Aufsätze

Die Deutsche Börse auf dem Weg zur Europäischen Börse?

Die geplante Fusion der Deutschen Börse mit der Nyse Euronext ist gescheitert. Ist das ein schwarzer Tag aus Sicht der Deutschen Börse oder eher ein Grund zur Freude? Das Stimmungsbild erscheint nach wie vor geteilt. Der Kurs der Aktie schnellt mit Bekanntwerden der Entscheidung der EU-Kommission in die Höhe, nachdem gerade ein paar Monate zuvor 97 Prozent der Aktionäre das Umtauschangebot angenommen und damit ihre Zustimmung zum Fusionsvorhaben erteilt hatten. Der von den Kritikern der Fusion befürchtete Niedergang des Finanzplatzes Frankfurt scheint zunächst abgewendet, die Verunsicherung über die künftige Ausrichtung der Deutschen Börse bleibt.

Eng mit der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Börse verbunden

Die etablierte Frankfurter Wertpapierhandelsbank ICF Kursmakler AG ist es gewohnt, schnell und flexibel auf Veränderungsprozesse des Börsenumfeldes zu reagieren. Als Zusammenschluss von elf früheren Kursmaklern zu einer Aktiengesellschaft hat sich die Wertpapierhandelsbank in den vergangenen 15 Jahren zu einem exklusiven Dienstleister rund um Börse und Wertpapier entwickelt und bietet heute in der Konzerngruppe ICF ein Portefeuille für ihre institutionellen Kunden an, das vom Market Maker, Spezialisten, Designated Sponsor, Orderrouter zu mehr als 50 internationalen Börsenplätzen, IT-Serviceprovider (Rechenzentrumsbetrieb für Börse München) und IT-Entwickler bis zum Lead-Manager sowie Capital Market Expert für Kapitalmarkttransaktionen aller Art in nahezu sämtlichen Assetklassen reicht.

Der Erfolg des Geschäftsmodells liegt in der Diversifizierung des Produktangebots, wobei sich das Kerngeschäft traditionell auf den Finanzplatz Frankfurt konzentriert. Letzteres ist wesentlich von der Strategie und Entwicklung der Deutschen Börse und insbesondere von der Gestaltung des Handelsmodells und der zugehörigen Börsen-IT-System-Infrastruktur abhängig. Die künftige Entwicklung der Wertpapierhandelsbank ist damit eng mit der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Börse verbunden.

Nach Auffassung der Deutschen Börse sollte die geplante Konsolidierung mit der Nyse Euronext durch Skalen- und Synergieeffekte Entwicklungs- und Betreibungskosten wesentlich senken und durch eine Erhöhung von Handelsvolumina zur Liquiditätssteigerung führen. Ob dies tatsächlich so eingetreten wäre, lässt sich nicht beantworten. Sicher ist, dass zunächst hohe Anlaufkosten entstanden wären, nämlich Investitionskosten für ein einheitliches und komplexes Handelssystem, das die verbundenen Marktplätze in unterschiedlichen Zeitzonen und Handelszeiten integrieren und internationale Standards für Handelsprozesse abbilden sollte. Entsprechende Anpassungskosten wären insoweit auch für die an der Börse tätigen Intermediäre und Handelsteilnehmer entstanden.

Erfolgreiche Silostruktur weiterentwickeln

Nach Untersagung der Fusion muss die Deutsche Börse neue Wachstumspotenziale erschließen, um sich als Global Player im internationalen Wettbewerb der Kapitalmärkte weiter behaupten zu können. Die Beibehaltung des Status quo würde die Gefahr bergen, im internationalen Wettbewerb zu einer Regionalbörse innerhalb Europas und zu einem geeigneten Übernahmekandidaten zu werden. Denn spätestens seit MiFID steht die Deutsche Börse nicht nur zu anderen Börsenplätzen, sondern vor allem zu außerbörslichen Handelsplattformen und zu Internalisierungssystemen im internationalen Wettbewerb. Ohne neue Expansionsbestrebungen droht dem Frankfurter Finanzplatz und der Deutschen Börse mit der Frankfurter Wertpapierbörse und damit dann auch den hiesigen Marktteilnehmern ein Rutsch in die Bedeutungslosigkeit innerhalb der internationalen Börsenlandschaft.

Die von der Deutschen Börse nunmehr avisierte Strategie, Börsenkooperationen mit Partnern in Wachstumsmärkten einzugehen und dort neue Kundengruppen zu gewinnen, soll neue Ertragsfelder vor allem für das werttreibende Geschäft der Eurex und der Clearstream erschließen. Im Rahmen ihrer ordnungspolitischen Aufgabe muss die Deutsche Börse als Trägergesellschaft der Frankfurter Wertpapierbörse jedoch gerade auch in deren Wettbewerbsfähigkeit investieren. Börsenbetrieb ist seit jeher Staatsaufgabe. Ein Börsenbetreiber ist kraft Beleihung öffentlich-rechtlich Beauftragter seines Sitzlandes.

In dieser Funktion hat die Deutsche Börse als Betreiber der Frankfurter Wertpapierbörse nicht nur für die erforderliche Ausstattung der Wertpapierbörse, sondern auch für ihre angemessene Fortentwicklung als Marktveranstaltung zu sorgen und ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung Rechnung zu tragen. Als Dienstleister rund um die Börse weiß die Wertpapierhandelsbank ICF Kursmakler AG um diese Bedeutung gerade im Hinblick auf die Finanzierung von Investitionen mittelständischer Unternehmen.

Die Deutsche Börse ist mit ihrer erfolgreichen Silostruktur, die Handel, Clearing und Settlement, Risk- und Sicherheitenmanagement, IT und Marktdatenverbreitung in einer vertikalen Wertschöpfungskette miteinander verbindet, heute der führende europäische Player. In diese Richtung gilt es gerade auch mit Blick auf die Frankfurter Wertpapierbörse weiterzudenken. Die Deutsche Börse sollte ihre europäische Leitfunktion insofern ausbauen und sich zu einer europäischen Börsenbetreibergesellschaft fortentwickeln. Ohnehin muss die Deutsche Börse dringend den zwischenzeitlich entstandenen Investitionsstau abarbeiten und die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit ihres Handelssystems in Angriff nehmen.

Einheitliches europäisches Handelssystem

Sinnvoll wäre es, zusammen mit und für andere europäische Partnerbörsen ein neues, einheitliches europäisches Handelssystem zu schaffen. Voraussetzung wäre die Entwicklung eines einheitlichen Marktmodells unter Einsatz allerneuester Technologien. Kosten nationaler Kapitalmarktinfrastrukturen könnten durch den Betrieb einer gemeinsamen europäischen Handelsplattform gesenkt werden, Börsenfunktionen wie Orderrouting, Orderausführung, Matching und Informationsverteilung wären in allen Partnerländern koordiniert aufeinander abgestimmt, und Anschlusskosten für Marktteilnehmer und Intermediäre würden aufgrund der Einheitlichkeit und Netzwerkeffizienz verringert.

Die dem europäischen Handelssystem angeschlossenen nationalen Börsen könnten weiterhin als Liquiditätsversorger zur Deckung des Finanzierungsbedarfs kapitalmarktfähiger Unternehmen und zur Sicherstellung von Vermögens- und Altersvorsorge zur Verfügung stehen und ihre volkswirtschaftliche Aufgabe vor Ort erfüllen. In das einheitliche europäische Handelsmodell sollte die Funktion des Market Makers als menschliches Korrektiv und Gütesiegel bei der systemseitigen Preisfeststellung integriert und rentabel honoriert werden, da Market Maker wesentlich zur Liquiditätssteigerung und damit zum Erfolg eines Handelsmodells beitragen. Sie wären bei der Entwicklung des Systems und der Ausgestaltung der an sie zu übertragenden besonderen Aufgaben, etwa derjenigen als Spezialist oder als Designated Sponsor, zwingend einzubeziehen und sollten Stimmrechte in den jeweiligen Entscheidungsgremien erhalten.

Auch aus regulatorischer Sicht wäre eine einheitliche europäische Handelsplattform wünschenswert. Nationale Kapitalmarktinteressen treten angesichts des Ziels der Schaffung eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes zunehmend in den Hintergrund, die maßgebliche Finanzmarktgesetzgebung wird schon seit Langem nicht mehr in Berlin, sondern in Brüssel verabschiedet. Mit der Schaffung einheitlicher europäischer Handelsfazilitäten würde die europäische Kapitalmarktinfrastruktur gebündelt und gestärkt. Von Seiten der EU-Kapitalmarktgesetzgebung vorgegebene regulatorische Anforderungen könnten kosteneffizienter umgesetzt und überwacht werden.

Weiterentwicklung Richtung Europa

Alle EU-Mitgliedstaaten sollten angesichts des weltweiten Wettbewerbs ein gesteigertes Interesse an einem europäischen Börsenbetrieb besitzen. Die Deutsche Börse könnte dies - ähnlich der Star-Alliance der Lufthansa - mit weiteren Börsen der EU-Mitgliedstaaten und mit osteuropäischen Handelsplätzen gemeinsam angehen und den Service gegenüber den Marktteilnehmern der Partnerbörsen optimieren. Eine solche europäische Börsenorganisation würde den europäischen Kapitalmarkt und auch die Deutsche Börse weit voranbringen.

Die Weiterentwicklung der Deutschen Börse Richtung Europa sollte zügig in Angriff genommen werden, um Nutzen gleichermaßen für Emittenten, Marktteilnehmer, Intermediäre und Anleger zu schaffen. Frankfurt wäre der ideale Ausgangspunkt und Standort für eine solche europäische Börsenallianz. Die Äußerung des damaligen Aufsichtsratschefs Breuer anlässlich des Scheiterns der Fusion mit der London Stock Exchange im Jahre 2000, "die Börse sei elementarer Bestandteil eines Finanzplatzes und werde trotz aller Virtualität von den dort Ansässigen immer noch als Herzstück angesehen", gewinnt unter dem Blickwinkel des europäischen Gedankens wieder neue Aktualität. In einem ersten Schritt könnte hierzu die Umfirmierung der Deutschen Börse in Europa Börse die europäische Zielrichtung nach außen dokumentieren.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X