Aufsätze

Wer keinen Gewinn machen will, handelt unethisch

"Wer keinen Gewinn machen will, handelt unethisch" - das wird ein Vertreter eines Konzerns, der sich die Nächstenliebe zur Vision gemacht hat und der im größten kirchlich-diakonischen Unternehmen Deutschlands arbeitet!

Die Agaplesion gAG mit dem Sitz in Frankfurt, ist bei einem Umsatz von über einer Milliarde Euro und 19 200 Mitarbeitern der fünftgrößte deutsche Krankenhauskonzern. Im Verbund befinden sich zurzeit 29 Krankenhäuser und 31 Wohn- und Pflegeeinrichtungen in ganz Deutschland. Eine Vielzahl weiterer Einrichtungen wie Medizinische Versorgungszentren, Schulen oder Kindertagesstätten runden das Portfolio ab. Aufgrund des im deutschen Gesundheitswesen einzigartigen und sehr attraktiven Beteiligungs- und Führungsmodells befindet sich der Konzern nach wie vor auf Wachstumskurs.

Geld oder Leben!?

Agaplesion wurde 2002 in der für christliche Träger unüblichen Form einer gemeinnützigen Aktiengesellschaft gegründet. Diese Unternehmensverfassung bietet ideale Voraussetzungen für eine Wachstumsform, die auf Anteilstausch ausgerichtet ist: Seit der Unternehmensgründung haben sich 21 kirchliche Stiftungen, Vereine, Kirchen und Diakonische Werke dazu entschlossen, ihre Einrichtungen mehrheitlich in den Verbund einzubringen und Aktionäre zu werden. An die Stelle einer Kaufpreiszahlung tritt ein Tausch von Gesellschaftsanteilen gegen vinkulierte Namensaktien des Konzerns. Gewinnausschüttungen an die Aktionäre in Form von Dividenden werden nicht vorgenommen. Müssen christliche Unternehmen also keinen Gewinn machen? Und: Darf man im Gesundheitswesen überhaupt Gewinne machen?

"Was hat in Krankenhäusern Vorrang - der Profit oder die Patienten?", so lautete eine Schlagzeile im Wochenmagazin "Die Zeit" vom 20. September 2012. Zwei Kulturen sind im Konflikt, so ein renommierter Gesundheitsökonom: Die Kultur des Ethos der Heilberufe einerseits und die Kultur des ökonomisch denkenden und handelnden Managements andererseits. Ärzte und Mitarbeiter in der Pflege bezeichnen ökonomische Einflüsse auf medizinische Entscheidungen überwiegend als unethisch. Und dies unabhängig davon, ob es sich um private, kommunale oder frei-gemeinnützige Gesundheitsdienstleister handelt. Diese Einstellung hat mit den Besonderheiten des sogenannten Gesundheitsmarkts zu tun. Insbesondere geht es um die Frage der Konsumentensouveränität.

Gemeinnützige, christliche Gesundheitsunternehmen, das heißt Diakonie und Caritas, werden nicht selten in der medialen Gesellschaft als unethisch abgestempelt, weil auch sie selbstverständlich Gewinne machen müssen. Denn sie stehen vor denselben Grundbedingungen der Knappheit wie alle anderen Unternehmen auch.

Der Gesundheitsmarkt

Die Frage nach der Ethik von Gewinnen stellt sich im Gesundheitsmarkt in ganz besonderer Weise. Es handelt sich um einen hoch regulierten Markt. Dazu kommt, dass die Kunden, das heißt die Patienten, ihre Nachfrageentscheidung häufig nicht eigenständig und unabhängig treffen können. Dennoch gilt gerade für den Gesundheitsmarkt die Situation der Knappheit der verfügbaren Mittel.

Knappheit und Produktivität: In den Flussbetten des Schlaraffenlands fließen Milch, Honig und Wein. Die Tiere hüpfen und fliegen bereits vorgegart und mundfertig durch die Luft. Die Häuser bestehen aus Kuchen. Statt Steinen liegt Käse herum. Genießen ist die größte Tugend der Bewohner des Schlaraffenlands und dem fortschreitenden Alter wird mit dem Jungbrunnen abgeholfen. Wir leben und arbeiten bekanntermaßen nicht im Schlaraffenland, sondern in einer Situation der Knappheit, also dem in der Wirklichkeit zu beobachtenden Missverhältnis zwischen vielfältigen, nahezu unbegrenzten Bedürfnissen und den nur begrenzt verfügbaren Gütern und Dienstleistungen, die zur Bedürfnisbefriedigung benötigt werden. Knapp ist nicht nur das zur Verfügung stehende Geld, sondern auch die Zeit. Aber auch die Geduld, die Fähigkeit zuzuhören oder Zuwendung zu spenden, sind knapp. Knapp sind auch Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte.

Neben der grundsätzlichen Knappheit an Mitteln, besteht die Besonderheit auf dem regulierten Gesundheitsmarkt darin, dass die Knappheit von Jahr zu Jahr politisch induziert weiter gesteigert wird: Auf dem Gesundheitsmarkt kann kein Akteur die Preise erhöhen, wenn die Personalkosten, die Energiekosten oder die Versicherungsprämien steigen. Regelmäßig bleibt die für alle Krankenhäuser verbindliche, von der Selbstverwaltung ausgehandelte Preissteigerung in Form der Erhöhung der Landesbasisfallwerte hinter den Kostensteigerungen zurück.

Produktivität als Gradmesser

Um diese Situation aufzufangen, muss die Produktivität des Krankenhauses wachsen. Gewinne, manchmal auch weniger Verluste, machen diejenigen Gesundheitsanbieter, denen im Vergleich zum Wettbewerb eine stärkere Verbesserung der Produktivität gelingt. Es geht in der Gesundheitswirtschaft nicht um "Geld oder Leben", sondern vielmehr um die optimale Verwendung der verfügbaren finanziellen Mittel. Die Aussicht, Gewinne erzielen (und behalten) zu können, veranlasst die Akteure, nach Möglichkeiten der Produktivitätssowie der Qualitätsverbesserung Ausschau zu halten. Zudem wird hierdurch der Innovationswettbewerb befördert. Und darin unterscheidet sich die Gesundheitsbranche nicht grundsätzlich von anderen Branchen, wohl aber darin, dass es nicht um Werkstücke geht, sondern um Menschen mit ihrer einzigartigen Persönlichkeit.

Charakteristik des Gesundheitsmarkts: Unter Markt versteht man das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage mit dem Ergebnis einer Preisbildung. Die klassischen Merkmale sind in der Gesundheitswirtschaft nur eingeschränkt gegeben:

Marktzutritt: Der Marktzutritt ist stark reguliert: Krankenhäuser müssen in den staatlichen Krankenhausplan aufgenommen werden, wenn sie gesetzlich Versicherte gegen Entgelt versorgen wollen. Von Bundesland zu Bundesland existieren darüber hinaus unterschiedlich starke Regulierungen im Hinblick auf die Bettenzahl und die Fachabteilungen, die ein Krankenhaus betreiben darf. Für einige Behand lungen gibt es staatlich vorgegebene Mindestmengen. Die Möglichkeiten der Leistungserbringung sind deswegen quantitativ und qualitativ stark eingeschränkt.

Preisbildung und Transparenz: Ein Anbieterpolypol in Form von etwa 2 000 Krankenhäusern in Deutschland steht einem Oligopol von wenigen Krankenkassen gegenüber, sodass sich eine asymmetrische Verhandlungsmacht ergibt. Kennzeichnend für den Gesundheitsmarkt ist darüber hi naus, dass Nutzer (Patienten), Zahler (Krankenkassen), Entscheider (in der Regel niedergelassene Ärzte) und die Anbieter (Krankenhäuser) nicht wie im üblichen Markt miteinander gekoppelt sind.

Aufgrund des fehlenden Verbunds gibt es im Gesundheitsmarkt für die Nachfrager keine Preistransparenz und für die Anbieter keine Preisbildung mit den Endkunden - von wenigen Ausnahmen abgesehen. Die gesetzlich Krankenversicherten erhalten noch nicht einmal eine Rechnung. Sie haben kein Gefühl dafür, was die Gesundheitsversorgung kostet und ob die Rechnungsstellung korrekt ist. Daher ist Verschwendung strukturell vorprogrammiert.

Konsumentensouveränität: Diejenigen, welche die Gewinnerzielung im Gesundheitsmarkt kritisieren, argumentieren in der Regel mit der fehlenden Konsumentensouveränität. Der Notfallpatient oder auch der im Sterben Liegende seien keine Kunden, weil sie keine Wahlmöglichkeit haben, sondern dem System beziehungsweise dessen Akteuren ausgeliefert seien. Dazu kommt, dass in aller Regel und trotz der Möglichkeiten, die elektronische Medien heute bieten, ein erhebliches Informationsgefälle zwischen Arzt und Patient besteht. Der Patient muss sich auf die Aussagen des Arztes verlassen und dessen Dienstleistungen in Anspruch nehmen.

Im Ergebnis existieren aufgrund der Besonderheiten des regulierten Gesundheitsmarkts sowohl für Anbieter als auch für Nachfrager besondere Konstellationen und zahlreiche Fragestellungen, welche die Ethik des Gewinne-Machens relativieren. So können in einigen Fällen höhere Erlöse erzielt werden, wenn eine komplexe stationäre Behandlung nicht in einem Krankenhausaufenthalt des Patienten erbracht wird, sondern auf zwei Einweisungen aufgeteilt wird. Ein weiterer häufig geäußerter Vorwurf lautet: "Die Krankenhäuser suchen sich oft die lukrativsten Patienten oder Prozeduren heraus (Cherry Picking). Der Anreiz ist gestiegen, das Lohnenswerte - aufwendige Operationen - häufig zu tun und das Notwendige zu vernachlässigen, etwa das Gespräch mit den Patienten. ... Ältere und gebrechliche Menschen werden entweder gar nicht erst aufgenommen oder zu früh nach Hause geschickt, wenn die Kosten ihrer Behandlung die Fallpauschale übersteigen (blutige Entlassung)" (Faller, H.; Grefe, C.: Geld oder Leben, in Die Zeit Nr. 39 vom 20. September 2012, Seite 31).

Der Gesundheitsmarkt und dort insbesondere der Markt für Krankenhäuser befindet sich seit vielen Jahren in einem Restrukturierungsprozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Durch die hohe Regulierungsdichte und den starken Einfluss unter anderem der (Kommunal-)Politik wird eine Marktbereinigung erschwert. Daher werden die begrenzten finanziellen Mittel und auch die grundsätzlich knappen Arbeitskräfte nicht optimal allokiert. Gewinne sind in angemessenem Rahmen nicht nur ethisch vertretbar, sondern notwendig, um die Strukturbereinigung voranzubringen und um eine leistungsfähige, produktive und im Hinblick auf die Träger differenzierte Krankenhauslandschaft zu entwickeln.

Gewinne im Gesundheitsmarkt

Wie können im Gesundheitsmarkt Gewinne erzielt werden und wofür genau werden sie benötigt? Gewinne sind möglich. Trotz der hohen Regulierung und vielfältiger Einschränkungen ist es möglich, im Gesundheitsmarkt Gewinne zu erzielen. Dies zeigen die Akteure, allen voran die Pharmazeutische Industrie und die Medizintechnikhersteller, aber neuerdings auch Kranken- und Pflegeversicherungen. Bei den Leistungserbringern, nämlich den Krankenhaus- und Pflegeheimbetreibern, stellt sich die Situation sehr heterogen dar. Während kommunale Häuser zumeist hoch defizitär sind und in großem Umfang auf Steuermittel der Städte, Kommunen und Länder zurückgreifen, gelingt es privaten Anbietern und vor allem den großen Gesundheitskonzernen derzeit, Gewinne zu erzielen. Bei freigemeinnützigen Trägern ist die wirtschaftliche Lage sehr unterschiedlich.

Der Preis für eine definierte Gesundheitsleistung, das heißt für eine Fallpauschale, wird durch das InEK-Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus kalkuliert. Diejenigen Krankenhäuser, die freiwillig am Kalkulationsverfahren teilnehmen, reichen jährlich ihre Ist-Kosten in einer differenzierten Kostenmatrix ein. Auf dieser Grundlage werden Fallpauschalen berechnet, die für alle Anbieter nahezu identisch sind. Wirtschaftlich erfolgreiche Krankenhäuser unterscheiden sich vom Wettbewerb durch eine bessere Kostenstruktur, als die in der Preiskalkulation zugrunde gelegte. Sie arbeiten produktiver, kaufen günstiger ein, haben eine optimale Betriebsgröße oder sind in Konzernstrukturen eingebunden. Sie verfügen über ein erfolgreiches Belegungsmanagement und steuern ihre Verweildauer optimal. Sie erfreuen sich aufgrund sehr guter Qualität, die aktiv dar gestellt wird, einer hohen Nachfrage. Die Möglichkeit, Gewinne zu erzielen, setzt Anstrengungen frei, die auf einen effizienten Ressourceneinsatz zielen und zu einer wirtschaftlicheren Gesundheitsversorgung führen. Und dies ist keineswegs unethisch.

Gewinne nötig

Seit der Abschaffung des Selbstkostendeckungsprinzips müssen Krankenhäuser Gewinne erwirtschaften, wenn sie im Gesundheitsmarkt überleben möchten. Vier Aspekte werden kurz beleuchtet.

Gewinne für Investitionen: Krankenhäuser müssen genügend liquide Mittel bereithalten, um investieren zu können. Denn die Bundesländer verabschieden sich immer mehr von der dualen Finanzierung, also von ihrer gesetzlichen Investitionsverpflichtung. Die Krankenhausunternehmen müssen stetig steigende Investitionsmittel aus den laufenden Einnahmen bereitstellen und auch auf Fremdkapital zurückgreifen. Das Problem dabei ist, dass in den Fallpauschalen keine Investitionskosten, keine Zinsaufwendungen und Abschreibungen einkalkuliert sind.

Gewinne zur Zukunftssicherung: Gewinne sind für private und frei-gemeinnützige Krankenhausträger nötig, um die Unternehmen gegenüber kommunalen Häusern abzusichern. Die kommunalen Wettbewerber verbessern ihre Marktposition nicht selten auf Kosten des Steuerzahlers durch unrentable, aber für die Patienten attraktive Investitionen oder hohe, nicht marktübliche Gehälter für Ärzte und Pflegekräfte. Dies führt in manchen Regionen zu einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung.

Gewinne zur Steigerung der Qualität und für Innovationen: Gewinne ermöglichen, die Qualität der Gesundheitsversorgung weiter zu verbessern und Angebote vorzuhalten, die allein nicht kostendeckend sind. Eine wesentliche Rolle spielen hierbei medizinische und pflegerische Innovationen, die hohe Anfangsinvestitionen bedeuten. Gewinne zu machen ist gerade aus diesem Blickwinkel betrachtet ethisch.

Gewinne zur Sanierung defizitärer Häuser im Rahmen der Kettenbildung: Die Konzentration auf dem Krankenhausmarkt wird weiter zunehmen. Krankenhäuser entscheiden sich erst dann für eine Verbundlösung, wenn die Liquidität verbraucht ist. Meist existiert dazu ein erheblicher Investitionsstau. Um eine Sanierung erfolgreich voranzubringen, sind neben Fremdkapital auch erhebliche Eigenmittel nötig. Bei Agaplesion bestehen die Eigenmittel aus den Gewinnen, die im Konzernverbund erzielt werden. Geldverdienen ist mithin ethisch, denn es hilft, konfessionelle Krankenhäuser zu sichern.

Geldverdienen und Werteorientierung

Eine Fragestellung von ethischer Dimension ist nicht nur, ob und wie viel Gewinn im Gesundheitsmarkt gemacht wird, sondern vor allem wofür der Ertrag eingesetzt wird. Während private Gesundheitsunternehmen aus ihren Gewinnen Dividenden bezahlen oder Ausschüttungen vornehmen, sind gemeinnützige Unternehmen verpflichtet, die Überschüsse zeitnah wieder für die satzungsmäßigen Zwecke einzusetzen. Gewinne bleiben dadurch im System und stiften weiteren Nutzen, auch in anderen wichtigen Tätigkeitsfeldern, in denen sich keine Gewinne erzielen lassen. Deswegen werden solche Arbeitsgebiete wie die Palliativversorgung oder der Betrieb von Hospizen von den privaten Gesundheitsanbietern nicht verfolgt.

Kirchliche Krankenhäuser befördern den politisch gewünschten Wettbewerb im Gesundheitsmarkt. Dabei verkürzen kirchliche Krankenhäuser ihren Versorgungsauftrag nicht auf Renditeziele oder wechselnde kommunalpolitische Interessen, sondern sie orientieren sich an den vielfältigen und komplexen Bedürfnislagen der Patienten auf der Basis christlicher Werte. Das ist ihr Alleinstellungsmerkmal.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich des "Zahlungsverkehrssymposiums 2013" der Deutschen Bundesbank. Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X