Leitartikel

Carpe diem

sb - Noch im vergangenen September war das Thema Abgeltungssteuer nur einer ver schwindenen Minderheit von Anlegern bekannt, so eine repräsentative Umfrage der TNS Infratest Finanzforschung im Auftrag von Fidelity. 69 Prozent der Wertpapierbesitzer hatten den Begriff noch nie gehört, ein Viertel kannte die Begrifflichkeit, und nur 14 Prozent wussten damit etwas anzufangen. Bis Januar 2008 hatte sich das Bild nur leicht gewandelt. Einer GfK-Studie im Auftrag der WGZ Bank zufolge lag der Anteil derjenigen Bundesbürger, an denen das Thema bisher völlig vorbei ging, um sieben Prozentpunkte niedriger, obwohl auch Nicht-Wertpapierbesitzer einbezogen wurden. Wirklich gut informiert waren laut dieser Studie aber - vermutlich der erweiterten Basis wegen - sogar noch deutlich niedriger, nämlich bei vier Prozent. Medienberichte und die Kam pagnen der Finanzwirtschaft haben also mittlerweile dem Thema zwar mehr Präsenz verschafft. Wissen zu vermitteln gelang aber bislang offenbar nicht. Und eben dies ist dringend nötig, soll die Abgeltungssteuer im Vertrieb genutzt werden. Ob sich die daran geknüpften hohen Erwartungen erfüllen, ist ohnehin fraglich, wie drei TNS-Infratest-Studien im Auftrag von Finanzdienstleistern nahelegen: Unter den Wertpapierbesitzern insgesamt sahen in der Commerzbank-Studie 39 Prozent der Befragten bei ihren Geldanlagen Umstrukturierungsbedarf, unter den Informierten sind es gemäß der Umfrage für Fidelity 64 Prozent. Allgemein sind steuerliche Aspekte allerdings für weniger als ein Drittel der Wertpapierbesitzer "sehr wichtig", so eine aktuelle Erhebung für die DZ-Bank. Damit rangiert das Thema Steuern auf dem letzten Platz unter sechs abgefragten Kriterien.

Die Lehren aus dem allen sind offensichtlich: Die Trägheit der Verbraucher in finanziellen Dingen, die der Branche schon vom Thema Altersvorsorge her hinreichend bekannt ist, lässt auch in Sachen Abgeltungssteuer grüßen. Sollen vor dem Stichtag Zusatzgeschäfte generiert werden, erfordert dies also noch beträchtlichen Einsatz. Verhältnismäßig entspannt angehen kann die Versicherungswirtschaft das Thema: Die Lebens- beziehungsweise Rentenversicherungspolice gilt als der natürliche Gewinner der neuen steuerrechtlichen Regelungen, auch wenn aus Anlegersicht vor allem Riester- und Rürup-Rente an Attraktivität gewinnen. Werbung zum Thema betreiben deshalb bislang vor allem Investmentgesellschaften, die vom zu erwartenden "Schlussverkauf" profitieren wollen. Zweifellos sind hier Vorzieheffekte zu erwarten, ähnlich wie sie etwa die Automobilindustrie vor der Erhöhung der Mehrwertsteuer erlebte. Das mag 2009 einen "Durchhänger" bringen, der aber gewiss vorübergeht - auch wenn die Fondsbranche das langfristige Sparen mit Fondssparplänen steuerlich benachteiligt sieht. Das stets beklagte Phänomen, dass dem Deutschen die Sicherheit über alles geht, könnte der Branche hier einmal zugute kommen: Da den Anlegern andere Aspekte wichtiger sind als die Steuerabzüge, wird die befürchtete Abwendung von Fondssparplänen vielleicht so krass gar nicht ausfallen. Und wenn man der Fidelity-Studie glauben darf, dass nur 17 Prozent der Anleger nach 2009 ihr Depot möglichst nicht mehr umschichten wollen, könnte mit Depot- Aufstockungen 2008 und weiterem Handeln ab 2009 unter dem Strich sogar ein Zusatzgeschäft herauskommen.

Auch dem so mühsam wiederbelebten Wertpapiergeschäft der Banken droht damit nicht automatisch ein neuer Tiefschlag. Allerdings steht zu erwarten, dass die Kundschaft künftig verstärkt auf die Kosten achten wird. Wer etwa zur sauberen Trennung alter und neuer Investments, die der Abgeltungssteuer unterliegen, ein neues Depot er öffnet, wird Depotgebühren eher kritisch betrachten. Und auch Transaktionsgebühren oder Ausgabeaufschläge werden dafür herhalten müssen, die Belastungen zu senken. Den Filialbanken droht damit die Gefahr, im Preiswettbewerb weitere Marktanteile an die Direktbanken zu verlieren. Für sie ist die Herausforderung damit vermutlich am größten. Sie müssen die kommenden Monate nutzen, ihren Kunden den Wert guter Beratung zu vermitteln.

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