Aufsätze

Verbraucherschutz 2009 ff.: Handlungsbedarf im Lichte der Finanzmarktkrise

Die Welt staunt, was in der Finanzmarktbranche alles passieren konnte: Risiken wurden unverhältnismäßig gestaltet, bis zur Unkenntlichkeit in immer neuen und gefährlicheren Produkten versteckt und erfolgreich global weiterverteilt - zuletzt auch wieder an Verbraucher, die sowohl als Kreditnehmer gefährdet und geschädigt wurden als auch als Anleger. Die in den Märkten geschaffenen Einrichtungen haben nicht rechtzeitig Alarm geschlagen und wurden von der Krise überrascht, Finanzaufsicht und Ratingagenturen haben ihre Aufgabe nicht erfüllen können. Gibt es Anlass zu diesem Staunen?

Keine unabwendbare Naturkatastrophe

Diese Krise ist keine unabwendbare Naturkatastrophe, sondern eine Fehlentwicklung, auf die alle viel zu spät reagiert haben und nun auch noch reagieren müssen. Was bis jetzt mit den teuren Aktivitäten zur Stabilisierung der Branche erfolgte, sind vor allem die notwendigen Sofortmaßnahmen, die Brandbekämpfung, noch nichts nachhaltig Langfristiges. Nach der akuten Brandbekämpfung muss aber Brandschutz betrieben werden, denn eine Wiederholung können wir uns nicht leisten. Was ist im Markt verkehrt gelaufen?

In den Verbraucherzentralen weiß man: Bei vielen Verbrauchern hat die Krise lange zuvor begonnen, weil sie bereits Opfer dieser Unvernunft geworden sind. Das gilt etwa für jene, die mit absurd gestalteten Umschuldungen, sogenannten Kettenkrediten, erst richtig in die Krise manövriert wurden, weil sich zumindest kurzfristig noch Provisionen und Neuverträge erwirtschaften ließen. Was aber passiert mit dem Ausfall jener Darlehen? Das betrifft auch jene, die feststellen mussten - oder noch müssen -, dass ihre Spar- und Anlageprodukte mehr Kosten verursachen und der Ertrag keineswegs den Erwartungen und dem eingegangenen Risiko entspricht und im schlimmsten Fall auf einmal wertlos sind, wie bei den Lehman-Geschädigten.

Oder es gilt für die Hunderttausende von Schrottimmobiliengeschädigten, die in jedem Einzelfall sich unerwartet riesiger Forderungen ausgesetzt sahen. Viele hat dies ruiniert, weil sie auf ein angeblich bankgeprüftes Modell vertrauten, bei dem sie als Altersvorsorge-Anlage überteuerte und mit Problemen verbundene Objekte mit einer Vollfinanzierung vermittelt bekamen - geschickt und unter hohem Zeitdruck. Die Modelle sollten sich durch Mieteinnahmen und Steuerersparnis selbst refinanzieren. Schlimm daran: Viel zu lange und eigentlich bis heute blieb das klar vernehmbare Stopp-Signal aus, nämlich wirklich für dieses Vorgehen uneingeschränkt haften zu müssen. Einige Vertreter der Branche konnten viel zu lange Rechtslücken und Rechtsdurchsetzungsschwierigkeiten der Geschädigten nutzen und sich sicher fühlen und dies machte dann über die Unternehmensgrenzen hinweg im Wettbewerb Schule. Kann man auf dieser Grundlage Verantwortung im Markt gestalten?

Dass Verbraucherprobleme eine Weltfinanzkrise mit auslösen können, zeigen die Probleme jener US-Immobilienbesitzer, die mit ihren schlecht gestalteten Darlehen bei einer bestimmten Marktentwicklung durch explodierende Kosten ausfallen mussten. Auch das war vorhersehbar, allerdings vor allem für die Experten der Kreditgeber, als Verbraucher wurde man durch die gängige Praxis leider - wie so oft - viel zu arglos gemacht. Es gibt diesen Immobilienmarkt in Deutschland so zwar nicht, wir müssen aber aufpassen, ihn nicht zu bekommen. Ansätze wie die "130-Prozent"-Baufinanzierungen und die Kreditverkäufe seien als Stichworte genannt. Zu Letzterem hat die Politik zusammen mit der Verbraucherzentrale Bundesverband gerade noch rechtzeitig ein paar Schutzmaßnahmen schaffen können.

Selbstverantwortung

Auch die EU muss Sorgfalt walten lassen, dass bei einer Harmonisierung des Immobilienkreditrechts eben nicht jene Fehler in andere Mitgliedstaaten exportiert werden, die es in einigen Immobilienmärkten in der EU, ähnlich der Situation in den USA, bisher bereits gibt.

Verbraucherschutz ist ergo essenzieller Teil des Brandschutzes, der nun mit langfristiger Wirkung zu gestalten ist. Seine Wirkung geht über den Schutz der Verbraucher hinaus. Manches von vornherein zum Scheitern verurteilte Vertragsmodell - und damit unnötige Risiko - würde es nicht geben, wären sich die Verantwortlichen von Anfang an bewusst gewesen, dass der Schaden eben doch bei ihnen selbst und nicht primär bei anderen eintritt, die sich nicht beziehungsweise kaum dagegen wehren können - meistens Verbraucher.

Wenn Mitarbeiter, wie Medienberichte zeigen, anprangern, dass sie gerade zum Gegenteil einer vernünftigen Vertragsgestaltung angehalten werden, weil sie unter hohem Konkurrenzdruck vor allem Zahl und Volumina von Verträgen zu erzielen haben, muss das die Managements aufhorchen lassen. Vieles zur Lösung der derzeitigen Krise muss sich aus den Unternehmen selbst entwickeln. Der Gesetzgeber muss dafür aber einen verbindlichen Rahmen setzen und den Impuls, dass verantwortliches Handeln im Markt den erkennbaren Vorrang erfährt und sich durchsetzen wird.

Ein Elf-Punkte-Programm Von der Verbraucherzentrale Bundesverband wurde dazu ein Elf-Punkte-Programm entwickelt:

1. Wir brauchen eine effektivere Haftung. Die soll nicht nur den notwendigen Ausgleich schaffen, wenn Fehler geschehen. Sie soll auch präventiv wirken, damit sich Unternehmen der eigenen Verantwortung für Produkte, Vertrieb und Abwicklung auch gegenüber dem Kunden bewusst sind und bleiben. Haftung muss dabei wirksam sein. Dazu ein Beispiel aus den Fällen der Lehman-Geschädigten: Wenn ein Beratungsprotokoll einen Verbraucher als sehr sicherheitsbewusst ausweist, um am Ende überraschend den Wunsch des Kunden zu vermerken, sogar gegen die Empfehlungen der Bank ein Risikoprodukt abzuschließen, dann dokumentiert das nicht das Interesse des Verbrauchers, sondern einen unverantwortlichen Vertriebstrick. Derartige Plausibilitätslücken müssen künftig gegen den Anbieter gehen. Überhaupt müssen wir schon den Versuch dieser Umgehungen unterbinden, auch mit einer Umkehrung der Beweislast.

2. Die Einlagensicherung ist essenziell und nicht nur ein Schutz für Verbraucher. Ohne sie wäre jeder Verbraucher vernünftigerweise gezwungen, seine Gelder von der Bank zu holen, wenn es auch nur die kleinste Schieflage gibt. Das wäre das sofortige Ende für jede Rettungsbemühungen einer Bank. Als Verbraucher aber wirklich vertrauen zu dürfen, dass im schlimmsten Fall die Sicherungen schnell und ausreichend greifen werden, ist Grundvoraussetzung für diesen Schutz. Nach den Erfahrungen mit Island und den potenziellen Risiken auch bei EU-Mitgliedern muss das europäische System stabiler aufgestellt werden. Wesentlich dabei ist aber nicht nur das Versprechen, es muss unbedingt auch ordentlich unterlegt, vernetzt und abgesichert werden.

3. Risiko und Intransparenz, diese gefährliche Mischung muss unterbunden werden. Ein der Idee der Nährwertampel nachempfundener Indikator kann nicht umfassend aufklären, aber von vornherein dem Verbraucher signalisieren, wo er Vorsicht walten lassen muss. Dass ihm ein Risiko-signal-Produkt als unproblematisch verkauft werden kann, sollte damit erheblich schwerer werden.

4. Produkte die unvernünftige Gefahren für Verbraucher und den Markt gestalten beziehungsweise sogar von Beginn an ökonomisch sinnlos sind, sollte man die Marktzulassung verweigern, in anderen Branchen ist das längst Praxis.

5. Ein verantwortliches Kreditgeschäft misst seinen Erfolg an der wirklichen Leistungsfähigkeit und dem Bedarf des Kunden. Ziel: Es darf jedenfalls nicht an dem Vertrag selbst scheitern, dass er bis zur vollständigen Rückzahlung für beide Seiten ein Erfolg bleibt.

Keine Umgehung zulassen

6. Die persönliche Haftung der Leistungsebene auch gegenüber den Anlegern und Kunden ist erforderlich, um Verantwortungsbewusstsein und Sorgfalt sicherzustellen. Zugleich ist darüber im ganzen Unternehmen ein Anreiz für richtiges Verhalten zu setzen. Führen die unternehmensinternen Zielvorgaben und die Boni- und Provisionssysteme auch gegenüber den Mitarbeitern zu guten oder nur zu vielen und großen Verträgen? Wird verantwortungsbewusstes Verhalten wirklich honoriert? Welche Ziele werden im Unternehmen gesetzt? Der Gesetzgeber kann dies nur "anreizen", muss es aber auch.

7. Es dürfen keine Umgehungsräume mehr zugelassen werden. Dazu gehören auch die grauen Märkte. Sie sind in die Kontrollmechanismen einzubeziehen. Umgehungen schaden dem Verbraucher, dem Markt und jenen Anbietern, die Verantwortung gestalten wollen.

8. Die Finanzaufsicht muss sich dem Verbraucher mehr öffnen und seine Themen als Auftrag verstehen. Überspitzt formuliert: Eine nur verdeckte Verwaltung der Risiken, um den Markt nicht zu verunsichern, ging nicht gut. Weil die Aufsicht aber auch nie überall sein kann, spielt die präventive Wirkung der Kenntnis bei den Akteuren, dass Fehler auch Geschädigten gegenüber aufklärbar sind, eine wichtige Rolle. Finanzaufsicht muss ferner auch grenzüberschreitend vernetzt werden. Wie jede andere Aufsicht muss die Finanzaufsicht auch warnen können und dürfen.

9. Am Markt gegenüber den Verbrauchern werden, wie gezeigt, Fehlentwicklungen früh spürbar. Die Verbraucherzentrale Bundesverband will ihre Fähigkeiten ausbauen können, um dann effizient und gemeinsam mit den Aufsichtsbehörden Fehlentwicklungen zu unterbinden.

Notwendige Mittelausstattung gewährleisten

10. Die Verbraucherzentralen brauchen auch Mittel für den Ausbau der Finanzdienstleistungsberatung. Gerade jetzt brauchen Verbraucher eine vom Vertrieb unabhängige Beratung, die die Verbraucherzentralen fachlich, aber derzeit nur sehr beschränkt quantitativ leisten können. Im Grunde ist das auch ein nachhaltiges Konjunkturprogramm, denn verbunden mit der unabhängigen Beratung haben Verbraucher damit eine Chance, vernünftigen Angeboten das Vertrauen wieder aussprechen zu können. Das können die Verkaufsgespräche beim Anbieter nicht leisten.

11. Die praxisrelevante finanzielle Bildung gehört dringender denn je auf alle Lehrpläne. Aber: Bildung kann nur verbunden mit transparenter Information und fairen Gestaltungsrechten am Markt vom Verbraucher genutzt werden und damit dann schließlich auch dem Markt nutzen.

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