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Kreditfabriken: Herausforderung Kapazitätssteuerung

Die Marktsituation im Retail-Banking ist in den letzten Jahren durch einen sich verschärfenden Wettbewerb gekennzeichnet. Der Wind, der den Banken ins Gesicht weht, wird zweifelsohne rauher. Dazu trägt eine ganze Reihe von Faktoren bei:

Eine wesentliche Bedeutung kommt der Kundenseite zu. Der steigende ökonomische Bildungsgrad, der Wertewandel und die zunehmende Nutzung von Informationsangeboten (insbesondere im Online-Bereich) haben zu einer Erosion der klassischen einzigen Hausbankverbindung geführt. Daraus resultieren Zweit- und Drittbankverbindungen sowie Rosinenpickerei und verstärkter Konditionenwettbewerb.

Die Konkurrenzsituation ist ebenfalls in Bewegung:

Waren früher insbesondere in ländlichen Regionen konkurrenzarme Duopole (die jeweils örtliche Sparkasse und Genossenschaftsbank) oder Oligopole (ergänzt um Postbank und private Banken) anzutreffen, so hat der Antritt von Nicht- und Nahebanken sowie von großen ausländischen Instituten die Wettbewerbssituation nachhaltig verändert.

Dazu kommt die durch das Internet bedingte Reduktion der Marktintransparenz und der Wegfall regionaler Schranken. Heute konkurrieren Banken und Sparkassen eben nicht mehr nur mit den ortsansässigen Wettbewerbern, sondern in letzter Konsequenz mit allen im nationalen Markt aktiven Marktteilnehmern.

Aus den geschilderten Entwicklungen resultieren sinkende Margen und zunehmende Kostenzwänge. Diesen Herausforderungen begegnen Banken mit einer Reihe von Maßnahmen, wie zum Beispiel kostenbasierter Vertriebskanalsteuerung, Zerlegung der Wertschöpfungskette und Industrialisierung von Prozessen.

Industrialisierung des Kreditgeschäfts

Als spürbarste Auswirkung der kostenbasierten Vertriebskanalsteuerung kann gewiss die Ausdünnung des Bankstellennetzes in Deutschland seit den frühen neunziger Jahren angesehen werden. Aber auch die verstärkte Diskussion externer personeller Vertriebswege (zum Beispiel Außendienste) und die Forcierung elektronischer Kanäle (Online-Banking) sowie die Elimination nicht profitabler Vertriebswege im Sinne einer Multikanalsteuerung spielen hier eine bedeutende Rolle.

Die Zerlegung der bankenseitigen Wertschöpfungskette in Vertriebs-, Produktions- und Portfoliobanken und die daraus resultierenden komplexen Austauschbeziehungen werden seit Jahren erwartet.

Allerdings geht der Transitionsprozess nur schleppend voran. Die Gründe dafür sind ebenfalls seit Jahren die gleichen: Schnittstellenprobleme, mangelnde Kostentransparenz sowie fehlende Mandantenfähigkeit der bestehenden Abwicklungslösungen seien hier nur einmal beispielhaft genannt.

Einen Ausweg bietet die Industrialisierung:

Prozessengineering, die Zerlegung in einzelne klar mess-, steuer- und bepreisbare Teilschritte, die konsequente Standardisierung von Abläufen sowie die Schaffung einheitlicher Schnittstellen verspricht ein hohes Maß an Transparenz und Effizienz.

Darüber hinaus wird so auch eine wesentliche Voraussetzung zur tatsächlichen Zerlegung der Wertschöpfungskette von Banken geschaffen.

Kreditfabriken stellen einen wesentlichen Anwendungsfall der Industrialisierungsprinzipien dar. Das ergibt sich nicht zuletzt aus der historisch vergleichsweise schwachen Standardisierung des Kreditgeschäfts, welches durch ein hohes Maß an Individualisierung und ineffiziente Prozesse geprägt war (und zum Teil bis heute ist). Daher sind hier mittels Industrialisierung beträchtliche Effizienzgewinne zu heben. Allerdings gehen damit auch entsprechende Herausforderungen einher.

So ergeben sich aus der Dienstleistungsspezifik von Kreditprozessen und der schwankenden Nachfrage Konsequenzen bei der Kapazitätssteuerung. Dienstleistungen sind eben immateriell und damit nicht lagerbar. Es gibt hier zwei prinzipielle Ansätze, um dieses Problem zu lösen: statische und dynamische Kapazitätsbereitstellung.

Statische Kapazitätsbereitstellung und ...

Die statische Kapazitätsbereitstellung (siehe Abbildung 1) führt zur einfachsten Steuerung. Sie kann (gezielte dauerhafte Kapazitätsunterdeckung einmal ausgeschlossen) zwischen zwei Extrempolen schwanken: So könnten Kreditfabriken stets die maximal erforderliche Kapazität vorhalten, um jede erdenkliche Lastspitze bewältigen zu können (maximale Verfügbarkeit).

Dieses Extrem besitzt (besonders bei stark schwankender Nachfrage) den großen Nachteil der Ineffizienz, welche ja gerade durch die Industrialisierung vermindert werden sollte.

Als minimaler Ansatz kann dagegen die Bereitstellung der durchschnittlich erforderlichen Kapazität angesehen werden. Hierbei entstehen während Lastphasen Warteschlangen (Wartebereitschaft auf Kundenseite vorausgesetzt), die bei geringerer Nachfrage wieder abgebaut werden. Hiermit werden zwar die Kosten optimiert, die Marktakzeptanz dürfte jedoch kaum gegeben sein.

... dynamische Kapazitätsbereitstellung

Eine sinnvolle Synthese zwischen Markterfordernissen und Effizienz lässt sich nur durch eine dynamische Kapazitätsbereitstellung erzielen (siehe Abbildung 2). Dabei wird - im Idealfall - die Verfügbarkeit personeller Kapazitäten mit der Nachfrage synchronisiert, das Unternehmen atmet gewissermaßen. Somit kann die bei statischer Kapazitätsbereitstellung unvereinbare Zielkombination von maximaler Verfügbarkeit bei optimierten Stückkosten erreicht werden.

Die dynamische Kapazitätsbereitstellung führt aber zu besonderen Herausforderungen für das Management, namentlich in den Bereichen Kapazitätsbedarfsvorhersage, Variabilisierung der Leistungspotenziale (insbesondere Mitarbeitervariabilität und -flexibilität) sowie bezüglich der operativen Steuerung.

Die Vorhersage des Kapazitätsbedarfs ist

- professionell betrieben - eine hochkomplexe Aufgabe. Die grobe Abschätzung auf Basis von Erfahrungswerten ist nicht ausreichend. Vielmehr gilt es, detaillierte Vorhersagemodelle zu entwickeln, die eine Vielzahl interner und externer Indikatoren einbeziehen (siehe Abbildung 3). Dabei sind auch interne Lastbeziehungen zu beachten: Beispielsweise führt starkes Neugeschäft später zu steigendem Kapazitätsbedarf in bestandsverwaltenden Prozessen.

Indikatoren für den Kapazitätsbedarf

Betrachtet man nun eine Kreditfabrik mit den klassischen Funktionen Neugeschäft (Anfragen und Anträge), Bestandsmanagement (Betreuung bestehender Verträge), Forderungsmanagement (Betreuung rückständiger, jedoch ungekündigter Kredite) und Inkasso (Beitreibung von Restforderungen aus gekündigten Vertragsverhältnissen), so ist deren jeweiliger Kapazitätsbedarf für den Planungszeitraum anhand unterschiedlicher interner und externer Indikatoren zu ermitteln (hier am marktspezifischen Beispiel der Automobilfinanzierung).

Das Neugeschäft besitzt sicherlich die komplexeste Struktur von Einflussgrößen. Hier wären als wichtige externe Einflussgrößen die Marktentwicklung im Neuwagengeschäft (also markenspezifische Marktanteile und Stückzahlen) und Gebrauchtwagengeschäft (Entwicklung von Besitzumschreibungen) sowie die jeweiligen Penetrationsraten zu nennen. Letztere werden von internen Faktoren wie Aktionen, Handelspartnerbearbeitung (das heißt Kommunikation und Anreizsysteme), Kooperationen mit weiteren vermittelnden Partnern, Endkundenkommunikation und externen Faktoren wie Wettbewerberaktivitäten beeinflusst.

Zudem beeinflusst auch die Produktkomplexität (dabei reicht das Spektrum von reinen Fahrzeugfinanzierungen ohne Zusatzleistungen bis hin zum umfassenden Mobilitätsdienstleistungspaket mit umfangreichen Versicherungs- und Zusatzleistungen) den Kapazitätsbedarf pro Stück, wobei dieser mit steigender Produktkomplexität zunimmt. Schließlich besteht noch ein interner Lastzusammenhang zwischen Anfragen und Anträgen.

Bestandsgeschäft hängt von neuen Aufträgen ab

Das Bestandsmanagement wird dagegen maßgeblich vom internen Faktor der Neugeschäftsentwicklung beeinflusst (welcher damit eine Bündelungswirkung der oben genannten externen und internen Faktoren übernimmt). Dieser stellt (zusammen mit den Laufzeiten und den kundenseitigen Kündigungen) die wesentliche Determinante für die Stückzahlen des Vertragsbestandes dar. Dabei ist zu beachten, dass Neugeschäftseingänge und Bestandsstückzahlen sich nicht unbedingt parallel entwickeln. Läuft in einem Monat turnusgemäß eine große Anzahl von Verträgen aus, kann selbst ein wachsender Neugeschäftseingang zu sinkenden Bestandsstückzahlen führen.

Darüber hinaus sind aber über den längerfristigen Zeitverlauf eintretende Änderungen hinsichtlich des kundenseitigen Nachfrageverhaltens nach Bestandsprozessen zu berücksichtigen. So bedingt beispielsweise die Tendenz häufigerer Bankverbindungswechsel auch eine verstärkte Nachfrage nach Änderung der Einzugsermächtigung für die Monatsraten. Ebenso ist von einer gesamtwirtschaftlichen Verschlechterung der Einkommensentwicklung eine erhöhte Nachfrage nach Umfinanzierungen, Stundungen und Prolongationen zu erwarten. Nicht zuletzt führt (analog zum Neugeschäft) eine steigende Produktkomplexität zu einem höheren Kapazitätenbedarf pro Stück im Bestandsmanagement.

Ankaufspolitik bestimmt Forderungsmanagement

Für Forderungsmanagement und Inkasso sind die wesentlichen internen Indikatorgrößen in den Bestandsstückzahlen und der Ankaufspolitik (aggressiverer Ankauf führt zu einer höheren Quote rückständiger oder notleidender Kredite) zu sehen. Weiterhin sind langfristig wirkende externe makroökonomische Kenngrößen wie Wirtschaftswachstum, Arbeitslosenquote, Einkommensentwicklung oder die Zahl der Unternehmensinsolvenzen zu berücksichtigen. Sie beeinflussen maßgeblich die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Kredit rückständig wird oder sogar seitens der Bank gekündigt werden muss.

Eine möglichst weitgehende Variabilisierung der Leistungspotenziale ist eine grundlegende Voraussetzung der dynamischen Kapazitätsbereitstellung. Während Büroraum und technische Infrastruktur nur mit Vorlauf und daher nicht kurzfristig skalierbar sind, ergeben sich beim Mitarbeitereinsatz (der die wesentliche beeinflußbare Kostengröße im Rahmen der Finanzierungsabwicklung darstellt) vielfältige Wege zur Variabilisierung.

Hier sind als prinzipielle Ansätze die Variabilisierung interner Mitarbeiter mittels tarifvertraglicher Gestaltungen und der Einsatz externer Mitarbeiter durch Zukauf von Kapazitäten bei Personaldienstleistern zu sehen. Beide Gestaltungsvarianten besitzen spezifische Vor- und Nachteile:

Mix aus internen und externen Kapazitäten

Der Vorteil der Variabilisierung interner Mitarbeiter liegt in dem höheren Stand an Ausbildung und Erfahrung, den insbesondere langjährige festangestellte Mitarbeiter mitbringen. Dieser erweist sich insbesondere bei einem niedrigen Maß an Industrialisierung oder bei sehr anspruchsvollen Tätigkeiten (zum Beispiel Betrugsabwehr) als außerordentlich wertvoll.

Ferner besitzen interne Mitarbeiter ein höheres Maß an Identifikation mit ihrer Bank beziehungsweise Kreditfabrik. Die genannten Vorzüge befähigen sie, glaubwürdiger und souveräner im Kundenkontakt aufzutreten, als dies eine externe Kraft könnte.

Im Rahmen tarifvertraglicher Gestaltungen (beispielsweise Gleitzeitkonten, Gleittage, flexibler Arbeitsbeginn und -ende) ist auch für interne Mitarbeiter eine erhebliche Flexibilisierung zum beiderseitigen Nutzen zu erreichen.

Für extern zugekaufte Mitarbeiter spricht dagegen die kurzfristige Skalierbarkeit der Kapazitäten. Dazu kommt, dass die Beschäftigung zu anderen Konditionen, als zu den für interne Mitarbeiter gültigen tariflichen Bedingungen, möglich wird. Allerdings ist dagegen zu halten, dass geringere Ausbildung und Erfahrung sie primär für einfache, stark standardisierte Tätigkeiten prädestinieren.

Praktisch erstrebenswert ist somit ein Mix interner und externer Kapazitäten, der die Stärken interner und externer Mitarbeiter bedarfsgerecht kombiniert und weiterhin die Akzeptanz der jeweils betroffenen Tarifpartner findet.

Schließlich bedingt die dynamische Kapazitätsbereitstellung auch erhebliche Herausforderungen an die operative Steuerung. Diese ergeben sich aus der Differenz zwischen Kapazitätsbedarfsvorhersage und dem tatsächlich in einem Vorhersagezeitraum auftretenden Kapazitätsbedarf. Damit kommt es in der täglichen Praxis zu Überdeckungen (unter Kostengesichtspunkten ineffizient) und Unterdeckungen (schränken die Verfügbarkeit ein).

Hier hilft es zum einen, wenn die beschriebenen Anforderungen an die Mitarbeiterflexibilität auch bis in untertägige Zeiträume gelten. Zum anderen ergeben sich für die operative Steuerung Freiheitsgrade, wenn Mitarbeiter in der Lage sind, verschiedene Prozesse auszuführen und somit unkompliziert die Kapazitätsgewichte zwischen Prozessen verschoben werden können.

Inbesondere bei einfachen, wenig qualifikationsintensiven Prozessen ist es möglich, einen quasi-automatischen Lastausgleich innerhalb eines Geschäftsfeldes (zum Beispiel Retail-Fahrzeugfinanzierung) zu erzielen. Ziel ist es hierbei, die durch die Volatilität des Tagesgeschäftes erforderliche Atmungsfähigkeit des Unternehmens durch eine höhere Auslastung der vorhandenen Kapazitäten zu unterstützen.

Bereichsübergreifende Aufgabenfelder

Durch Einführen konsistenter bereichsübergreifender Skill-Kategorien (Aufgabenfelder) können sogar noch größere Bearbeitungskapazitäten geschaffen werden, die nicht auf eine organisatorische Einheit beschränkt sind. Mit diesem Vorgehen ist es einfacher, die kritische Größe zu erreichen und damit Skaleneffekte zu nutzen. Die Herausforderung liegt hier in der bereichsübergreifenden Steuerung der Kapazitäten und der damit verbundenen Änderung der Führungskultur.

Die konsequente Weiterentwicklung dieses Konzeptes mündet in einer - aus der zunehmenden Produktkomplexität auch erforderlichen - geschäftsfeldübergreifenden Steuerung (beispielsweise Finanzierung, Leasing und Versicherung). Voraussetzung ist allerdings eine institutsweite Standardisierung der Basisprozesse.

Die genannten Herausforderungen skizzieren die Problemfelder, für deren sinnvolle Lösungen Banken und deren Kreditfabriken instituts- und marktspezifisch individuelle Lösungen finden sollten. Hier sind in den nächsten Jahren große Erfahrungsgewinne zu erwarten. Ob sich hier Ansätze entwickeln, die einen Anspruch auf Universalität erheben können, bleibt abzuwarten.

Die dargelegten Konzepte haben indes ihre Praxistaufe erfolgreich bestanden: So konnte die Volkswagen Bank durch konsequentes Ausnutzen der zur verfügungstehenden Steuerungsmechanismen im Jahr 2006 einen um etwa 20 Prozent gestiegenen Neugeschäftseingang ohne kundenseitig spürbare Serviceeinschränkung bewältigen.

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