Leitartikel

Wenig Knalleffekt

Von Anfang an hatte das Fusionsvorhaben von Deutscher Börse und Nyse Euronext bemerkenswert wenig polarisiert. Sicherlich gab es Befürworter und Gegner des Zusammenschlusses. Im hessischen Finanzministerium etwa fürchtete man um die Unabhängigkeit der Frankfurter Wertpapierbörse als Handelsplatz im öffentlichen Auftrag, falls die von der US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) betriebenen Regeln auch hierzulande für Veränderungen gesorgt hätten. Der Betriebsrat des Frankfurter Handelsplatzbetreibers warnte naturgemäß vor möglichem Personalabbau, während die Finanzplatzlobbyisten durch die Verlagerung einiger zentraler Bereiche zum angelsächsischen Partner einen Bedeutungsverlust der Bankenmetropole zugunsten von New York bevorstehen sahen. Befragte Marktakteure indes freuten sich zumeist auf einen besseren Zugang zu neuen Märkten und hofften auf geringere Preise. Alles in allem aber war es lange überraschend ruhig geblieben unter den Marktteilnehmern, insbesondere den großen Banken, Versicherern und Finanzdienstleistern. Vielleicht darf man daraus schließen, dass das Tagesgeschäft von den zu erwartenden Veränderungen im Rahmen des Zusammenschlusses ohnehin wenig beeinflusst worden wäre.

Und so hatte selbst das zwangsweise Ende des bislang 113 Millionen Euro teuren Fusionsvorhabens, über das zuvor schon länger spekuliert worden war, wenig Knalleffekt.

Ohne Letzteren muss auch die neue Strategie des Frankfurter Marktbetreibers auskommen. Wachstum aus eigener Kraft insbesondere in bislang unregulierten Märkten, Bündelung einiger Aktivitäten wie der IT, Ausloten neuer Geschäftsmöglichkeiten außerhalb Europas - all dies geschieht nun mehr aus Zwang als aus einer längerfristigen Strategie heraus. Immerhin hatte man im Frühjahr 2011 noch betont, man benötige einen Ausweichplan zur Fusion nicht und Letztere sei ohnehin "alternativlos". Wenn es nun heißt, dass man niemals vom Erfolg des Vorhabens abhängig gewesen sei, klingt das demgegenüber erst einmal zweifelhaft. Selbiges leitet sich aus der Tatsache ab, dass man bereits zuvor mehrere Anläufe mit anderen Partnern wie der LSE oder Euronext gewagt hatte - jedes Mal freilich, weil es das beste Vorgehen für das notwendige Wachstum als Antwort auf die schnell herangedeihenden Märkte Asiens gewesen wäre.

Und doch ist die nun vorgestellte Lösung nicht ganz ohne Charme. Zu Hilfe kommt der Deutschen Börse dabei gerade jene "Silo-Aufstellung", die in der Vergangenheit so oft bemängelt worden ist und die sich nun vielleicht als eine ihrer größten Stärken herauskristallisieren könnte. Zunächst ist der Frankfurter Handelsplatzbetreiber mit seiner Terminbörse Eurex (die Anteile der schweizerischen SWX-Gruppe sind im Rahmen des Fusionsvorhabens unabhängig von dessen Ausgang an den deutschen Partner übergegangen) innerhalb Europas gut aufgestellt. Und gerade im Derivategeschäft wird in den kommenden Jahren sicherlich deutlich mehr Wachstum zu generieren sein als im Aktienhandel, der sich immer mehr als "gesättigter" Markt darstellt. Auch mit dem vermeintlich größten Wettbewerber, der britischen Liffe, dürfte man sich aufgrund von deren Fokus auf den Geldmarkt gegenüber einer Ausrichtung auf Aktien und den Kapitalmarkt bei der Eurex nur in Teilbereichen ins Gehege kommen (was übrigens die Zweifelhaftigkeit des Brüsseler Monopolentscheids untermalt). Hinzu kommt die gute Aufstellung der Deutschen Börse bei Rohstoffen - etwa im Rahmen der Mehrheitsbeteiligung an der EEX - oder börsengehandelten Fonds.

Darüber hinaus fallen insbesondere drei Bereiche ins Auge, in denen man noch gutes Potenzial erwarten darf. Da wären erstens Produkt- und Technologiepartnerschaften insbesondere mit Partnern in Asien. Die Deutsche Börse verfügt über solides Know-how in beiden Bereichen, das gerade in jungen Märkten gesucht sein dürfte. Zusammenschlüsse mit Handelsplätzen in den Wachstumsregionen würden demgegenüber sehr kompliziert, wie unter anderem das Scheitern der Gespräche zwischen Sydney und Singapur gezeigt hat. Zweitens wäre nicht nur auf Basis solcher Partnerschaften eine engere Anbindung institutioneller Investoren möglich - samt einem erweiterten Angebot rund um deren Geschäft, gerade im Nachhandelsbereich. Am meisten Wachstum dürfte indes ein dritter Bereich versprechen. Insbesondere im Zusammenhang mit der Finanzkrise ist die Nachfrage nach Risiko-management-Lösungen deutlich gestiegen. Mit Hilfe von Eurex Clearing und Clearstream selbst kann die Deutsche Börse ihren Teilnehmern entsprechende Dienstleistungen anbieten.

Gleichermaßen verwirrt das Herangehen an die neu gefundene Strategie. Denn Wachstum aus eigener Kraft verlangt bekanntlich zunächst nach erheblichen Investitionen. Sollte der Handelsplatzbetreiber wirklich den (nahezu) vollständigen Gewinn des durchaus zufriedenstellenden ("Rekord"-)Jahres 2011 an die Anteilseigner, denen man in den vergangenen Monaten einiges abverlangt hat, ausschütten, um diese bei Laune zu halten, ginge ihm immerhin ein gut 800 Millionen Euro schwerer Batzen an freiem Kapital für die Zukunft verloren (siehe auch Börsen in diesem Heft).

Ohnehin sollen die Aktionäre noch auf andere Weise belohnt werden: So will die Deutsche Börse im zweiten Halbjahr 2012 für bis zu 200Millionen Euro eigene Aktien zurückkaufen. Im Jahr 2011 wurden bereits für 112 Millionen Euro eigene Papiere am Markt erworben.

Dass sich die Deutsche Börse nach dem Scheitern der Fusion zum größten Handelsplatzbetreiber der Welt nun nicht verstecken mag und lieber die eigene Ertragskraft auch nach außen demonstriert, ist sicherlich ein gutes Zeichen - insbesondere für den Finanzplatz Deutschland. Auch für Europa insgesamt sind florierende Finanzzentren, deren Rückgrat nun einmal die Börsenplätze und ihre IT darstellen, wichtig. Mit ihrem Erlass gegen den Zusammenschluss des Frankfurter Marktbetreibers und seinem New Yorker Pendant hat die EU-Kommission keinem Marktteilnehmer maßgeblich geholfen oder geschadet. Denn auch das Erlauben einer dominierenden Derivate-Börse in Europa hätte schon aufgrund des ungleich höheren Over-the-Counter-Volumens, das ganz an den Handelsplätzen vorbeigeht, kaum merkliche Nachteile mit sich gebracht. Mit Blick in die Zukunft und auf die fortschreitende Globalisierung des Finanzgeschäfts sollte man in Brüssel allerdings die generelle Position überdenken. Denn wenn die obersten EU-Gremien weiterhin nur innereuropäisch denken und (zu) wenig auf die Positionierung Europas im globalen Wettbewerb achten, werden hiesige Akteure auf Dauer zu stark beschränkt. Schließlich steht eines fest: In den USA, den BRIC-Ländern und Asien hat man sich eine entsprechende Sichtweise längst angeeignet.

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