Aufsätze

Die Zukunft der globalen Börsenlandschaft: Gewichte verschieben sich - weltweite Vernetzung als strategische Antwort

Die Gewichte in der Weltwirtschaft verschieben sich. Während das 20. Jahrhundert ohne Zweifel als das "amerikanische Jahrhundert" gelten kann, ist das beginnende 21. Jahrhundert geprägt von der Wachstumsdynamik des asiatisch-pazifischen Raums und der sogenannten BRIC-Staaten, also Brasilien, Russland, Indien und China. Wie trägt die Strategie der Gruppe Deutsche Börse der stetig wachsenden Bedeutung Asiens und der BRIC-Staaten Rechnung? Aufstieg der BRICs Gegenwärtig erbringen die USA und die Länder der EU nach Berechnungen von Deutsche Bank Research noch rund drei Viertel aller Finanzdienstleistungen weltweit. Dennoch ist die aufstrebende Rolle der asiatischen Finanzzentren unübersehbar. So nimmt der Anteil der US- und EU-Börsen an der weltweiten Aktienmarktkapitalisierung aller börsennotierten Unternehmen kontinuierlich ab: Er ist von seinem Höchststand von nahezu 80 Prozent 2001 auf heute nur noch zirka 50 Prozent deutlich geschrumpft. Der globale Anteil des Handelsvolumens von Aktien der US-amerikanischen und europäischen Börsen hat sich in diesem Zeitraum ebenfalls stetig von fast 90 auf gut 70 Prozent verringert. Dagegen hat sich der Anteil der BRIC-Staaten an der Anzahl der börsennotierten Unternehmen weltweit von zirka zwei Prozent im Jahr 2000 auf derzeit mehr als 20 Prozent verzehnfacht. Dies bleibt nicht ohne Folgen für die globale Börsenlandschaft. Anfang 2012 war die Börse Hongkong mit einer Marktkapitalisierung von über 15 Milliarden Euro bereits die Nummer eins unter den börsennotierten Börsenorganisationen - und hat jüngst ihre Expansion durch Kooperationen mit den Börsen in Shanghai und Shenzhen intensiviert. Die Deutsche Börse AG ist als einzige europäische Börse mit Platz vier nach Marktkapitalisierung in der globalen Führungsgruppe verblieben. Alle anderen, ehemals starken europäischen Börsen, selbst London, vor dem sich Frankfurt noch vor wenigen Jahren fast schon fürchtete, spielen keine Spitzenrolle mehr. Es ist nur eine Frage der kurzen Zeit, bis die führenden asiatischen und lateinamerikanischen Börsenorganisationen nicht nur regionale, sondern auch globale Ambitionen entwickeln werden. Frankfurt hat sich dennoch nicht nur gut behauptet, die Deutsche Börse AG hat in den letzten fünf Jahren ihre relative wie absolute Stellung nachhaltig verbessert. Im Jahr 2011 hat die Konsolidierung der Börsenlandschaft weltweit noch einmal Fahrt aufgenommen. Dennoch finden zahlreiche Kooperationen und Zusammenschlüsse von Börsenorganisationen statt. In Japan haben die eher auf Aktien konzentrierte Tokyo Stock Exchange und die Derivatebörse in Osaka ihre Fusion angekündigt. In Russland ist der Zusammenschluss bei den Moskauer Börsen RTS und Micex seit Dezember 2011 unter Dach und Fach. Tendenz zur vertikalen Integration Die jüngste Vereinbarung der Börsen der BRIC-Länder umfasst den Plan, das Cross-Listing ihrer Leitindizes zu vereinfachen, um die Einführung neuer Derivate zu ermöglichen. In Nordamerika ist die Tendenz zu vertikal integrierten Börsenorganisationen ungebremst. Das Konsortium "Maple Group" beabsichtigt, mit der Übernahme der Börse von Toronto TMX in Kanada den Aktien- und Derivatehandel mit dem Bereich Clearing (Verrechnung) und Settlement (Abwicklung) in einem integrierten Unternehmen zu vereinen. In Großbritannien hat die London Stock Exchange ein Übernahmeangebot für die Mehrheit von LCH. Clearnet abgegeben - und unternimmt somit nach Jahren der Opposition gegen dieses Modell weitere Schritte zu einem vertikal integrierten Handelsplatz, an das sie sich durch den Zusammenschluss mit der Borsa Italiana bereits angenähert hat. Und für die London Metal Exchange LME gibt es mehrere interessierte Banken- und Börsenorganisationen. Die Deutsche Börse AG hat das Modell der vertikal integrierten Börsenorganisation erfolgreich vorangetrieben - und entwickelt dieses Modell permanent weiter. Gruppe Deutsche Börse: beschleunigte Wachstumsstrategie Die Internationalisierung der Deutschen Börse ist eingebettet in eine Strategie der systematischen Integration und gezielten Erweiterung ihrer Produktportfolios und der Marktdurchdringung. Diese Strategie ist erfolgreich: 2011 hat die Deutsche Börse mit 2,2 Milliarden Euro die höchsten Umsatzerlöse seit dem Rekordjahr 2008 erzielt. Jeder einzelne Geschäftsbereich hat dazu beigetragen. So hat die Börse im Kassamarkt Xetra 2011 ihren Marktanteil stabilisiert und die klare Führerschaft bei der Preisbildung in deutschen Wertpapieren gehalten. Im Terminmarktgeschäft hat sich die Börse mit der Six-Group geeinigt, die Derivatebörse Eurex ab 2012 vollständig zu übernehmen. Damit erweitert die Börse ihre Umsatzbasis und erlangt die alleinige Kontrolle über diesen sehr wachstumsträchtigen Geschäftsbereich. Darüber hinaus hat Eurex die Mehrheit an der European Energy Exchange übernommen und baut damit ihre Stellung in den Commodity- und Emissionsmärkten aus. Durch die Kooperation von Eurex mit der Korea Exchange im Handel des global umsatzstärksten Derivats - auf den koreanischen Leitindex Kospi - hat die Deutsche Börse außerdem sehr erfolgreich einen riesigen Liquiditätspool in Asien nach Europa gebracht. Durch die Verknüpfung von Handel, Clearing und Sicherheiten- und Liquiditätsmanagement hat sie unter dem Label GC Pooling ihre Wertschöpfungskette ebenfalls ausgeweitet. Im Nachhandelsgeschäft hat das Tochterunternehmen Clearstream sehr erfolgreich ihr Geschäftsmodell durch Kooperationen mit mehreren Abwicklern erweitert, beispielsweise arbeitet die Luxemburger Firma seit 2011 mit dem brasilianischen Zentralverwahrer Cetip im Bereich des Sicherheitenmanagements zusammen. Drei strategische Stoßrichtungen Im Bereich Market Data & Analytics hat die Deutsche Börse mit ihrer Beteiligung an Stoxx die führende Indexfamilie für Europa etabliert und 2011 um globale Komponenten erweitert. Ferner entwickelt die Börse kontinuierlich ihre IT-Infrastruktur weiter und hat bei der US-Tochter International Securities Exchange (ISE) erfolgreich ein neues Handelssystem eingeführt, das bei den Kunden großen Anklang findet. Als nächster Schritt soll die neue Handelsarchitektur bei der Erneuerung des Eurex-Handelssystems zur Anwendung kommen und schließlich auch für den Kassamarkt eingesetzt werden. Damit sich diese Erfolgsgeschichte fortsetzt, wird die Börse ihre erfolgreiche Strategie weiter beschleunigen. Die Investitionen in Wachstumsprojekte werden von 120 Millionen Euro auf zirka 160 Millionen Euro steigen. Neben einem unverändert straffen Kostenmanagement konzentriert sich die Deutsche Börse vor allem auf drei strategische Stoßrichtungen: 1. Ausweitung des Produkt- und Dienstleistungsangebots auf heute unregulierte und unbesicherte Märkte: Dies erfolgt im Zuge der sich ändernden Kundenbedürfnisse und der regulatorischen Rahmenbedingungen, die die Finanzkrise nach sich zieht. 2. Beschleunigter Ausbau der Technologieführerschaft und Expertise im Marktdatenbereich: Die Zusammenführung aller zugehörigen Bereiche in einer eigenen, marktorientierten Geschäftseinheit unter einheitlicher Führung und eigener Ergebnisverantwortung soll neue Wachstumspotenziale eröffnen. 3. Erschließung neuer geografischer Wachstumsfelder und Gewinnung neuer Kundengruppen: Dabei kommen künftig durchaus auch vermehrt Formate zum Einsatz, bei denen die Deutsche Börse gemeinsam mit Kunden und Marktteilnehmern Wert schafft und nicht die alleinige Kontrolle hält. Im Rahmen der ersten strategischen Stoßrichtung werden unregulierte und unbesicherte Märkte bearbeitet - mit weiterentwickelten und neuen, eigens auf diesen Bereich zugeschnittenen Angeboten auf Basis der Kernkompetenzen. Zum einen werden die Dienstleistungen im Rahmen des Sicherheiten- und Liquiditätsmanagements, die mit der erwähnten Cetip-Kooperation begonnen haben, auf globaler Ebene weiter ausgebaut. Diese Dienstleistungen werden nicht nur aufgrund regulatorischer Anforderungen, sondern auch wegen des nachhaltigen Verlusts an Vertrauen zwischen den Marktteilnehmern zunehmend nachgefragt. Neben den Zentralverwahrern in Australien und Südafrika haben schon mehr als zehn weitere Märkte konkretes Interesse in diesem Bereich bekundet. Hier werden weitere Mittel bereitgestellt, um das globale Netzwerk im Nachhandelsbereich weiter auszubauen. Clearingangebot für außerbörslich gehandelte Derivate Zum anderen wird zeitlich auf die sich ändernden Markt- und regulatorischen Anforderungen abgestimmt ein maßgeschneidertes Clearingangebot für außerbörslich gehandelte Derivate angeboten. Bei der regulatorischen Grundlage für ein solches Angebot, der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über OTC-Derivate (European Market Infrastructure Regulation - EMIR), wurde letzte Woche nach vielen Verzögerungen im politischen Prozess eine Einigung zwischen dem Parlament und dem Rat erzielt, sodass ein Inkrafttreten im Jahresverlauf in greifbare Nähe rückt. Die Deutsche Börse steht mit ihren Kompetenzen im Bereich Technologie und Risikomanagement als Partner für die Banken bereit, damit sie sich nunmehr auf die neuen Gegebenheiten einrichten können. Funktional wird im Hinblick auf EMIR in 2012 das Risikoma-nagement-Modell erweitert. Wachstumsfeld IT Die Deutsche Börse wird zukünftig alle IT- und datenbezogenen Tätigkeiten in einer schlagkräftigen und voll ergebnisverantwortlichen Einheit bündeln. Zu diesem Zwecke werden die Entwicklung und der Betrieb der Systeme, das externe IT-Geschäft der Gruppe und das Geschäft mit Marktdaten und Indizes in einem Geschäftsbereich zusammengeführt. Unter das externe IT-Geschäft, mit dem heute schon mehr als 80 Millionen Euro Umsatz generiert wird, fällt der Einsatz der Handelssysteme durch externe Lizenznehmer wie andere Börsengesellschaften, das gesamte Business Process Offering, das IT-Angebot für Finanzdienstleister sowie Netzwerkdienstleistungen. Hier wird mit attraktiven Wachstumsraten gerechnet. Die Kunden verlangen nach überzeugender Unterstützung bei der Übernahme hochspezialisierter Prozesse. Gleichzeitig werden Bedürfnisse, die sich aus IT-Erfordernissen ergeben, genutzt, um die Chancen im Wettbewerb zu erhöhen und die Kunden zu binden. In Kombination mit dem erfolgreichen Marktdatengeschäft eröffnet sich hier ein Wachstumsfeld für neue und erweiterte Dienstleistungen. Gleichzeitig untermauert die Deutsche Börse ihre Technologieführerschaft, stärkt die Beziehung zum Kunden und erhöht so insgesamt die Schlagkraft. Auch ohne Fusion mit einem transkontinentalen Partner wird die Deutsche Börse Schritt für Schritt globaler. Europa bildet zwar nach wie vor den Schwerpunkt. Doch der Anteil des außereuropäischen, globalen Geschäfts nimmt kontinuierlich zu: 16 Prozent der Umsatzerlöse entfallen auf Amerika und Asien; 2005 waren es noch acht Prozent. Und zwölf Prozent der Belegschaft arbeiten heute bereits in Amerika und Asien; 2005 waren es noch drei Prozent. Die Börse setzt bei der geografischen Erweiterung prioritär auf Partnerschaften wie beispielsweise mit der Koreanischen Börse. Dies macht nicht zuletzt deshalb Sinn, weil sich in der EU-Entscheidung eine Verschiebung der regulatorischen Voraussetzungen gegen skalengetriebene Großfusionen herauskristallisiert hat. Neben der geografischen Erweiterung werden auch Marktteilnehmer angesprochen, die heute noch nicht zu den Kunden gehören. Denn neben höchster Zuverlässigkeit und Transparenz spielt für Marktteilnehmer eine der Kernkompetenzen der Deutschen Börse, das Risikomanagement, eine immer größere Rolle. Das Angebot, mit dem Eurex institutionelle Investoren direkt ansprechen wird, besteht aus der separaten Erfassung der Kundensicherheiten unter dem Stichwort Kontensegregierung. Damit wird nach der Einführung des Risikomanagements in Echtzeit der Vorsprung gegenüber den Wettbewerbern erweitert. Schrittmacher der Vernetzung Die Strategie der weiteren Internationalisierung der Deutsche Börse Gruppe kommt nicht nur Marktteilnehmern, Emittenten und anderen Anspruchsgruppen, sondern auch Deutschland zugute: Der Finanzplatz Frankfurt dient nicht mehr allein der Kapitalbeschaffung für die heimische Wirtschaft, sondern ist zu einem wichtigen Knotenpunkt in einem globalen Netzwerk von Finanzplätzen geworden. Die Konkurrenz zwischen den globalen Finanzzentren ist kein reiner Verdrängungswettbewerb, auch wenn das viele glauben. Denn die globale Vernetzung schafft Win-Win-Situationen, wenn die einzelnen Wettbewerber miteinander kooperieren. Die Stärke eines Finanzplatzes hängt heute neben den Bedingungen vor Ort auch von seiner Vernetzung mit anderen Finanzzentren ab. Die Deutsche Börse ist Schrittmacher der Vernetzung für den Finanzplatz Frankfurt. Über die Handels-, Clearing und Abwicklungssysteme bringt sie diesen zu ihren Kunden in aller Welt, nach New York, London, Singapur oder Hongkong. Die nächste Phase hat für die Deutsche Börse längst begonnen. Die Dinge werden sich verändern - wieder einmal. Die Deutsche Börse ist darauf vorbereitet.

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