Genossenschaftsverbund 2011

Verbraucherschutz zwischen Kundennutzen und Überregulierung

Verbraucherschutz ist ein zentrales Thema in der Gesellschaft. Die Banken sind die Branche, die in Verbraucherschutzfragen am tiefsten reguliert und kontrolliert ist bis in den einzelnen Kundenkontakt hinein. Staatliche Testkäufer in der Mode-Boutique oder beim Autohändler sind jedenfalls im Gegensatz zum Bankenbereich (noch) nicht vorstellbar oder zumindest von Politikern noch nicht gefordert.

Ein langer Zeitraum der Unsicherheit

Die Verbraucher gehen mit diesen verschiedenen Produkten auch sehr unterschiedlich um. Es ist bekannt, dass sie mehr Zeit investieren, wenn sie ein neues Auto oder eine neue Küche kaufen, als wenn sie ihre Altersvorsorge planen. Das hängt sicher auch mit der Vorbildung in Finanzangelegenheiten zusammen. Zum Beispiel das magische Dreieck der Geldanlage gehört nicht zur Grundausstattung in der Erziehung oder der Schule.

Tatsächlich unterscheiden sich diese Produkte auch tief greifend. Ein Auto lässt sich anfassen, probefahren, ganz auf die eigenen Wünsche zuschneiden. Eine Finanzanlage ist zunächst einmal etwas sehr Abstraktes, dessen Funktionieren und dessen Entwicklung sich nicht wie am Drehzahlmesser leicht erkennen lässt. Der Kauf gründet im Allgemeinen allein auf Vertrauen. Die Finanzanlage hat, wenn es zum Beispiel um die Altersvorsorge geht, eine langfristige Orientierung. Ihr Erfolg wird erst langfristig erlebbar, wenn Zinsen oder Wertzuwachs den Anleger erfreuen - und nicht gleich, wenn der Zündschlüssel zum ersten Mal den Motor zum Brummen bringt. Das hat tief greifende Konsequenzen: Der Verbraucher wird die Qualität einer Anlageberatung immer am Nutzen messen, der sich erst lange Zeit nach der Beratung einstellen kann.

Damit entsteht zwangsläufig ein langer Zeitraum der Unsicherheit. Diese Phase der Unsicherheit kann für Verbraucher wie für den Bankberater gravierende Konsequenzen haben, wenn sich der Anleger für ein Produkt entschieden hat, das von der Entwicklung der Finanzmärkte abhängig ist. Im Gegensatz dazu bietet ein Sparbrief bei der Hausbank oder gar die klassische Spareinlage überschaubare und klar kalkulierbare Wegmarken, sie sind aber dann für die Verbraucherschützer viel zu niedrig verzinst.

Sich für Produkte zu entscheiden, die von der Entwicklung der Finanzmärkte abhängig sind, heißt, sich auf all die Ereignisse, Imponderabilien, bekannte und eben auch unbekannte Risiken einzulassen, die mit diesen Märkten verbunden sind. Natürlich war jedem das Risiko bekannt, dass der Emittent eines Zertifikats ausfallen kann. Nur war das eben vor Lehman ein theoretisches Risiko. Natürlich sind auch schon Staaten in die Umschuldung gegangen, aber das waren ferne Länder zum Beispiel in Südamerika. Vor dem großen Athener Offenbarungseid war es für die Euro-Zone, für die OECD, ein theoretisches Risiko.

Als Lehman Pleite gegangen ist, war es "natürlich" die Schuld der Banken, dass Verbraucher Verluste erlitten haben. Wenn Griechenland umschuldet und private Gläubiger, auch ganz normale Verbraucher, zur Kasse bittet, wird es wieder Klagen gegen Banken geben. Die Erwartungen in die Geldanlage erfüllen sich nicht; wer hat dann Schuld? Das führt in ein Spannungsfeld, das von zwei Polen beherrscht wird.

Das Spannungsfeld zwischen Rendite und Sicherheit

Nach gängiger Meinung sind Verbraucher dann mündig, wenn sie sich nicht mit den Zinsen auf dem Sparbuch oder dem Tagesgeldsatz zufrieden geben, den eine Regionalbank erwirtschaften kann. Wer auf sichere Anlagen setzt, dem jagt ein Trommelfeuer in einschlägigen Magazinen ständig ein schlechtes Gewissen ein. "10 Jahre lang - 10 Prozent verdienen - Mindestens! ", so titelte ein bekanntes Anlegermagazin - wohlgemerkt in diesem Jahr 2011. Die Jagd nach traumhaften Renditen ist wieder eröffnet, als ob es nie eine Lehman-Pleite gegeben hätte. Zum Einmaleins der Volkswirtschaft gehört das Wissen, dass solche Renditen in der Realwirtschaft nicht entstehen können.

Der zweite Pfeiler des magischen Dreiecks wird durch die Gier nach Rendite in den toten Winkel abgedrängt - die Sicherheit. Hier geht es um die Verantwortung der Banken in der Beratung. Natürlich ist anlegergerecht zu beraten, natürlich darf nie alles Ersparte in ein nicht risikofreies Produkt fließen, natürlich ist es ein Teil der Qualität, die Beratung zu dokumentieren, natürlich müssen Risiken deutlich gemacht und erklärt werden. Aber wer würdigt am Schluss die erwartete Wahrscheinlichkeit, dass Risiken tatsächlich schlagend werden?

Und wer steht für Risiken gerade, die in der Phase der Unsicherheit in den Märkten neu entstanden sind und zum Zeitpunkt der Beratung nicht zu erkennen waren? Wer hätte vor fünf Jahren Zweifel an der Bonität von Lehman ernst genommen oder sich Sorgen um die Griechen gemacht? Wer kauft heute nicht alles US-Staatsanleihen? Oder was haben sich die Verbraucher gedacht, die ihr Geld in ein renditeträchtiges Geschäftsmodell auf Island transferiert und dann erwartet haben, dass es ihnen wieder jemand zurückholt?

Die Würdigung von Risiken, seien sie noch so abstrakt, verbleibt beim Verbraucher. Auch die Verantwortung für unerwartete Risiken muss bei ihm bleiben, denn er profitiert auch von möglichen unerwarteten Chancen. Beides kann nicht in der Verantwortung der Banken liegen. Auch sie haben keinen Zugriff auf die Glaskugel, sonst würde es mancher Bank besser gehen.

Banken mit großer Verantwortung

Keine Frage: Banken bekennen sich zu einem wirksamen Verbraucherschutz. Sie tragen eine große Verantwortung, weil sie in aller Regel sehr viel mehr über die Finanzmärkte wissen als ihre Kunden. Im Geschäftsmodell der Volksbanken und Raiffeisenbanken ist Verbraucherschutz sogar fest eingebaut ist. Die Institute sind an ihr Geschäftsgebiet gebunden; sie wissen, was es heißt, ihren Kunden auch morgen in die Augen zu schauen. Daher hat die Qualität der Beratung für die genossenschaftlichen Banken eine herausragende Bedeutung. Die Banken haben Konzepte für den ganzheitlichen Beratungsansatz und sie messen die Qualität ihrer Beratung auch durch Kundenzufriedenheitsanalysen. Deshalb wenden sie sich nicht gegen Kundeninteressen, wenn sie fordern: Die Bürokratie beim Verbraucherschutz muss wieder abgebaut werden.

Immer mehr Verbraucher beklagen sich, dass der Verbraucherschutz zu weit in ihre Privatsphäre eingreift oder ihnen einfach die Zeit stiehlt. Die Wertpapierrichtlinie MiFID (Markets in Financial Instruments Directive) verbietet zum Beispiel den Banken jede Anlageberatung, wenn der Kunde nicht seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenlegt und seine Ausbildung sowie seine berufliche Tätigkeit in seiner Hausbank registrieren lässt.

Natürlich ist eine gute ganzheitliche Beratung nur möglich, wenn der Kunde den Berater über seine finanzielle Situation informiert. Aber es muss doch in der Freiheit des Kunden bleiben, diese Angaben zu verweigern und trotzdem beraten zu werden. Welcher Rückschluss ist denn aus einem Schulabschluss zu ziehen, der vielleicht schon 40 Jahre zurückliegt? Was darf der Arzt mehr oder weniger als der Bäcker, was darf eine Hausfrau, was ein Notar? Der Gesetzgeber pflegt das Bild eines Verbrauchers, das immer mehr Kunden als Entmündigung empfinden.

Informationspflichten als Zeitdiebe

Als Zeitdiebe gelten bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken die Informationspflichten, die der Verbraucherschutz ausgelöst hat. Die Berater müssen inzwischen einem Kunden schon bei der kleinsten Anlagesumme in der Erstberatung bis zu 400 Seiten Informationsmaterial aushändigen, wenn er sich für den Kauf eines Investmentfonds entscheidet. In diesen Papieren stehen viele Hinweise, aber sie helfen den Kunden nicht, sie schützen nicht und bieten auch nicht die erwünschte Transparenz.

Ein zweiter großer Zeitdieb ist für viele Kunden das Beratungsprotokoll. Die Dokumentation der Beratung ist natürlich wichtig, und das Beratungsprotokoll kann auch den Weg in eine ganzheitliche Beratung ebnen. Die gesetzlichen Vorschriften zum Beratungsprotokoll werden aber den unterschiedlichen Kundenbedürfnissen nicht gerecht. Es gibt viele gut informierte Kunden, die sich häufig beraten lassen. Sie kritisieren massiv die Papiermassen und die Wartezeiten, die durch das neue Beratungsprotokoll erzwungen werden. Die August-Krise an den Börsen hat diese Kritik vehement verstärkt. Das muss noch einmal auf den Prüfstand des Gesetzgebers. Im Ergebnis droht durch diese Reglementierungen, dass Kunden ins Internet verdrängt werden, wo es keine Beratung und damit keine Regulierung gibt. Der Gesetzgeber läuft Gefahr, durch Überregulierung gute Beratung zu verhindern.

Mit der Registrierung von 300000 Bankberatern und der laufenden Pflege dieser Datenbank wird eine gigantische neue Bürokratie aufgebaut, die die Bankberatung verteuert. Mit diesem Eingriff hat der Gesetzgeber das Kreditwesengesetz entwertet, das Grundgesetz der Branche. Es bestimmt, dass ein Bankinstitut eigenverantwortlich vom Vorstand geführt wird. Seine Eignung wird von der Bankenaufsicht geprüft, und er muss der Adressat von Sanktionen bleiben, wenn etwas schief läuft. Der Gesetzgeber fördert ein Klima des Denunziantentums. Böswilligen Menschen wird es leicht gemacht, einen Berater anzuschwärzen; dem Berater drohen Berufsverbot und der Verlust seines Arbeitsplatzes. Das ist unverhältnismäßig, das ist kein Klima, in dem gute Arbeit gedeiht. Der unsägliche Begriff von den "verdeckten Ermittlern" ist Ausdruck dieses Klimas. Im Übrigen bekommt die Bankenaufsicht schon seit Jahren Informationen über die Anzahl von Kundenbeschwerden und ihre Behandlung in den einzelnen Banken.

Sogenannte freie Finanzvermittler werden vom Gesetzgeber dagegen wesentlich weniger behelligt. Dabei spricht man seit Jahrzehnten über Milliardensummen, die auf dem Grauen Kapitalmarkt durch falsche Versprechungen eingesammelt und vernichtet werden. Der Graue Kapitalmarkt gehört unter die Aufsicht der BaFin und nicht zur Gewerbeaufsicht.

Einlagensicherung als Verbraucherschutz

Dass in Europa ein wichtiges Stück Verbraucherschutz in Frage gestellt wurde, bereitet große Sorgen. Die EU-Kommission will, dass bei Bankinsolvenzen nur noch Spargelder von maximal 100000 Euro geschützt sind. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken haben wie die Sparkassen mit der Institutssicherung seit vielen Jahrzehnten ein eigenständiges und bewährtes System zum Schutz der Kundengelder, das weit über diesen Minimalschutz hinausgeht. Diese Sicherungssysteme setzen früher an, da es ihr oberstes Ziel ist, eine Insolvenz zu verhindern und stattdessen ein betroffenes Institut durch einen Sanierungsplan wieder aus einer eventuellen Schieflage zu befreien. Dadurch sind alle Kundengelder in unbegrenzter Höhe garantiert. Die Institutssicherung stiftet Vertrauen und sorgt für Stabilität im Finanzsektor, denn sie verhindert Bankenschieflagen durch Vorsorge.

Die Europaparlamentarier aller Fraktionen aus Baden-Württemberg kennen den Wert der Institutssicherung und setzen sich für ihren Erhalt ein. Dies hat der Berichterstatter-Entwurf im Europäischen Parlament (Simon-Bericht) widergespiegelt. Danach soll der Institutsschutz EU-konform bleiben. Allerdings ist Wachsamkeit weiter geboten, denn der Teufel steckt in den Details.

Würde die EU-Kommission die Diskussion umgekehrt führen, dann würde die Sicherheit des Finanzsystems tatsächlich einen großen Schritt vorankommen. Der Institutsschutz, den Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie Sparkassen mit großem Erfolg praktizieren, diszipliniert; er erzwingt verantwortungsbewusstes Verhalten der Vorstände. Wie wäre es denn mit einem Institutsschutz für alle Banken? Die Versicherungsprämien wären heute wahrscheinlich so teuer wie für ein Atomkraftwerk, das alle Restrisiken versichern muss.

Gefährliche Feindbilder

Im Zusammenhang mit der Beraterregistrierung wurde davon gesprochen, dass der Gesetzgeber ein Klima des Denunziantentums fördert. Das Klima zwischen den Beteiligten - Banken, Politik, Verbraucher ist in Sachen Verbraucherschutz schon länger gestört. Oft scheinen die Eigeninteressen den Blick auf das, was für den Verbraucher wichtig ist, zu verstellen. Die Verbraucherschützer mühen sich, Kampagne um Kampagne, die Banken als Feindbild des Verbrauchers zu inszenieren. Dass sie dabei an den Verbraucherwünschen vorbeigaloppieren, ficht sie nicht an.

So hat aktuell die neue Kampagne "Finanzmarktwächter" eine Bruchlandung erlebt. Als erste Aktion wurden die Provisionen ins Visier genommen, weil es nach dem Glaubensbekenntnis der Verbraucherzentralen ja keine gute Beratung geben kann, wenn Vermittlungsprovisionen im Spiel sind. Aus dem Aufruf an die Anleger, Missständen nachzuspüren, sind ganze 172 Vorgänge geworden, bei einer Grundgesamtheit von vielen Millionen Beratungsvorgängen in den zurückliegenden Jahren.

Trotz dieser Zufallsergebnisse haben auch seriöse Medien die neue Kritik an den Banken aufgegriffen, meist ohne diesen Umstand zu benennen.

Besonders betroffen gemacht hat die Berichterstattung im ZDF. Der Sender hat einen der 172 Fälle herausgegriffen, der eine Volksbank in Baden-Württemberg betrifft. Kunde und Verbraucherschützer kamen zu Wort, aber der Kunde hat die Bank nicht vom Bankgeheimnis entbunden, sodass sie keine Stellungnahme zu den Vorwürfen abgeben durfte. Journalisten lassen sich also einspannen, wenn ein Wehrloser angegriffen wird; die Pflicht, die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen, bleibt auf der Strecke. Dass muss zu denken geben.

Wieder mehr ins Gespräch miteinander kommen

Es ist ein großes Anliegen, wieder mehr ins Gespräch miteinander zu kommen. Am Anfang steht sicher die Diskussion über die Pflichten der Banken und die Eigenverantwortung der Verbraucher.

Das Umfeld macht diese Aufgabe nicht leicht, denn es geht um Berechenbarkeit und Vertrauen. Erst Lehman-Finanzkrise, dann Staatsschuldenkrise: Die Milliardensummen an Risiken sind für die Menschen unüberschaubar und unbegreifbar geworden. Die Halbwertszeit von Wahrheiten verfällt rapide, eine Expertenmeinung jagt die andere, von der Politik naturgemäß ganz zu schweigen. Weder die Politik noch die großen, internationalen Banken vermitteln den Menschen den Eindruck, sie könnten die Lage beherrschen. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken müssen in dieser Situation ihre Nähe zu den Menschen besonders unter Beweis stellen, denn sie schafft Vertrauen. Dazu zählt ein fairer Umgang miteinander, also gelebter Verbraucherschutz. Die Chance dazu gibt die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft und die starke Gruppe in ganz besonderem Maße.

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