Falle der IKB und der HRE staatlich gestützt werden.

Die Bankenkrise hat in Deutschland darüber hinaus eines offenbart: Die Instrumente des Insolvenzrechts eignen sich nicht für eine geordnete Abwicklung von in Schieflage geratenen Banken. Dies ist deshalb fatal, da zu einer funktionierenden marktwirtschaftlichen Ordnung auch das Ausscheiden von Marktteilnehmern gehört, wenn sie schlecht gewirtschaftet haben. Beides, eine funktionsfähige Einlagensicherung sowie ein geordnetes Insolvenzverfahren für Banken, sind eine notwendige Bedingung, um dauerhaft Vertrauen in den Finanzmarkt in Deutschland zu schaffen.

Die zweigeteilte Aufsicht hat sich nicht bewährt

Gleichzeitig zeigt der Betrugsfall um den Hedgefonds K1, dass sich Marktteilnehmer die unterschiedliche Aufsichtsintensität zunutze machen. Deshalb ist ein konsistentes Aufsichtsregime notwendig, das verhindert, dass sich Unternehmen durch Umfirmierung der Regulierung entziehen können. Dafür bedarf es einer selbstbewussten Aufsicht.

Die zweigeteilte Bankenaufsicht aus Bundesbank und BaFin hat sich in der Finanzkrise nicht bewährt. In keinem Fall hat die BaFin als zuständige Aufsichtsbehörde die Schieflage einer Bank festgestellt, sondern immer waren dies Marktteilnehmer. Zwar wird man Schieflagen nicht immer von Aufsichtsseite feststellen können, dennoch muss die Aufsicht unabhängiger, selbstbewusster und politikferner gestaltet werden.

Deshalb werden wir die Bankenaufsicht bei der Deutschen Bundesbank ansiedeln. Die wesentliche Ursache der Finanzkrise liegt in der Politik des billigen Geldes durch die Notenbanken. Eine expansive Kreditausweitung und in der Folge die Bildung von Vermögensgüterpreisblasen müssen die Notenbanken in ihre geldpolitischen Entscheidungen viel stärker einbeziehen. Daher ist es zwingend notwendig, dass die Notenbanken auch wissen, welche Risiken sich bei den Banken auftürmen.

Verschärfte Haftung

Die Koalition aus Union und FDP wird die Haftung für Produkte und Vertrieb verschärfen. Wir wollen die Anforderungen an Berater und Vermittler insbesondere in Bezug auf Qualifikation, Registrierung und Berufshaftpflicht in Anlehnung an das Versicherungsvermittlergesetz vereinheitlichen.

Eine entscheidende Frage beim Vertrieb von Finanzprodukten ist darüber hinaus, wer ihre Bewertung übernimmt. Die staatliche Finanzaufsicht kann dies nicht leisten. Ich spreche mich daher für eine Lösung über privatwirtschaftliche Ratingagenturen aus. Wie in keiner anderen Branche kommt es im Finanzwesen auf Wahrscheinlichkeiten an: Wie wahrscheinlich ist es, dass ein bestimmtes Leistungsversprechen gehalten werden kann? Der einzelne Anleger kann dies nicht beurteilen.

Eine wirksame Finanzaufsicht muss das Thema der Wahrscheinlichkeiten verinnerlichen: Die digitalen Datenströme und die Informationsflut dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die stets zukunftsgerichtete Frage danach, ob Ansprüche oder Erwartungen der Anleger erfüllt werden können, nicht digital beantwortet werden kann - nicht mit Ja oder Nein, sondern nur mit Wahrscheinlichkeitsurteilen. Zwischen Schwarz und Weiß sind die Graustufen der Realität zu nuancieren. Das gilt insbesondere für den sogenannten grauen Kapitalmarkt, der noch weitgehend ohne jedes Rating davonkommt.

Mindestens zwei Ratings für Anlageprodukte

Die Finanzkrise hat deutlich gemacht, wie wichtig treffsichere Ratings sind. Anlegern ist derzeit ein systematischer Vergleich von Anlageofferten unmöglich, da ihnen die dazu erforderlichen Datenquellen fehlen und noch keine angemessenen Kriterien etabliert sind. Deshalb können unseriöse Anbieter solange ungestört von wundersamen Geldvermehrungen berichten, bis die kriminelle Energie ihrer Manager und Initiatoren offensichtlich wird - und dann ist es zu spät, um noch Anlegergeld zu schützen. Um diesen Missstand zu beheben, bedarf es eines Ratingsystems, das dem Anleger in jedermann verständlicher Form von Schulnoten Wahrscheinlichkeiten dafür aufzeigt, dass ein bestimmtes Anlageprodukt das gegebene Versprechen zu erfüllen vermag.

Die Lücken im Rating sind zu schließen, indem jeder Anbieter von Finanzprodukten verpflichtet wird, mindestens zwei Ratings unabhängiger Agenturen einzuholen und diese jedem Anleger mitzuteilen. Ebenso müssen Berater haften, die ohne Aufklärung über erteilte Ratings Anleger zu Käufen von zwielichtigen Finanzprodukten bewegen. Wie die Finanzmarktkrise zeigt, kann Europa hier nicht auf US-Agenturen warten, sondern ist gefordert, eigene Ratingansätze zu entwickeln und zu fördern.

Die Koalition aus Union und FDP wird ein konsistentes Finanzdienstleistungsrecht schaffen, damit Verbraucher in Zukunft besser vor vermeidbaren Verlusten und falscher Finanzberatung geschützt werden. Die ersten konkreten Gesetzesvorschläge werden wir voraussichtlich im ersten Halbjahr 2010 vorlegen.

Frank Schäffler ist Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Finanzausschuss.

Die bisher beschlossenen Änderungen gehen am Kern vorbei

Von Gerhard Schick - Die Regulierung

der Finanzmärkte ist spätestens seit Ausbruch der internationalen Finanzkrise in aller Munde. Umgesetzt worden ist kaum etwas - und so gut wie ausgeblendet bleibt bis heute der Verbraucherschutz. Allen Kritikern einer weitergehenden Regulierung sei gesagt: Staatlicher Eingriff in die Finanzmärkte ist weder Selbstzweck noch, wenn er richtig gemacht wird, populistischer Aktionismus. Mehr Regeln beim Vertrieb von Finanzdienstleistungen und hier insbesondere beim Verbraucherschutz, sind notwendig, damit die Finanzmärkte wieder ihrer Funktion gerecht und das Verbrauchervertrauen wiederhergestellt werden kann.

Verbraucherschutz auf Finanzmärkten ist eine zentrale Säule der Finanzmarktpolitik von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag - nur schert sich die Bundesregierung leider immer noch nicht darum. Und so verlieren Anleger jährlich Milliarden durch schlechte Finanzprodukte und mangelhafte Beratung. Wir wollen den Finanzmarkt so regeln, dass er an den Interessen der Anleger orientiert ist - übrigens so, wie jeder gute Markt organisiert sein sollte. Transparenz bei Kosten, Rendite und Risiko gehören ebenso dazu wie der Grundsatz, dass Geldanlage auch Verantwortung bedeutet. Deswegen soll eine an ethischen, sozialen und ökologischen Kriterien ausgerichtete Anlagepolitik eine größere Rolle als bisher spielen.

Die oberflächliche Reaktion auf die Finanzkrise wird unter anderem bei den seit Jahren zu beklagenden Fehlentwicklungen im Retailbereich deutlich. Durch den Fall der Lehman-Brothers-Zertifikate wurde endlich öffentlich wahrgenommen, dass da etwas gründlich schiefläuft. Eigentlich sollte sich in einer Marktwirtschaft die Produktion von Gütern und Dienstleistungen an den Bedürfnissen der Kunden ausrichten. Diese Konsumentensouveränität begründet die Überlegenheit der Marktwirtschaft gegenüber anderen Wirtschaftsformen.

"Bankberatung" ist ein Euphemismus

Am deutschen Finanzmarkt ist jedoch das Gegenteil der Fall. Anbieter drücken Produkte in den Markt, die entweder dermaßen intransparent sind, dass selbst ein kundiger Verbraucher sie nicht verstehen kann, oder die aufgrund von überhöhten Kosten selbst bei zutreffender Markterwartung keine entsprechende Rendite generieren.

Die Hälfte der Lebensversicherungen in Deutschland wird vor Ablauf gekündigt häufig zu einem Zeitpunkt, bis zu dem nur die Versicherung verdient hat. Bankverkäufer drängen aufgrund interner Verkaufsziele die Menschen zu unnützen Umschichtungen im Depot, die Provisionen generieren, aber keinen Mehrwert für den Kunden. Das beklagen zahlreiche Bankangestellte, die zwar ihr berufliches Fortkommen sichern konnten, jetzt aber mit ihrem Gewissen nur schwer wieder ins Reine kommen. Wir wollen, das sei betont, keinen Berufsstand diskreditieren. Aber wieso dieser Euphemismus: Bankberatung. Wer ins Autohaus geht, erwartet keinen Autoberater, sondern Autoverkäufer. Allein die richtige Bezeichnung - Finanzprodukteverkäufer, zum Beispiel - würde vielen die Augen öffnen. Die Beratung ist häufig so mangelhaft beziehungsweise interessengeleitet, dass die Produkte, die nützlich und günstig sind wie Berufsunfähigkeitsversicherungen, nicht den Weg zum passenden Kunden finden. Häufig übernehmen Menschen Risiken, die sie nicht eingehen sollten, scheuen Risiken, die sie beruhigt eingehen könnten, oder bleiben auf Risiken sitzen, die sie versichern sollten, weil eine qualifizierte Beratung nicht stattfindet. Gerade weniger kundige oder ältere Kunden werden Opfer von Falschberatung.

Deswegen sind die im vergangenen Jahr beschlossenen Verbesserungen beim Anlegerschutz wie die Verlängerung der Verjährungsfristen und ein Widerrufsrecht bei der Telefonberatung, so richtig sie sind, peinlich unzureichend. Denn sie gehen nicht die Ursachen an. Die zusätzlichen Dokumentationspflichten werden einmal mehr in einer Flut zusätzlichen Papiers enden, mit der sich die Banken absichern. Nötig wäre es, die provisionsorientierte Beratung zu überwinden, indem wir das wirtschaftliche Interesse des Produzenten von Anlageprodukten vom wirtschaftlichen Interesse des Beraters trennen.

Die Ausweisung aller Provisionen in Euro und Cent etwa würde die Honorarberatung konkurrenzfähig machen. In diesem Fall würden viele der überkomplexen Finanzprodukte vom Markt verschwinden, einfachere, sinnvolle Produkte kämen zum Zug. Das unterschiedliche Verbraucherschutzniveau je nach Produkt und Vertriebskanal, das den Markt intransparent macht, die Kunden überfordert und zulässt, dass gerade die intransparentesten Bereiche wie Zertifikate oder grauer Kapitalmarkt florieren, muss durch ein einheitliches Schutzniveau ersetzt werden. Denn wie sollen Verbraucher vergleichen, wenn sie je nach Produkt oder Vertriebsweg unterschiedliche Informationen erhalten?

Bewältigung von Hunger und Klimakrise

Wichtig ist jedoch, nicht nur über neue Regulierungen zu diskutieren, die verhindern, dass die Finanzmärkte Schaden verursachen, sondern auch darüber, was die Finanzmärkte in Zukunft leisten sollen. Beides muss in einem Zusammenhang betrachtet werden. Wir brauchen leistungsfähige Finanzdienstleister, um unter nehmerische Investitionen und Innovationen zu finanzieren. Nicht zuletzt sind hier die beiden großen globalen Herausforderungen Klimawandel und Hunger zu nennen: Denn die für ihre Bewältigung nötigen Investitionsmittel werden überschuldete Staaten allein nicht bereitstellen können.

Dringend nötig ist es deshalb, sicherzustellen, dass die Finanzmärkte zu einer produktiven Kraft bei der Bewältigung von Hunger- und Klimakrise werden können. Auch das wird eine staatliche Rahmensetzung erfordern, die beispielsweise die betriebliche Rechnungslegung um Umweltindikatoren ergänzt, damit Investoren verlässliche und vergleichbare Daten als Grundlage für Entscheidungen zur Verfügung haben, die Klimawirkungen einbeziehen. Dazu ist aus dem deutschen Finanzministerium allerdings nichts zu hören, während deutsche Anleger sich in nennenswertem Umfang für nachhaltiges Investment nach London begeben.

So versäumt es die deutsche Politik zurzeit nicht nur, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und ihrer ordnungspolitischen Aufgabe für den Finanzmarkt nachzukommen. Gleichzeitig werden auch Zukunftsperspektiven für die Finanzwirtschaft vernachlässigt, die diese dringend bräuchte.

Dr. Gerhard Schick ist finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Der Kredit ist die Herausforderung Nummer eins

Von Axel Troost und Raoul Didier - Während Finanzanlagen verschiedenster Art seit Beginn der Krise sehr ins Gerede gekommen sind, kommt der Kredit als die zentrale Finanzdienstleistung in der deutschen Diskussion viel zu kurz. Von USamerikanischen Verhältnissen kann hierzulande (noch) nicht die Rede sein. Doch die kürzlich von Creditreform veröffentlichte Zahl von mehr als sechs Millionen überschuldeten Privatpersonen in Deutschland ist Anlass genug, sich den Herausforderungen an eine verantwortungsvollere Kreditvergabe zu stellen.

Kredit ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe

So sehr der Überschuldung der Makel individuellen Versagens anhaftet, so sind ihre Auslöser weniger in individuellem Fehlverhalten als vielmehr in sozialen Risiken begründet, auf die unsere Wirtschafts- und Sozialordnung ungenügend vorbereitet ist.

Der iff-Überschuldungsreport 2008 zeigt auf, dass "kritische Ereignisse" wie etwa Arbeitslosigkeit, Scheidung und Krankheit zu fast 60 Prozent als Auslöser gelten, während "vermeidbares Verhalten", wie beispielsweise Konsumverhalten oder unwirtschaftliche Haushaltsführung, nur zirka 15 Prozent der Überschuldungssituationen verursachen. Daher gilt es, den Begriff der Finanzdienstleistung wörtlicher zu nehmen und sich die gesellschaftliche Bedeutung des Kredits in der heutigen Zeit zu vergegenwärtigen.

Befristetete und Leiharbeitsverhältnisse, die Anforderungen an ein lebenslanges Lernen sowie die Ansprüche an die Flexibilität des Einzelnen wachsen stetig. Für den unter diesen Umständen lebenden Menschen wird eine Verlässlichkeit in der Ausgestaltung seiner unmittelbaren Lebensverhältnisse umso wichtiger. So hat der Verbraucherkredit mehr denn je seine Berechtigung darin, das zukünftige Einkommen für gegenwärtige Bedürfnisse verfügbar zu machen.

Fälligkeitsgebühr auf Verwaltungskosten begrenzen

Zudem: Gerade in Phasen von Arbeitslosigkeit, Aus- und Weiterbildung, Familiengründung oder Krankheit ist die Möglichkeit zur Erzielung von Einkommen eingeschränkt. Zugleich müssen Mittel mobilisiert werden, um diese Phasen abzukürzen und erfolgreich zu bewältigen. Somit fällt dem Kredit die Bedeutung einer Basisdienstleistung zu, die oftmals eine gesellschaftliche Teilhabe erst ermöglicht.

Die Kreditvergabe ist ebenso wenig etwas Schlechtes wie die Überschuldung ein Zeichen von Verschwendung ist. Daher ist das regulative Umfeld des Kreditmarktes auf den Prüfstand zu stellen. So muss den gesellschaftlich abverlangten Flexibilitätsanforderungen eine entsprechende Flexibilität des Privatdarlehens gegenüber stehen.

Es kann nicht hingenommen werden, dass Verbraucher in der Verschuldung gehalten werden, um Gewinne zu erwirtschaften. Das bedeutet auch, dass jede Art von Fälligkeitsgebühr abzulehnen ist, die über die reinen Verwaltungskosten hinausgeht. Weiterhin muss die Tilgung von Krediten bei Überschuldung immer zuerst die zinstragende Kapitalschuld entlasten.

Einkommensschwache Haushalte besonders stark belastet

Gleichfalls muss das Ziel sein, die von den Kreditgebern eingesetzten Techniken wie das Marketing, die Kreditvergabepraxis, die Risikostreuung und den Umgang mit säumigen Schuldnern als Auslöser für Überschuldung zu beseitigen. So ist zu beobachten, dass wegen der Preisdifferenzierung nach Höhe und Art des Einkommens und durch den Verkauf teurer Nebenprodukte einkommensschwache Haushalte auffallend stark belastet werden.

Bei der Restschuldversicherung steht so einem relativ geringen Nutzen oftmals ein hoher finanzieller Aufwand des Schuldners gegenüber. Hinzu treten oft auch Kontogebühren, Vermittlerprovisionen und Kosten für die Einziehung von Forderungen. Der dadurch zustande kommende tatsächliche Zinssatz fällt höher aus, als es für viele Kreditnehmer zu erkennen ist.

Risikolasten auf die Schwächsten abgewälzt Vor allem aber wirken diese Techniken wie eine selbsterfüllende Prophezeiung, wenn alle Risikolasten auf die Schwächsten abgewälzt werden. Soziale Risiken sollten von allen in der Gesellschaft und nicht nur von den unmittelbar Betroffenen getragen werden.

Jede Form der Verschuldung erfassen

Die Regulierung des Kreditmarktes muss somit auch aus der einheitlichen Sichtweise des Kreditnehmers heraus in Angriff genommen werden. So traten dem Verbraucher im Ursprung Verkäufer, Kreditgeber, Vermittler, Risikoträger, Zahlungsstelle und Inkassoinstitut in einer Person gegenüber. Bis heute hat aber die Arbeitsteilung im Kreditgewerbe dazu geführt, dass auf der Anbieterseite kaum noch jemand mit der Gesamtproblematik, wie sie sich für den Kreditnehmer darstellt, konfrontiert wird.

Erstens sollte bei allen Kreditgeschäften ein standardisierter Zahlungsplan, der alle gegenseitigen Zahlungen aus verbundenen Geschäften umfasst, obligatorisch sein. Zweitens sollte hierbei jede Form der Verschuldung erfasst werden, bei der gewerblich Kaufkraft zur Verfügung gestellt wird. Es sollte also keine Rolle spielen ob dies durch ein Gelddarlehen, einen Zahlungsaufschub oder etwa durch ein Leasinggeschäft geschieht und dafür Zinsen, Provisionen, Gebühren oder Preise berechnet werden.

Die hier skizzierten Ansätze für eine verantwortungsvollere Kreditvergabe zielen darauf, die Kreditbeziehungen besser an die veränderten Lebensumstände anzupassen, damit Themen wie Kreditkündigung und Insolvenz an Bedeutung verlieren können. In keinem Bereich des Retail-Bankings gibt es für die Kreditwirtschaft eine bessere Gelegenheit, Vertrauen zurückzugewinnen.

Dr. Axel Troost ist finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Raoul Didier ist Referent für Finanz- und Steuerpolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

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